Titel:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht fristgerechter Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
Normenketten:
StVG § 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1
FeV § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 46 Abs. 1, Abs. 3, Anlage 4 Nr. 8.1
StPO § 267 Abs. 4 S. 1, Abs. 6 S. 2
StGB § 44, § 69
Leitsätze:
1. Unter die Regelung in § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c FeV, wonach zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde, fallen auch fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge und somit auch E-Scooter. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verwaltungsbehörde ist an die Eignungsbeurteilung in einem Strafurteil nicht gebunden, wenn dieses überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat. Es muss sich mithin aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lassen, dass und ggf. aus welchen Gründen der Strafrichter die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen verneint hat. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Diese Grundsätze gelten auch, wenn das Strafgericht ein nach § 267 Abs. 4 S. 1 StPO in den Gründen abgekürztes Urteil erlässt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Um den Eintritt einer Bindung überprüfen zu können, verpflichtet § 267 Abs. 6 S. 2 StPO den Strafrichter zu einer besonderen Begründung, wenn er von der Entziehung der Fahrerlaubnis absieht, obwohl dies – wie hier (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB) – nach der Art der Straftat in Betracht gekommen wäre. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht fristgerechter Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter mit 1, 86 Promille, Feststellung des Amtsgerichts, eine Entziehung der Fahrerlaubnis sei nicht angezeigt, Bindung an strafgerichtliche Eignungsbeurteilung (verneint), Entziehung der Fahrerlaubnis, Blutalkoholkonzentration, Fahreignung, Trunkenheit im Verkehr, Bindungswirkung, E-Scooter
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 02.07.2025 – W 6 S 25.860
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25584
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S.
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Mit Strafbefehl vom 24. Januar 2022 verurteilte das Amtsgericht Würzburg die Antragstellerin wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen und entzog ihr unter Festsetzung einer Sperrfrist von acht Monaten die Fahrerlaubnis. Dem lag zu Grunde, dass die Antragstellerin am 7. November 2021 gegen 3 Uhr nachts einen E-Scooter im Verkehr geführt hatte, obwohl sie infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Die am selben Tag um 3:29 Uhr entnommene Blutprobe hatte eine Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille ergeben. Auf ihren Einspruch hin, der auf die Rechtsfolgen beschränkt war, verurteilte das Amtsgericht die Antragstellerin mit rechtskräftigem Urteil vom 14. Juni 2022 zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen und verhängte ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat. Zur Strafzumessung heißt es in den Gründen des Urteils, zugunsten der Antragstellerin sei von ihrer bisherigen Straffreiheit auszugehen sowie von den konkreten Umständen der Tat, d.h. einer sehr kurzen Fahrt bei Nacht. Außerdem habe die Antragstellerin Abstinenznachweise vorgelegt und ein verkehrspsychologisches Seminar besucht. Daher erscheine eine Reduzierung der Geldstrafe als tat- und schuldangemessen. Wegen des Tatzusammenhangs im Straßenverkehr sei ein einmonatiges Fahrverbot auszusprechen, die Entziehung der Fahrerlaubnis indes nicht angezeigt.
3
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2024 forderte die Antragsgegnerin (Fahrerlaubnisbehörde) die Antragstellerin gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV auf, bis zum 17. März 2025 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Zu klären sei, ob zu erwarten sei, dass die Antragstellerin zukünftig das Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen könne. Falls die Antragstellerin Alkoholabstinenz geltend mache, sei auch zu klären, ob ein ausreichend langer Abstinenzzeitraum sowie ein gefestigter Einstellungs- und Verhaltenswandel zu Alkohol vorliege.
4
Nachdem kein Gutachten vorgelegt wurde, entzog die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Bescheid vom 30. April 2025 nach Anhörung die Fahrerlaubnis und forderte sie unter Androhung eines Zwangsgelds auf, den Führerschein unverzüglich abzugeben. Ferner ordnete sie die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens sei auf die mangelnde Eignung zu schließen. Die Bindungswirkung des Strafurteils habe der Beibringungsanordnung nicht entgegengestanden, da sich den Urteilsgründen keine ausdrückliche Beurteilung der Fahreignung entnehmen lasse.
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Am 5. Juni 2025 erhob die Antragstellerin Klage und stellte zugleich einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den das Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschluss vom 2. Juli 2025 ablehnte.
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Dagegen wendet sich die Beschwerde der Antragstellerin, der die Antragsgegnerin entgegentritt.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen wäre.
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1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 323), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 299), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch).
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Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens anordnen (§ 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 11 bis 14 FeV). Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Hierunter fallen auch fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge und somit auch E-Scooter (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2024 – 11 CS 24.1484 – juris Rn. 17).
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Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19). Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.
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2. Gemessen daran begegnet die von der Antragsgegnerin verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis keinen Bedenken. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gestützte Begutachtungsanordnung rechtmäßig war und der Schluss aus der Nichtvorlage des angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die Nichteignung daher nicht zu beanstanden ist. Die dagegen erhobenen Einwendungen rechtfertigen keine andere Beurteilung.
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a) Das Beschwerdevorbringen beschränkt sich im Wesentlichen auf die Frage, ob das Strafurteil des Amtsgerichts Würzburg dem Schluss aus der Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens auf mangelnde Eignung entgegensteht. Das hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint.
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aa) Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung u.a. der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Dabei gilt die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren unter Einschluss der vorbereitenden Maßnahmen, sodass in derartigen Fällen die Behörde schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen darf. Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafrichter übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Allerdings ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. Andere Erkenntnisquellen kommen aus Gründen der Rechtsklarheit nicht in Betracht. Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat (vgl. BVerwG, U.v. 15.7.1988 – 7 C 46.87 – BVerwGE 80, 43 = juris Rn. 10 f.; B.v. 20.12.1988 – 7 B 199.88 – NJW 1989, 1622 = juris Rn. 4; B.v. 11.10.1989 – 7 B 150.89 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 15.3.2021 – 11 CS 20.2867 – DAR 2021, 647 = juris Rn. 24). Mit anderen Worten muss sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lassen, dass und ggf. aus welchen Gründen der Strafrichter die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen verneint hätte (BVerwG, B.v. 20.12.1988 a.a.O. Rn. 6). Diese Grundsätze gelten auch, wenn das Strafgericht ein nach § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO in den Gründen abgekürztes Urteil erlässt, wie es hier vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2021 a.a.O. Rn. 24; B.v. 17.7.2007 – 11 CS 07.535 – juris Rn. 16). Um den Eintritt einer Bindung überprüfen zu können, verpflichtet § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO den Strafrichter zu einer besonderen Begründung, wenn er von der Entziehung der Fahrerlaubnis absieht, obwohl dies – wie hier (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB) – nach der Art der Straftat in Betracht gekommen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 15.7.1988 a.a.O. Rn. 11 sowie BayVGH, B.v. 24.3.2025 – 11 CE 25.212 – zfs 2025, 295 = juris Rn. 23 m.w.N. für Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter).
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bb) Davon ausgehend stand hier die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG der Anordnung, ein Gutachten beizubringen, nicht entgegen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, lässt sich den Gründen des Strafurteils nicht entnehmen, dass der Strafrichter die Fahreignung eigenständig (abschließend) beurteilt hat.
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Wenn das Amtsgericht anstelle einer Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die hier in Betracht kam, ein Fahrverbot (§ 44 StGB) verhängt hat, ist dies nicht schon für sich genommen Ausdruck einer stillschweigenden Prüfung und Bejahung der Fahreignung (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 11 CS 23.1561 – zfs 2024, 358 Rn. 14). Denn allein aus dem Umstand, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis und ein Fahrverbot sich regelmäßig ausschließen, weil § 44 StGB voraussetzt, dass der Täter sich nicht als ungeeignet im Sinne von § 69 StGB erwiesen hat (vgl. BGH, B.v. 7.8.2018 – 3 StR 104/18 – Blutalkohol 2018, 437 = juris Rn. 6; Fischer/Lutz in Fischer, StGB, 72. Aufl. 2024, § 44 Rn. 3), ist nicht zu schließen, dass der Strafrichter die Eignung bejaht hat (vgl. OVG NW, B.v. 19.3.2015 – 16 B 55/15 – Blutalkohol 2015, 284 = juris Rn. 8). Folglich kann die Antragstellerin auch nichts daraus herleiten, dass in dem Strafurteil die ursprünglich im Strafbefehl vorgesehene Entziehung der Fahrerlaubnis nicht angeordnet wurde (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 15.3.2021 a.a.O. Rn. 25; OVG NW, B.v. 1.8.2014 – 16 A 2960/11 – juris Rn. 6 ff; SächsOVG, B.v. 2.7.2017 – 3 B 95/17 – DAR 2017, 650 = juris Rn. 14; OVG Hamburg, B.v. 7.7.1994 – Bs VII 93/94 – VRS 89, 151 = juris Rn. 3; NdsOVG, U.v. 10.12.1970 – VI OVG 89/70 – NJW 1971, 956).
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Aus der knappen Feststellung in dem Strafurteil, eine Entziehung der Fahrerlaubnis sei nicht angezeigt, ergibt sich ebenfalls nicht, dass und aus welchen Gründen der Strafrichter die Ungeeignetheit verneint hätte. Insbesondere bleibt unklar, ob das Amtsgericht die Antragstellerin für wieder geeignet gehalten hat, oder ob es zwar Eignungszweifel hatte, diese aber nach seiner Auffassung die Beurteilung der Antragstellerin als ungeeignet nicht rechtfertigten (vgl. dazu auch BVerwG, U.v. 15.7.1988 – 7 C 46.87 – BVerwGE 80, 43 = juris Rn. 13).
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Ohne Erfolg hält die Beschwerde dem entgegen, in den Gründen des Urteils sei zunächst festgehalten, dass sich die Antragstellerin durch die Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Sodann werde jedoch ausgeführt, die Entziehung der Fahrerlaubnis sei nicht mehr angezeigt. Dies zeige bei einer Gesamtschau der Urteilsgründe hinreichend deutlich, dass sich der Strafrichter durchaus mit der Fahreignung der Antragstellerin auseinandergesetzt und diese zum Zeitpunkt der Urteilsfindung bejaht habe. Diese Herleitung der Bindungswirkung, die auf eine stillschweigende Bejahung der Fahreignung durch das Strafgericht abzielt, findet nach den vorgenannten Grundsätzen keine Stütze im Gesetz. Deswegen verfängt es auch nicht, wenn die Beschwerde unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hamburg (B.v. 9.3.2023 – 5 E 970/23 – Blutalkohol 2023, 354) sowie des Oberverwaltungsgerichts Hamburg (B.v. 29.11.2023 – 4 Bs 39/23 – Blutalkohol 2024, 428) meint, für eine bindende ausdrückliche Begründung im vorgenannten Sinn reiche es aus, wenn auf die im Strafurteil zitierten Vorschriften abgestellt werden könne und der Strafrichter die Ungeeignetheit bei Anlegung zutreffender strafrechtlicher Maßstäbe verneint haben müsse.
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In Einklang damit steht, dass die Schlussfolgerung der Beschwerde, das Amtsgericht habe die Eignung implizit bejaht, auch mit Blick auf die strafgerichtliche Praxis keineswegs zwingend ist. Denn sie blendet, wie bereits angeklungen, insbesondere folgende Möglichkeit aus: Der Strafrichter hatte durchaus Eignungszweifel, hat sich aber nicht hinreichend sachkundig gefühlt, um die Fahreignung selbst abschließend zu beurteilen, und wollte auch kein aufwändiges sowie teures Sachverständigengutachten einholen. Deshalb hat er von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen und die abschließende Klärung der Fahreignung letztlich der Verwaltungsbehörde überlassen. Unabhängig von der Frage, ob ein solches Vorgehen in der Theorie nach strafrechtlichen Maßstäben zulässig bzw. unter bestimmten Umständen nicht sogar allein sachgerecht ist (vgl. dazu Kretschmer in MüKo StVR, 1. Aufl. 2016, § 69 StGB Rn. 7, 39; Derpa, Blutalkohol 2022, 440/445 ff.), erscheint es in der Praxis durchaus verbreitet. Ein Grund dafür wird gesehen, dass der Strafrichter bei Zweifeln nach dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz von der Entziehung der Fahreignung absehen muss, eine erschöpfende Eignungsprüfung mit sachverständiger Hilfe im Strafprozess angesichts der Vielzahl der Verfahren jedoch weder ökonomisch noch zu leisten ist (vgl. Prange, Blutalkohol 2022, 432/437 f.; Himmelreich DAR 1989, 285/287; ders. NZV 2005, 337). Insoweit ist auch zu bedenken, dass der Strafrichter keine medizinisch-psychologische Untersuchung anordnen kann (vgl. Geiger, DAR 2013, 231; König, DAR 2022, 250 f.; Derpa a.a.O. S. 446). Zudem wird darauf verwiesen, dass im strafrechtlichen Denken Gesichtspunkte der Gefahrenabwehr zwar mit anklingen, aber doch immer hinter den Motiven von Schuld und Sühne zurücktreten (vgl. Krieger, DAR 1963, 7/12). Vor diesem Hintergrund liegt es auch hier nahe, dass der Strafrichter bewusst eine offene Formulierung gewählt hat, die der Fahrerlaubnisbehörde Raum für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Prüfung lässt.
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Soweit die Beschwerde schließlich eine strafgerichtliche Eignungsbeurteilung aus dem Prozessverlauf ableiten möchte, steht dem bereits entgegen, dass andere Erkenntnisquellen als das Strafurteil, wie bereits erwähnt, aus Gründen der Rechtsklarheit nicht in Betracht kommen (vgl. BVerwG, B.v. 11.10.1989 – 7 B 150.89 – juris Rn. 2; SächsOVG, B.v. 2.7.2017 – 3 B 95/17 – DAR 2017, 650 = juris Rn. 16; OVG Saarl, B.v. 14.1.2015 – 1 B 399/14 – zfs 2015, 479 = juris Rn. 5).
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cc) Die weitergehende Frage, ob eine Bindung der Verwaltungsbehörde nach § 3 Abs. 4 StVG voraussetzt, dass die strafgerichtliche Entscheidung gewisse inhaltliche Anforderungen erfüllt und sich zu den aus Sicht des Fahrerlaubnisrechts maßgeblichen Kriterien verhält (in diesem Sinn NdsOVG, B.v. 20.4.2022 – 12 ME 35/12 – DAR 2022, 467 = juris Rn. 17, 20; s. dazu auch Koehl in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 3 StVG Rn. 59a), bedarf damit vorliegend keiner Erörterung.
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b) Ohne Erfolg wirft die Beschwerde ein, die Fragestellung sei nicht anlassbezogen und verhältnismäßig, soweit sie auf die Stabilität einer geltend gemachten Abstinenz ziele.
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Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, muss sich die medizinisch-psychologische Untersuchung im Fall eines Alkoholmissbrauchs in der Vergangenheit, ohne dass Abhängigkeit vorhanden war oder ist, darauf erstrecken, ob der Betroffene den Konsum von Alkohol einerseits und das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr andererseits zuverlässig voneinander trennen kann (vgl. § 11 Abs. Abs. 5 FeV i.V.m. Nr. 1 Buchst. f der Anl. 4a zur FeV). Dieses Trennungsvermögen ist zum einen gegeben, wenn Alkohol nur noch kontrolliert getrunken wird, so dass Trinken und Fahren zuverlässig getrennt werden können. Zu bejahen ist es aber auch, wenn Alkoholabstinenz eingehalten wird. Dies ist zu fordern, wenn aufgrund der Lerngeschichte anzunehmen ist, dass sich ein konsequenter kontrollierter Umgang mit alkoholischen Getränken nicht erreichen lässt (vgl. Nr. 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung v. 27.1.2014 [Vkbl S. 110] i.d.F. vom 17.2.2021 [Vkbl S. 198], die der Begutachtung nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anl. 4a zur FeV zu Grunde zu legen sind). Doch auch dann, wenn nach fachlichen Kriterien keine Alkoholabstinenz erforderlich ist, kann sich der Betroffene entscheiden, Alkoholmissbrauch in Zukunft ausschließlich durch Abstinenz zu vermeiden (vgl. dazu auch Brenner-Hartmann/Fastenmeier/Graw, Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, 4. Aufl. 2022, Teil B.2 Hypothese A3 [S. 118] und Hypothese A4 [S. 127]). Dann muss sich seine Strategie aber auch an den Voraussetzungen für eine stabile Abstinenz messen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2025 – 11 ZB 24.2066 – juris Rn. 17).
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Vor diesem Hintergrund ist die o.g., auf die Stabilität einer ggf. geltend gemachten Abstinenz abzielende zweite Frage der Beibringungsanordnung nicht zu beanstanden. Sie erstreckt – nachdem die Antragstellerin im Strafverfahren erklärt hatte, an einem Abstinenzprogramm teilzunehmen – die Untersuchung allein für den Fall, dass die Antragstellerin gegenüber der Begutachtungsstelle ebenfalls Abstinenz geltend macht, auch darauf, ob ein ausreichend langer Abstinenzzeitraum sowie ein gefestigter Einstellungs- und Verhaltenswandel vorliegen. Damit verlangt die Frage der Antragstellerin nicht mehr ab als erforderlich. Im Grunde genommen weitet sie das Untersuchungsprogramm, das durch die erste, allgemein auf Trennungsvermögen zielende Frage vorgegeben ist, nicht aus, sondern erweist sich als ergänzender Hinweis, der überflüssig, aber auch unschädlich ist.
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3. Davon ausgehend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Bescheids das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 11 CS 20.2342 – juris Rn. 17). Dem steht das Interesse der Antragstellerin am Führen von Kraftfahrzeugen nicht entgegen. Denn dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt angesichts der Gefahren durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.2007 – 1 BvR 305/07 – juris Rn. 6; B.v. 15.10.1998 – 2 BvQ 32/98 – DAR 1998, 466 = juris Rn. 5, zu einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO; BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 11 CS 19.2220 – juris Rn. 17; OVG NW, B.v. 22.5.2012 – 16 B 536/12 – juris Rn. 33). Wenn die Beschwerde mit Blick auf die Interessenabwägung ein geringes Gefahrenpotential der Alkoholfahrt zur Nachtzeit und über eine kurze Strecke, eine Teilnahme an einem Abstinenzprogramm sowie die Durchführung einer verkehrspsychologischen Maßnahme ins Feld führt, lässt dies die aus der Nichtvorlage des Gutachtens folgende Ungeeignetheit nicht entfallen und verfängt daher nicht. Soweit sie darauf verweist, die Antragstellerin habe in der Zeit von etwa dreieinhalb Jahren zwischen der abgeurteilten Fahrt und der angegriffene Fahrerlaubnisentziehung beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen, kann dem aufgrund der geringen Kontrolldichte und der hohen Dunkelziffer von unter unzulässigem Alkoholeinfluss durchgeführten Fahrten keine belastbare Aussagekraft beigemessen werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2012 – 11 CS 12.201 – juris Rn. 26; B.v. 12.11.2021 – 11 CS 21.2536 – juris Rn. 15; B.v. 11.7.2022 – 11 CS 22.939 – juris Rn. 21).
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4. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).