Titel:
Asyl, Türkei, bedingter Beweisantrag, Militärdienst
Normenkette:
AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 2
Schlagworte:
Asyl, Türkei, bedingter Beweisantrag, Militärdienst
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.09.2025 – 13a ZB 25.30906
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25591
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Der Kläger ist ein am … … 1997 in M** geborener türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste erstmals im Juni 2023 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und beantragte Asyl. Im Bundesgebiet hat er nach eigenen Angaben einen Onkel.
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1. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. November 2023 gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe von 2020 bis Juni 2022 als ziviler Finanzbeamter für das Militär gearbeitet und sei mit der Personalverwaltung befasst gewesen, dann habe man ihn zu einer bewaffneten Ausbildung gezwungen. Das habe er sechs Monate lang gegen seinen Willen gemacht. Danach sei er in Gebiete geschickt worden, in denen militärische Operationen stattfanden. Er habe Häuser stürmen sollen und dagegen Widerstand geleistet. Ein Offizier habe ihn bedroht, er habe oft Gewalt erlebt und sei damit bedroht worden, dass sie ihn verschwinden lassen würden. Gezwungenermaßen habe er dann an Militäroperationen teilgenommen. Es sei ihm befohlen worden, unschuldige Menschen zu töten. Er sei desertiert und habe sich versteckt, zuletzt in Istanbul, von wo aus er einen Schleuser gefunden habe. Beim Militär habe er den Rang „Panzersoldat mit Vertrag“ gehabt. Er habe dazu aber nichts Schriftliches. Die Einsätze seien an der Grenze zum Irak gewesen. Sie seien zu türkischen, aber auch zu irakischen Dörfern gegangen. Auch bei der Familie habe es nach seiner Desertion Störungen gegeben. Dann sei ein Cousin zur Familie gegangen und habe sich als der Kläger ausgegeben. Sie hätten ihn zum Wagen geschleppt und erst aufgehört, als er seinen deutschen Ausweis gezeigt hätte. Der Cousin sei nämlich Deutscher. Etwas Schriftliches gebe es nicht und sein Passwort zu e-Devlet habe er auch nicht. Auf Vorhalt, dass er im Dezember 2021 ein Visum für Deutschland beantragt habe, der Antrag aber abgelehnt worden sei, gibt er an, davon habe er keine Kenntnis. Er habe an etwa 15 Militäroperationen teilgenommen. Er habe sich im Jahr 2023 für die Desertion entschieden, als er mit einem Panzer auf Dorfbewohner habe schießen sollen. Er habe dann absichtlich danebengeschossen und sei anschließend geschlagen und getreten worden.
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Er übergab einen Ausweis der türkischen Streitkräfte, der ihn als „Technischer Mitarbeiter, Einfacher Soldat“ der „Türkischen Bodenstreitkräfte“ ausweist und die Identifikationsnummer „…“ trägt. Bei den Akten befindet sich außerdem ein Auszug aus der Visadatei, wonach der Kläger am 29. Dezember 2021 über die Botschaft in Ankara unter Vorlage eines am 9. September 2021 ausgestellten Reisepasses erfolglos ein Visum beantragt hat. Hierzu ist auch ein Lichtbild gespeichert.
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2. Mit Bescheid vom 5. November 2024, als Einschreiben zur Post gegeben am 7. November 2024, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3) ab. Ziffer 4 stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Das Bundesamt forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, zur Ausreise binnen 30 Tagen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids auf (Ziffer 5). Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate befristet (Ziffer 6).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, selbst wenn der Kläger desertiert sei, sei eine Bestrafung bei Rückkehr kriminelles Unrecht und strafrechtlich nicht relevant. Zudem sei das Vorbringen des Klägers insgesamt nicht glaubhaft. Der vorgelegte Ausweis weise ihn als technischen Mitarbeiter beim Militär aus. Es sei nicht glaubhaft, dass er den Befehl erhalten habe, Unschuldige zu töten. Die von ihm vorgebrachte Änderung des Vertrags wäre außerdem dem Sozialversicherungsnachweis in e-Devlet zu entnehmen gewesen. Der Vortrag sei einsilbig und detailarm gewesen, auch wenn der Kläger offenbar militärische Kenntnisse habe. Einer VIS-Antragsauskunft sei außerdem zu entnehmen, dass der Kläger mit einem türkischen Reisepass erfolglos ein Visum beantragt habe, sodass naheliege, dass er damit auf dem Luftweg über Serbien ausgereist sei. Die Abschiebungsandrohung stütze sich auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Es gebe keine Kindeswohlbelange oder gesundheitliche Gründe, die einer Abschiebung entgegenstünden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei auf 30 Monate befristet worden, nachdem es keine Anhaltspunkte gebe, die eine andere Fristlänge rechtfertigen würden.
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3. Dagegen erhob der Kläger am 18. November 2024 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg und beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung von Ziffern 1 und 3-6 des Bescheids vom 5. November 2024 zu verpflichten,
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dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
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hilfsweise dem Kläger subsidiären Schutz zu gewähren,
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hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote eingreifen, Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, die Annahme der Beklagten, es handele sich um einen Wehrpflichtfall, gehe vollkommen fehl. Der Kläger sei als ziviler Beamter beim Militär zu einem Soldaten umgewidmet worden. Es sei nun zu klären, ob dies juristisch möglich wäre, wozu keine Beweismittel bekannt seien. Für Desertion in solchen Fällen gebe es wohl härtere Strafen.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
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5. Mit Beschluss vom 19. November 2024 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Einen in der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2025 unbedingt gestellten Beweisantrag hat das Gericht mit in der mündlichen Verhandlung ergangenem und begründetem Beschluss abgelehnt. Ein weiterer Beweisantrag über die Vernehmung des Cousins des Klägers als Zeuge ist in der mündlichen Verhandlung bedingt gestellt worden. Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Bundesamtsakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung samt Anlagen zu den Beweisanträgen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die der Einzelrichter gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Beklagten verhandeln und entscheiden konnte, hat keinen Erfolg. Der Bescheid erweist sich in den beklagten Ziffern 1 und 3-6 als rechtmäßig und verletzt den Kläger in der Folge nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz sowie die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, erweisen sich als rechtmäßig. Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und macht sich diese zu eigen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird von einer nochmaligen vollständigen Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Als Fluchtgrund hat der Kläger im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren übereinstimmend angegeben, ihm drohe in der Türkei Haft wegen Desertion. Er habe als ziviler Beamter beim türkischen Militär gearbeitet, sei schließlich zu einer bewaffneten Ausbildung gezwungen und es sei ihm befohlen worden, unschuldige Menschen zu töten.
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Gründe für die Zuerkennung internationalen Schutzes oder ein Abschiebungsverbot (Ziffern 1, 3 und 4 des Bescheids) ergeben sich aus dem Vortrag nicht. Dazu wird ergänzend das Folgende ausgeführt:
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Zur Überzeugung des Einzelrichters droht dem Kläger bei Rückkehr in die Türkei keine Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden. Der Vortrag des Klägers zu seinen Fluchtgründen ist in wesentlichen Punkten unstimmig, mit den bei den Akten befindlichen Informationen nicht zu vereinbaren und könnte auch durch weitere Ermittlungen nicht plausibilisiert werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger in der Türkei desertiert ist und ihm in der Folge Bestrafung droht.
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Dies folgt bereits daraus, dass die Glaubwürdigkeit des Klägers durch Aussagen, die den objektiv vorliegenden Tatsachen widersprechen, erschüttert ist, weshalb seinem Vortrag schon aus diesem Grund insgesamt nicht geglaubt werden kann.
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Zum einen hat der Kläger im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren bestritten, in der Vergangenheit einen Visumantrag gestellt zu haben. Dem steht die aus der Akte ersichtliche Auskunft aus der Visadatei entgegen, wonach mit den Personalien des Klägers am 29. Dezember 2021 ein entsprechender Antrag gestellt und später abgelehnt wurde. Hierzu ist auch ein Lichtbild gespeichert, das zur Überzeugung des Einzelrichters den Kläger zeigt. Das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe einen „Grünen Pass“ besessen und deshalb visumfrei für Kurzaufenthalte nach Deutschland reisen können, vermag diesen Eindruck nicht zu erschüttern. Denn einen solchen Pass hat der Kläger nie vorgelegt und außerdem noch bei seiner Anhörung im Verwaltungsverfahren angegeben, einen Pass habe er nie besessen.
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Zum anderen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren einen Ausweis der türkischen Streitkräfte vorgelegt, der ihn als „Technischer Mitarbeiter, Einfacher Soldat“ der „Türkischen Bodenstreitkräfte“ ausweist und die Identifikationsnummer „…“ trägt. Gleichzeitig hat er vorgetragen, er sei als „Panzersoldat mit Vertrag“ eingesetzt gewesen und zuvor ziviler Mitarbeiter des türkischen Militärs gewesen. Mit Blick auf den vorgelegten Ausweis drängt es sich allerdings auf, dass der Kläger, der nach seinen Angaben in der Türkei den Wehrdienst geleistet hat, später den türkischen Streitkräften als Soldat beigetreten ist und die angegebene Tätigkeit im zivilen Bereich nie ausgeübt hat. Hierfür spricht insbesondere die auf das Jahr 2020 festgelegte Dienstnummer des Klägers auf dem vorgelegten Ausweis, mit der er bereits als einfacher Soldat ausgewiesen wird, obwohl er in diesem Jahr als ziviler Finanzbeamter gearbeitet haben will. Dass es ihm von Anfang an verweigert worden ist, diese Tätigkeit mit einem passenden Dienstausweis auch nachzuweisen, hat der Kläger weder vorgetragen noch ist es sonst ersichtlich. Auch infolge der zwangsweisen Umwidmung seiner Tätigkeit bei den Streitkräften sind ihm nach seinen Ausführungen keine weiteren Bescheinigungen ausgestellt worden, sodass es fernliegt, dass die ursprünglich für einen zivilen Beamten vergebene Dienstnummer aus dem Jahr 2020 später auf einem neuen Ausweis, der ihn nun erstmals als Soldat ausweist, weiterverwendet worden sein könnte.
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Über diese generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers hinausgehend, bestehen auch erhebliche Zweifel an den Schilderungen des Klägers zu seiner Fluchtgeschichte, die dem Schluss auf eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr entgegenstehen. So hat der Kläger gegenüber dem Bundesamt und zunächst auch in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nach seiner erzwungenen bewaffneten Ausbildung sei ihm bei Militäroperationen „oft“ befohlen worden, unschuldige Menschen zu töten, weshalb er desertiert sei. Erst auf mehrfache Nachfrage gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, er selbst habe nie jemanden getötet. Auffällig ist dabei, dass der Kläger, der vom Bundesamt ca. fünf Stunden lang angehört wurde und auch in der mündlichen Verhandlung stellenweise sehr umfassend, weit ausholend vortrug, insbesondere zu einem Ereignis, bei dem er mit dem Panzer auf Zivilisten schießen sollte und zu seiner Desertion, auf Rückfragen sehr ausweichend und wortkarg antwortete. Die pauschalen und ausweichenden Angaben bei konkreten Nachfragen bilden einen Bruch zur vorherigen ausführlichen Schilderung. Auch die Aussage des Klägers, der in einem Asylverfahren flüchtlingsrelevante Verfolgung belegen möchte, er habe die Anforderung von Unterlagen über seine Familie nicht weiterverfolgt, spricht dagegen, dass der Kläger aus einer realen Verfolgungsfurcht heraus ins Bundesgebiet eingereist ist. Vielmehr ist der Einzelrichter davon überzeugt, dass die Darstellung der Geschehnisse durch den Kläger weit überzogen und lediglich insoweit mit der Realität vereinbar ist, als der Kläger als Soldat für die türkischen Streitkräfte aktiv war. Dass er zunächst als ziviler Beamter tätig gewesen ist, anschließend zwangsweise an der Waffe ausgebildet wurde, um sodann gewaltsam gegen Zivilisten vorzugehen und anschließend zu desertieren, ist zur Überzeugung des Einzelrichters mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Unter welchen exakten Umständen der Kläger seine Tätigkeit beim Militär beendet hat, ist zwar nicht ersichtlich. Dafür, dass der Kläger desertiert ist, und seine Tätigkeit nicht infolge Kündigung beendet hat, besteht allerdings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit.
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Daher kommt es auf den klägerischen Vortrag zu den Haftbedingungen in der Türkei, zu denen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 5. Mai 2025 (1 A 938/22) vorgelegt wurde, nicht entscheidungserheblich an. Denn zur Überzeugung des Einzelrichters droht dem Kläger in der Türkei keine Haftstrafe.
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Hierzu kommt es auch weder auf die Einsichtnahme in den e-Devlet-Zugang des Klägers noch auf die über den bedingten Beweisantrag verfolgte Vernehmung des Cousins des Klägers entscheidungserheblich an. Angesichts der zahlreichen Umstände, die deutlich gegen die Wahrheit der Schilderungen des Klägers sprechen, besteht kein Anlass zu weiterer Ermittlung. Denn zum Beweis des klägerischen Vortrags kommt beiden denkbaren Beweismitteln nur eine geringe Beweiskraft zu. Dieser evidente Mangel an Beweiskraft in Anbetracht der sonstigen Umstände des Falls, die die Glaubwürdigkeit des Klägers massiv in Frage stellen, führt zu einer Unbrauchbarkeit dieser beiden denkbaren Beweismittel. Insbesondere ist den Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass Fälle beobachtet wurden, in denen im Wege der Korruption gefälschte Dokumente ins UYAP- bzw. e-Devlet-System hochgeladen wurden (BFA, Anfragebeantwortung v. 14.5.2025). An der Authentizität solche Unterlagen, die in diesem späten Verfahrensstadium, nach Hinweis im Verwaltungsverfahren und Fristsetzung zur Angabe weiterer Tatsachen im Gerichtsverfahren, noch vorgelegt würden, bestünden erhebliche Zweifel, die angesichts der oben geschilderten zahlreichen Ungereimtheiten bzgl. des klägerischen Vortrags nicht mehr zu einer Überzeugungsbildung in seinem Sinne führen könnten. Dasselbe gilt für die Angaben des Cousins. Zeugenbeweis zu einem Randaspekt der behaupteten Desertion könnte die entstandenen erheblichen Zweifel nicht mehr beseitigen (vgl. BVerwG, B.v. 22.9.1992 – 7 B 40.92 – juris).
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2. Des Weiteren sind auch die Regelungen des Bescheids zur Abschiebungsandrohung und der Ausreisefrist (Ziffer 5 des Bescheids) rechtlich nicht zu beanstanden.
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3. Das in Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 AufenthG, ist auch im Übrigen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ermessensfehler sind diesbezüglich weder vorgetragen noch ersichtlich.
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4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.