Inhalt

SG Augsburg, Beschluss v. 08.07.2025 – S 15 AS 388/25 ER
Titel:

Mitwirkung des Antragsgegners, Rechtsschutzbedürfnis, Leistungsantrag, Einstweiliger Rechtsschutz, Einstweilige Anordnung, Leistungsbewilligung, Nebenkostenpauschale, Sozialgerichtsgesetz, Eilantrag, Antragstellers, Untätigkeitsklage, Untermietverhältnisse, Bewilligungszeitraum, Weiterbewilligung, Kostenentscheidung, Vorläufige Gewährung, Außergerichtliche Kosten, Sicherung des Lebensunterhalts, Ärztliche Schweigepflicht, Bescheiderlass

Schlagworte:
Eilantrag, Rechtsschutzbedürfnis, Leistungsbewilligung, Mitwirkungspflicht, Untätigkeitsklage, Bearbeitungszeit, Zäsur
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Beschluss vom 12.09.2025 – L 7 AS 325/25 B ER
LSG München, Beschluss vom 12.09.2025 – L 7 AS 325/25 B ER
LSG München, Beschluss vom 12.09.2025 – L 7 AS 325/25 B ER
LSG München, Beschluss vom 12.09.2025 – L 7 AS 325/25 B ER
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25288

Tenor

I. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 01.07.2025 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten um die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum ab 01.07.2025.
2
Die 1963 geborene Antragstellerin mit österreichischer Staatsangehörigkeit erhält seit dem Jahre 2015 – mit Unterbrechungen – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Antragsgegner. Sie wohnt zur Untermiete, wobei sie hierfür 520,- € Bruttokaltmiete sowie 155,- € Nebenkostenpauschale (hiervon 89,- € für Betriebskosten und 66,- € für Heizung und Warmwasser) monatlich schuldet. Ausweislich des Schreibens des Untervermieters 01.12.2022 wurde die Nebenkostenpauschale für das Untermietverhältnis für die Zeit ab 01.01.2023 von 155,- € auf 510,- Euro angehoben.
3
Die Antragstellerin hatte in den USA ab dem Jahr 2006 privates und geschäftliches Inventar in einem Lager eingelagert. Nach Angaben der Antragstellerin im Rahmen des Verfahrens vor dem Bayerischen Landessozialgericht L 16 AS 496/19 sind die Gegenstände im Haus eines Paares eingelegt, das eine Kunstgalerie betreibt. Es handele sich dabei um Gegenstände aus ihrer ehemaligen Wohnung und des seinerzeitigen separaten Büros in München. Die Antragstellerin hat bislang nicht vorgetragen, ob und wenn ja, in welcher Höhe ihr Kosten im Zusammenhang mit der Einlagerung entstanden sein sollen.
4
Die Antragstellerin gibt immer wieder gegenüber dem Antragsgegner an, weniger als drei Stunden täglich arbeitsfähig zu sein. Sie wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach durch den Antragsgegner aufgefordert, den ausgefüllten Gesundheitsfragebogen sowie die Erklärungen über die Entbindungen von der (ärztlichen) Schweigepflicht zwecks einer Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit zur Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit vorzulegen.
5
Die Antragstellerin beantragte mit Schreiben vom 14.11.2024 die Weiterbewilligung von Leistungen für den Zeitraum ab Januar 2025.
6
Mit Bescheid vom 18.02.2025 wurden der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.07.2024 bis 30.06.2025 in Höhe von 1.502,10 € monatlich bewilligt. Hierbei wurde der Regelbedarf in Höhe von 30% aufgrund der fehlenden Mitwirkung gemäß § 66 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) teilweise versagt.
7
Die Klägerin erhob am 16.05.2025 Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht Augsburg mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, über den Antrag vom 14.11.2024 zu entscheiden (S 15 AS 291/25). Der Antragsgegner äußerte sich im Rahmen dieser Klage dahingehend, dass über den Antrag bereits durch Bescheid vom 18.02.2025 entschieden worden sei. Die Antragstellerin wurde daraufhin gebeten, die Untätigkeitsklage für erledigt zu erklären. Eine Rückmeldung konnte bislang noch nicht verzeichnet werden.
8
Mit Schreiben vom 05.05.2025 wurde die Antragstellerin seitens des Antragsgegners darüber aufgeklärt, dass ihr Bürgergeldbezug zum 30.06.2025 ende und sie wurde darauf hingewiesen, frühzeitig einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen, wenn sie weiterhin Bürgergeld benötige. Ein entsprechender Antrag ging beim Antragsgegner bislang noch nicht ein.
9
Die Antragstellerin beantragte sodann am 01.07.2025 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Augsburg. Die Antragstellerin haben bereits am 14.11.2024 einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen für das zweite Halbjahr 2025 gestellt. Der Antrag sei vom Antragsgegner bisher ignoriert worden.
10
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum ab dem 01.07.2025 vorläufig zu gewähren.
11
Der Antragsgegner beantragt,
den Eilantrag abzulehnen.
12
Der Antragsgegner teilt mit, dass ein entsprechender Antrag für den Zeitraum ab 01.07.2025 bei ihm noch nicht eingegangen sei. Er werde jedoch den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 01.07.2025 als formlosen Weiterbewilligungsantrag für den Zeitraum ab dem 01.07.2025 werten. Eine Überprüfung des Bürgergeldanspruches ab dem 01.07.2025 sei jedoch derzeit noch nicht möglich, da noch Unterlagen zur Bearbeitung des Antrages fehlen.
13
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen.
II.
14
1. Der Eilantrag war abzulehnen, da er keine Aussicht auf Erfolg hat.
15
Da die Antragstellerin eine Erweiterung ihrer Rechtsposition anstrebt, ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.
16
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes mit Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist) voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung).
17
Für den Eilantrag fehlt es vorliegend jedoch am Rechtsschutzbedürfnis. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, wenn die gerichtliche Eilentscheidung dem Antragsteller einen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt und der Antragsteller sein Begehren nicht auf einfachere, schnellere und billigere Art und Weise durchsetzen kann (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage 2020, § 86b Rn. 26b).
18
Am Rechtsschutzbedürfnis fehlt es grundsätzlich dann, wenn der Rechtsschutzsuchende sich nicht zuvor an die Behörde gewandt, dort einen Antrag auf die Leistung gestellt und die normale Bearbeitungszeit abgewartet hat (ganz h.M., vgl. nur Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., Stand: 22.05.2025, § 86b SGG Rn. 356 m.w.N.).
19
Vorliegend ist nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin einen Leistungsantrag beim Antragsgegner für den Zeitraum ab dem 01.07.2025 gestellt hat. Sie beantragte mit Schreiben vom 14.11.2024 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ausdrücklich für den Zeitraum ab dem 01.01.2025. Weder für den Antragsgegner noch für das Gericht ist erkennbar, dass sich dieser Leistungsantrag für den Zeitraum ab dem 01.07.2024, damit also für eine Zeit in über einem halben Jahr nach Antragstellung, beziehen soll. Zum 14.11.2024 lag noch keine Leistungsbewilligung für den Zeitraum ab dem 01.01.2025 vor. Mit Bescheiderlass vom 18.02.2025 wurden der Antragstellerin Leistungen für den Zeitraum bis 30.06.2025 bewilligt, dem Leistungsantrag wurde damit entsprochen. Für die Antragstellerin war mit Bescheiderlass vom 18.02.2025 auch offensichtlich, dass die Leistungsbewilligung bis zum 30.06.2025 zeitlich begrenzt wird. Für eine weitergehende Leistungsbewilligung war die Antragstellerin gehalten, sich rechtzeitig vor Ablauf der Bewilligung beim Antragsgegner zu melden. Sie konnte nicht davon ausgehen, dass ihr am 14.11.2024 für den ausdrücklichen Zeitraum ab 01.01.2025 gestellter Weiterbewilligungsantrag auch für den Zeitraum ab dem 01.07.2025 gewertet wird. Durch die Bewilligung von Leistungen bis 30.06.2205 fand zu diesem Zeitpunkt eine Zäsur statt, welche die Antragstellerin verpflichtete, sich rechtzeitig beim Antragsgegner mit einem Weiterbewilligungsantrag zu melden. Auch konnte der Antragsgegner zurecht nicht davon ausgehen, dass der Leistungsantrag vom 14.11.2024 für die Zeit ab 01.07.2025 gelten könnte. Vielmehr hat der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 05.05.2025 daran erinnert, dass sie – sofern sie nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes zum 30.06.2025 weiter Leistungen beziehen möchte – einen Leistungsantrag für den Zeitraum ab dem 01.07.2025 zu stellen hat. Aus diesem Schreiben war für die Antragstellerin auch eindeutig erkennbar, dass der Antragsgegner das Schreiben der Antragstellerin vom 14.11.2025 – zurecht – nicht als Leistungsantrag für den Zeitraum ab dem 01.07.2025 wertet. Die Antragstellerin hätte sich spätestens zu diesem Zeitpunkt an den Antragsgegner wenden und die Weiterbewilligung von Leistungen für den Zeitraum ab dem 01.07.2025 beantragen können.
20
Damit liegt kein Leistungsantrag der Antragstellerin beim Antragsgegner für den Zeitraum ab dem 01.07.2025 vor. Zurecht wertet der Antragsgegner den Eilantrag als erstmaligen Weiterbewilligungsantrag für den Zeitraum ab dem 01.07.2024. Nachdem dem Antragsgegner jedoch keine ausreichende Bearbeitungszeit zugestanden wurde, da dieser erstmals mit Übermittlung des Eilantrages Kenntnis vom Weiterbewilligungsantrag erhalten hat, war der Eilantrag mangels Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen. Die Antragstellerin ist an dieser Stelle gehalten, der Aufforderung zur Mitwirkung des Antragsgegners aus dem Schreiben vom 07.07.2025 nachzukommen und die noch fehlenden Unterlagen einzureichen.
21
Auch ist vorliegend eine vorherige Befassung der Behörde nicht ausnahmsweise entbehrlich (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage 2020, § 86b Rn. 26b). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner einen Leistungsantrag der Antragstellerin nicht bearbeiten würde, liegen nicht vor. Der Antragstellerin wurden zuletzt Leistungen bis Ende Juni 2025 bewilligt. Auch wurde sie mit Schreiben vom 05.05.2025 aufgefordert, einen neuen Leistungsantrag zu stellen. Damit konnte die Antragstellerin nicht davon ausgehen, dass sie mit ihrem Leistungsantrag beim Antragsgegner nichts erreichen würde und deshalb ohne seine vorherige Befassung gerichtliche Hilfe anrufen müsse.
22
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Nachdem der Eilantrag erfolglos blieb, hat der Antragsgegner auch keine Kosten zu erstatten.