Titel:
Eröffnungsbeschluss, Verfahrenshindernis, Eröffnungsentscheidung, Hinzuverbundene Verfahren, Willenserklärungen, Eröffnungsvoraussetzungen, BGH-Beschluss, Eröffnung des Hauptverfahrens, Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung, Verfahrensrüge, Hauptverhandlungstermin, Nicht geringe Menge, Gemeinsame Verhandlung, Beschlüsse, Pflichtverteidigerbestellung, Unerlaubte Herstellung, Kostenentscheidung, Diebstahl, Revisionsbegründung, Sachrüge
Normenkette:
StPO § 207
Leitsatz:
Alleine der Erlass eines Verbindungsbeschlusses bewirkt die Eröffnung nicht. Denn einer bloßen Verbindungsentscheidung ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen, dass das Gericht gerade hinsichtlich der übernommenen Anklage die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft und angenommen und nicht nur die – vom Verdachtsgrad unabhängige – Verbindung beschlossen hat.
Schlagworte:
Eröffnungsbeschluss, Verfahrenshindernis, Verfahrensverbindung, Hauptverhandlung, Revisionsinstanz, Gesamtstrafenausspruch
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth vom -- – 9 NBs 905 Js 141765/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 24722
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen zweier Diebstähle begangen am 12. Februar 2024 und am 23. April 2024 sowie wegen unerlaubten Herstellens von Cannabis in nicht geringer Menge begangen bis 13. Dezember 2023 (Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 13. Juni 2024 Fälle III Nr. 1, 2 und 4) verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
2. Es wird festgestellt, dass der Angeklagte mit Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 13. Juni 2024 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt worden ist.
3. Die weiter gehende Revision gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg vom 16. Dezember 2024 wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
Gründe
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Das Amtsgericht Erlangen hat mit Urteil vom 13. Juni 2024 den Angeklagten wegen Diebstahls in drei Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubtem Herstellen von Cannabis in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 16. Dezember 2024 ohne Verhandlung zur Sache nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit der auch mit der Sachrüge begründeten Revision. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt die Verwerfung der Revision als unbegründet.
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Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Verurteilung des Angeklagten kann nur insoweit Bestand haben, als er im Fall III Nr. 3 der Gründe des Urteils des Amtsgerichts Erlangen wegen Diebstahls, begangen am 4. März 2024, zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt worden ist. Im übrigen steht der Verurteilung ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis entgegen.
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1. Die Staatsanwaltschaft N-F hat gegen den Angeklagten im Verfahren 905 Js 141765/24 mit Anklageschrift vom 26. März 2024 wegen Diebstahls begangen am 4. März 2024, im Verfahren 352 Js 10800/24 mit Anklageschrift vom 13. Mai 2024 wegen unerlaubten Herstellens von Cannabis in nicht geringer Menge im Zeitraum bis zum 13. Dezember 2023 und im Verfahren 905 Js 143005/24 mit Anklageschrift vom 28. Mai 2024 wegen zweier Diebstähle begangen am 12. Februar 2024 und am 23. April 2024 jeweils Anklage zum Amtsgericht Erlangen – Strafrichter – erhoben. Bezüglich der Tat vom 4. März 2024 (Az. 905 Js 141765/24) hat das Amtsgericht Erlangen mit schriftlich gefasstem Beschluss vom 8. Mai 2024 die Anklage der Staatsanwaltschaft N-F vom 26. März 2024 zur Hauptverhandlung zugelassen. Mit Beschluss vom 28. Mai 2024 hat es desweiteren die Verbindung des führenden Verfahrens 4 Ds 905 Js 141765/24 und des Verfahrens 4 DS 352 Js 10800/24 und in einem weiteren Beschluss vom 10. Juni 2024 die Verbindung des führenden Verfahrens 4 Ds 905 Js 141765/24 und des Verfahrens 4 Ds 905 Js 143005/24 jeweils zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung schriftlich beschlossen. Eine gesonderte schriftliche Eröffnungsentscheidung hat es nicht getroffen. Im Hauptverhandlungstermin am 13. Juni 2024 vor dem Amtsgericht Erlangen hat der Vorsitzende festgestellt, dass die Anklage vom 26. März 2024 mit Eröffnungsbeschluss vom 8. Mai 2024 zur Hauptverhandlung zulassen und das Hauptverfahren eröffnet worden ist. Ergänzend hat er festgestellt, dass mit Beschlüssen vom 28. Mai 2024 und vom 10. Juni 2024 die beiden Verfahren 4 DS 352 Js 10800/24 und 4 Ds 905 Js 143005/24 zum führenden Verfahren hinzuverbunden worden sind. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat ausweislich der Sitzungsniederschrift einen Anklagesatz verlesen. Im weiteren Verlauf des Hauptverhandlungstermins hat der Vorsitzende bezüglich der hinzu verbundenen Verfahren keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nachgeholt.
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2. Die Verurteilung in den Fällen III. Nr. 1., 2 und 4 der Urteilsgründe des Urteils des Amtsgerichts Erlangen hat keinen Bestand, weil insoweit ein von Amts wegen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 2 StR 528/23 –, juris), auch für den Fall der Beschränkung des Rechtsmittels (vgl. Schmitt in Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 337 Rn. 5) und der Berufungsverwerfung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2000 – 2 StR 56/00 –, BGHSt 46, 230-238) zu beachtendes Verfahrenshindernis besteht. Es fehlt in den vorbezeichneten Fällen ungeachtet der Verfahrensverbindung an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss.
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a. Grundsätzlich hat das Gericht aus Gründen der Rechtsklarheit nach §§ 203, 207 StPO ausdrücklich und schriftlich über die Eröffnung hinsichtlich jeder einzelnen Anklage zu entscheiden; im Einzelfall kann jedoch zur Eröffnung des Hauptverfahrens die schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen, genügen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2024 – 4 StR 383/24 –, juris; BGH, Beschluss vom 5. August 2020 – 3 StR 194/20 –, juris; BGH, Beschluss vom 16. August 2017 – 2 StR 199/17 –, juris Rn. 6 m.w.N.; Wenske in MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, § 207 Rn. 26-27; Schneider in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 207 Rn. 17; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 207 Rn. 54). Im Hinblick auf die Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses als Grundlage des Hauptverfahrens bedarf es regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist es erforderlich, dass die Urkunde aus sich heraus und in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass die zuständigen Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen haben (BGH, Beschluss vom 16. August 2017 – 2 StR 199/17 –, juris Rn. 6 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16 –, juris Rn. 8; Wenske a.a.O. § 207 Rn. 26; Schneider a.a.O. § 207 Rn. 17 m.w.N.). Erforderlich für die Annahme einer – konkludenten – Eröffnungsentscheidung ist, dass dem auszulegenden richterlichen Willensakt ausreichend deutlich eine Auseinandersetzung mit dem hinreichenden Tatverdacht betreffend sämtliche Taten entnommen werden kann und erkennbar wird, dass das Gericht diesen Verdachtsgrad angenommen sowie die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Sicherheit beschlossen hat (Schneider a.a.O. § 207 Rn. 17; Wenske a.a.O. § 207 Rn. 26; BGH, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 StR 606/97 –, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 9. Januar 1987 – 3 StR 601/86 –, juris Rn. 2).
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b. Danach bewirkt nach gefestigter Rechtsprechung alleine der Erlass eines Verbindungsbeschlusses die Eröffnung nicht (vgl. Wenske a.a.O. § 207 Rn. 29; Schmitt a.a.O. § 207 Rn. 8 m.w.N.); dies gilt auch, wenn das führende Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits eröffnet ist oder zugleich eröffnet wird (BGH, Beschluss vom 5. August 2020 – 3 StR 194/20 –, juris; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – 4 StR 167/24 –, juris Rn. 3, 7; BGH, Beschluss vom 30. Januar 2024 – 5 StR 577/23 –, juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 16. August 2017 – 2 StR 199/17 –, juris Rn. 7 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 9. Januar 1987 – 3 StR 601/86 –, juris Rn. 2; BGH, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 StR 606/97 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 24. September 2013 – III-3 RVs 66/13 –, juris; OLG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2015 – III-1 RVs 3/15 –, juris Rn. 19; Wenske a.a.O. § 207 Rn. 29, 30). Denn einer bloßen Verbindungsentscheidung ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen, dass das Gericht gerade hinsichtlich der übernommenen Anklage die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft und angenommen und nicht nur die – vom Verdachtsgrad unabhängige – Verbindung beschlossen hat (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 24. September 2013 – III-3 RVs 66/13 –, juris).
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c. Soweit einzelne Oberlandesgerichte in der Vergangenheit eine konkludente Eröffnungsentscheidung angenommen haben, wenn der Tatrichter die Verbindung eines nicht eröffneten Verfahrens zu einem bereits eröffneten Verfahren “zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung“ angeordnet hat (so Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 4. April 2019 – 2 Rev 7/19 –, juris Rn. 18; ihm folgend OLG München, Beschluss vom 26. Mai 2023 – 2 Ws 357/23 –, juris Rn. 17, entgegen OLG Hamm, Beschluss vom 24. September 2013 – III-3 RVs 66/13 –, juris), ist dieser Auffassung nicht zu folgen. Der Bundesgerichtshof hat nämlich für die Konstellationen einer Verbindung „zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung“ zu einem gesondert eröffneten Verfahren bereits mehrfach entschieden, dass einem derartigen Beschluss kein maßgeblicher Erklärungswert bezüglich der Eröffnung des hinzu verbundenen Verfahrens zukommt (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – 4 StR 167/24 –, juris, Rn. 3, 7; BGH, Beschluss vom 30. Januar 2024 – 5 StR 577/23 –, juris Rn. 3 und 4; BGH, Beschluss vom 16. August 2017 – 2 StR 199/17 –, juris Rn. 4, 5; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 StR 606/97 –, juris Rn. 7, 8). Die genannte Formulierung dient, zumal wenn der Verbindungsbeschluss – wie im vorliegenden Fall – keine konkreten Normen aufführt, lediglich der Abgrenzung der sogenannten verschmelzenden Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (zu der die oben genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs jeweils ergangen sind) zur Verbindung von Verfahren nur zur gemeinsamen Verhandlung nach § 237 StPO, bei der die Verfahren selbständig bleiben und ihren eigenen Gesetzen folgen (vgl. Arnoldi in MüKoStPO, a.a.O. § 237 Rn. 10). Einer Verbindungsentscheidung nach § 237 StPO kann bereits wegen der fortdauernden Selbstständigkeit der Verfahren keine schlüssige Eröffnungsentscheidung entnommen werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 5. Mai 1965 – 2 StR 66/65 –, BGHSt 20, 219-222, juris, insb. Rn. 10, wonach eine Entscheidung nach § 237 StPO der gesondert zu ergehenden Eröffnungsentscheidung vorgelagert sein kann). Aus der Entscheidung, ein anhängiges Strafverfahren zu einem bereits eröffneten Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden, lässt sich die für die Eröffnungsentscheidung unerlässliche Prüfung des Tatverdachts somit grundsätzlich nicht ableiten.
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d. Auch einer Pflichtverteidigerbestellung (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2015 – III-1 RVs 3/15 –, juris Rn. 19) oder einer Terminierungs- und Ladungsverfügung durch den Vorsitzenden kann keine Entscheidung über die Eröffnung entnommen werden (vgl. Wenske a.a.O. § 207 Rn. 28 m.w.N.; Schmitt a.a.O. § 207 Rn. 8 m.w.N.).
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3. Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses stellt ein in der Revisionsinstanz nicht behebbares Verfahrenshindernis dar, das hier zur teilweisen Einstellung des gerichtlichen Verfahrens nach § 206a StPO (Schmitt a.a.O. § 203 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 16. August 2017 – 2 StR 199/17 –, juris Rn. 10) mit der Kostenfolge gemäß § 467 Abs. 1 StPO führt.
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4. Bezüglich der Verurteilung wegen des Diebstahls am 4. März 2024 erweist sich die Sachrüge als unbegründet und die Verfahrensrüge als unzulässig. Die Sachrüge bleibt erfolglos, da insoweit die Verfahrensvoraussetzungen vorliegen. Für eine zulässige Verfahrensrüge der Verletzung von § 329 StPO hätte es in der Rechtfertigungsschrift nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO so vollständiger und genauer Ausführungen zur Tatsachengrundlage bedurft, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung und des Urteils prüfen kann, ob diese Rüge begründet ist, sofern die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. Eschelbach in BeckOK StPO, 55. Ed. 1.4.2025, StPO § 329 Rn. 67 m.w.N.). Für die zulässige Rüge des Eingreifens eines Entschuldigungsgrundes hätte der Angeklagte zumindest den Inhalt des Verlegungsgesuches des Verteidigers und seinen eigenen Kenntnisstand am Tage der Hauptverhandlung vortragen müssen (vgl. zu einer Auskunft des Verteidigers, der Termin sei aufgehoben etwa BayObLG, Beschluss vom 17. Juni 1997 – 2 St RR 123/97-, NStZ-RR 1997, 339; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Februar 2010 – 3 Ws 51/10 BeckRS 2010, 10781). Dieser Vortragspflicht ist die Revision nicht nachgekommen. Entgegen der Rechtsauffassung des Verteidigers entschuldigt allein das Stellen eines Verlegungsgesuchs durch einen Pflichtverteidiger nicht ohne weiteres das Fernbleiben des Angeklagten zum Termin (zu Rechtsirrtümern vgl. Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 329 Rn. 40).
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5. Nach der teilweisen Einstellung des Verfahrens in der Revisionsinstanz bedarf es keiner Aufhebung des Urteils der ersten Instanz (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2015 – III-1 RVs 3/15 –, juris Rn. 21 m.w.N.). Durch die teilweise Verfahrenseinstellung verliert der Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage. Auch die Einziehungsentscheidung des Amtsgerichts gerät in Wegfall. Der Senat hat zur Klarstellung den Umfang der verbleibenden amtsgerichtlichen Verurteilung bestimmt. Die Kostenentscheidung insoweit folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.