Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.09.2025 – 22 ZB 25.578
Titel:

Gewerbeuntersagung bei Steuerrückständen

Normenketten:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die von § 35 Abs. 1 S. 1 GewO vorausgesetzte Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit liegt insbesondere dann vor, wenn das Vermögen der öffentlichen Hand wie zB durch die unberechtigte Vorenthaltung von Steuern gefährdet ist. Dem steht die Eintragungen im Vollstreckungsportal nicht entgegen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erst nach dem Erlass des Bescheides zugunsten des Gewerbetreibenden eingetretene Umstände führen nicht zur Rechtswidrigkeit der Gewerbeuntersagung. Sie sind vielmehr in einem Wiedergestattungsverfahren zu berücksichtigen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung kann allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, Steuerrückstände, Vermögensgefährdung, Verhältnismäßigkeit, Schuldnerverzeichnis, gewerberechtliche Unzuverlässigkeit, Umsatzsteuererklärung, Gewerbesteuererklärung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 28.01.2025 – M 16 K 24.579
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25571

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Januar 2025 – M 16 K 24.579 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 8. Januar 2024 weiter.
2
Mit diesem Bescheid wurde dem Kläger die selbständige Ausübung des Gewerbes „Entwerfen von Webdesign; Tätigkeit als Grafikdesigner; Verkauf von Hard- und Software; Durchführung von Softwareeinstellungen; Erstellen von Publikationen“ als selbständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt. Zur Begründung berief sich die Beklagte im Wesentlichen auf Steuerrückstände beim Finanzamt in Höhe von 41.581,56 €. Die Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer hätten ab 2021 und für die Gewerbesteuer ab 2022 geschätzt werden müssen, da die Erklärungen nicht eingereicht worden seien. Bei der Stadtkasse bestünden Forderungen in Höhe von 7.438,30 €. Freiwillige Zahlungen seien nicht geleistet worden. Ratenzahlungsvereinbarungen bzw. Stundungen lägen nicht vor. Die Industrie- und Handelskammer habe mitgeteilt, dass Beitragsrückstände des Klägers in Höhe von 300,78 € bestünden. Zudem befinde er sich, wie die Eintragung im Schuldnerverzeichnis zeige, in ungeordneten Vermögensverhältnissen.
3
Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 8. Januar 2024 Klage zum Verwaltungsgericht München, die mit Urteil vom 28. Januar 2025, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 19. Februar 2025, abgewiesen wurde.
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Mit am 12. März 2025 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom gleichen Tag hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt. Er hat diesen Antrag mit Schriftsatz vom 14. April 2025 begründet. Er macht neben den anderen in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründen in erster Linie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Die Beklagte ist dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil kein Zulassungsgrund im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO hinreichend dargelegt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestünden dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gesichtspunkte sprächen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.). Daran fehlt es vorliegend.
9
Bezüglich der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass er bei Bescheiderlass erhebliche Steuerrückstände beim Finanzamt gehabt habe und nach keinem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeite. Die Bestrebungen des Klägers, eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Finanzamt abzuschließen, seien ohne Erfolg geblieben. Von einem ernsthaft um eine ordnungsgemäße Betriebsführung bemühten Gewerbetreibenden in der Situation des Klägers wäre dabei zu erwarten gewesen, dass er seinen steuerlichen Erklärungspflichten nachkomme. Der Kläger sei jedoch seiner steuerlichen Erklärungspflicht beharrlich nicht nachgekommen, indem er die Umsatzsteuererklärungen seit dem Veranlagungszeitraum 2021 sowie die Gewerbesteuererklärungen seit dem Veranlagungszeitraum 2022 nicht abgegeben habe. Unabhängig davon begründe allein die Eintragung im Schuldnerverzeichnis wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft im Zeitpunkt des Bescheiderlasses die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers.
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Demgegenüber bringt der Kläger im Zulassungsverfahren vor, dass er gewerberechtlich zuverlässig sei. Durch die verfahrensgegenständlichen Verbindlichkeiten bei der Staatskasse sowie die Eintragungen im Vollstreckungsportal trete die notwendige Gefährdung von Rechtsgütern nicht ein. Die Untersagung setze eine Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten voraus. Bereits deshalb sei die Gewerbeuntersagung rechtswidrig. Sie sei jedenfalls unverhältnismäßig. Die Gewerbeuntersagung sei auch nicht ultima ratio gewesen. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Prognose vorliegend positiv ausfalle. Der Kläger habe seine Verbindlichkeiten bei der Stadtkasse zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von 7.438,20 € auf 552,42 € mindern können. Er sei bemüht, auch die anderen Verbindlichkeiten durch Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung zu ordnen.
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Dieses Vorbringen genügt den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.
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1.1 Soweit der Kläger vorträgt, die Gewerbeuntersagung sei rechtswidrig, weil durch die verfahrensgegenständlichen Verbindlichkeiten bei der Staatskasse und aufgrund der Eintragungen im Vollstreckungsportal die notwendige Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten nicht eintrete, trifft dies nicht zu. Die von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO vorausgesetzte Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit liegt insbesondere dann vor, wenn das Vermögen der öffentlichen Hand wie z.B. durch die unberechtigte Vorenthaltung von Steuern gefährdet ist (BayVGH, B.v. 7.11.2024 – 22 ZB 24.1528 – juris Rn. 13; Brüning in Pielow, BeckOK GewO, Stand 1.12.2024, § 35 Rn. 35). Die Rückstände des Klägers bei der Stadtkasse sind durch Vollstreckungsmaßnahmen nach Bescheiderlass zwar erheblich gemindert worden, es verbleiben aber nach wie vor die Steuerrückstände beim Finanzamt, so dass das Vermögen der öffentlichen Hand gefährdet ist. Im Übrigen erfolgte diese Rückstandsminderung nach dem Bescheiderlass als maßgeblichem Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Klägers (s.u. 1.2).
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1.2 Auch der Einwand des Klägers, dass die Gewerbeuntersagung in seinem Fall nicht die ultima ratio gewesen sei, führt nicht zur Zulassung der Berufung. Der Kläger hat im Zulassungsverfahren nicht aufgezeigt, dass eine mildere, gleich geeignete Maßnahme als die Gewerbeuntersagung zur Verfügung gestanden hätte, um künftig das Entstehen von Steuerrückständen zu vermeiden. Eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Finanzamt besteht nicht, seinen steuerlichen Erklärungspflichten ist der Kläger nicht nachgekommen. Auch setzt sich der Kläger mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Untersagungsbescheides ankomme, nicht auseinander. Erst nach dem Erlass des Bescheides zugunsten des Gewerbetreibenden eingetretene Umstände führen nicht zur Rechtswidrigkeit der Gewerbeuntersagung. Sie sind vielmehr in einem Wiedergestattungsverfahren zu berücksichtigen (BayVGH, B.v. 3.8.2023 – 22 ZB 22.2032 – juris Rn. 16 m.w.N.).
14
1.3 Soweit sich der Kläger auf die Unverhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung beruft, ist darauf hinzuweisen, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5.94 – juris Rn. 8). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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2. Zu den weiter angeführten Zulassungsgründen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis Nr. 5 VwGO enthält die Zulassungsbegründung keine weiteren Ausführungen, so dass sich ein Eingehen auf deren Vorliegen erübrigt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2025.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).