Titel:
Antrag auf richterliche Gestattung einer Durchsuchung, Betreten und Durchsuchen von Wohnräumen, Sofortige vorläufige Sicherstellung von Waffen während eines noch nicht förmlich eingeleiteten Verfahrens zum Widerruf waffen- und jagdrechtlicher Erlaubnisse, Tatsachen, die die (Regel-)Unzuverlässigkeit des Waffenbesitzers begründen, verneint, Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefährdung bedeutender Rechtsgüter, Neuregelung des § 46 Abs. 4 WaffG durch das Gesetz vom 25. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 332), Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung
Normenketten:
WaffG § 46 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2
GG Art. 13
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a
Schlagworte:
Antrag auf richterliche Gestattung einer Durchsuchung, Betreten und Durchsuchen von Wohnräumen, Sofortige vorläufige Sicherstellung von Waffen während eines noch nicht förmlich eingeleiteten Verfahrens zum Widerruf waffen- und jagdrechtlicher Erlaubnisse, Tatsachen, die die (Regel-)Unzuverlässigkeit des Waffenbesitzers begründen, verneint, Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefährdung bedeutender Rechtsgüter, Neuregelung des § 46 Abs. 4 WaffG durch das Gesetz vom 25. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 332), Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25007
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 33.375,00,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die richterliche Gestattung der Durchsuchung sowohl der vom Antragsgegner gemieteten Wohnung sowie des dem Antragsgegner gehörenden Wohnhauses zum Zwecke der Sicherstellung von Waffenbesitzkarten und weiterer Dokumente sowie der jeweils beim Antragsgegner bei der Durchsuchung aufgefundenen Schusswaffen, Schusswaffenteile und Munition.
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1. Der Antragsgegner ist Inhaber von elf, zwischen dem Jahr 2004 und dem Jahr 2021 ausgestellten Waffenbesitzkarten, in die derzeit insgesamt 66 Waffen eingetragen sind. Weitere zehn vom Antragsteller erworbene und bei der Waffenbehörde angezeigte Waffen sind bisher nicht in eine Waffenbesitzkarte eingetragen. Weiter ist dem Antragsgegner ein Europäischer Feuerwaffenpass, eine Einfuhrerlaubnis und ein noch gültiger Drei-Jahres-Jagdschein ausgestellt.
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Aufgrund eines Vorfalls vom 23. April 2023 hat der Antragsteller den Erlass einer Durchsuchungsanordnung bei Gericht beantragt. Diesen Antrag hat die Kammer mit Beschluss vom 24. Mai 2023 (VG Augsburg, B.v. 24.5.2023 – Au 8 V 23.718) abgelehnt.
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Unter dem 20. Dezember 2024 hört der Antragsteller den Antragsgegner zum beabsichtigten Widerruf der erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse an. Die Anhörung soll dem Antragsgegner im Rahmen der mit der im vorliegenden Verfahren beantragten Durchsuchung der beiden Wohnanwesen ausgehändigt werden.
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Zeitgleich mit der Aushändigung der Anhörung stellt der Antragsteller mit einem unter dem Datum des 20. Dezember 2024 ausgefertigten (Entwurf des) Bescheid(s), der dem Antragsgegner ebenfalls im Rahmen der im vorliegenden Verfahren beantragten Durchsuchung ausgehändigt werden soll, die dem Antragsgegner erteilten waffen- und jagdrechtlichen Erlaubnisse (11 Waffenbesitzkarten, Europäischer Feuerwaffenpass, Drei-Jahres-Jagdschein) sofort vorläufig sicher (Ziffer 1), ebenso sämtliche im Besitz des Antragsgegners befindlichen Schusswaffen, wesentlichen Teile von Schusswaffen sowie Munition (Ziffer 2). Die vorläufige sofortige Sicherstellung wird auf sechs Monate ab der Bekanntgabe des Bescheids befristet (Ziffer 3).
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Zur Begründung des (Entwurfs des) Bescheids wird im Wesentlichen ausgeführt, dass nach einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft unter dem 20. November 2024 gegenüber dem Antragsgegner ein Strafbefehl in Höhe von 150 Tagessätzen wegen des Vorwurfs der Bedrohung und Beleidigung ergangen sei. Der Strafbefehl stütze sich auf zwei Vorgänge aus dem April und Oktober 2023. Bereits wegen dieses Widerrufsgrundes sowie aufgrund eines der Waffenbehörde bekannt gewordenen weiteren Vorfalls vom November 2024 und des amtsbekannten respektlosen Verhaltens des Antragsgegners werde davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme oder den Widerruf der waffen- und jagdrechtlichen Erlaubnisse vorlägen. Für die Dauer der Prüfung der Voraussetzungen der Rücknahme bzw. des Widerrufs könnten nach § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG die Erlaubnisurkunden sowie Waffen und Munition für die Dauer von sechs Monaten sofort vorläufig sichergestellt werden. Aufgrund der Gesamtbewertung dieser Sachverhalte lägen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass bei einem weiteren Umgang mit Waffen oder Munition durch den Antragsgegner eine Gefährdung bedeutender Rechtsgüter drohe. Es bestehe die konkrete Wahrscheinlichkeit, dass während der Dauer der Prüfung des Widerrufs ein Schaden für die geschützten Rechtsgüter entstehe.
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Auf die Begründung des Entwurfs des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
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2. Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2024, dem die Entwürfe der vorgenannten Anhörung bzw. Sicherstellungsanordnung beigefügt waren, beantragte der Antragsteller den Erlass einer gerichtlichen Durchsuchungsgestattung für die vom Antragsteller bewohnte (örtlich bezeichnete) Mietwohnung sowie des dem Antragsteller gehörenden (örtlich bezeichneten) Wohnhauses und sämtlicher jeweils dazugehöriger Nebenräume bzw. Nebengebäude zum Zwecke der Sicherstellung der waffen- und jagdrechtlichen Erlaubnisurkunden (Waffenbesitzkarten, Europäischer Feuerwaffenpass, Einfuhrerlaubnis, aktuell gültiger Jagdschein) sowie sämtlicher in den beiden Wohnanwesen befindlichen erlaubnispflichtigen Schusswaffen, Schusswaffenteile und sämtlicher Munition. Weiter wurde die Gestattung zum Öffnen von verschlossenen Türen und Behältnissen beantragt.
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Zur Begründung wurde zum Sachverhalt zunächst ausgeführt, dass nach dem die Durchsuchung des Wohnanwesens des Antragsgegners ablehnenden Beschluss vom 24. Mai 2023 davon abgesehen wurde, ein Widerrufsverfahren gegen den Antragsgegner einzuleiten. Zunächst sollten weitere Ermittlungen erfolgen, um ggf. erneut einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken. Dazu wurde der Antragsgegner unter anderem im Juli 2023 zur beabsichtigten Ablehnung des Eintrags weiterer Waffen in die Waffenbesitzkarten angehört. Der Antragsgegner äußerte sich dazu, Auffälligkeiten bei den Vorsprachen bei der Waffenbehörde seien nicht festzustellen gewesen. Im November 2023 habe die Polizei dann von einem weiteren beleidigenden und bedrohenden Verhalten des Antragsgegners, dass neben dem Vorfall vom 23. April 2023 auch zur Grundlage des Strafbefehls vom 20. November 2024 geworden sei, berichtet. Nach der Mitteilung des beabsichtigten Erlasses eines Strafbefehls im November 2024 habe die Waffenbehörde sich entschieden, nunmehr erneut die Gestattung der Durchsuchung der Wohnanwesen des Antragsgegners zu erwirken.
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Die Rechtsgrundlage für die Anordnung der Durchsuchung zur Sicherstellung ergebe sich aus § 46 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 WaffG (n.F.). Mit der gesetzlichen Neuregelung stehe es nunmehr im Ermessen der Waffenbehörde, eine sofort-vorläufige Sicherstellung von Waffen zu erwirken, sofern Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass Personen nicht die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit oder Eignung besitzen oder soweit tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch den weiteren Umgang mit Waffen oder Munition eine Gefährdung bedeutender Rechtsgüter droht. Dabei seien nach der Gesetzesbegründung für die Bejahung dieser Voraussetzungen eine Gesamtbewertung aller der Waffenbehörde bekannten Tatsachen vorzunehmen. Sollte aus dieser Gesamtbewertung der Schluss auf eine konkrete Wahrscheinlichkeit bestehen, dass während der Dauer der Prüfung des Widerrufs oder der Rücknahme der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit oder Eignung ein Schaden für geschützte Rechtsgüter eintritt, könne die sofort-vorläufige Sicherstellung verfügt werden. Aus der Gesamtbewertung der Vorfälle aus 2023 und 2024 ergäben sich für die Waffenbehörde hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Gefahr eines Schadenseintritts. Zwar sei der Strafbefehl durch das Gericht noch nicht erlassen. Die Waffenbehörde gehe aber davon aus, dass nach dem Erlass eine (Regel-)Unzuverlässigkeit des Antragsgegners i.S.v. § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a WaffG zu bejahen sei. Auch eine konkrete Wahrscheinlichkeit für einen Schusswaffeneinsatz gegenüber Personen durch den Antragsgegner sei aus den Vorfällen nicht ableitbar. Aber bereits das subjektive Bedrohungsgefühl der vom Antragsgegner aggressiv Angesprochenen reiche aus, da damit die Gefahr der Verletzung der Gesundheit dieser Personen konkret bestehe. Es sei aufgrund des Verhaltens des Antragsgegners davon auszugehen, dass dieser nicht in der Lage sei, Meinungsverschiedenheiten mit anderen Menschen auf gesittete Weise auszutragen. Die sofort-vorläufige Sicherstellung werde deshalb in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens angeordnet, um diese Gefahr während der Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen zu beseitigen. Ein milderes Mittel sei nicht erkennbar, da während des Widerrufsverfahrens eine weitere Bedrohung anderer Personen möglich sei und nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden könne.
11
Auf die Antragsbegründung wird im Einzelnen verwiesen.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Zum Verfahren beigezogen wurde die Behördenakte, die die Waffenrechtsbehörde für die Person des Antragsgegners führt.
13
Für den zulässig erhobenen Antrag auf die richterliche Gestattung der Durchsuchung der Wohn- und sonstigen Nebenräume in den beiden Wohnanwesen des Antragsgegners ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil die begehrte Gestattung einer Durchsuchung nach § 46 Abs. 5 Waffengesetz (WaffG), zuletzt geändert durch Art. 5 Nr. 11 des Gesetzes zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems vom 25. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 332), im Zusammenhang mit der Vollstreckung einer vorläufig wirkenden waffenrechtlichen Sicherstellungsanordnung im Sinne des § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG steht (vgl. VG Trier, B.v. 13.3.2012 – 1 N 261/12.TR – juris Rn. 1). Die Gestattung der Durchsuchung, die über das bloße Betreten hinausgeht und das ziel- und zweckgerichtete Suchen der Vollstreckungsorgane, die vorliegend insbesondere auch das Öffnen von verschlossenen Türen und Behältnissen umfasst, unterliegt dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG (vgl. § 46 Abs. 5 Halbsatz 2 WaffG; VG Trier, B.v. 13.3.2012 a.a.O. Rn. 2).
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Der Antrag bleibt ohne Erfolg, die Durchsuchung der (beiden) Wohnräume des Antragsgegners ist unverhältnismäßig.
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1. Die vorliegend beantragte richterliche Gestattung der Durchsuchung der beiden Wohnungen des Antragsgegners hat die verfassungsrechtlichen Grenzen des Grundrechts auf die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG zu beachten. Nach den von der Verfassung vorgegebenen Grundsätzen (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2004 – 2 BvR 2105/03 – NJW 2005, 275 f. = juris Rn. 4 ff. m.w.N.; stRspr) ist die Durchsuchung der Wohnung, die den Kern der durch das Grundgesetz geschützten Privatsphäre des Betroffenen darstellt, als schwerwiegender (Grundrechts-) Eingriff nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach richterlicher Prüfung zulässig. Dabei ist insbesondere, weil auch regelmäßig eine vorherige Anhörung des Betroffenen nicht erfolgt, zu prüfen, ob die Schwere des der Durchsuchung zugrundeliegenden Sachverhalts so bedeutend ist, dass gerade diese Zwangsmaßnahme im angeordneten Umfang notwendig ist.
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Für den Prüfungsmaßstab hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung dargelegt, dass sich die gerichtliche Beurteilung – da sich aus der Regelung in Art. 13 Abs. 2 GG neben dem Richtervorbehalt keine unmittelbaren Anhaltspunkte dafür ergeben – „in erster Linie (an) den gesetzlichen Bestimmungen, welche die Voraussetzungen für die Durchsuchung festlegen“, zu orientieren hat (BayVGH, B.v. 23.2.2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn. 25). Notwendig ist somit die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme, die im Rahmen der Durchsuchung erfolgen soll, vorliegen und ob ohne die Durchsuchung der Vollstreckungserfolg gefährdet wäre (BayVGH, B.v. 23.2.2000 a.a.O.).
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2. Unter Beachtung dieser verfassungs- und einfachrechtlichen Grundsätze gilt vorliegend das Folgende:
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a) Die Regelung in § 46 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 WaffG (n.F.), auf die vorliegend der Antragsteller den Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der beiden Wohnungen des Antragsgegners und der dazugehörigen Nebenräume und Nebengebäude auf dem jeweiligen Wohngrundstück stützt, betrifft nach dem Gesetzeswortlaut („Zum Zweck der sofortigen Sicherstellung nach Absatz 4“; § 46 Abs. 5 Halbsatz 1 WaffG) die Durchsuchung der Wohnung zum Zweck der sofortigen Sicherstellung von Urkunden, Waffen und Munition. Die danach eingeräumte Befugnis dient der unverzüglichen Wegnahme unter Begründung behördlichen Gewahrsams, vorliegend nach dem Antrag des Antragstellers zur sofortigen vorläufigen Sicherstellung nach § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG. Nach dieser Vorschrift kann die Waffenbehörde für die Dauer der Prüfung von Rücknahme oder Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse die jeweiligen Erlaubnisurkunden sowie Waffen und Munition für einen Zeitraum von sechs Monaten sofort vorläufig sicherstellen, sofern Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Erlaubnis- bzw. Waffeninhaber nicht die erforderliche Zuverlässigkeit oder Eignung (im Sinne von § 5 oder § 6 WaffG; vgl. BT-Drs. 20/13413, S. 55, zur Neuregelung des § 46 Abs. 4 WaffG) besitzt (§ 46 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 WaffG) und (sic!) soweit tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch den weiteren Umgang mit Waffen oder Munition eine Gefährdung bedeutender Rechtsgüter droht (§ 46 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 WaffG). Mit der sofortigen vorläufigen Sicherstellung soll damit schon während der (vorübergehenden) Zeit der Prüfung der Rücknahme- oder Widerrufsvoraussetzungen bei tatsachengestützten Anhaltspunkten für die konkrete Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts die Gefahr für die geschützten bedeutenden Rechtsgüter ausgeschlossen werden, soweit diese Tatsachen auch die Prognose einer Unzuverlässigkeit oder Ungeeignetheit des Waffenbesitzers begründen (vgl. BT-Drs. 20/13413, S. 55).
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b) Vorliegend dient die Durchsuchung der Vollziehung der mit Bescheid (Entwurf) vom 20. Dezember 2024 verfügten sofortigen vorläufigen Sicherstellung der dem Antragsgegner erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse und der beim Antragsgegner vorhandenen Waffen und Munition im Sinne des § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG während der Dauer des mit der Anhörung (Entwurf vom 20. Dezember 2024) gleichzeitig eingeleiteten Widerrufsverfahrens.
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Die in § 46 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 WaffG genannten Voraussetzungen müssen nach dem Gesetzeswortlaut kumulativ vorliegen.
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aa) Grundlage der Sicherstellungsanordnung ist damit zum einen, dass Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsgegner als Erlaubnisinhaber nicht die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 WaffG – die persönliche Eignung des Antragsgegners i.S.d. § 6 WaffG ist vorliegend vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogen – besitzt. Der Antragsteller gründet diese Annahme vorliegend darauf, dass gegen den Antragsgegner ein Strafbefehl in Höhe von 150 Tagessätzen ergehen soll und damit die Regelunzuverlässigkeitsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a WaffG vorliegen.
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Das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzungen ist nach dem Akteninhalt zu verneinen. Nach der Mitteilung der Staatsanwaltschaft existiert zwar ein Antrag an das Strafgericht zum Erlass des Strafbefehls. Diesem Antrag wurde durch das Gericht jedoch offensichtlich bisher weder stattgegeben, noch ist absehbar, dass der von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafbefehl überhaupt ergehen wird. Alleine die Mitteilung der Staatsanwaltschaft über den Strafbefehlsantrag stellt noch keine Tatsache dar, die die Annahme der (Regel-)Unzuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers begründet.
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bb) Die weitere, kumulativ vorliegend notwendige tatbestandliche Voraussetzung für die vorläufige Sicherstellung nach § 46 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 WaffG, dass durch den weiteren Umgang des Antragsgegners mit Waffen oder Munition eine Gefährdung erheblicher Rechtsgüter droht, stützt der Antragsteller darauf, dass nach den Erkenntnissen aus dem gegen den Antragsgegner geführten Strafverfahren die als Zeugen vernommenen Personen sich bedroht und sich damit in ihrer Gesundheit verletzt sehen.
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Dies ist vorliegend nicht in einer Art und Weise geklärt, dass daraus die hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne des § 46 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 WaffG abzuleiten sind. Denn die Frage der (strafrechtlich relevanten) Bedrohung der Zeugen, aus denen sich eine Gefahr für deren Gesundheit oder Leben ergibt, ist nach dem Vorstehenden vom Strafgericht offensichtlich bisher nicht bejaht worden. Vielmehr ergeben sich aus dem Akteninhalt Zweifel am Vorliegen einer (strafrechtlich relevanten) Bedrohung, eine – objektiv auf Tatsachen gestützte Prognose – aus dem Verhalten des Antragsgegners ableitbare Gefährdung ist damit nicht erkennbar.
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cc) Sind damit bereits beide tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG nicht gegeben, lässt sich auch aus der gesetzlichen Konzeption der Norm in der Fassung der Neuregelung vom 25. Oktober 2024 nichts Weiteres ableiten.
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Der Antragsteller weist zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 46 Abs. 4 WaffG den Waffenbehörden bei einer Gefahrenlage ein frühzeitiges Eingreifen ermöglichen will. Allerdings ist dies Eingriffsbefugnis nur dann eröffnet, wenn (objektive) Tatsachen für die Unzuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers und tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer „die konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass während der Dauer der Prüfung des Widerrufs oder der Rücknahme ein Schaden für die geschützten Rechtsgüter entsteht“ (BT-Drs. 20/13413, S. 55): Auch unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, die auch über die Erkenntnisse aus dem Strafverfahren hinausgehen (vgl. insoweit die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 20/13413, S. 55: „hat die Waffenbehörde alle ihr bekannten Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, zu berücksichtigen“), ist diese konkrete Wahrscheinlichkeit vorliegend zu verneinen. Denn der nunmehr, über die bereits im Antrag auf die Gestattung der Durchsuchung vom Mai 2023 hinaus vorgetragene Sachverhalt vom Oktober 2023, hat – bis zum vorliegenden Antrag vom Dezember 2024 – weder zur Einleitung eines Widerrufsverfahrens in der Vergangenheit geführt. Darüber hinaus lässt sich aus dem – nach dem Akteninhalt wohl bekannten – beleidigenden Auftreten des Antragsgegners keine Gefährdung von bedeutenden Rechtsgütern ableiten. Denn die über Jahre hinaus bestehenden Auseinandersetzungen mit den von dem beleidigend auftretenden Antragsgegner betroffenen Personen haben keine Erkenntnisse zu einer durch den ungesetzlichen Waffengebrauch entstehenden Gefahr erbracht. Die darüber hinaus geltend gemachten Gefahren für die Gesundheit hängen von der strafrechtlichen Relevanz des Verhaltens des Antragsgegners ab. Alleine aus den Anzeigen bzw. den Zeugeneinvernahmen lassen sich objektive Anhaltspunkte, die über das subjektive Gefühl der Beteiligten hinausgeht, nicht ableiten.
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Auch soweit der Antragsteller auf die nach der gesetzlichen Konzeption grundsätzlich risikominimierende Handhabung des Waffenrechts abstellt, ist vorliegend daraus keine weitere, die gesetzlichen Regelungen ergänzende, Befugnis ableitbar. Auch insoweit sind aufgrund des Akteninhalts und dem Gericht aus dem Antrag vom Mai 2023 bekannten Sachverhalt keine Gefährdungen bedeutender Rechtsgüter durch den Umgang des Antragsgegners mit den für ihn in die Erlaubnisurkunden eingetragenen Waffen zu bejahen. Erkenntnisse zu einer missbräuchlichen, eine Gefahr begründende Verwendung von Waffen, die durch die vorläufige sofortige Sicherstellung beseitigt werden müssten, sind nicht aktenkundig. Die Anhörung zur Ablehnung der weiteren Eintragung von vom Antragsgegner erworbenen Waffen haben nach dem Vortrag der Antragstellerseite zu einem „unauffälligen“ Verhalten des Antragsgegners geführt.
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dd) Die unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts notwendige hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit eines Fehlverhaltens des Antragsgegners, d.h. der Benutzung einer Waffe entgegen dem vom Gesetzgeber erlaubten Zweck ihres Gebrauchs mit den damit verbundenen Gefahren für bedeutende Rechtsgüter, während eines noch einzuleitenden Verfahrens zum Widerruf der erteilten Erlaubnis ist damit zu verneinen. Die aufgrund des bekannten Sachverhalt begründete Befürchtung des Missbrauchs der Waffen durch den Antragsgegner ist auf den vorhandenen Tatschengrundlagen nicht erwiesen (vgl. zum Maßstab insoweit VG Augsburg, B.v. 18.4.2018 – Au 4 V 14.1198 – Rn. 13 des BA; vgl. ausführlich etwa zuletzt OVG LSA, B.v. 12.6.2023 – 3 L 23/23.Z – juris Rn. 12; Papsthart in Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, § 5 WaffG Rn. 31). Durch die Neuregelung des § 46 Abs. 4 WaffG hat sich dieser Maßstab nicht in einer Weise geändert, dass davon abzuweichen wäre.
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c) Vor diesem Hintergrund geht das Gericht nicht davon aus, dass für den Fall, dass die Waffenrechtsbehörde ein Widerrufsverfahren einleitet bzw. die Ungültigerklärung des Jagdscheins verfolgt, der Antragsgegner nicht bereit ist, vollziehbaren behördlichen Anordnungen nachzukommen. Der Antragsgegner hat in diesen Verfahren die Möglichkeit zur Äußerung. Diese Beteiligtenrechte lassen nach dem Vorstehenden nicht darauf schließen, dass eine vorherige, mit der Durchsuchungsanordnung verfolgte sofortige vorläufige Sicherstellung von Urkunden und Waffen notwendig ist, und dass ohne diese Durchsuchung der Erfolg eines Widerrufsverfahrens gefährdet ist. Insbesondere ist es für das Gericht nicht erkennbar, dass der Antragsgegner die in seinem Besitz befindlichen Waffen einer vollziehbaren Abgabeverpflichtung entziehen könnte.
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In Abwägung mit der grundrechtlich geschützten Position des Antragsgegners ist für das Gericht die Anordnung der Durchsuchung der Wohnräume und der Nebenräume bzw. Nebengebäude auf den beiden Wohnanwesen des Antragsgegners damit unverhältnismäßig. Dass kein weniger einschneidendes Mittel, um eine mögliche Gefahr abzuwehren, besteht (vgl. zu diesem Kriterium BVerfG (Kammer), B.v. 26.10.2011 – 2 BvR 1774/10 – BVerfGK 19,167 = juris Rn. 26), ist nicht erkennbar.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die Ziffern 50.2, 20.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Unter Berücksichtigung des mit der Sicherstellung in der Folge verfolgten Widerrufs der Waffenbesitzkarten, der darin eingetragenen bzw. vom Antragsgegner im Besitz befindlichen Waffen und der Ungültigerklärung des Jagescheins ergibt sich insgesamt ein Gegenstandswert von 66.750,00,- EUR, der vorliegend halbiert worden ist.