Inhalt

VGH München, Beschluss v. 03.09.2025 – 1 ZB 24.2087
Titel:

Erfolglose Klage der Nachbarn gegen Boarding-Haus im faktischen reinen Wohngebiet

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 1, § 34 Abs. 2
BauNVO § 3 Abs. 3 Nr. 1, § 12 Abs. 2, § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Ein „kleiner Betrieb des Beherbergungsgewerbes“, der gem. § 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 BauGB iVm § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in einem (faktischen) reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig ist, lässt sich nicht allgemein umschreiben. Maßgeblich ist, ob er sich nach Erscheinungsform, Betriebsform und Betriebsführung sowie unter Berücksichtigung der Zahl der Benutzer unauffällig in das Gebiet einordnet, wobei dem Schutz der Wohnruhe besondere Bedeutung zukommt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch im Fall einer neu geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeit indiziert die Einhaltung der landesrechtlichen Abstandflächenvorgaben im Regelfall, dass das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot – jedenfalls im Hinblick auf die Belange ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie die Begrenzung der Einsichtnahmemöglichkeiten – nicht verletzt ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 12 Abs. 2 BauNVO enthält den Rechtsgedanken, dass selbst in störempfindlichen Baugebieten die Immissionen der zulässigen Parkflächen für Kraftfahrzeuge von den Nachbarn als sozialadäquat geduldet werden müssen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Immissionsrichtwerte, das Spitzenpegelkriterium und die von der TA Lärm definierte Vorbelastung finden bei der Beurteilung von Immissionen, die durch die Nutzung zugelassener notwendiger Stellplätze verursacht werden, in der Regel keine Anwendung, da ansonsten die Wertung des § 12 Abs. 2 BauNVO umgangen würde. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Gebietserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmegebot, Einsichtnahmemöglichkeit, Tiefgaragenwendeplatte, Boarding-Haus, Nachbar, Beherbergungsbetrieb, Einsichtnahmemöglichkeiten, Parkflächen, TA Lärm
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 01.10.2024 – M 9 K 20.6878
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25629

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Boarding-Hauses mit sechs Apartments und einer Wohnung sowie Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. …3, Gemarkung E.
2
Die Kläger sind (Mit-)Eigentümer des Grundstücks FlNr. …4, Gemarkung E. (im Folgenden: Nachbargrundstück). Unmittelbar östlich an dieses Grundstück grenzt das Grundstück FlNr. …3, Gemarkung E. , an (im Folgenden: Vorhabengrundstück). Das unbeplante Vorhabengrundstück ist derzeit nicht bebaut, auf dem Nachbargrundstück befindet sich ein Wohngebäude (Einfamilienhaus) mit Garage. Östlich des Vorhabengrundstücks, auf der anderen Seite der Erschließungsstraße, ist ein Gasthof mit Biergarten.
3
Mit Bescheid vom 19. November 2020 erteilte das Landratsamt dem Beigeladenen zu 1) die beantragte Genehmigung. Die Apartments des Boarding-Hauses richten sich nach der vom Beigeladenen zu 1) vorgelegten Betriebsbeschreibung, die zum Bestandteil der Genehmigung gemacht wurde, hauptsächlich an Geschäftsreisende, Ingenieure und Monteure für einen zeitlich begrenzten Aufenthalt von maximal sechs Monaten. Sie sollen mit Bett, Schrank, Kochgelegenheit, WC und Dusche ausgestattet werden. Im Wäscheraum im Untergeschoss sollen Waschmaschinen zur Verfügung gestellt werden; Zimmerreinigung und Wechsel der Bettwäsche können als Serviceleistung gebucht werden. Als Rezeption soll die Rezeption des gegenüberliegenden Gasthofs mitgenutzt werden. Die Tiefgaragenzufahrt ist parallel zur nördlichen Grenze des Vorhabengrundstücks vorgesehen. Die Ein- und Ausfahrt in die bzw. aus der Tiefgarage soll über eine Aufzugsanlage erfolgen, wobei eine in der Tiefgarage geplante Wendeplatte dort die für die Ein- bzw. Ausfahrt erforderlichen Richtungswechsel ermöglichen soll.
4
Die hiergegen von den Klägern erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht nach Einnahme eines Augenscheins mit Urteil vom 1. Oktober 2024 abgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. darauf abgestellt, dass das Bauvorhaben nicht den Gebietserhaltungsanspruch der Kläger verletze und weder aufgrund der durch das Bauvorhaben eröffneten Einsichtnahmemöglichkeiten noch wegen der Situierung der Stellplätze sowie der Tiefgarage und der damit einhergehenden Immissionsbelastung zu Lasten der Kläger gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme verstoße.
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Mit ihrem Zulassungsantrag machen die Kläger insbesondere geltend, dass das Verwaltungsgericht bei Prüfung eines Verstoßes gegen das Rücksichtnamegebot außer Betracht gelassen habe, dass hier erstmalige, neue Einsichtnahmemöglichkeiten entstünden. Außerdem hätte die Baugenehmigung unter Berücksichtigung der geplanten Nutzung des Bauvorhabens als Boarding-Haus nicht ohne Immissionsgutachten für die Tiefgaragenwendeplatte erteilt werden dürfen; die zu erwartenden unzulässigen Immissionen durch die Wendeplatte verletzten das Rücksichtnahmegebot. Schließlich sei der Gebietserhaltungsanspruch der Kläger verletzt, weil sich die geplante Nutzung nicht in das als reines Wohngebiet zu qualifizierende Geviert einfüge.
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Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen; die Beigeladenen haben sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten sowie die übermittelte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.
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1. Die Zulassungsgründe der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) werden zwar zu Beginn der Begründung des Zulassungsantrags genannt, im Folgenden jedoch nicht ansatzweise substantiiert. Dies genügt den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO offensichtlich nicht.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542).
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Das ist vorliegend nicht der Fall. Nach dem Zulassungsvorbringen erscheint es im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft, dass die angefochtene Baugenehmigung keine Rechte verletzt, die dem Schutz der Kläger dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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2.1 Nach dem Zulassungsvorbringen ist nicht ersichtlich, dass das genehmigte Bauvorhaben den sog. Gebietserhaltungsanspruch der Kläger verletzt.
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Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3 BauNVO) oder – wie hier vom Verwaltungsgericht angenommen und nicht in Zweifel gezogen – in einem „faktischen“ Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB) das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung weder allgemein noch nach § 31 Abs. 1 (i.V.m. § 34 Abs. 2) BauGB ausnahmsweise zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben (faktischen) Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer – unabhängig davon, ob er tatsächlich beeinträchtigt ist – das Recht, sich gegen eine „schleichende Umwandlung“ des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (vgl. BVerwG, U.v. 29.3.2022 – 4 C 6.20 – BVerwGE 175, 192; B.v. 15.9.2020 – 4 B 46.19 u.a. – juris Rn. 5; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151; BayVGH, B.v. 18.3.2021 – 1 CS 20.2788 – juris Rn. 16; U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – NVwZ-RR 2014, 508; B.v. 26.5.2008 – 1 CS 08.881 u.a. – BauR 2008, 1556). In einem „faktischen“ Baugebiet ist der Anspruch in räumlicher Hinsicht auf die Grundstücke begrenzt, die zur näheren Umgebung des Baugrundstücks zählen (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.1998 – 4 B 79.98 – NVwZ-RR 1999, 105).
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass diese nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks nahezu ausschließlich von Wohnbebauung geprägt sei, was die Kläger in ihrem Zulassungsvorbringen nicht in Zweifel ziehen. Dies zugrunde gelegt hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass sich das Boarding-Haus mit sechs Apartments und einer Wohnung weder in einem allgemeinen noch in einem reinen Wohngebiet als gebietsfremd erweist, so dass die konkrete Einordnung in einen (faktischen) Baugebietstyp dahinstehen kann. Bei der Prüfung der Frage, ob das auf dem Vorhabengrundstück geplante, je nach Verortung der Nutzungsschwerpunkts möglicherweise als Beherbergungsbetrieb einzuordnende Boarding-Haus als „kleiner Betrieb des Beherbergungsgewerbes“ gemäß § 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in einem (faktischen) reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig ist, hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass sich der Begriff „klein“ im Sinn von § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nicht allgemein, z.B. mit einer bestimmten Bettenzahl, umschreiben lässt, weil sein Bedeutungsgehalt auch von den tatsächlichen Auswirkungen des festgesetzten oder faktischen Baugebiets in der konkreten Örtlichkeit abhängt (vgl. BVerwG, B.v. 27.11.1987 – 4 B 230.87 u.a. – BauR 1988, 184). Maßgeblich ist, ob sich der Betrieb nach Erscheinungsform, Betriebsform und Betriebsführung sowie unter Berücksichtigung der Zahl der Benutzer unauffällig in das Gebiet einordnet, wobei dem Schutz der Wohnruhe besondere Bedeutung zukommt. Wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei, wie sich der Betrieb auf seine Umgebung auswirkt und welche Störungen von ihm ausgehen, ob er sich also in dem konkreten Wohngebiet und aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung als gebietsverträglich erweist (vgl. VGH BW, B.v. 11.5.2015 – 3 S 2420/14 – juris Rn. 31), d.h. sich der Vermietung von Wohnräumen annähert, baulich (zumeist) nicht besonders in Erscheinung tritt und infolgedessen auch den Charakter des reinen Wohngebiets nicht beeinflusst (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.1967 – IV B 230.66 – Buchholz 406.12 § 3 BauNutzVO Nr. 1). Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung der Betriebsform und -führung des geplanten Boarding-Hauses, der daraus abgeleiteten Vergleichbarkeit der mit dieser Nutzung verbundenen Geräuschimmissionen mit denjenigen einer typischen Wohnnutzung in einem reinen Wohngebiet sowie der maximalen Belegung der Apartments ausführlich darlegt, weshalb das geplante Boarding-Haus noch als „kleiner“ Beherbergungsbetrieb zu qualifizieren sei.
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Hiergegen wendet das Zulassungsvorbringen lediglich ein, dass aufgrund der Nähe der Gaststätte auf der dem Vorhabengrundstück gegenüberliegenden Seite der Erschließungsstraße und der Besonderheit, dass diese auch als Rezeption für das Boarding-Haus genutzt werden solle, zu befürchten sei, dass die gaststättenähnliche Nutzung in das Boarding-Haus getragen werde, indem etwa in der Gaststätte mitgenommene Getränke nach dem Ende der Öffnungszeiten der Gaststätte im Boarding-Haus verzehrt würden, so dass eine Störung der Wohnruhe zu erwarten sei.
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Dies genügt den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht. So ist bereits nicht nachvollziehbar, inwiefern ein eventuelles Hineintragen einer gaststättenähnlichen Nutzung „in das“ Boarding-Haus sowie der Verzehr von Getränken „im“ Boarding-Haus nach dem Ende der Öffnungszeiten der Gaststätte unter Berücksichtigung des Gesamtkonzepts des Boarding-Hauses eine Immissionsbelastung außerhalb des geplanten Gebäudes mit sich bringen soll. Das Zulassungsvorbringen setzt sich insoweit weder mit der für die Immissionsbelastung der Umgebung relevanten Maximalbelegung des Boarding-Hauses auseinander noch stellt es darauf ab, dass sich nach den Darlegungen des Verwaltungsgerichts das Geräuschniveau auch durch die Nutzung der Außenanalagen nicht wesentlich von dem einer typischen Wohnnutzung durch die Bewohner und Besucher in einem reinen Wohngebiet unterscheiden dürfte. Ebenso wenig berücksichtigt es, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass im Boarding-Haus, das im Erdgeschoss zur Nutzung für alle Gäste einen Aufenthaltsraum vorsieht, keine Freizeitveranstaltungen angeboten würden, es also zu keinen mit einem geselligen Zusammentreffen der Gäste unterschiedlicher Apartments verbundenen Geräuschbelastungen kommt
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2.2 Das Zulassungsvorbringen zeigt auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass die angegriffene Baugenehmigung nicht zu Lasten der Kläger gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme verstößt.
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2.2.1 Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung einer Verletzung des vorliegend aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO abzuleitenden Rücksichtnahmegebots nicht außer Betracht gelassen, dass durch die Errichtung des Boarding-Hauses erstmalig neue Einsichtnahmemöglichkeiten in die Fenster (an der Ostseite) des Gebäudes auf dem Nachbargrundstück eröffnet werden. Vielmehr hat es insofern in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs festgestellt, dass auch im Fall einer neu geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeit die (vom Verwaltungsgericht angenommene und von den Klägern nicht in Zweifel gezogene) Einhaltung der landesrechtlichen Abstandflächenvorgaben im Regelfall indiziert, dass das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot – jedenfalls im Hinblick auf die Belange ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie die Begrenzung der Einsichtnahmemöglichkeiten – nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – BauR 1994, 354; BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – BayVBl 2024, 17; B.v. 13.10.2021 – 9 CS 21.2211 – juris Rn. 35; B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 20; B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7 m.w.N.), und weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen – zumindest in bebauten Ortslagen – einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken bietet (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2024 – 1 CS 23.2032 u.a. – juris Rn. 20; B.v. 14.6.2023 – 15 CS 23.369 – juris Rn. 23). Der Begriff des Einfügens im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB stellt (nur) auf die städtebaulichen Merkmale der Nutzungsart, des Nutzungsmaßes, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche ab. Die Möglichkeit, von dem zu errichtenden Gebäude in andere Einsicht zu nehmen, ist darin, da städtebaulich nicht relevant, ebenso wenig wie die Anzahl der in einem Gebäude vorhandenen Nutzungseinheiten angesprochen (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – NVwZ 1989, 1060; 7; BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 20; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 13 m.w.N.). Zwar kann, wie von den Klägern angeführt, das Gebot der Rücksichtnahme ausnahmsweise auch dann verletzt sein, wenn die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – NVwZ 1999, 879 m.w.N.), und kann dieses Gebot in besonderen, von den Umständen des Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen einen Schutz der Nachbarn vor Einsichtnahmemöglichkeiten vermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 14.6.2023 a.a.O.; B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris Rn. 26). Anhaltspunkte für einen solchen situationsbedingten Ausnahmefall sind dem Zulassungsvorbringen jedoch nicht hinreichend substantiiert zu entnehmen. Soweit die Kläger auf die Einblickmöglichkeiten „aus kurzer Entfernung“ verweisen, präzisieren sie diese Behauptung entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht näher, obwohl das Verwaltungsgericht seine Einschätzung, dass die vom Boarding-Haus eingehaltenen Grenzabstände eine Unzumutbarkeit der eröffneten Einsichtnahmemöglichkeiten ausschließen, mit den im Rahmen der Prüfung der Vorgaben des Abstandsflächenrechts sowie der „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ Wirkung ermittelten und nicht bestrittenen konkreten Grenzabstände der westlichen Wandteile des Boarding-Hauses begründet hat. Auch der nicht näher substantiierte Hinweis auf Einsichtnahmemöglichkeiten, die von einem gewerblich bzw. für ein Boarding-Haus genutzten Grundstück eröffnet werden, legt einen besonders gelagerten Ausnahmefall nicht ansatzweise dar. Ebenso wenig erläutern die Kläger in diesem Zusammenhang, weshalb ihnen der vom Verwaltungsgericht angeführte Selbstschutz vor Einblicken aus dem Boarding-Haus nicht zumutbar sein soll.
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2.2.2 Soweit sich die Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wenden, dass die geplante Tiefgarage und die damit verbundene Lärm- und Verkehrsbelastung keine für sie unzumutbaren Auswirkungen erwarten lassen, und insoweit zudem geltend machen, dass die angegriffene Baugenehmigung nicht ohne Gutachten zu den vom Betrieb der geplanten Wendeplatte ausgehenden Immissionen hätte erteilt werden dürfen, vermag auch dies die Ergebnisrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht zu erschüttern.
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Nach § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Grundsatz in allen Baugebieten zulässig. Zur Bewahrung eines gebietstypischen Immissionsniveaus besonders störempfindlicher und schutzbedürftiger Baugebiete wie etwa – faktischer – Wohngebiete begrenzt § 12 Abs. 2 BauNVO die mit dem Kraftfahrzeugverkehr unvermeidlich einhergehenden Störungen auf das Maß, das sich aus dem Bedarf der im jeweiligen Baugebiet zugelassenen Nutzungen ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.2010 – 4 C 7.10 – BayVBl 2011, 769; U.v. 7.12.2006 – 4 C 11.05 – NVwZ 2007, 585). Hiervon ausgehend sind die der Nutzung des Boarding-Hauses sowie einer Wohnung zugeordneten sieben Tiefgaragenstellplätze der Art nach zulässig und regelhaft auch zumutbar. Denn § 12 Abs. 2 BauNVO enthält, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, zugleich den Rechtsgedanken, dass selbst in störempfindlichen Baugebieten die Immissionen der zulässigen Parkflächen für Kraftfahrzeuge von den Nachbarn als sozialadäquat geduldet werden müssen. Die Grundstücksnachbarn haben insofern im Regelfall die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein in einem Wohngebiet zulässiges Vorhaben und die mit seinem Betrieb üblicherweise verbundenen (insbes. Lärm-)Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge sowohl tagsüber als auch nachts – vorbehaltlich besonderer Verhältnisse im Einzelfall – grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen. Diese Erwägungen gelten auch für Stellplätze in Tiefgaragen, zumal diese im Vergleich zu oberirdischen Garagen den Vorteil haben, dass sie mit dem Parken und Abfahren verbundene (Geräusch-)Belästigungen, wie z.B. Schlagen von Autotüren oder Starten von Motoren, weitgehend abschirmen und damit schon grundsätzlich als rücksichtsvoller einzustufen sein dürften (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – NVwZ 2003, 1516; BayVGH, B.v. 25.5.2021 – 15 ZB 20.2128 – juris Rn. 19).
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Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls, wonach – aufgrund der in der Tiefgarage vorgesehenen Wendeplatte – ausnahmsweise etwas Anderes gelten könnte, sind vorliegend weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Soweit die Kläger vorbringen, dass aufgrund des nach der Betriebsbeschreibung angedachten Nutzerkreises zu erwarten sei, dass die Gäste des Boarding-Hauses zwischen ihren beruflichen Terminen zu ihrer Unterkunft zurückfahren und dadurch deutlich mehr Fahrbewegungen und dementsprechend mehr Bewegungen der Tiefgaragenwendeplatte verursachen würden als die Bewohner einer vergleichbar großen Wohnanlage, stellen die Kläger den Ausführungen des Verwaltungsgerichts lediglich ihre eigene Bewertung der Gegebenheiten gegenüber, ohne mit schlüssigen Gegenargumenten einen für das Ergebnis der Entscheidung relevanten Fehler aufzuzeigen. Denn aus dem klägerischen Vorbringen geht nicht schlüssig hervor, wie es durch die Bewegungen der geplanten Wendeplatte – unabhängig von ihrer Anzahl – überhaupt zu (merklichen) Lärm- und/oder Erschütterungsimmissionen auf dem Nachbargrundstück kommen soll. Das Verwaltungsgericht hat, von den Klägern nicht in Zweifel gezogen, hierzu festgestellt, dass die Lüftungsschächte der Tiefgarage nach dem genehmigten Plan vom Nachbargrundstück abgewandt und etwa 13 m bis 19 m von der Grundstücksgrenze entfernt errichtet werden sollen. Außerdem hat es seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass die im Untergeschoss des Boarding-Hauses vorgesehene und insofern zu den Seiten und nach oben durch Wände bzw. eine Decke lärmabgeschirmte Wendeplatte einen Abstand von 1,20 m zur Grenze zum Nachbargrundstück wahrt. Das auch die Tiefgarage umfassende Untergeschoss des geplanten Vorhabens grenzt nach dem genehmigten Plan zudem ebenso wenig wie eine sonstige Außenwand des geplanten Vorhabens unmittelbar an ein Gebäude auf dem Nachbargrundstück an. Vor diesem Hintergrund erscheint die Erwartung einer unzumutbaren Einwirkung von von der Wendeplatte verursachtem Lärm bzw. verursachten Erschütterungen auf das Nachbargrundstück bzw. -gebäude angesichts der geringen Zahl von nur sieben Tiefgaragenstellplätzen als Behauptung ins Blaue hinein, die ohne nähere Auseinandersetzung mit der nachvollziehbaren Argumentation des Verwaltungsgerichts sowie den tatsächlichen Gegebenheiten nicht nachvollziehbar ist. Der Verweis auf erhöhte Geräuschimmissionen im Fall der Abnutzung der Bauteile der Wendeplatte ist insoweit unbehelflich, da für die Frage (un-)zumutbarer Immissionen auf den dem Stand der Technik entsprechenden, eine regelmäßige Wartung umfassenden Betrieb der Wendeplatte abzustellen ist. Nichts Anderes gilt, soweit die Kläger eine schalltechnische Begutachtung zur Einhaltung der Immissionsrichtwerte der TA Lärm vermissen und aus einer insoweit angenommenen Unvollständigkeit der Bauvorlagen die Unbestimmtheit der Baugenehmigung im Hinblick auf eine eventuelle Rücksichtslosigkeit zu ihren Lasten ableiten (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 18.7.2025 – 1 ZB 24.1903 – juris Rn. 8; B.v. 27.11.2019 – 9 ZB 15.442 – juris Rn. 10). Denn bei der Prüfung des auch für gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 12 Abs. 2 BauNVO zulässige bauliche Anlagen zu beachtenden Rücksichtnahmegebots nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind, wie aufgezeigt, die (vorliegend von den Klägern nicht hinreichend substantiiert dargelegten) Umstände des Einzelfalls maßgeblich, nicht eine schematische Orientierung an der TA Lärm. Insofern kommt es auch nicht (allein) entscheidend darauf an, ob die Immissionsrichtwerte der TA Lärm voraussichtlich eingehalten werden. Die Immissionsrichtwerte, das Spitzenpegelkriterium und die von der TA Lärm definierte Vorbelastung finden bei der Beurteilung von Immissionen, die durch die Nutzung zugelassener notwendiger Stellplätze verursacht werden, in der Regel keine Anwendung, da ansonsten die Wertung des § 12 Abs. 2 BauNVO umgangen würde (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – NVwZ 2003, 1516; B.v. 15.8.2019 – 4 B 31.19 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris Rn. 20; B.v. 7.5.2019 – 9 ZB 17.53 – juris Rn. 9; OVG LSA, B.v. 20.10.2020 – 2 M 71/20 – juris Rn. 24; VGH BW, B.v. 23.2.2017 – 3 S 149/17 – NVwZ-RR 2017, 602).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 Halbs. 1, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der Senat legt diesen und nicht den Streitwertkatalog 2025 zu Grunde, da der Zulassungsantrag vor der Publikation des Streitwertkatalogs 2025 anhängig geworden ist. Dies dient dem Vertrauensschutz (vgl. BayVGH, B.v. 26.09.2006 – 11 ZB 05.2738 – juris Rn. 16) und stellt gleichzeitig den Gleichlauf zum Kostenrecht (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 GKG) sicher (vgl. VGH BW, U.v. 14.8.2025 – 3 S 465/24 – juris Rn. 50). Der Streitwert entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert, gegen den die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).