Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.09.2025 – 10 C 25.1591, 10 CS 25.1672
Titel:

Erfolgreicher Eilantrag gegen Auflagen für eine Versammlung in unmittelbarer Nähe eines Ärztehauses, in dem Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden

Normenketten:
GG Art. 8 Abs. 1
SchKG § 13 Abs. 3 Nr. 2
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Leitsatz:
§ 13 Abs. 3 Nr. 2 SchKG untersagt nicht im Sinne einer Bannmeile Meinungskundgaben per se. Ein Verstoß gegen das Belästigungsverbot im 100 Meter-Bereich setzt eine für die Schwangeren wahrnehmbare Verhaltensweise iSv § 13 Abs. 3 SchKG voraus, welche die Rechte der Schwangeren und das staatliche Schutzkonzept iSd §§ 218 ff. StGB in Verbindung mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz in unzulässiger Weise beeinträchtigt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlung von Abtreibungsgegnern im Bereich einer Einrichtung zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen, Auflagen zur Durchsetzung des gesetzlichen Belästigungsverbots, hinreichende Gefahrenprognose auf Grundlage konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte (hier verneint), Versammlung, Auflagen, Gehsteigbelästigungen, Belästigungsverbot, Aufdrängen einer bestimmten Meinung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 14.08.2025 – RO 4 S 25.1888
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25567

Tenor

I. Die Verfahren 10 C 25.1591 und 10 CS 25.1672 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin im Verfahren 10 CS 25.1672 wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens 10 CS 25.1672 trägt die Antragsgegnerin.
IV. Unter Abänderung der Ziffer III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. August 2025 wird der Streitwert für das Verfahren in beiden Instanzen auf jeweils 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit ihrer Beschwerde im Verfahren 10 CS 25.1672 wendet sich die Antragsgegnerin gegen die im verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 14. August 2025 erfolgte Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen Nr. ÏI.2. Abs. 1 sowie Nr. II.3. ihres Bescheides vom 28. Juli 2025 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 8. August 2025. Der Bevollmächtigte des Antragstellers begehrt im Verfahren 10 C 25.1591 die Erhöhung des vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss auf 2.500 Euro festgesetzten Streitwerts.
2
Am 23. Februar 2025 zeigte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin insgesamt 10 Versammlungen (am 31.3., 30.4., 31.5., 30.6., 31.7., 30.8., 29.9., 31.10., 28.11. und 31.12.2025 jeweils von 10:30 Uhr bis 12:00 Uhr) in Form eines Aufzugs mit Zwischenkundgebung im Bereich der Grünfläche/des Bürgersteigs in einem Abstand von ca. 30 bis 40 m zum Eingang zu einem Ärztezentrum unter dem Thema „Gebet für lebende und sterbende ungeborene Kinder, deren Eltern und alle durch Abtreibung betroffene Menschen“ an. Als Versammlungsmittel wurden drei Bilder von Babys (geboren/ungeboren), ein Jesus-Bild sowie ein Marienbild (alle ca. 60 x 80 cm) und als Teilnehmerzahl 15 bis 20 Personen angegeben.
3
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Juli 2025 wurde durch Auflagen u.a. die Versammlungsfläche der Zwischenkundgebung auf einen über 100 m vom Ärztezentrum entfernten Ort verlegt (Nr. II.2. Abs. 1) und als Folge hieraus die Aufzugsstrecke geändert (Nr. II.3.). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG seien erfüllt. Die Versammlung des Antragstellers könne aufgrund der Wahl des Ortes der Zwischenkundgebung im Bereich einer Einrichtung zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Form einer „Gehsteigbelästigung“ im Sinne von § 13 Abs. 3 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes – SchKG darstellen. Von den vom Antragsteller angemeldeten Versammlungen in unmittelbarer Nähe des Ärztehauses gehe unter anderem aufgrund deren Gestaltung, Teilnehmerzahl und Regelmäßigkeit sowie der zuletzt intensiven Berichterstattung ein erheblicher Druck auf Schwangere aus. Die Antragsgegnerin lasse entsprechende Versammlungen zukünftig in Anlehnung an § 13 Abs. 3 SchKG nur noch außerhalb eines Bereichs von ca. 100 Metern um den Eingangsbereich des Ärztehauses zu. Aufgrund der Änderung des Versammlungsortes für die Zwischenkundgebung sei auch die Aufzugstrecke in geringem Umfang anzupassen gewesen.
4
Mit Änderungsbescheid der Antragsgegnerin vom 8. August 2025 wurde die Auflage Nr. II.2. dahingehend eingeschränkt, dass die vom Antragsteller angezeigte Versammlung an Schließtagen, d.h. an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen, wie am 30. August 2025, entsprechend seiner Anzeige auf der begehrten Grünfläche gegenüber dem Eingangsbereich des Ärztehauses stattfinden kann.
5
Der Antragsteller erhob gegen die beschränkenden Auflagen am 8. August 2025 Klage (Az. RO 4 K 25.1887) und beantragte zugleich, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
6
Mit Beschluss vom 14. August 2025 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Nr. II.2. Abs. 1 sowie Nr. II.3. des Bescheids vom 28. Juli 2025 in der Fassung vom 8. August 2025 an. Der Streitwert wurde auf 2.500 Euro festgesetzt.
7
Die Beschwerde der Antragsgegnerin richtet sich gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten.
8
Zudem legte der Bevollmächtigte des Antragstellers im eigenen Namen Streitwertbeschwerde ein, gegen die sich die Antragsgegnerin gewandt hat.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
10
Die Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt ohne Erfolg (1.). Auf die zulässige Beschwerde des Bevollmächtigten des Antragstellers ist der Streitwert für das Verfahren in beiden Instanzen auf jeweils 5.000 Euro festzusetzen (2.).
11
1. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet. Die von ihr dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
12
a) Die angefochtene Entscheidung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit begründet, dass sich die in Nr. II.2. Abs. 1 und Nr. II.3 des angegriffenen Bescheids verfügten Auflagen im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen würden. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG ergebe sich nicht aufgrund eines Verstoßes gegen § 13 Abs. 3 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes – SchKG. Durch die angezeigten Versammlungen werde einer Schwangeren der Zugang zu der hier in Rede stehenden Einrichtung zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen nicht im Sinne des § 13 Abs. 3 Nr. 1 SchKG physisch erschwert. Auch werde der Schwangeren keine Meinung zu ihrer Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 2 SchKG aufgedrängt. Frauen, die die in Rede stehende Arztpraxis aufsuchten, würden zwar durchaus in einer Aufmerksamkeit erregenden Weise mit der Thematik „Fortsetzung der Schwangerschaft oder Schwangerschaftsabbruch“ konfrontiert. Allerdings sei seitens des Antragstellers nicht beabsichtigt, schwangere Frauen aktiv zu einem Meinungsaustausch aufzufordern oder sie derart zu bedrängen, dass der Weg zur Praxis gleichsam zu einem „Spießrutenlauf“ werde. Allein das Zeigen von Bildern (bzw. ggf. einem Kreuz), welche in ihrem Zusammenwirken auf die Meinung der Versammelten schließen ließen, erfülle nicht den Tatbestand des Aufdrängens einer Meinung, sondern stelle eine schlichte, von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerung dar. Auf ein „Bedrängen“ der Schwangeren gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 3 SchKG seien die hier angezeigten Versammlungen nicht ausgerichtet. Die Teilnehmenden hielten sich für ihre Zwischenkundgebung in einem Abstand von 30 bis 40 Metern Entfernung vom Zugang des Ärztehauses auf. Anhaltspunkte dafür, dass ein „Bedrängen“ in der Zukunft versucht werde, seien nicht ersichtlich; eine entsprechende Prognose ließe sich auch anhand der vergangenen Versammlungen nicht anstellen. Auch ein „Einschüchtern“ im Sinne des § 13 Abs. 3 Nr. 3 SchKG sei im Verhalten der Teilnehmer der Versammlungen nicht zu erkennen. Die Versammlungsteilnehmer sprächen lediglich in der christlichen Glaubensgemeinschaft übliche Gebete, bei der Versammlung am 31. März 2025 das Rosenkranzgebet. Sie bedienten sich auch keiner Verstärkungstechnik, so dass die Gebete in übermäßiger Lautstärke über die Straße hinweg am Eingang des Ärztehauses vernehmbar wären und damit allein schon deshalb eine einschüchternde Wirkung haben könnten. Die Zwischenkundgebung finde auf dem Grünstreifen bzw. dem Bürgersteig auf offen einsehbarem Gelände gegenüber dem Ärztehaus statt, also auf keinem einschüchternd wirkenden z.B. dunklen und engen Platz, so dass allein durch die örtliche Situation eine Drohkulisse entstehen könnte. Schließlich könne allein das Zeigen von christlichen Symbolen und Fotos von Föten in einem gewissen räumlichen Abstand – also ohne, dass diese Bilder der Schwangeren in bedrohlich wirkender Weise vor Augen geführt würden – zu keiner Einschüchterung im genannten Sinne führen. Durch die Versammlung drohe auch kein Verstoß gegen § 13 Abs. 3 Nr. 4 oder Abs. 4 SchKG.
13
b) Die Antragsgegnerin macht mit ihrer Beschwerde im Wesentlichen geltend, die vom Antragsteller angemeldeten Versammlungen sollten nach dessen Angaben eine gewisse Wahrnehmbarkeit bzw. Einflussnahme auf schwangere Frauen erreichen. Die Regelung in § 13 SchKG diene dazu, Schwangeren einen ungehinderten Zugang zu Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführten, frei von Belästigungen und Behinderungen zu sichern. Eine etwaige Einflussnahme auf den Entscheidungsprozess des „Nachdenkens“ greife damit in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ein. Hierbei werde zwar zugegebenermaßen kein völliger Konfrontationsschutz zugestanden, jedoch ein hohes Schutzniveau aufgrund der besonderen Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung der Schwangeren, die sich in einer Ausnahmesituation befänden. Insbesondere in den entscheidenden Stunden vor Durchführung des Eingriffs seien die Betroffenen besonders für eine Einflussnahme anfällig. Die Versammlungsfläche und die Aktionen der Teilnehmer befänden sich im sogenannten räumlichen Nahbereich des Eingangs zum Ärztehaus von 100 Metern, der nach der gesetzgeberischen Intention besonderen Schutz genieße; sie sei ca. 30 bis 40 Meter vom Eingang entfernt. Die Gebete und das Zeigen von mehreren Abbildungen seien für die Besucherinnen und Besucher wahrnehmbar. Dies sei auch explizites Ziel der Versammlung; es bestehe die Hoffnung, noch in letzter Sekunde einen Impuls zum Umdenken bzw. zur Aufrechterhaltung der Schwangerschaft zu geben. Es liege damit eine bewusste Einflussnahme auf den Entscheidungsprozess im geschützten Nahbereich der Einrichtung vor. Gebe die Schwangere zu erkennen, an einem Meinungsaustausch nicht interessiert zu sein, und werde sie dennoch im unmittelbaren Umfeld des Ärztehauses in aufdrängender Weise mit Meinungen zu ihrer Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft konfrontiert, stehe dies einem Spießrutenlauf gleich. Die Vorgabe in § 13 Abs. 3 Nr. 2 SchKG enthalte durchaus eine gesetzgeberische Wertung innerhalb welchen Bereichs (100 Meter) die Betroffenen von derartigen Ansprachen geschützt werden sollten. Die hier gewählte vermeintlich subtile Form der Einflussnahme durch Gebete könne eine wesentlich intensivere Beeinflussung darstellen als ein direktes Ansprechen der Betroffenen. Ein sogenanntes „Aufdrängen“ einer Meinung im Sinne des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sei vorliegend mit Blick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift durchaus anzunehmen. Es lägen auch keine besonderen versammlungsrechtlichen Bedürfnisse vor, den freizuhaltenden Nahbereich zu nutzen (z.B. Versammlung, die sich explizit gegen § 13 SchKG wende). Die ggf. nur kurzfristige Versammlungsdauer rechtfertige keine Einschränkung des Persönlichkeitsrechts der Schwangeren; diese vereinbarten die entsprechenden Termine nach Verfügbarkeit, müssten bei kurzfristigen Umbuchungen den Entscheidungsprozess erneut durchleben und würden damit doppelt belastet.
14
c) Aus dem Vortrag der Antragsgegnerin ergeben sich keine Zweifel an der Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Klage des Antragstellers werde voraussichtlich Erfolg haben. Die Beschwerdegründung setzt sich bereits nicht – wie gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO geboten – substantiiert mit den konkreten Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SchKG auseinander. Die Antragsgegnerin hat auch in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, dass nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG unmittelbar gefährdet wäre, weil ein Verstoß gegen § 13 Abs. 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SchKG zu befürchten wäre. In der Beschwerdebegründung wurde klargestellt, dass aus Sicht der Antragsgegnerin die Nr. 1 und 4 der Vorschrift für den hiesigen Streitgegenstand keine Bedeutung hätten.
15
aa) Die Antragsgegnerin legt nicht dar, aufgrund welcher Tatsachengrundlage die Prognose gerechtfertigt wäre, im Rahmen der streitgegenständlichen Versammlungen werde Schwangeren durch Ansprechen wissentlich eine Meinung zu ihrer Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft im Sinne von § 13 Abs. 3 Nr. 2 SchKG aufgedrängt.
16
Gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen (Beschränkungen) keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26).
17
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für das mit Wirkung vom 13. November 2024 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes – SchKG vom 7. November 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 351) wurde bei der Neuregelung zum sogenannten Belästigungsverbot im Bereich von 100 Metern um den Eingangsbereich der Beratungsstellen (§ 8 Abs. 2 SchKG n.F.) und der Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen (§ 13 Abs. 3 SchKG n.F.) die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 8.6.2010 – 1 BvR 1745/06 – juris Rn. 23) und des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 23.5.2023 – 6 B 33.22 – juris Rn. 15 ff.) zu den sogenannten „Gehsteigbelästigungen“ von Schwangeren durch Dritte zugrunde gelegt (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 20/10861 S. 23). Danach hängt die grundrechtliche Beurteilung von derartigen Konfliktfällen davon ab, inwieweit auf der einen Seite eine dem Schutz ungeborenen Lebens verpflichtete Versammlung darauf zielt, Adressatinnen eine bestimmte Meinung aufzudrängen, und inwiefern auf der anderen Seite die Adressatinnen eine solche Versammlung – über die bloße Konfrontation mit dem Thema hinaus – als einen unausweichlichen persönlichen Übergriff physischer oder psychischer Art verstehen dürfen, der das Aufsuchen einer Beratungsstelle oder Einrichtung zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen einem „Spießrutenlauf“ gleichen lässt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist anhand aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu klären (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 19).
18
Tatsächliche Anhaltspunkte für die Prognose eines Verhaltens der Versammlungsteilnehmer, das aufgrund damit verbundener Intensität und Unausweichlichkeit der Konfrontation ein Aufdrängen der Meinung im Sinne eines „Spießrutenlaufs“ bedeuten würde (vgl. auch Gesetzesbegründung, BT-Drs. 20/10861 S. 23), ergeben sich aus der Beschwerdebegründung nicht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Hiergegen spricht im Übrigen die räumliche Lage des Orts der Zwischenkundgebung in einer Entfernung von 30 bis 40 Meter zum Eingang des Ärztezentrums – getrennt durch eine breitere Straße – in Verbindung mit dem gemeinsamen Beten und Zeigen einzelner Bilder sowie ggf. eines Kreuzes als Kundgebungsmittel. Aus der polizeilichen Mitteilung zur Versammlung am 31. März 2025 ergibt sich, dass die Versammlungsteilnehmer in leisem Tonfall den Rosenkranz gebetet und keine Passanten direkt angesprochen hätten; das Beten sei unmittelbar am Haupteingang zum Ärztehaus kaum wahrnehmbar gewesen. Keines der mitgeführten Bilder und das Kreuz könnten aus polizeilicher Sicht als anstößig oder abschreckend angesehen werden. Die Antragsgegnerin benennt keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die eine gegenteilige Bewertung der streitgegenständlichen Versammlungen rechtfertigen könnten.
19
Die vorgenannten, vom Verwaltungsgericht bei seiner Bewertung berücksichtigten Umstände sprechen dafür, dass Schwangere auf dem Weg zum Ärztehaus zwar mit einer Meinungskundgabe der Versammlungsteilnehmer konfrontiert werden. Dass die Versammlungsteilnehmer damit die Aufmerksamkeit u.a. von Schwangeren gewinnen und an der öffentlichen Meinungsbildung teilhaben möchten, gehört allerdings zum Wesen einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG (vgl. auch Art. 2 Abs. 1 BayVersG). Die Antragsgegnerin meint, die Vorgabe des § 13 Abs. 3 Nr. 2 SchKG enthalte eine gesetzgeberische Wertung, innerhalb welchen Bereichs (100 m) die Betroffenen vor einer derartigen Meinungskundgabe geschützt werden sollten. Sie übersieht dabei, dass diese Vorschrift nicht im Sinne einer Bannmeile Meinungskundgaben per se untersagt. Dies entspräche auch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wonach sich eine praktische Konkordanz zwischen den Grundrechten einer Versammlung in der Nähe einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle oder einer Einrichtung zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht schwangerer Frauen andererseits nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles herstellen lässt (BVerwG, B.v. 23.5.2023 – 6 B 33.22 – juris Rn. 16). Dementsprechend setzt ein Verstoß gegen das Belästigungsverbot im 100 Meter-Bereich gemäß dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 20/10861 S. 22) eine für die Schwangeren wahrnehmbare Verhaltensweise im Sinne von § 13 Abs. 3 SchKG voraus, welche die Rechte der Schwangeren und das staatliche Schutzkonzept im Sinne der §§ 218 ff. StGB in Verbindung mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Nur im Nahbereich von 100 Metern bestehe ein so enger räumlich-zeitlicher Zusammenhang zur Wahrnehmung eines Beratungsangebots oder der Inanspruchnahme einer Einrichtung zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen, dass die Schwangere etwaigen Belästigungen nicht ausweichen könne. Innerhalb des Bereichs von 100 Metern soll im Einzelfall der „Interaktionsraum“ festgestellt werden, in dem Störungshandlungen gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 SchKG untersagt sind.
20
bb) Die Antragsgegnerin hat nicht dargelegt, inwieweit von den streitgegenständlichen Versammlungen eine die Schwangere bedrängende, einschüchternde oder diese auf andere vergleichbare Weise erheblich unter Druck setzende Wirkung im Sinne des § 13 Abs. 3 Nr. 3 SchKG ausgehen würde. Mit den betreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss (Beschlussabdruck S: 18 bis 20) setzt sie sich nicht auseinander. Auch sonstige konkrete Ausführungen zur Anwendbarkeit der Tatbestandsvariante des § 13 Abs. 3 SchKG im vorliegenden Fall fehlen in der Beschwerdebegründung.
21
2. Auf die vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers im eigenen Namen erhobene zulässige Streitwertbeschwerde (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 68 Abs. 1 GKG) ist der vom Verwaltungsgericht auf 2.500 Euro festgesetzte Streitwert auf 5.000 Euro zu erhöhen. Die mit der Beschwerde angeregte, darüber hinausgehende Festsetzung auf 25.000 Euro ist hingegen nicht angezeigt.
22
In versammlungsrechtlichen (Hauptsache-)Verfahren ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa BayVGH, B.v. 5.10.2022 – 10 C 22.1713 – juris Rn. 7 und 11) der Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 Euro gemäß § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. Dem Vorschlag in Nr. 45.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 21. Februar 2025, zwischen dem Streitwert im Falle eines Versammlungsverbots (5.000 Euro) einerseits und von Auflagen (2.500 Euro) andererseits zu differenzieren, folgt der Senat nicht. Insbesondere können Auflagen im Hinblick auf den beabsichtigten Versammlungszweck eine weitreichende Beschränkung bedeuten, die sich einem Verbot annähert; eine Halbierung des Streitwerts erscheint insoweit nicht sachgerecht. Wenn das versammlungsrechtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – wie hier – faktisch die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, besteht auch kein Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern. Im Hinblick auf diese Senatsrechtsprechung ist im vorliegenden Fall eine Erhöhung der Wertfestsetzung von 2.500 Euro auf 5.000 Euro veranlasst.
23
Streitgegenstand sind vorliegend die Auflagen in Nr. II.2. Abs. 1 und Nr. II.3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 28. Juli 2025 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 8. August 2025. Aus dem Umstand, dass sich diese Auflagen auf eine Veranstaltungsreihe beziehen, ergibt sich nichts Anderes. Auch der Umstand, dass es sich um zwei Auflagen handelt, rechtfertigt keine (weitere) Erhöhung des Streitwerts (vgl. insoweit auch Nr. 45.2.2 des Streitwertkatalogs).
24
3. Die Kostenentscheidung im Verfahren 10 CS 25.1672 folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Das Verfahren 10 C 25.1591 ist nach § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG gebührenfrei. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da Kosten gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG nicht erstattet werden.
25
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).