Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.09.2025 – 15 CS 25.1112
Titel:

Nutzungsuntersagung für Betriebsfläche eines Fuhrunternehmens

Normenkette:
BayBO Art. 76 S. 2
Leitsätze:
1. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wer eine formell illegale Nutzung aufnimmt, muss jederzeit damit rechnen, mit einem Nutzungsverbot belegt zu werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fuhrunternehmen, Nutzungsuntersagung, formell illegale Nutzung, Verhältnismäßigkeit
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 26.05.2025 – RO 7 S 25.860
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25588

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine sofort vollziehbare Untersagung des Landratsamtes vom 28. Januar 2025, ihre Grundstücke als Betriebsfläche eines Fuhrunternehmens mit Logistiklager und Güterumschlag zu nutzen.
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Das Verwaltungsgericht hat ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer erhobenen Klage (Az. RO 7 K 25.491), über die noch nicht entschieden ist, abgelehnt, da die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben werde. Die Nutzung der Grundstücke sei formell baurechtswidrig, weil die tatsächliche Nutzung nicht vom Genehmigungsumfang der erteilten Baugenehmigungen umfasst sei. Das Vorhaben sei auch materiell rechtswidrig. Es verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil der maßgebliche Immissionswert eines Dorfgebietes von 60 dB(A) tags nach den Prognoseberechnungen des Landratsamtes unabhängig davon, ob das Vorhaben dem bauplanungsrechtlichen Innen- oder Außenbereich zuzuordnen sei, beim Wohnhaus des Nachbarn überschritten werde.
3
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie macht insbesondere geltend, die Anordnung des Sofortvollzugs sei unzureichend begründet. Die aktuelle Nutzung sei von der Variationsbreite der bisher genehmigten Nutzung für einen privilegierten landwirtschaftlichen Betrieb umfasst. Der einschlägige Richtwert werde nur um 1 Dezibel überschritten, was im Außenbereich hinnehmbar sei. Ein totales Nutzungsverbot, die Anordnung der Sofortvollzugs sowie eine Auslauffrist von drei Monaten seien unangemessen, da die Vorgänge seit Jahrzehnten andauerten und die Firma auf der Suche nach einem Ersatzstandort sei.
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Die Antragstellerin hat sinngemäß beantragt,
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den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes wiederherzustellen.
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Der Antragsgegner hat beantragt,
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die Beschwerde zu verwerfen.
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Die Antragstellerin habe sich mit den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts nicht auseinandergesetzt. Die Beschwerde sei darüber hinaus unbegründet.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO) zu Recht abgelehnt, weil die Klage im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Der angefochtene Bescheid ist angesichts der nicht genehmigten Nutzung der beiden Grundstücke der Antragstellerin als Betriebsfläche eines Fuhrunternehmens mit Logistiklager und Güterumschlag aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt deren Rechte nicht, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO als Befugnisnorm sind mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt und Ermessensfehler nicht ersichtlich.
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Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen Folgendes zu bemerken:
12
1. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist, anders als die Antragstellerin meint, formell rechtmäßig (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Entgegen ihrer Auffassung hat der Antragsgegner die Anordnung des Sofortvollzugs nicht auf die Beschwerde eines einzigen Nachbarn gestützt, vielmehr wurde sie damit begründet, dass die öffentlichen Interessen – neben dem Schutz der Nachbarn vor Immissionen auch die ordnungsgemäße bauplanungsrechtliche Entwicklung – die privaten Belange der Antragstellerin überwiegen.
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2. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Nutzungsuntersagung nach Art. 76 Satz 2 BayBO voraussichtlich rechtmäßig ist.
14
Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung einer baulichen Anlage untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2024 – 15 CS 24.1320 – juris Rn. 21).
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Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Nutzungsuntersagung liegen hier, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt (BA S. 11), vor, weil der Betrieb des Fuhrunternehmens mit Logistiklager und Güterumschlag, der mit entsprechendem An- und Abfahrtsverkehr verbunden ist, vom Genehmigungsumfang der für die Grundstücke erteilten Baugenehmigungen für den Umbau eines Rinderstalls als Garage für ein Milchsammeltransportunternehmen mit zwei Milchsammelfahrzeugen gemäß dem Genehmigungsbescheid vom 17. November 2003 nicht umfasst ist.
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Der von der Antragstellerin behauptete „Annex“ zu einem privilegierten und genehmigten landwirtschaftlichen Betrieb ist weder dargelegt noch ersichtlich. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr unter Berücksichtigung der vorgelegten Lichtbilder und der Einlassungen des Inhabers der Antragstellerin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Antragstellerin ein (eigenständiges) Transportunternehmen bzw. eine Betriebsstätte für ein Fuhrunternehmen mit Logistiklager und Güterumschlag betreibt (BA S. 14). Dem tritt die Beschwerde nicht substantiiert entgegen. Die Antragstellerin behauptet lediglich das Gegenteil, ohne sich mit der ausführlichen Argumentation des Gerichts auseinanderzusetzen und genügt insoweit ihrem Darlegungserfordernis nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht (BayVGH, B.v. 7.11.2022 – 23 CS 22. 1852 – juris Rn. 7).
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Die Antragstellerin ist überdies der Auffassung, der Vorhabenstandort liege nicht in einem „Dorfgebiet“, es sei vielmehr von einer Gemengelage oder sogar Außenbereich auszugehen, die fachtechnische Bewertung des Antragsgegners sei unzutreffend und im Außenbereich sei ein höheres „Störpotenzial“ hinzunehmen. Das Landratsamt hingegen nimmt im Bescheid vom 28. Januar 2025 (S. 4) eine Außenbereichslage an und das Verwaltungsgericht führt im Beschluss vom 26. Mai 2025 aus, dass vieles dafür spricht, dass jedenfalls das Grundstück Fl.Nr. 476 dem Innenbereich zugehörig ist und nach der Art der baulichen Nutzung ein faktisches Dorfgebiet vorliegt (BA S. 13). Dies zeigt, dass die planungsrechtliche Einstufung wie auch die Zumutbarkeit von Immissionen streitig ist. Damit kann nicht ohne eingehende Prüfung beurteilt werden, ob die beanstandete Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig ist und auch nicht von offensichtlicher Genehmigungsfähigkeit ausgegangen werden (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2024 – 15 CS 24.1320 – juris Rn. 21).
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Auch das Vorbringen der Antragstellerin, eine Einschränkung der Betriebsvorgänge wäre ausreichend, ein totales Nutzungsverbot mit einer Auslauffrist von lediglich drei Monaten sei hingegen unverhältnismäßig, es müsse eine neue Interessenabwägung stattfinden, führt nicht zum Erfolg, denn es setzt sich mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts nicht auseinander. Der Antragsgegner hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt (BA S. 19), nicht jegliche Nutzung der Flurstücke untersagt, sondern lediglich die Nutzung als Betriebsfläche für ein Fuhrunternehmen mit Logistiklager und Güterumschlag. Das Verwaltungsgericht kommt zutreffend zu dem Schluss, die Anordnung sei verhältnismäßig, weil nach den Angaben der Antragstellerin ihr Betrieb nicht allein auf den streitgegenständlichen Standort angewiesen ist und die Antragstellerin ausreichend Zeit hatte, sich um einen neuen Standort zu bemühen. Der Antragsgegner hat zudem die Anordnung des Sofortvollzugs ermessensfehlerfrei damit begründet, dass die öffentlichen Belange, der Schutz der Nachbarn vor Immissionen und der ordnungsgemäßen bauplanungsrechtlichen Entwicklung, die Belange der Antragstellerin überwiegen.
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3. Unter Berücksichtigung der mangelnden Erfolgsaussichten in der Hauptsache führt die Abwägung auch nicht zu einem Überwiegen des von der Antragstellerin geltend gemachten Suspensivinteresses. Wer eine formell illegale Nutzung aufnimmt, muss jederzeit damit rechnen, mit einem Nutzungsverbot belegt zu werden (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 1 CS 24.65 – juris Rn. 11).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.7.2, 1.5, 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013 (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2015 – 15 C 14.508 – juris Rn. 5). Sie entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden
21
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).