Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 20.02.2025 – RO 2 K 23.1067
Titel:

Geh- und Fahrtrecht, Beiladung, Rechtswidrige Baugenehmigung, Erteilte Baugenehmigung, Erteilung der Baugenehmigung, Baugenehmigungsverfahren, Baugenehmigungsbescheid, Verwaltungsgerichte, Notwegerecht, Grunddienstbarkeit, Dienstbarkeiten, Grundbucheintragung, Nachbarrechtlicher, Herrschendes Grundstück, Dienendes Grundstück, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Aufhebung, Rechtsmittelbelehrung, Streitwertfestsetzung, Wegegrundstück

Schlagworte:
Klagebefugnis, Rechtsverletzung, Drittanfechtung, Bestimmtheit, Notwegerecht, Nachbarrechte, Baugenehmigung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 23.09.2025 – 15 ZB 25.1172
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25596

Tenor

I.  Der Bescheid des Beklagten vom 15.5.2023 wird aufgehoben.
II.  Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
III.  Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die dem Beigeladenen vom Beklagten erteilte Baugenehmigung für den An- und Neubau von Gebäuden für einen metallverarbeitenden Betrieb.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks …1, Fl.Nr. …1, Gemarkung S* … (wie alle folgenden Fl.Nrn.) sowie der Grundstücke …2, …3, …4, …5, …6, …7, …8. Das Grundstück … grenzt im Osten an das Grundstück des Beigeladenen, …2, Fl.Nr. …9. Dort betreibt der Beigeladene einen metallverarbeitenden Betrieb. Das Grundstück wird durch eine nicht gewidmete Straße von Süden her erschlossen. Im Grundbuch findet sich zu der Fl.Nr. …4 ein „Geh- und Fahrtrecht für den jeweiligen Eigentümer von Flst. …9. Eingetragen gem. Bew. vom 14.4.1982/4.1.1983 am 28.2.1983.“ Die Erschließungsstraße von Süden her entspricht in etwa der Fl.Nr. …4, wobei ihr Verlauf tatsächlich abweichend vom Flurkataster Richtung Norden zunehmend nach Westen versetzt ist und unter anderem auf dem Grundstück Fl.Nr. …2 verläuft.
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Der Beigeladene beantragte beim Landratsamt … (Antrag bei der Gemeinde am 28.11.2022, beim Landratsamt am 21.12.2022 eingegangen) eine Baugenehmigung für den An- und Neubau von vier kleinen Zusatzgebäuden für einen metallverarbeitenden Betrieb. Es sollen ein Bürocontainer, ein Materiallager, ein Lager-Container und ein Lager als Zeltkonstruktion errichtet werden. In der Sitzung am 13.12.2022 erteilte der Bau- und Umweltausschuss der Gemeinde das gemeindliche Einvernehmen für das Vorhaben.
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Mit Bescheid vom 15.5.2023 erteilte das Landratsamt antragsgemäß die Baugenehmigung.
5
Gegen die Baugenehmigung ließ der Kläger Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erheben (eingegangen bei Gericht am 15.6.2024). Zur Begründung der Klage trägt er im Wesentlichen vor: Die Erschließung des Vorhabens sei nicht gesichert, da die Zufahrt nicht durch die Lage des Grundstücks in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche gesichert sei. Die Zufahrt auf das streitgegenständliche Grundstück erfolge ausschließlich über einen anliegenden Privatweg des Klägers. Dieser stelle keine befahrbare öffentliche Verkehrsfläche dar. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht daraus, dass dem Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks ein Geh- und Fahrtrecht über das Grundstück des Klägers zustehe. Denn dieses Geh- und Fahrtrecht sei bereits 1982 jeweils durch Rechtsvorgänger der jetzigen Eigentümer vereinbart worden vor dem Hintergrund reiner landwirtschaftlicher Nutzung der beiden Grundstücke. Jedoch werde allein das Grundstück des Klägers weiterhin landwirtschaftlich genutzt, während das Grundstück des Klägers metallverarbeitend genutzt werde, was zu einer wesentlich intensiveren Nutzung des Geh- und Fahrtrechts aufgrund deutlich erhöhter Verkehrsbelastung durch Zu- und Auslieferung führe. Diese Entwicklung sei durch das ursprünglich vereinbarte Geh- und Fahrtrecht nicht mehr gedeckt. Hieraus folge ein Anspruch des Klägers auf Unterlassen, sodass die Zufahrt und damit die Erschließung nicht mehr gesichert seien. Der Kläger werde hierdurch in seinem Eigentumsgrundrecht verletzt, da die Erteilung der Baugenehmigung zu einer Erweiterung des metallverarbeitenden Betriebs und damit zu einer weiter erhöhten Verkehrsbelastung führe, welche durch das ursprünglich vereinbarte Geh- und Fahrtrecht nicht mehr abgedeckt werde.
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Deshalb lässt der Kläger beantragen:
Die Baugenehmigung in Form des zum Aktenzeichen … ergangenen Bescheids des Landratsamts … vom 15.05.2023 wird aufgehoben.
7
Der Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
8
Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die Klage unzulässig und unbegründet sei. Unzulässig bereits deswegen, weil es am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis des Klägers fehle. Bei der streitgegenständlichen Baugenehmigung handele es sich lediglich um vier kleinere Vorhaben, mit denen der bestehende metallverarbeitende Betrieb erweitert werde. Der Kläger einschließlich etwaiger Rechtsvorgänger habe seit Aufnahme der Nutzung des Betriebes des Beigeladenen hiergegen keine Einwände geäußert und könne sich insofern auch nicht auf eine Beschränkung des Geh- und Fahrtrechtes zu lediglich landwirtschaftlichen Zwecken berufen. Es sei daher treuwidrig, wenn sich der Kläger nunmehr gegen eine gewerbliche Nutzung seines Weges wende, welche er seit jeher hingenommen habe. Die Klage sei jedenfalls auch unbegründet. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig, insbesondere sei die Erschließung gesichert. Der Kläger könne sich nicht auf eine etwaige nicht gesicherte Erschließung berufen, da das Rechtsinstitut der (bauplanungsrechtlichen) Erschließung ausschließlich öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt sei und ihr keine nachbarschützende Funktion zuteilwerde. Im Übrigen werde das Vorhabengrundstück über ein mittels Dienstbarkeit bestelltes Geh- und Fahrtrecht erschlossen. Auf die öffentlich-rechtliche Erschließung im bauplanungsrechtlichen Sinne habe auch eine etwaige Nutzungsbeschränkung des Geh- und Fahrtrechtes keine Auswirkungen, da die baurechtliche Genehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter ergehe. Es käme also nicht darauf an, ob der Privatweg des Klägers durch den Betrieb des Beigeladenen entgegen der bestellten Grunddienstbarkeit genutzt werde.
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Der Beigeladene beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Dies begründet er im Wesentlichen damit, dass das Erfordernis der gesicherten Erschließung grundsätzlich nur dem öffentlichen Interesse diene und keine nachbarschützende Funktion habe. Auch sei das bestehende Geh- und Fahrtrecht nicht lediglich für eine reine landwirtschaftliche Nutzung gewährt worden. Eine solche Beschränkung ergebe sich nicht aus der eingetragenen Dienstbarkeit selbst, diese sei unbeschränkt vereinbart worden. Zudem bestehe der metallverarbeitende Betrieb des Beigeladenen schon seit über 25 Jahren. Selbst wenn sich aus den Umständen eine Art Beschränkung der Dienstbarkeit ergäbe, so sei die Dienstbarkeit jedenfalls mit den Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks gewachsen. Insbesondere habe sich der Kläger in den letzten 25 Jahren nicht gegen den bereits bestehenden Betrieb des Beigeladenen zur Wehr gesetzt. Die gegenständliche Baugenehmigung ändere nichts an der Art der Nutzung des Grundstücks des Beigeladenen.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Behördenakte, die Gerichtsakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
I.
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Die Klage ist zulässig.
14
Der Kläger ist zur Klage gegen den gegenständlichen Bescheid befugt, § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Kläger trägt die mangelnde Erschließung des Vorhabens vor. Als Eigentümer des Nachbargrundstücks zum Vorhaben, des Wegegrundstücks Fl.Nr. …4, mit dem das Vorhabengrundstück erschlossen wird, sowie des Grundstücks Fl.Nr. …2, auf dem die Erschließungsstraße tatsächlich teilweise verläuft, ist zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen, dass aufgrund der vom Kläger behaupteten Überschreitung des Geh- und Fahrtrechts am Erschließungsgrundstück ein Notwegerecht zu seinen Lasten entsteht, woraus sich eine Rechtsverletzung des Klägers aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 903 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergeben kann (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2023 – 9 ZB 22.1686 – juris Rn. 7 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 11.5.1998 – 4 B 45.98 – juris Rn. 8).
II.
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Die Klage ist auch begründet.
16
Die gegenständliche Baugenehmigung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
17
In einer Drittanfechtungssituation – wie sie hier gegeben ist – ist die Klage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung nicht bereits dann erfolgreich, wenn die Baugenehmigung lediglich objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr führt eine etwaige Rechtswidrigkeit nur dann zu einer Rechtsverletzung des Nachbarn im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO und somit zur Aufhebung der Baugenehmigung im Klageverfahren, wenn die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte des Nachbarn zu dienen bestimmt sind und im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind (BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 23 m.w.N.).
18
Die angefochtene Baugenehmigung genügt nicht den Anforderungen des Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes und diese Unbestimmtheit betrifft gerade eine Frage – nämlich diejenige einer möglichen Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts zulasten des Klägers –, aus der eine Rechtsverletzung des Klägers folgen kann.
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Wie jeder Verwaltungsakt muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, Art. 68 Bayerische Bauordnung – BayBO). Sie muss das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung, eindeutig erkennen lassen, damit die am Verfahren Beteiligten (vgl. Art. 13 Abs. 1 BayVwVfG) die mit dem Genehmigungsbescheid getroffene Regelung nachvollziehen können. Hinreichend bestimmt ist eine Baugenehmigung danach in objektiv-rechtlicher Hinsicht, wenn die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – eindeutig zu erkennen ist und deshalb keiner unterschiedlichen Bewertung zugänglich ist. Was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Bauantrag. Der Inhalt der Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Unterlagen. Wird deshalb in der Baugenehmigung auf den Antrag oder Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die Antragsunterlagen sind. In nachbarrechtlichen Streitigkeiten – wie hier – ist die Bestimmtheit der Baugenehmigung nur daraufhin zu prüfen, ob es dem Nachbarn möglich ist, festzustellen, ob und in welchem Umfang er durch das Vorhaben in seinen drittschützenden Rechten betroffen wird (BayVGH B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 13; BVerwG, B.v. 20.5.2014 – 4 B 21.14 – juris Rn. 9, 13; König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Auflage 2012, Art. 68 Rn. 33 ff.; Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand Dezember 2017, Art. 68 Rn. 465 ff.). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH B.v 15.2.2019 – 9 CS 18.2610 – juris Rn. 10). Speziell im Kontext einer gewerblichen Nutzung ist maßgebend für die Frage der Bestimmtheit der Baugenehmigung neben der genehmigten Planung auch das mitgenehmigte Betriebskonzept bzw. die Betriebsbeschreibung (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2019 – 9 CS 18.2610 – Rn. 11, juris; B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – Rn. 19-21, juris; B.v. 2.3.2015 – 9 ZB 12.1377 – juris Rn. 7; U.v. 16.11.2006 – 26 B 03.2486 – Rn. 31 f., juris).
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Danach ist die vorliegende Baugenehmigung in einer für den Kläger nachteiligen Weise unbestimmt, weil der Nutzungsumfang der genehmigten Anlagen nicht erkennbar ist und es für den Kläger nicht zweifelsfrei feststellbar ist, ob aufgrund der genehmigten Nutzung ein Notwegerecht zu seinen Lasten entsteht oder ein bestehendes Notwegerecht ausgeweitet wird.
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1. Die gegenständliche Baugenehmigung enthält weder ein Konzept oder eine Beschreibung des Betriebs des Beigeladenen noch Bestimmungen dazu, inwiefern sich das Vorhaben der Erweiterung des Betriebs auf die Betriebsabläufe auswirkt.
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Die gegenständliche Baugenehmigung für den „An- und Neubau von kleinen Zusatzgebäuden für einen metallverarbeitenden Betrieb“ verweist in ihrer Ziffer 1 auf die „beigefügten und mit Prüfstempel vom 12.05.2023“ versehenen Bauvorlagen. In den Akten findet sich ein Auszug aus dem Liegenschaftskataster mit Prüfstempel vom 12.5.2023, worauf die Umrisse von vier Gebäuden eingezeichnet sind, weiterhin eine mit „Änderungsplan …“ überschriebene Skizze eines Bürocontainers, ebenfalls mit Prüfstempel vom 12.5.2023. Schließlich enthält die Akte einen mit Prüfstempel vom 12.5.2023 versehenen Plan der vier Baumaßnahmen, wobei der Bürocontainer mit Rotrevision durchgestrichen ist. Darunter ist auch eine Zeichnung des „Zeltgebäudes neu“ zu finden, über dem steht: „Unterstelle für – Fahrzeuge – Geräte – Stapler etc.“. Innerhalb des eingezeichneten Zeltgebäudes ist ein Lastkraftwagen eingezeichnet. Sonstige, mit Prüfstempel versehene Unterlagen finden sich nicht in der Behördenakte.
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Hieraus ergibt sich nichts zu den Betriebsabläufen im Betrieb des Beigeladenen und insbesondere nichts zur Frage, wann, wie oft und in welchem Umfang der Betrieb mit Lieferfahrzeugen welcher Art angefahren wird.
24
Insoweit hat der Beigeladene zwar Details in der mündlichen Verhandlung darlegen können. Diese sind jedoch gerade nicht Bestandteil der genehmigten Planung, sodass im Falle einer Bestandskraft der Genehmigung eine deutlich intensivere Nutzung möglich ist.
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Zwar findet sich in der Behördenakte zu der ersten für den Betrieb des Beigeladenen erteilten Baugenehmigung aus dem Jahr 2003, mit der die Erweiterung des Betriebs durch den Anbau einer Gewerbehalle mit Sozialräumen genehmigt worden ist, ein ausgefülltes Formular mit der Überschrift „Betriebsbeschreibung zum Bauantrag“. Doch findet sich auf diesem Formular kein Genehmigungsstempel oder -vermerk des Beklagten, sodass bereits vieles dafür spricht, dass diese Betriebsbeschreibung nicht Gegenstand der Baugenehmigung geworden ist. Unabhängig davon präzisiert diese Betriebsbeschreibung jedenfalls die Abläufe auf dem Betrieb des Beigeladenen nicht hinsichtlich der Frage von An- und Abfahrten von Fahrzeugen. Die Beschreibung benennt lediglich einige im Betrieb gefertigte Erzeugnisse, die hierfür verwendeten Rohstoffe sowie Betriebszeiten von 7 bis 18:00 Uhr. Weiterhin werden die Beschäftigten mit zwei Personen angegeben, ein „Allgemeiner Arbeitslärm“ von 7 bis 18:00 Uhr erwartet sowie die Beseitigung des Abfalls durch die Müllabfuhr sowie beim Wertstoffhof angegeben. Angaben zu Lieferverkehr durch Materiallieferanten oder durch den Abtransport gefertigter Erzeugnisse finden sich nicht. Mithin besteht seit der ersten Genehmigung aus dem Jahr 2003 für den Beigeladenenbetrieb eine Ungewissheit hinsichtlich des Umfangs des im Rahmen des genehmigten Betriebs anfallenden Verkehrs und es perpetuiert sich diese Problematik nun durch die neue, gegenständliche Baugenehmigung.
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Mithin genügt die gegenständliche Baugenehmigung nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes aus Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG und ist deswegen rechtswidrig.
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2. Hierauf kann sich auch der Kläger berufen, da diese Unbestimmtheit gerade eine Frage betrifft, die für die Bewertung einer möglichen Verletzung des Klägers in subjektiven Rechten ausschlaggebend ist. Denn aufgrund der Unbestimmtheit kann nicht abschließend beurteilt werden, ob aus der genehmigten Nutzung auch die Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts am klägerischen Wegegrundstück – und damit eine Rechtsverletzung des Klägers – folgt.
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Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass einem Nachbarn ein Abwehrrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG i.V.m. § 903 Satz 1 BGB ausnahmsweise dann zustehen kann, wenn die Umsetzung der Baugenehmigung infolge des Fehlens der wegemäßigen Erschließung des Baugrundstücks zur Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 BGB an seinem Grundstück führt und damit im Wege einer „Automatik“ eine unmittelbare Verschlechterung seiner Eigentumsrechte bewirkt, ohne dass ihm im Übrigen hiergegen ein sonstiger effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2023 – 9 ZB 22.1686 – juris Rn. 7 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 11.5.1998 – 4 B 45.98 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 18.2316 – juris Rn. 7; B.v. 5.3.2018 – 2 ZB 15.1558 – juris Rn. 4; B.v. 3.1.2018 – 15 ZB 16.2309 – juris Rn. 14).
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Es ist nicht auszuschließen, dass durch die erweiterte, der gegenständlichen Genehmigung unterfallenden Nutzung ein Notwegerecht begründet oder ein bereits bestehendes Notwegerecht zulasten des Klägers ausgeweitet wird.
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a) Das Vorhabengrundstück des Beigeladenen wird erschlossen über das Wegegrundstück Fl.Nr. …4, das im Eigentum des Klägers steht. Zugunsten des Grundstücks des Beigeladenen ist an dem Wegegrundstück im Grundbuch ein Geh- und Fahrtrecht eingetragen. Sonstige Erschließungsmöglichkeiten bestehen nicht. Das Vorhabengrundstück ist von Grundstücken umgeben, die ausnahmslos im Eigentum des Klägers stehen. Neben dem genannten Geh- und Fahrtrecht sind keine weiteren im Grundbuch eingetragen.
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Zur Ermittlung des ursprünglichen Inhalts einer Dienstbarkeit ist vorrangig auf Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt; Umstände außerhalb dieser Urkunden dürfen jedoch insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. VG München, B.v. 24.1.2023 – M 1 SN 22.4513 – Rn. 28, juris; VG München, U.v. 13.12.2022 – M 1 K 21.3281 – Rn. 36, juris; BGH, U.v. 11.4.2003 – V ZR 323/02 – Rn. 10, juris). Eine nachträgliche Ausweitung der Grunddienstbarkeit durch stillschweigende Übereinkunft ist hingegen nicht möglich (vgl. BGH, U.v. 27.1.1960 – V ZR148/58 – Rn. 9, juris).
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Im Grundbuch selbst findet sich keine Konkretisierung oder Einschränkung des Geh- und Fahrtrechts. In den Notarverträgen vom 14.4.1982 und vom 4.1.1983 wiederum, auf die die Eintragung im Grundbuch ausdrücklich verweist, findet sich die Verpflichtung des Eigentümers des dienenden Grundstücks, „den vorhandenen Weg im bisherigen Ausbauzustand für PKW befahrbar zu erhalten und zu unterhalten.“ Weiterhin ist im Kontext der Einräumung bzw. Modifikation des Geh- und Fahrtrechts stets die Rede von einem „Landhaus“, zu dem der gegenständliche Weg führt. Damit wird deutlich, dass die der Bestellung des Geh- und Fahrtrechts zugrundeliegenden Urkunden von einer Wohnnutzung des Vorhabengrundstücks durch das Landhaus ausgingen. Hinweise auf einen Betrieb finden sich nicht. Soweit die Klägerseite darüber hinaus aus der Instandhaltungspflicht hinsichtlich der Befahrbarkeit für PKW daraus schließen will, dass eine Nutzung des Weges mit LKW ausgeschlossen sein soll, kann das Gericht dieser Auslegung nicht uneingeschränkt folgen. Es ergibt sich nicht eindeutig aus dem Wortlaut dieser Passage, dass der Weg nur von PKW genutzt werden darf und eine Nutzung mit LKW oder sonstigen Fahrzeugen ausgeschlossen sein soll.
33
Hierauf kommt es aber letztlich nicht an, da bei der Auslegung des Inhalts des Geh- und Fahrtrechts auch Anhaltspunkte außerhalb der Grundbucheintragung zu berücksichtigen sind, die Rückschlüsse darauf zulassen, zu welchem Zweck das Geh- und Fahrtrecht bestellt wurde. Zu den bei der Auslegung einer Grundbucheintragung zu berücksichtigenden, ohne weiteres erkennbaren Umstände gehören die tatsächlichen Verhältnisse der beteiligten Grundstücke, insbesondere die Lage und Verwendungsart des herrschenden Grundstücks (vgl. BGH, U.v. 11.4.2003 – V ZR 323/02 – Rn. 12, juris). Zum Zeitpunkt der Eintragung des Geh- und Fahrtrechts in das Grundbuch am 14.4.1982 befand sich auf dem herrschenden Grundstück lediglich ein Wohngebäude. Der Metallbetrieb des Beigeladenen wurde erst später, nach eigener Aussage im Jahr 1997 aufgenommen.
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Allerdings liegen Inhalt und Umfang einer zeitlich unbegrenzten Dienstbarkeit nicht in jeder Beziehung von vornherein für alle Zeiten fest, sondern sind gewissen Veränderungen unterworfen, die sich aus der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ergeben. Maßgeblich ist nicht die augenblickliche, bei Bestellung der Grunddienstbarkeit gerade bestehende Nutzung; es kommt vielmehr auf den allgemeinen, der Verkehrsauffassung entsprechenden und äußerlich für jedermann ersichtlichen Charakter des betroffenen Grundstücks an sowie auf das Bedürfnis, von dem Wegerecht in diesem Rahmen Gebrauch zu machen. Dementsprechend kann der Umfang einer Dienstbarkeit mit dem Bedürfnis des herrschenden Grundstücks wachsen, wenn sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung dieses Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht vorhersehbare oder auf eine willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen ist (vgl. VG München, B.v. 24.1.2023 – M 1 SN 22.4513 – Rn. 28, juris; BGH, U.v. 11.4.2003 – V ZR 323/02 – Rn. 13, juris).
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Auf eine derartige entwicklungsbedingte Änderung des Inhalts der Grunddienstbarkeit kann sich der Beigeladene jedoch nicht berufen. Die Einrichtung des Metallbetriebs im Jahre 1997 sowie dessen stetige Erweiterung stellen eine grundlegende Änderung der reinen Wohnnutzung des Vorhabengrundstücks zu einer Mischnutzung aus Wohn- und Gewerbenutzung dar, wobei der Anteil der letzteren stetig zunahm mit den 2003 und 2005 genehmigten Erweiterungen. Bereits die erstmalige Etablierung des metallverarbeitenden Betriebs, insbesondere aber auch die 2003 genehmigte Erweiterung durch den Anbau einer Gewerbehalle mit Sozialraum brachten eine erhebliche Steigerung des Verkehrsaufkommens gegenüber der bisherigen reinen Wohnnutzung durch das Anfahren von Material und den Abtransport von Produkten mit sich. Im Ergebnis haben dies sowohl der Kläger als auch der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Hinzu kommen der An- bzw. Abtransport von Heizmitteln, Abfallprodukten und Geräten sowie die An- und Abfahrten von Beschäftigten des Betriebs.
36
Dass ein aufgrund dieser Nutzungsintensivierung begründetes Notwegerecht infolge der gegenständlichen betrieblichen Erweiterung ausgeweitet wird, ist naheliegend.
37
Besonders von Bedeutung ist dabei das in der Baubeschreibung als „Lager als Zeltkonstr.“ beschriebene und in der Planskizze als „Zeltgebäude neu“ eingezeichnete Gebäude. Aus dem Bauantrag, der Baubeschreibung und der Baugenehmigung ergeben sich keinerlei Angaben dazu, was genau in dem Gebäude untergebracht werden soll. Laut Aussage des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung (Protokoll S. 2) dient es als Lager für Fertigwaren und Materialien. Allerdings steht in der mit Genehmigungsvermerk versehenen Planskizze über dem „Zeltgebäude neu“: „Unterstelle für – Fahrzeuge – Geräte – Stapler etc.“. Innerhalb des gezeichneten Zeltgebäudes wiederum ist ein Lastkraftwagen mit Anhänger eingezeichnet. Auch wäre bei einer Länge von 10 m und einer Breite von 8 m des Zeltgebäudes ohne weiteres Platz für einen zweiten Lastkraftwagen. Die Frage, ob Lastkraftwagen auf dem Betriebsgelände des Beigeladenen abgestellt werden, ist dabei gerade von Belang für die Frage der Nutzung des im Eigentum des Klägers stehenden Weges.
38
b) Doch selbst, wenn man annähme, dass die bisherigen Nutzungsentwicklungen auf dem Grundstück des Beigeladenen noch nicht zur Begründung eines Notwegerechts geführt haben, ist jedenfalls eine erstmalige Begründung eines solchen Rechts durch die gegenständliche Betriebserweiterung nicht ausgeschlossen, kann aber letztlich, wie ausgeführt, aufgrund der mangelnden Bestimmtheit der Baugenehmigung nicht abschließend beurteilt werden.
39
c) Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass es dem Kläger von vornherein verwehrt wäre, sich auf eine etwaige Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts durch die Nutzungsintensivierung infolge der genehmigten Betriebserweiterung zu berufen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, infolge der jahrelangen faktischen Duldung des Betriebs auf dem Grundstück des Beigeladenen und der damit zusammenhängenden Inanspruchnahme des Wegegrundstücks anzunehmen, dass sich der Kläger nunmehr den Einwand von Treu und Glauben analog § 242 BGB entgegenhalten lassen muss. Allerdings kann die Duldung einer Nutzung nicht zum vollständigen Rechtsverlust führen und mithin nicht den Beigeladenen dazu berechtigten, das Wegegrundstück frei nach seinem Belieben und ohne jedwede Einschränkung in Anspruch zu nehmen. Vielmehr könnte der Einwand von Treu und Glauben nur soweit greifen, wie die bisherige Nutzung geduldet worden ist. Führt die neue, gegenständliche Genehmigung dagegen zu einer deutlichen Nutzungsintensivierung, so kann sich der Beigeladene insoweit nicht mehr auf Treu und Glauben berufen. Da, wie bereits ausgeführt, die genauen Ausmaße der nun genehmigten Nutzung jedoch gerade nicht bestimmbar ist, kann auch nicht beurteilt werden, ob sich die Nutzung noch in dem dem Kläger zumutbaren Ausmaße hält.
40
Nach alledem steht fest, dass die gegenständliche Baugenehmigung nicht hinreichend bestimmt ist und sich aufgrund dieses Bestimmtheitsmangels nicht ausschließen lässt, dass die genehmigte Erweiterung zu einer Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts zulasten des Klägers führt, die dieser nicht hinnehmen muss. Mithin ist die rechtswidrige Baugenehmigung, die den Kläger in seinen Rechten verletzt, aufzuheben.
41
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 3 VwGO. Dabei waren dem Beigeladenen die hälftigen Gerichtskosten gem. § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO aufzuerlegen, da er einen eigenständigen Antrag auf Klageabweisung gestellt hat.
42
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Zivilprozessordnung (ZPO).