Titel:
Erfolglose Anhörungsrüge
Normenkette:
VwGO § 152a
Leitsätze:
1. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Gehörsverstoß liegt nur vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist, ohne dass es unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Einstellungsbeschluss, entscheidungserhebliches Vorbringen, rechtliches Gehör, Gehörsrüge
Vorinstanz:
VGH München vom 19.08.2025 – 10 ZB 25.1458
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25573
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.
Gründe
1
Mit der Anhörungsrüge erstrebt der Kläger die Fortführung des Berufungsverfahrens gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts, das der Verwaltungsgerichtshof nach einer Rücknahmeerklärung mit Beschluss vom 19. August 2025 eingestellt hat.
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Die Anhörungsrüge, über die der Berichterstatter entscheidet, weil auch der angegriffene Einstellungsbeschluss vom Berichterstatter erlassen wurde, ist jedenfalls unbegründet. Die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor, weil der Verwaltungsgerichtshof mit der angegriffenen Entscheidung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
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Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2). Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das entgegengenommene Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden. Es ist verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Elemente des Vorbringens in einem sehr umfangreichen Verfahren zu folgern, das Gericht habe sich mit den darin enthaltenen Argumenten nicht befasst (vgl. BVerwG, B.v. 9.7.2019 – 1 B 51.19 – juris Rn. 2 m.w.N.). Ein Gehörsverstoß liegt deshalb nur vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist, ohne dass es unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – juris Rn. 39; B.v. 22.11.2005 – 2 BvR 1090/05 – juris Rn. 26; B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – juris Rn. 45). Der Anspruch auf rechtliches Gehör vermittelt dagegen keinen Schutz davor, dass ein Gericht dem Vorbringen von Beteiligten nicht folgt beziehungsweise dieses aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht weiter aufnimmt (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – juris Rn. 15).
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Gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO ist das Vorliegen der in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO genannten Voraussetzungen, also eine entscheidungserhebliche Verletzung des Gehörsanspruchs, darzulegen. Es sind also die Umstände darzulegen, aus denen sich die Verletzung des eigenen Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Entscheidungserheblichkeit ergeben. Für die Darlegung einer Gehörsverletzung muss der Betroffene die Tatsachen oder Beweisergebnisse benennen, auf die das Gericht seine Entscheidung gestützt hat und zu denen er sich nicht äußern konnte. Alternativ muss er sein tatsächliches oder rechtliches Vorbringen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles anführen, die die Annahme rechtfertigen, dass das Gericht entgegen der bestehenden Vermutung sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat (Kaufmann/Krüger in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 152a Rn. 12).
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Gemessen daran ist ein entscheidungserheblicher Gehörsverstoß nicht erkennbar.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorbringen des Klägers, wie die Anhörungsrüge selbst einräumt, zur Kenntnis genommen und rechtlich gewürdigt. Es ist dem Vorbringen allerdings nicht gefolgt und hat dies mit der gesetzlichen Regelung in § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 87 ZPO, die den vom Kläger angesprochenen Fall einer Prozesshandlung der Bevollmächtigten, die im Innenverhältnis nicht dem Willen der Partei entspricht, ausdrücklich und abschließend regelt, begründet. Eine weitere Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Willen des Klägers war daher nicht veranlasst. Dass der Kläger das Ergebnis dieser rechtlichen Würdigung für falsch hält, eröffnet nicht die Möglichkeit einer Anhörungsrüge.
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Nachdem die Rücknahme der Berufung demnach wirksam erklärt worden war, blieb (und bleibt) auch kein Raum mehr, die Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umzudeuten, was – worauf im Einstellungsbeschluss bereits hingewiesen wurde – nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung auch ohne die Rücknahmeerklärung nicht möglich gewesen wäre. Im Übrigen wurde die (frühere) Bevollmächtigte vom Gericht auch ausdrücklich auf die Unstatthaftigkeit der Berufung hingewiesen. Auf diesen Hinweis reagierte sie mit der Rücknahme der Berufung, ohne in irgendeiner Form darauf hinzuweisen, dass sie in Wirklichkeit einen Antrag auf Zulassung der Berufung habe stellen wollen. An diesen eindeutigen Erklärungen muss sich der Kläger festhalten lassen. Auch eines weiteren Hinweises des Gerichts bedurfte es insofern nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).