Titel:
Zur Verwertung eines im Strafverfahren abgegebenen Geständnisses im Schadensersatzprozess
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1
ZPO § 286
StPO § 136a
Leitsätze:
Zum Beweiswert eines im Ermittlungsverfahren abgegebenen und als falsch widerrufenen Geständnisses im Zivilprozess. (Rn. 67 – 72)
1. Ein im Rahmen eines Strafverfahrens abgegebenes Geständnis kann als Urkundsbeweis in das Zivilverfahren eingeführt und sodann bei der Beweiswürdigung vollumfänglich berücksichtigt werden. (Rn. 50 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein im Strafverfahren abgelegtes Geständnis entfaltet im Zivilprozess nicht die Wirkungen der §§ 288, 290 ZPO, sondern ist lediglich im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO als Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen zu berücksichtigen. (Rn. 68 – 70) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es entspricht gesicherten Erfahrungssätzen, dass Vernehmungsdruck – auch jenseits verbotener Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO) – zu falschen Geständnissen führen kann, wenn die Vernehmung für den Betroffenen eine belastende und spannungsgeladene Ausnahmesituation darstellt (hier angenommen). (Rn. 72 und 73 – 94) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafverfahren, falsches Geständnis, Widerruf, sekundäre Darlegungslast, Beweiswert, Vernehmungsdruck, Täterwissen, Geständnis, Urkundsbeweis, Schadensersatz, Zivilverfahren, Beweiswürdigung
Vorinstanz:
LG Hof, Endurteil vom 22.05.2024 – 24 O 346/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 24556
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 22.05.2024, Az. 24 O 346/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Hof ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus den Urteilen vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schmerzensgeld im Umfang von mindestens 75.000 € mit der Behauptung, er habe den Leichnam ihrer Tochter in ein Waldstück verbracht und ihr den Tod ihrer Tochter nicht offenbart, wodurch sie erhebliche psychische und körperliche Beschwerden erlitten habe.
2
1. Die Klägerin ist die Mutter der am Montag, den 07.05.2001, im Alter von neun Jahren verschwundenen P. aus A., Landkreis Hof. Das Kind wurde zuletzt von mehreren Zeugen gegen 13:24 Uhr am …-Platz in A. lebend gesehen.
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Die Staatsanwaltschaft H. führte, ohne dass der Leichnam des Kindes bis dahin aufgefunden worden wäre, unter dem Az. 31 Js 15086/01 ein Ermittlungsverfahren, das mit Anklageerhebung gegen K. wegen Mordes endete. Nach einem Indizienprozess wurde K. mit Urteil des Landgerichts Hof vom 30.04.2004 wegen Mordes zum Nachteil von P. zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig ordnete das Gericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern an. Am 09.12.2013 verfügte das Landgericht Bayreuth die Wiederaufnahme des Verfahrens, hob mit Urteil vom 14.05.2014 das Urteil des Landgerichts Hof aus dem Jahre 2004 auf, soweit K. wegen Mordes verurteilt worden war, und sprach ihn insoweit frei. Der Freispruch ist rechtskräftig.
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Im Sommer 2016 fand ein Pilzsammler in einem Waldstück in der Nähe von B. in Th. (ca. 16 km von A. entfernt) Teile der sterblichen Überreste des Kindes.
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Es begannen erneut intensive Ermittlungsmaßnahmen, um das Verbrechen zum Nachteil des Kindes aufzuklären, was u. a. zu einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft B. gegen den Beklagten führte (Az. 120 Js 3120/18). Am 12.09.2018 vernahm ihn die Polizei als Beschuldigten. Der Beklagte gab in dieser Vernehmung an, den leblosen Körper des Kindes am 07.05.2001 in einem Bushäuschen in A. von K. übernommen, in ein Waldstück verbracht und dort abgelegt zu haben. Diese Angaben hielten die ermittelnden Beamten der KPI B. in einem Aktenvermerk vom 05.12.2018 auszugsweise fest (Anlage K7).
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Unter dem 10.12.2018 erließ das Amtsgericht Bayreuth Haftbefehl gegen den Beklagten (Anlage K5). Dieser Haftbefehl legte ihm zur Last, er sei am 07.05.2001 gegen 13:24 Uhr im Ortszentrum von A. auf P. getroffen und habe sie zwischen 13:24 Uhr und 15:17 Uhr im Bereich A./B. getötet, um ein an ihr begangenes Sexualdelikt zu verdecken. Anschließend habe er den Leichnam des Kindes in den Wald bei B. gebracht.
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Am Tag nach seiner Festnahme, dem 11.12.2018, widerrief der Beklagte vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Bayreuth sein in der Vernehmung vom 12.09.2018 abgegebenes Teil-Geständnis. Er legte gegen den Haftbefehl Beschwerde ein, woraufhin das Amtsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 24.12.2018 (Anlage B4) den Haftbefehl aufhob. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aufhebung des Haftbefehls wies das Landgericht Bayreuth mit Beschluss vom 13.02.2019 (Anlage K6) zurück. Es begründete seine Entscheidung damit, dass das Geständnis des Beklagten vom 12.09.2018 zwar gegen ihn verwendet werden könne, ein dringender Verdacht für eine Beteiligung des Beklagten an der Ermordung des Kindes aber nicht bestehe. Allerdings führte das Landgericht im Beschluss vom 13.02.2019 auch aus:
„Ein dringender Tatverdacht im Sinne einer hohen Wahrscheinlichkeit besteht hinsichtlich einer Beteiligung des Beschuldigten in Form der Verbringung der (zunächst wohl bewusstlosen) P. zum Ablageort. Dieser ergibt sich aus dem verwertbaren Teilgeständnis des Beschuldigten vom 12.09.2018, an dem nach dem Aussageverhalten des Beschuldigten, seiner Mimik und Körpersprache und nach dem offenbarten Täterwissen in weiten Teilen kein Zweifel besteht. [ …]“
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Mit Verfügung vom 16.10.2020 stellte die Staatsanwaltschaft B. das Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten ein.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, dass aus dem Geständnis des Beklagten vom 12.09.2018 hervorgehe, dass er zeitnah nach P.s Verschwinden Kenntnis davon gehabt habe, wo sich ihre sterblichen Überreste befänden. Der Beklagte habe ihr daher bereits im Jahre 2001 Gewissheit über den Tod ihrer Tochter geben können.
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Weil der Beklagte ihr diesen bewusst verschwiegen habe und weil er den Leichnam allein in ein Waldstück verbracht habe, sei er maßgeblich dafür verantwortlich, dass sie sich 15 Jahre mit Hoffnung, Sorge und Angst habe quälen müssen, was mit ihrem Kind geschehen sei, wo es sich befinde und was ihm gerade passieren könne. Sie sei dadurch nicht in der Lage gewesen, mit den Geschehnissen ordentlich abzuschließen und ihr Trauma zu bewältigen. Sie sei bis zum Auffinden der sterblichen Überreste ihrer Tochter auch massiven Angriffen aus der Öffentlichkeit und sogar einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt gewesen. Es sei im Laufe der Jahre immer wieder, z. B. in Internetforen, der Verdacht geäußert worden, sie selbst habe etwas mit dem Verschwinden ihrer Tochter zu tun. Die psychischen Belastungen seien erheblich verstärkt worden, als im Jahr 2006 der Fall der N. K. bekannt geworden sei. Wegen der massiven psychischen Belastungen (Schlaflosigkeit, Depressionen, Angstzustände, Schweißausbrüche, Rückzug aus der Öffentlichkeit, Empfinden einer inneren Leere und Unruhe) habe sie sich zunächst nach dem Verschwinden ihrer Tochter für mehrere Wochen ab dem 11.05.2001 in einer therapeutischen Einrichtung und später in psychiatrischer Behandlung befunden, die mit Unterbrechungen seit 2014 regelmäßig fortgeführt werde.
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Sie leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an Depressionen, die auch seit 2001 medikamentös behandelt würden. Die Angstzustände, die bereits mit dem Verschwinden ihres Kindes am 07.05.2001 begonnenen hätten, hätten sich von Mal zu Mal verstärkt und im Jahre 2006 zu einer Tachykardie – einer Erkrankung des Herzens – geführt, die fortbestehe. Mit dem Auffinden der sterblichen Überreste ihres Kindes im Jahre 2016 und der massiven Zunahme der Berichterstattung in den Medien seien ihre Angstzustände wieder akuter worden. Erst ab dem Jahre 2016 habe mit der eigentlichen psychologischen Aufarbeitung begonnen werden können.
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Der Beklagte habe diese psychischen und physischen Beschwerden bei ihr verursacht, weil er das Kind in den Wald verbracht und nicht mitgeteilt habe, wo sich die sterblichen Überreste befänden. Der Beklagte habe diese Folgen billigend in Kauf genommen. Wäre das Kind früher den Ermittlungsbehörden übergeben worden, so hätten diese frühzeitig umfangreich ermitteln können, so dass auch wesentlich früher Ruhe in den Ort A. eingekehrt wäre.
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Sie habe erst nach Erlass des Beschlusses des Landgerichts Bayreuth am 13.02.2019 und nach der Akteneinsicht im Jahre 2019 durch ihre Prozessbevollmächtigte Kenntnis davon erlangt, dass der Beklagte für die Verbringung der sterblichen Überreste ihrer Tochter verantwortlich sei.
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Durch sein Verhalten habe der Beklagte sich wegen einer Störung der Totenruhe gemäß § 168 StGB strafbar gemacht. Dieses Handeln des Beklagten sei ursächlich für ihre seelischen Schmerzen und psychischen Qualen geworden. Es stehe ihr daher aus § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 BGB, § 253 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Für den dauerhaften psychischen Stress über mehr als 15 Jahre sei ein Schmerzensgeld von mindestens 75.000,00 € (15 Jahre à 5.000,00 €) angemessen.
15
Die Klägerin hat vor dem Landgericht beantragt,
Die beklagte Partei wird verurteilt, an die klägerische Partei ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichtes gestelltes Schmerzensgeld mindestens 75.000,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Der Beklagte hat bestritten, dass er den Leichnam der Tochter der Klägerin übernommen und weggeschafft habe. Er habe lediglich unter dem Druck der Ermittler gestanden, dass er die Leiche des Kindes in den Wald verbracht habe. Das Geständnis sei in vollem Umfang falsch. Unterstelle man, dass es verwertbar und wahr sei, so erschließe sich nicht, woraus sich für ihn eine Selbstanzeigepflicht gegenüber der Klägerin ergeben solle. Eine Rechtsverletzung oder ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz seien nicht ersichtlich.
18
Er hat weiter geltend gemacht, dass das von der Klägerin beantragte Schmerzensgeld jedenfalls bei weitem überhöht angesetzt sei, und bestritten, dass die gesundheitlichen Folgen für die Klägerin dadurch verschlimmert worden sein könnten, dass sie nicht unmittelbar nach dem Verschwinden des Kindes von dessen Tod erfahren habe.
19
Außerdem hat der Beklagte geltend gemacht, dass ein Anspruch der Klägerin jedenfalls verjährt oder verwirkt sei.
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Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
21
2. Das Landgericht hat die Ermittlungsakte aus dem Verfahren 120 Js 3120/18 beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 18.04.2024 gemacht. Außerdem hat es die Parteien in der Verhandlung informatorisch angehört (Bl. 74 d. LGA.). Mit Endurteil vom 22.05.2024 (Bl. 80 d. LGA.) hat es die Klage vollständig als unbegründet abgewiesen und zwar im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:
22
a) Ein haftungsbegründender Sachverhalt sei nicht nachgewiesen, da die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht den Beweis habe führen können, dass der Beklagte die Leiche ihrer Tochter tatsächlich aus A. weggebracht und im Wald abgelegt habe.
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aa) Die in Bezug genommenen Urkunden (Haftbefehl des Amtsgerichts Bayreuth vom 10.12.2018, [Anlage K5], Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Bayreuth vom 13.02.2019 [Anlage K6] und polizeilicher Aktenvermerk vom 05.12.2018 [Anlage K7]) stellten zwar öffentliche Urkunden i. S. v. §§ 415 ff. ZPO dar. Diese erbrächten jedoch weder nach § 415 ZPO (Erklärungsurkunden) noch nach § 417 ZPO (bewirkende Urkunden) oder § 418 ZPO (Zeugnisurkunden) Beweis für die inhaltliche Richtigkeit ihrer Begründungen bzw. für die Wahrheit der Angaben des Beklagten.
24
Der polizeiliche Aktenvermerk (Anlage K7) begründe nach § 415 Abs. 1 ZPO nur den Beweis dafür, dass die Aussagen des Beklagten im Aktenvermerk, der auf die Beschuldigtenvernehmung vom 12.09.2018 Bezug nehme, richtig wiedergegeben seien. Dies sei ohnehin vom Beklagten aber nicht bestritten worden. Für die Frage, ob die protokollierten Aussagen auch den tatsächlichen Begebenheiten am 07.05.2001 entsprächen, gelte aber § 286 ZPO (S. 9 d. LGU.).
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Der Haftbefehl (Anlage K5) und die Beschwerdeentscheidung (Anlage K6) stellten öffentliche Urkunden i. S. d. § 417 ZPO dar. Sie bewiesen, dass die gerichtlichen Anordnungen tatsächlich getroffen worden, nicht aber, dass die in diesen Urkunden beschriebenen Umstände und Entscheidungsgründe sachlich richtig seien, wofür wiederum § 286 ZPO gelte (S. 9 f. d. LGU.). Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die vorgenannten gerichtlichen Entscheidungen auch § 418 ZPO unterfallen würden, begründeten diese ebenfalls keinen Beweis dafür, dass der in ihnen beschriebene Sachverhalt tatsächlich der Wahrheit entspreche. Dies ergebe sich schon daraus, dass beide Dokumente nur die Beschreibung eines (dringenden) Tatverdachts und nicht einer Überzeugung des Gerichts enthielten, dass die dort beschriebenen Geschehnisse tatsächlich stattgefunden hätten. Auch der Einschätzung des Landgerichts Bayreuth, dass die Angaben des Beklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 12.09.2018 verwertbar seien, komme keine Beweiskraft nach § 418 ZPO für die Wahrheit des darin wiedergegebenen und von der Klägerin im Rechtsstreit behaupteten Geschehensablaufs am 07.05.2001 zu (S. 10 f. d. LGU.).
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bb) Nach § 286 ZPO sei nicht nachweisbar, dass der Beklagte die Leiche der Tochter der Klägerin übernommen und im Wald abgelegt habe (S. 11 d. LGU.).
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Ein Indiz für die Richtigkeit der Behauptung der Klägerin ergebe sich zwar aus den Angaben des Beklagten in seiner Vernehmung am 12.09.2018, nämlich dass er in seinem Auto von K. am Bushäuschen in der C.-straße in A. angehalten worden sei, dort P.s leblosen Körper vorgefunden, eine Reanimation durch Mund-zu-Mund-Beatmung erfolglos versucht habe, von K. unter Druck gesetzt worden sei, das Kind in eine rote Decke eingewickelt und in den Kofferraum seines Autos gebracht habe, in den Wald gefahren sei, sodann den Leichnam mitsamt Decke aus dem Kofferraum entnommen, in den Wald hineingetragen und dort abgelegt habe (S. 11 f. d. LGU.). Die Angaben seien teils detailliert erfolgt (Wortlaut, mit dem K. den Beklagten angehalten habe; rote Decke, die zuvor in der Vernehmung nicht erwähnt worden sei). Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte dieses Geständnis widerrufen habe. Diesen Widerruf habe der Beklagte plausibel damit begründet, dass er bei seiner fast zehnstündigen Vernehmung einem immensen – wenn auch möglicherweise gesetzlich zulässigen – Druck der Ermittler ausgesetzt gewesen sei und deshalb eine falsche Geschichte erzählt habe. Ein derartiger zulässiger, aber vom Beklagten als erheblich empfundener Befragungsdruck könne nicht ausgeschlossen werden. Dass dieser zu falschen Geständnissen führen könne, weil der Aussagende dem Erwartungsdruck der Vernehmungspersonen genügen und sich unangenehmen Situationen entziehen wolle, sei ein allgemein bekanntes Phänomen, das auch im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden könne (S. 12 f. d. LGU.).
28
Die Klägerin habe auch die Behauptung des Beklagten nicht bestritten, dass er schon am Vernehmungstag seiner Frau mitgeteilt habe, er habe nur irgendeine Geschichte erzählt, und dass er auch tags darauf am 13.09.2018 über seinen Rechtsanwalt einen Widerruf des Geständnisses habe herbeiführen wollen, da er sich in der Vernehmung nicht anders zu helfen gewusst habe, als irgendeine Geschichte zu erzählen. Auch sei unstreitig geblieben, dass ihm sein Verteidiger von einem vorschnellen Widerruf abgeraten habe und der Widerruf erst aus dem konkreten Anlass der Inhaftierung heraus erfolgt sei. Auch wenn als Grund für den Widerruf Geständnisreue nicht ausgeschlossen werden könne, so erscheine es doch nach dem tatsächlichen Ablauf möglich, dass sich der Beklagte die Einlassung tatsächlich in der von ihm als Drucksituation empfundenen mehrstündigen Vernehmung nur ausgedacht habe (S. 13 f. d. LGU.).
29
Diese Zweifel an der Wahrheit der Beschuldigtenangaben des Beklagten würden durch weitere Gesichtspunkte gestützt:
30
Bei Beginn seiner Vernehmung habe der Beklagte wiederholt darauf verwiesen, dass er sich nicht erinnern könne und habe jede Beteiligung an der Tötung und Verbringung der Leiche abgestritten. Sodann habe er aber erwogen, eine Geschichte zu erfinden, damit er seine Ruhe habe. Er habe dann im Konjunktiv eine mögliche Tatbeteiligung skizziert, bevor er dann ab ca. 14.35 Uhr das Geschehen so wiedergegeben habe, wie es auch in der Klageschrift unter Bezugnahme auf den Aktenvermerk vom 05.12.2018 dargestellt sei. Gegen Ende seiner Vernehmung habe der Beklagte aber wieder geäußert, dass er sich die „Story“ nur ausgedacht habe. Hieraus ließen sich gewisse Zweifel daran ableiten, dass die Aussage des Beklagten auf seinen tatsächlichen Erinnerungen beruhe (S. 14 f. d. LGU.). Für ein erfundenes Geständnis sprächen insbesondere die Angaben in Bezug auf P. Schuhe, die tatsächlich ca. 15 m vom Fundort der Leiche entfernt unter einem Baumstumpf gefunden worden seien. Diese wollte der Beklagte mitsamt dem Schulranzen verbrannt haben, habe sodann aber auf Nachfragen angegeben, dass er sich nicht sicher sei, was mit den Schuhen geschehen sei. Nach Vorhalt, dass man die Schuhe gefunden habe, habe der Beklagte auf Nachfragen zum Fundort angegeben, dass diese möglicherweise in einem Container gefunden worden sein könnten. Er wisse nicht, was mit den Schuhen gewesen sei. Der Beklagte habe also nachweislich falsche Angaben in seiner Vernehmung gemacht, um der Polizei eine Antwort präsentieren zu können (S. 16 f. d. LGU.).
31
Die Annahme, dass der Beklagte spezifisches Täterwissen in seiner Vernehmung preisgegeben habe (Übernahme am Bushäuschen, rote Decke für Transport der Leiche), sei – mangels Originalität und Einzigartigkeit seiner Angaben – nicht zwingend. An verschiedenen Stellen seien seine Angaben zudem auffällig lückenhaft und oberflächlich gewesen, z. B. zur Frage nach dem Inhalt des Schulranzens. Den Weg zum aus der Presseberichterstattung bekannten und ihm auch seit Beginn der Vernehmung genannten Auffindeort habe er außerdem nur rudimentär beschreiben können (S. 17. f. d. LGU). Auch das vom Beklagten geschilderte mehrminütige Geschehen am Bushäuschen sei schon nach den polizeilichen Ermittlungen als widerlegt anzusehen gewesen. Genauso sei die vom Beklagten geäußerte Motivlage für die Leichenverbringung nach Wertung der Ermittlungsbehörden „unschlüssig und unglaubwürdig“ gewesen. Diese Zweifel teile das Landgericht, so dass die Angaben des Beklagten vom 12.09.2018 insgesamt in Frage zu stellen seien. An vorhergehende Bewertungen des Amts- und Landgerichts Bayreuth, insbesondere zur Verwertbarkeit des Geständnisses des Beklagten, sei das entscheidende Gericht nicht gebunden, zumal auch diese Bewertung nicht bedeute, dass die Einlassung des Beklagten richtig gewesen sei (S. 18 ff. d. LGU.).
32
Es verblieben damit erhebliche Zweifel auch an der Richtigkeit der Behauptungen der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit. Einer Einvernahme der Vernehmungsbeamten habe es nicht bedurft. Diese hätten ebenfalls nur das wiedergeben können, was der Beklagte in seiner Vernehmung am 12.09.2018, die in der Ermittlungsakte dokumentiert sei, gesagt habe. Die Vernehmung der Zeugen sei deshalb nicht geeignet gewesen, weitere Aufklärung zu bringen.
33
Das Fehlen eindeutiger objektiver Beweise führe dazu, dass auch im vorliegenden Zivilverfahren eine definitive Klärung der Geschehnisse nicht herbeigeführt werden könne (S. 20 d. LGU.).
34
b) Auch die rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruches lägen nicht vor.
35
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 168 StGB (Störung der Totenruhe) scheide aus, da es an einer Wegnahme des Leichnams aus dem Gewahrsam des Berechtigten fehle. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 258 Abs. 1 StGB (Strafvereitelung) scheitere schon daran, dass § 258 Abs. 1 StGB nicht dem Individualschutz diene.
36
Auch aus § 823 Abs. 1 BGB ergebe sich kein Anspruch der Klägerin, weil sie sich im Kern auf ein Unterlassen des Beklagten stütze, Voraussetzung für eine Haftung dann aber die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht oder einer Garantenstellung sei. Beides sei nicht gegeben. Ein Schmerzensgeldanspruch lasse sich auch nicht über die Rechtsfigur des sog. Schockschadens begründen.
37
Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
38
3. Gegen dieses, der Klägerin am 22.05.2024 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit taggleich eingegangenem Schriftsatz vom 24.06.2024 Berufung eingelegt, die sie nach entsprechender Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 23.09.2024 im Wesentlichen unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens wie folgt begründet hat:
39
Das Landgericht hätte im Rahmen des § 286 ZPO eine umfassende eigene Beweiswürdigung mit ergänzender Beweisaufnahme insbesondere zum Druck in der Vernehmungssituation und für die Gründe des Widerrufs des Geständnisses, die das Gericht aus der informatorischen Anhörung des Beklagten entnommen habe, vornehmen müssen. Es hätte das Video der Vernehmung in Augenschein nehmen müssen und die ermittelnden Polizeibeamten, die die Klägerin auch zur Widerlegung der Drucksituation als Beweis angeboten habe, vernehmen müssen. Es stelle bei einem zivilgerichtlichen Urteil, das ausschließlich auf Erkenntnissen eines Strafverfahrens basiere, einen Verfahrensfehler (Grundsätze der freien Beweiswürdigung, Verstoß gegen das rechtliche Gehör) dar, wenn diese Erkenntnisse in den Zivilprozess nicht ordnungsgemäß eingeführt würden (S. 12 ff. d. BB.). Das Gericht habe auch die Angaben zum Täterwissen und zur vermeintlichen Drucksituation hinterfragen und eigenständig auf ihren „rechtlichen Wahrheitsgehalt“ prüfen müssen. Insbesondere habe sich das Gericht mit der guten Beschreibung des Beklagten zu der Fahrstrecke zum Ablageort, dem Baumbestand (halbhohe Fichten) und der Befahrbarkeit des Wegs am Ablageort, der Ablagesituation des Leichnams (rechte Körperseite, keine Maßnahmen zur Verschleierung des Fundorts) und den Kleidungsstücken (insbesondere keine Schuhe) auseinandersetzen müssen (S. 16 f. d. BB.). Der Beklagte habe am Ende seiner Vernehmung auch angegeben, dass sich die Vernehmungsbeamten korrekt verhalten hätten, was ebenfalls nicht den Schluss zulasse, er habe sämtliche Angaben nur erfunden.
40
Weiter macht die Klägerin geltend, dass ihre Ansprüche auch aus Rechtsgründen nicht scheitern würden, und trägt dazu unter anderem vor, dass jedenfalls eine Schockschadensersatzpflicht unabhängig von der ursprünglichen Tat, sondern aufgrund des eigenständigen Verhaltens des Beklagten bestehe. Er habe dadurch ihre Gesundheit und ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht in Form des Rechts der Totenfürsorge verletzt. Der Beklagte habe den Leichnam aktiv in den Wald verbracht, so dass nicht lediglich ein Unterlassen vorliege. Dieses Handeln habe zu den gesundheitlichen Folgen bei ihr geführt.
41
Die Klägerin beantragt,
- 1.
-
Das Urteil des Landgerichts Hof, Az.:24 O 346/22, vom 22.05.2024 wird aufgehoben.
- 2.
-
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 75.000,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
42
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
43
Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er beruft sich erneut auf Verjährung und Verwirkung eventueller Ansprüche der Klägerin. Sein Geständnis sei insgesamt unwahr gewesen, spezifisches Täterwissen habe er in seiner Aussage nicht offenbart. Vielmehr sei der Ablageort des Leichnams und die Bekleidung seit langem auch aufgrund der Presseberichterstattung bekannt gewesen.
44
Zum weiteren Berufungsvorbringen wird ergänzend auf die Berufungsbegründung und -erwiderung Bezug genommen.
45
Der Senat hat die Ermittlungsakte, Az. 120 Js 3120/18, der Staatsanwaltschaft B. beigezogen und zum Gegenstand der Verhandlung am 10.07.2025 gemacht. In dieser Verhandlung hat er die Parteien informatorisch angehört.
46
Der zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten, Berufung der Klägerin bleibt der Erfolg versagt. Das Landgericht hat die Klage zu Recht mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin einen haftungsbegründenden Sachverhalt i. S. d. § 823 BGB nicht habe nachweisen können. Mit ihrer Berufung zeigt die Klägerin keine Rechtsverletzung auf, auf der das Urteil beruhen würde, §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO (dazu unter 1.). An der Vollständigkeit und Richtigkeit der gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen bestehen keine Zweifel (dazu unter 2.). Sie rechtfertigen keine andere Entscheidung als diejenige, die das Landgericht getroffen hat.
47
Die Berufung rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts.
48
Rechtsfehlerhaft wäre die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn sie verfahrensfehlerhaft ohne Ausschöpfung der angebotenen Beweismittel erfolgt, außerdem wenn sie unvollständig oder in sich widersprüchlich wäre oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen würde (BGH, Urteil vom 12.03.2004 – V ZR 257/03 = BGHZ 158, 269 = NJW 2004, 1876).
49
Solche Fehler behauptet die Berufung der Klägerin zwar; sie liegen allerdings nicht vor.
50
a) Das Landgericht hat die Erkenntnisse des Strafverfahrens in Form des Urkundenbeweises prozessordnungsgemäß und ohne Rechtsfehler in das Verfahren eingeführt. Es durfte bei seiner Würdigung insbesondere die Niederschrift über die Vernehmung des Beklagten vollumfänglich berücksichtigen.
51
Protokolle über die Aussagen in einem anderen Verfahren dürfen im Wege des Urkundenbeweises in den Zivilprozess eingeführt und verwertet werden, wenn dies von den Parteien beantragt wird und die Protokolle Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren (BGH, Urteil vom 12.11.2003 – XII ZR 109/01 = NJW 2004, 1324 [1325]).
52
Dies ist geschehen. Die Klägerin hat wiederholt die Beiziehung der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft B. , Az. 120 Js 3120/18, beantragt (wenn auch versehentlich unter Nennung der Staatsanwaltschaft H. als der sachbearbeitenden Behörde), insbesondere hat sie auf den polizeilichen Aktenvermerk in diesem Verfahren (Anlage K7), der teils wörtliche Zitate aus der Beschuldigtenvernehmung des Beklagten enthält, Bezug genommen. Auch der Beklagte hat die Beiziehung der Ermittlungsakte beantragt und insbesondere die Vorlage der Niederschrift der Beschuldigtenvernehmung angekündigt, sollte die beantragte Beiziehung der Ermittlungsakte nicht ausreichend sein (vgl. S. 3 der Klageerwiderung, in der er zudem wiederholt aus der Beschuldigtenvernehmung wörtlich zitiert). Im Laufe der Verhandlung vor dem Landgericht wurde schließlich von der Klägervertreterin ausdrücklich unter Angabe einer Blattzahl der Ermittlungsakte („Blatt 842 d. A.“, S. 4 des Protokolls) auf die Beschuldigtenvernehmung, die sich in der Ermittlungsakte u. a. ab Bl. 840 findet, Bezug genommen.
53
Das Landgericht hat die Ermittlungsakten beigezogen und ausweislich des Protokolls vom 18.04.2024, dort S. 6, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Es war damit für alle Beteiligten erkennbar, dass das Landgericht die Niederschrift der Beschuldigtenvernehmung bei seiner Entscheidung, für deren Verkündung es am Schluss der Sitzung einen Termin bestimmt hat, berücksichtigen würde. Ein Verstoß gegen § 286 ZPO oder den Anspruch auf rechtliches Gehör liegt deshalb nicht vor. Auch ein Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz ist nicht gegeben (dazu BGH, Urteil vom 12.11.2003 – XII ZR 109/01 = NJW 2004, 1324 [1325]).
54
Beide Parteien – insbesondere der Beklagte – hatten ausreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie gerade den Aktenbestandteil „Niederschrift über die Beschuldigtenvernehmung“ zum Gegenstand ihres Antrags auf Beiziehung der Ermittlungsakte machen.
55
b) Das Landgericht musste das Video der Beschuldigtenvernehmung vom 12.09.2018 nicht in Augenschein nehmen. Denn es ist Sache der Parteien, Beweis für die von ihnen behaupteten Tatsachen anzutreten. Das hat die Klägerin jedoch nicht getan.
56
Sie hat eine Inaugenscheinnahme des Videos nämlich nicht beantragt. Sie hat auch nicht unter Bezugnahme auf die Videoaufzeichnung zu beweisende Tatsachen vorgetragen. Selbst zum Abschluss der mündlichen Verhandlung hat die Klägervertreterin lediglich erklärt (S. 6 des Protokolls, Bl. 74 ff. d. LGA.):
„… dass, soweit das Video Gegenstand der Verhandlung werden soll, insoweit Akteneinsicht benötigt werden würde.“
57
Die Klägerin hat anschließend weder einen Schriftsatznachlass beantragt, um das Video in den Rechtsstreit einzuführen oder wenigstens eine Entscheidung hierüber zu treffen, noch einen entsprechenden Beweisantrag auf Augenscheineinnahme gemäß § 371 ZPO in den vorbereiteten Schriftsätzen oder in der mündlichen Verhandlung gestellt. Auch nach der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin keinen Antrag auf Akteneinsicht mehr gestellt. Eine konkrete Fundstelle, an der sich die Aufzeichnung der Videovernehmung auf einem Datenträger in den Ermittlungsakten findet, wurde ebenso wenig von der Klägerin genannt. Auch eine Anordnung nach § 144 Abs. 1 Satz 2 ZPO, dass die Staatsanwaltschaft oder die KPI B. das Vernehmungsvideo (Augenscheinsobjekt) vorlegen sollten, hat die Klägerin nicht begehrt.
58
Eine Vorlageanordnung musste auch nicht von Amts wegen ergehen. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO steht eine Vorlageanordnung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die Vorschrift soll es dem Gericht ermöglichen, sich zum rechten Verständnis des Parteivorbringens die erforderliche Anschauung von Amts wegen auch ohne Beweisantrag der beweisbelasteten Partei zu verschaffen (Greger, in: Zöller, ZPO [2024], § 144 Rn. 1). Es ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht sein Ermessen insoweit fehlerhaft ausgeübt hätte. Denn es verfügte über eine wortgetreue, schriftliche Niederlegung der Vernehmung, in der auch nonverbale Äußerungen des Beklagten während der Vernehmungssituation vermerkt waren. Welche darüberhinausgehenden, bedeutsamen Informationen das Landgericht aus der Videoaufzeichnung hätte gewinnen können, ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Die Klägerin selbst hat in erster Instanz in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, dass sie die Inaugenscheinnahme des Videos für erforderlich hielte.
59
c) Ein Verfahrensfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass das Landgericht die Kriminalbeamten nicht zu den Umständen der Beschuldigtenvernehmung am 12.09.2018 als Zeugen angehört hat.
60
Die Behauptung der Klägerin in der Berufungsbegründung, sie habe die Vernehmungsbeamten auch zum Beweis dafür angeboten, dass der vom Beklagten behauptete „Druck“ in der konkreten Vernehmungssituation nicht vorgelegen habe, trifft nämlich nicht zu. Vielmehr führt das Landgericht zu Recht aus, dass die Klägerin die Vernehmung der Ermittlungsbeamten – soweit es um die Beschuldigtenvernehmung des Beklagten geht (vgl. S. 11 ff. der Klageschrift) – nur zum Beweis der in der Klageschrift wiedergegebenen wörtlichen Zitate und der in indirekter Rede aufgeführten Zusammenfassungen der Angaben des Beklagten angeboten hatte. Ein Beweisangebot der Klägerin zur Widerlegung der vom Beklagten dargestellten Drucksituation in der Vernehmung erfolgte dagegen weder in der Klage noch in der Replik.
61
Eine Vernehmung von Amts wegen sieht die Zivilprozessordnung nicht vor. Die in das Wissen der Zeugen gestellten Behauptungen zum Inhalt der Aussagen des Beklagten in seiner Vernehmung waren nicht streitig und daher nicht beweisbedürftig.
62
d) Auch die Rüge der Klägerin, das Landgericht habe sich mit ihrem Vorbringen zum Täterwissen des Beklagten nicht ausreichend auseinandergesetzt, ist nicht geeignet, eine Verletzung von § 286 ZPO zu begründen.
63
Denn der Tatrichter hat nach § 286 Abs. 2 ZPO zwar die Gründe anzugeben, die für seine richterliche Entscheidung leitend gewesen sind. Dies erfordert jedoch nicht eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit allen denkbaren Gesichtspunkten der Beweiswürdigung. Es ist ausreichend, wenn sich ergibt, dass eine sachentsprechende Beurteilung überhaupt stattgefunden hat. Denn nach § 313 Abs. 3 ZPO müssen die Entscheidungsgründe nur noch eine „kurze Zusammenfassung der Erwägungen“ enthalten, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht.
64
Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil in vollem Umfang. Es hat sich ausführlich (S. 16 ff. des Urteils) mit der Frage auseinandergesetzt, ob in der Aussage des Beklagten Angaben enthalten sind, die sich als Täterwissen darstellen könnten. Es hat insbesondere die Angaben des Beklagten zur Kleidung des Kindes gewürdigt, nämlich zu den Schuhen als markantestem Punkt (S. 16 f. d. LGU.). Außerdem hat es sich mit den Angaben des Beklagten über den Schulranzen des Kindes befasst (S. 17 d. LGU.). Es hat weiterhin Ausführungen zur Übernahme der Leiche und zum Transport des Leichnams in einer roten Decke gemacht und diese Angaben nicht als eindeutiges Täterwissen eingeordnet (S. 17 d. LGU.). Das Landgericht hat sich auch mit den Angaben des Beklagten zum Auffindeort der sterblichen Überreste und zu seiner Beschreibung des Weges dorthin auseinandergesetzt. Es hat darauf hingewiesen, dass die Örtlichkeit schon aufgrund der Presseberichterstattung bekannt gewesen sei und die Angaben des Beklagten im Übrigen nicht besonders genau gewesen seien (S. 17 f. d. LGU.). Dass das Landgericht nicht auch die von der Klägerin in erster Instanz nur in Zitaten erwähnten weiteren Aspekte eines möglichen Täterwissens (Lage und 12 U 80/24 e – Seite 13 – kein Abdecken oder Vergraben des Leichnams) ausdrücklich erörtert hat, bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Landgericht die Aussage unter dem Gesichtspunkt des „Täterwissens“ nicht sachentsprechend gewürdigt hätte.
65
e) Es bestand auch kein Anlass zur Beweisaufnahme zu den Umständen des Widerrufs des Geständnisses.
66
Denn die Klägerin hat die Behauptung des Beklagten in der Klageerwiderung, dort S. 4, nicht bestritten, dass er schon am 13.09.2018 bei seinem Verteidiger gewesen sei und dieser ihm von einem sofortigen Widerruf abgeraten habe. Auf den ausdrücklichen erneuten Vortrag dieser Behauptung durch seinen Prozessvertreter, der am 13.09.2018 sein Verteidiger gewesen war, in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 18.04.2024 hat die Klägervertreterin erwidert, dass das Landgericht die „Fragen zum Widerruf ausreichend diskutiert“ habe (S. 4 des Protokolls). Bestritten hat sie den Vortrag jedoch nicht. Das Landgericht beruft sich daher auch richtigerweise in den Urteilsgründen (S. 13 d. LGU.) darauf, dass diese Tatsache zwischen den Parteien unstreitig gewesen sei, auch wenn es die Behauptung im Tatbestand des Urteils – unzutreffend – im streitigen Sachverhalt dargestellt hat.
67
f) Die Würdigung des Landgerichts, dass das Geständnis des Beklagten kein ausreichendes Indiz zum Nachweis der Behauptung der Klägerin darstelle, verstößt nicht gegen Beweislastregeln oder Erfahrungssätze.
68
aa) Ein im Strafverfahren abgelegtes Geständnis entfaltet im Zivilprozess nicht die Wirkungen der §§ 288, 290 ZPO, sondern ist lediglich im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO als Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 26.08.2021 – III ZR 189/19 = NJW 2022, 705 [Rn. 11 f.]).
69
Allerdings wird von einem Beklagten, der geltend macht, sein im Strafverfahren abgelegtes Geständnis sei unrichtig, verlangt, dass er im Rahmen seiner sekundären Behauptungslast konkrete Umstände darlegt, die schlüssig Zweifel an der Wahrheit des Geständnisses begründen können. Insbesondere wird von ihm verlangt, dass er seine – für den Beweiswert der widerrufenen Erklärungen bedeutsamen – Beweggründe zur Abgabe eines angeblich unrichtigen Geständnisses vorträgt, weil nur er davon Kenntnis haben kann (BGH, Urteil vom 26.08.2021 – III ZR 189/19 = NJW 2022, 705 [Rn. 11 ff.]; BGH, Beschluss vom 24.01.2012 – VI ZR 132/10 = BeckRS 2012, 4956 [Rn. 3]; OLG Brandenburg, Urteil vom 12.04.2006 – 4 U 179/05 [Rn. 50; juris]).
70
Genügt der Beklagte dieser sekundären Darlegungslast, muss der Anspruchsteller die Richtigkeit des Geständnisses beweisen, indem er die Behauptungen des Beklagten zum Zustandekommen des Geständnisses widerlegt (BGH, Urteil vom 26.08.2021 – III ZR 189/19 = 12 U 80/24 e – Seite 14 – NJW 2022, 705 [Rn. 13, 19]).
71
Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zutreffend ausgegangen, wenn es auf S. 12 seines Urteils ausführt, dass der Beklagte seine falschen Angaben plausibel und nachvollziehbar mit dem Vernehmungsdruck begründet habe, der ihn veranlasst habe, ein falsches Geständnis abzulegen.
72
bb) Es entspricht außerdem gesicherten Erfahrungssätzen, dass Vernehmungsdruck – auch jenseits verbotener Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO) – zu falschen Geständnissen führen kann, jedenfalls dann, wenn die Vernehmung für den Betroffenen eine belastende und spannungsgeladene Ausnahmesituation darstellt. Die regelmäßig größere Erfahrenheit und Handlungskompetenz des Vernehmenden erleichtert es diesem zudem, eigene Vernehmungsziele durchzusetzen, eine Anpassung des Vernommenen zu erreichen und dessen Widerstand zu brechen. Eine solche Situation kann beim Vernommenen dazu führen, dass er primär eine Beendigung der Vernehmungssituation erreichen will und aus Vorhalten in der Vernehmung gewonnene Erkenntnisse in seine Darstellung einbaut, zumal in Fällen, in denen er die Hoffnung hat, seine Angaben würden nicht zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Denn alters- und deliktsunabhängig kommt es nicht ganz selten vor, dass die Angst vor Verhaftung oder Vollzug der Untersuchungshaft (BGH, Urteil vom 19.04.2000 – 5 StR 20/00 [Rn. 8, 10; juris: nicht „lebensfremdes“ Motiv für Geständnis]) zu einem falschen Geständnis führt, weil die Beschuldigten hoffen, durch ihr Geständnis zumindest den nächstliegenden Beeinträchtigungen zu entgehen (Eisenberg, Beweisrecht der StPO [2017], Rn. 732 ff. m. w. N.).
73
2. Es gibt auch keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen durch das Berufungsgericht gebieten würden.
74
Zweifel in diesem Sinne bestehen nur dann, wenn aus der Sicht des Berufungsgerichts aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass bei einer erneuten Tatsachenfeststellung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben würden und sich deren Unrichtigkeit herausstellen würde. Die Klägerin zeigt mit ihrer Berufung keine solchen konkreten Anhaltpunkte auf. Sie ergeben sich auch nicht bei einer Überprüfung der Feststellungen des Landgerichts durch das Berufungsgericht. Vielmehr bestätigen sich dabei die Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts, wonach der Klägerin nicht gelungen sei, die Richtigkeit des Geständnisses des Beklagten nachzuweisen.
75
a) Die Vernehmungsniederschrift belegt, dass der Beklagte sich einem nicht unerheblichem Vernehmungsdruck ausgesetzt sah und ihm Anlass gegeben wurde, den Ermittlungsbeamten eine erfundene Geschichte zu präsentieren.
76
aa) Auch wenn – wie es das Landgericht Bayreuth in seinem Beschluss vom 13.02.2019 (Anlage K6) formuliert hat – die Vernehmung in sachlicher und in ruhiger, freundlicher Atmosphäre geführt worden ist, ändert das nichts daran, dass der Beklagte sich während seiner Vernehmung als ein Beschuldigter in einer nicht alltäglichen, belastenden Situation befunden hatte, weil er sich staatlichen Strafverfolgungsorganen und dem Vorwurf eines Kapitaldelikts gegenübersah. Dass ein Beschuldigter einer solchen – zu Recht als Drucksituation zu bezeichnenden – Lage und eventuellen Weiterungen entgehen will, liegt auf der Hand. Verschärfend kommt hinzu, dass der Beklagte zur Vernehmung unvermittelt aufgegriffen worden war, die Vernehmung rund zehn Stunden dauerte, dass sie zudem ohne einen Verteidiger geführt worden ist und sich der Beklagte mit zwei befragenden Kriminalbeamten und einem Profiler (vgl. Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth, Anlage B4, dort S. 2) und dem ermittelnden Staatsanwalt (vgl. Anlage K7) konfrontiert sah. Die Behauptung des Beklagten, ihm sei mit einer Durchsuchung von Haus und Arbeitsstelle „gedroht“ worden, ist unbestritten geblieben. Zudem wurde dem Beklagten – ebenfalls unbestritten – im Rahmen seiner Vernehmung mitgeteilt, dass – bei Abgabe einer entsprechenden Einlassung – eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens erfolgen müsse. Schon diese unstreitigen Gesichtspunkte belegen einen vorhandenen Vernehmungsdruck.
77
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der Beklagte aufgrund der Umstände seiner früheren Vernehmungen einen derartigen Druck nicht empfunden habe, ist ihr Vorbringen unsubstantiiert. Im Übrigen ergibt sich aus der Ermittlungsakte, dass frühere Vernehmungen des Beklagten gänzlich anders geartet waren: Auf Bl. 77 der Ermittlungsakte befindet sich beispielsweise die Niederschrift über die Vernehmung des Beklagten vom 15.11.2001. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte nur kurz (die Niederschrift umfasst nur zwei DIN-A4-Seiten) vernommen worden. Es vernahmen ihn außerdem lediglich zwei Polizeibeamte in Anwesenheit seines Verteidigers.
78
bb) Auch inhaltlich spiegelt die Vernehmungsniederschrift den gegenüber dem Beklagten aufgebauten Vernehmungs- und Beantwortungsdruck wider.
79
Aus der Niederschrift ergibt sich, dass der Beklagte zunächst mehrfach abgestritten hatte, mit dem Vorfall überhaupt etwas zu tun zu haben, bevor er nach etwa zwei Stunden Vernehmungsdauer bereits geäußert hat, er werde gestehen, dass er die Leiche weggeschafft habe, damit er seine Ruhe habe.
80
Außerdem legt die Niederschrift nahe, dass die Vernehmung von vornherein geständnisorientiert angelegt war. Dafür sprechen die Äußerungen und Vorhalte der Vernehmenden. Sie leiteten die Vernehmung mit der Vorlage der noch nicht vollzogenen Durchsuchungsbeschlüsse ein (S. 2 der Niederschrift), stellten eine Zusammenfassung des Sachverhalts voran (S. 4 f.), hielten dem Beklagten eine „Beziehung“ zwischen K., dem Kind und ihm selbst vor (S. 5 f.), stellten das Auffinden der Leiche „auf thüringischem Gebiet in B. im Wald“ dar (S. 7 f.), präsentierten ihm eine (angeblich) auf ihn weisende Spurenlage am Auffindeort (S. 8,12, 13) und erklärten, dass man sich „sicher“ sei, dass der Beklagte „die Leiche dort abgelegt“ (S. 8), also „das Opfer nach B. verbracht“ (S. 15) habe. Die Befragung verlief damit keinesfalls offen, sondern unter Konfrontation mit (vermeintlichen) eindeutigen Ermittlungsergebnissen, und war von Anfang an darauf angelegt, den Beklagten zu einem Einräumen des vermuteten Tatgeschehens zu bewegen.
81
Gleichzeitig wurde bei dem Beklagten der Eindruck erweckt, er könne mit einer geständigen Einlassung Durchsuchungsmaßnahmen verhindern. So erklärte ein Vernehmungsbeamter dem Beklagten (S. 57 der Vernehmungsniederschrift):
82
Weiter teilten die Vernehmungsbeamten dem Beklagten Folgendes mit (S. 80):
83
Die Vernehmungsniederschrift bestätigt damit, dass der Beklagte – wie er angegeben hat – gedrängt wurde, eine „Geschichte“ zu erzählen.
84
Sodann hat der zuständige Staatsanwalt dem Beklagten noch vor Formulierung seines zusammenhängenden Teilgeständnisses gegen 14.30 Uhr erklärt (S. 128, gegen 13.35 Uhr):
85
Die Vernehmungsniederschrift selbst belegt nach alledem den Anlass für den Beklagten, zur Vermeidung weiterer Ermittlungstätigkeiten sowie zur Herbeiführung einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens den ermittelnden Polizeibeamten und dem anwesenden Staatsanwalt Erklärungen zu liefern, ohne sich mit einer Tötung der Tochter der Klägerin in Verbindung zu bringen. Es bestehen deshalb konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte im Rahmen der Vernehmung eine Sachverhaltsvariante erfunden und zu Protokoll gegeben hat, die mit den ihm vorgehaltenen vermeintlich aussagekräftigen Indizien in Übereinstimmung gebracht werden konnte, jedoch eine weitere Ermittlungstätigkeit und Strafverfolgung möglichst ausgeschlossen erscheinen lassen würde.
86
b) Die Vernehmungsniederschrift zeigt darüber hinaus, dass die Angaben des Beklagten widersprüchlich und teils inkonsistent waren. Auch darin liegt ein Anhaltspunkt für die fehlende Glaubhaftigkeit des Geständnisses. Außerdem widersprechen seine Angaben in ihrem Kern den Ermittlungsergebnissen oder finden in ihnen zumindest keine Bestätigung.
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aa) Die Aussage des Beklagten ist von abwechselndem Einräumen und Abstreiten geprägt. Sie ist im höchsten Grad inkonsistent und widersprüchlich. Hätte er den Sachverhalt, der ihm von der Klägerin angelastet wird, tatsächlich erlebt, wäre demgegenüber eine zusammenhängende Darstellung der Geschehnisse zu erwarten gewesen. Gerade eine solche Darstellung fehlt aber. Deshalb äußerten sogar die vernehmenden Beamten während der Vernehmung Zweifel an den Angaben des Beklagten.
88
Der Beklagte hatte über mehrere Stunden hinweg wiederholt angegeben, er habe mit dem „Fall nichts zu tun“. Ab etwa 10:07 Uhr drängt sich wegen der zahlreichen, nun dokumentierten nonverbalen Äußerungen des Beklagten (Aufatmen, Luftholen) und der dokumentierten Zeiten seines Schweigens der Eindruck auf, dass der Beklagte ab diesem Zeitpunkt ernsthaft darüber nachzudenken beginnt, wie aus all den Vorhaltungen und ihm mitgeteilten Indizien der Polizeibeamten ein schlüssiger Geschehensablauf konstruiert werden könnte. Nachdem der Beklagte dann schließlich Sorgen äußert, weil seine Ehefrau ihn zu Hause erwarte und jemand sein Kind vom Kindergarten abholen müsse, erklärt er gegen 10:45 Uhr erstmals: „Weil ich die ganze Zeit überleg, ob ich Euch nur sog, ich hob sa weggeschafft, bluß dass ich mei Ruh hob.“
89
Ab etwa 11 Uhr beginnt der Beklagte mit der Rekonstruktion eines Geschehensablaufs im Sinne eines Geständnisses und seiner Motivlage für seine Beteiligung an der Verbringung des Leichnams. Er berichtet Teile eines Geschehens und – nachdem der Staatsanwalt zur Vernehmung zugezogen worden war – gegen 14:34 Uhr schließlich zum ersten Mal einen Geschehensablauf im Zusammenhang. Die Darstellung des Beklagten bleibt aber auch in diesem Stadium der Vernehmung eher unkonkret, was selbst einen der Vernehmungsbeamten zu folgender Bemerkung veranlasst:
90
Im Anschluss erklärt der Beklagte erneut, dass er mit der ganzen Sache nichts zu tun habe. Auf Nachhaken der Ermittler wiederholt der Beklagte seine bisherige Schilderung der Geschehnisse und berichtet nun weitere Details. Gegen Ende seiner Vernehmung gibt er dann jedoch wieder an:
91
bb) Angaben des Beklagten zum Kern des von ihm behaupteten Geschehens sind durch die Ermittlungen widerlegt oder unschlüssig.
92
Die Behauptung des Beklagten zum Kerngeschehen, nämlich dass K. ihm den Leichnam am Bushäuschen übergeben habe, hat bereits die Kriminalpolizei als widerlegt angesehen (Haftbefehl, Anlage K5, dort S. 8), weil ein solches Geschehen dort wegen der Busfrequenz mit mehreren Linien, des Schichtwechsels im angrenzenden Fabrikbetrieb und der Schüler, die im fraglichen Zeitraum mit dem Schulbus abgeholt wurden, nicht hätte verborgen bleiben können.
93
Auch die Behauptung des Beklagten zum Motiv für seine behauptete Unterstützung Ks. war bereits im Ermittlungsverfahren als nicht schlüssig behandelt worden (Haftbefehl, Anlage K5, dort S. 9 f.). Nach seinen eigenen Angaben war nämlich der Sachverhalt, mit dem K. ihn erpresst haben soll, zu diesem Zeitpunkt bereits allgemein bekannt und deshalb ungeeignet als Erpressungsmittel.
94
Schließlich konnten auch die Angaben des Beklagten, er habe P.s Schulranzen im Ofen verbrannt, unstreitig nach Untersuchung des noch vorhandenen Ofens nicht bestätigt werden. Es fanden sich keine Spuren von Materialien, die P.s Schulranzen hätten zugeordnet werden können (vgl. auch Schlussbericht, Bl. 1630 der beigezogenen Ermittlungsakte, dort S. 197).
95
c) Anders als die Berufung (S. 17 bis 20 der Berufungsbegründung) meint, lässt sich die Behauptung der Klägerin auch nicht damit beweisen, dass der Beklagte über Täterwissen verfügt hätte, das er bei seiner Vernehmung am 12.09.2018 offenbart habe.
96
„Täterwissen“ sind detaillierte, nachprüfbare Kenntnisse vom Ablauf und von den Umständen einer Tat, die gerade der Täter bei der Tatbegehung sowie während der Vortat- und Nachtatphase erlangt hat (Roll, in: Wirth, Kriminalistik-Lexikon [2021], Stichwort „Täterwissen“). Der Aussagende muss dabei aber wirklich mehr Fakten liefern, als er – ohne an der Tat beteiligt gewesen zu sein und unabhängig davon – wissen, vermuten oder auch erraten konnte (Eisenberg, Beweisrecht der StPO [2017], Rn. 728).
97
Solche Angaben finden sich in der Aussage des Beklagten am 12.09.2018 jedoch nicht.
98
Entgegen der Behauptung der Klägerin konnte der Beklagte die Fahrt zum Fundort nicht näher beschreiben. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, würde es sich hierbei nicht um spezifisches Täterwissen handeln. Dem Beklagten wurde nämlich der ungefähre Fundort der Leiche im Rahmen seiner Vernehmung bereits eingangs genannt. Auf S. 4 der Vernehmungsniederschrift heißt es:
99
Zudem gab der Beklagte im Rahmen seiner Vernehmung auf S. 211 Folgendes an:
100
Der Fundort der Leiche war dem Beklagten deshalb bereits aus der Presseberichterstattung zumindest im Groben bekannt.
101
Eine Beschreibung der Fahrstrecke zum konkreten Fundort konnte der Beklagte bei seiner Vernehmung auch nicht abgeben. Er schilderte vielmehr, dass er im größeren Bereich zum Fundort in Th. früher mit einem Freund einmal Waldarbeiten verrichtet habe. Hiervon ausgehend gab er selbst unter Zuhilfenahme einer Landkarte lediglich an (S. 205):
102
Die nur rudimentäre Beschreibung zum Auffindeort veranlasste die Vernehmungsbeamten zuletzt zu folgendem Vorschlag (S. 209):
- Befahrbarkeit des Waldweges:
103
Auch hinsichtlich der Befahrbarkeit des Weges zum Auffindeort kann eindeutiges Täterwissen nicht festgestellt werden. So wurde der Beklagte – nachdem er bereits ausgesagt hatte, er sei mit seinem Auto in den Wald gefahren (S. 152) – nach der Qualität des Weges nach Verlassen der Straße gefragt. Daraufhin gab der Beklagte an (S. 163): […]. Auf die Nachfrage […] erklärte er: […]. Auf weitere Frage, ob man zum Befahren einen Geländewagen brauche, erklärte der Beklagte (S. 164): […]. Die Aussagen des Beklagten zur Wegsituation sind damit allenfalls spärlich und auf teils suggestive Fragen hin erfolgt. Mit ihnen kann spezifisches Täterwissen nicht belegt werden.
- Beschreibung des Baumbestandes:
104
Auch eine klare Beschreibung des Baumbestandes, die der Beklagte von sich aus ohne Auswahlmöglichkeiten der Vernehmungsbeamten abgegeben hätte, ist durch ihn nicht erfolgt. So wurde der Beklagte bei seiner Vernehmung schon gegen 14:44 Uhr (S. 153) gefragt, welcher Art von Wald am Ablageort vorhanden gewesen sei, worauf er antwortete:
105
Daraufhin nennt nicht der Beklagte, sondern der Ermittlungsbeamte erstmals als Baumart „Fichtenstauden“ (S. 154). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Beklagte nicht angegeben, dass sich am Auffindeort Fichten befinden würden. Gegen 14.58 Uhr (S. 161) wird der Beklagte sodann gefragt: […]. Nun antwortet er (S. 162): […]. Auf die Frage nach der Höhe der Bäume, gibt der Beklagte an (S. 162): […]. Damit gibt es keinerlei konkrete Angaben des Beschuldigten zum Baumbestand am Tatort, die als Täterwissen eingeordnet werden könnten. Vielmehr erscheint es naheliegend, dass sich selbst die Angaben zum Baumbestand am Ablageort aus dem Vernehmungsgeschehen ergeben haben.
· Verbringung des Leichnams in der Decke:
106
Dass der Leichnam in einer Decke zum Ablageort verbracht worden ist, steht auch nach den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht überprüfbar fest. So heißt es bereits in dem von der Klägerin vorgelegten Haftbefehl (Anlage K5), dort im letzten Absatz auf S. 17, dass nicht eindeutig nachvollzogen werden könne, ob „Decken, Kunststoffsäcke oder Folien, welche zum Transport der vermeintlichen Leiche verwendet wurden“ Spuren an der Leiche hinterlassen hätten. Es ist mithin ungeklärt, ob tatsächlich eine Decke zum Transport der Leiche verwendet worden ist. Nach den Zeugenbefragungen kommt auch eine „weiße Plane“ (S. 17 des Haftbefehls, Anlage K5) in Betracht.
- Liegeposition des Leichnams:
107
Die Klägerin stellt die Angabe des Beklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung zur Liegeposition des Leichnams als Täterwissen dar. Der Leichnam sei in der Körperstellung aufgefunden worden, in der der Beklagte dessen Ablage beschrieben habe, nämlich auf der rechten Körperseite (S. 169). Auch insofern ist jedoch nicht sicher feststellbar, ob es sich um Täterwissen handelt. Denn es ist schon nicht erwiesen, dass die Leiche tatsächlich auf der rechten Körperseite abgelegt worden ist. Sie mag – wie es die Klägerin vorträgt – „annähernd“ (was damit konkret gemeint ist, ist offen; auch aus dem Schlussbericht der Kriminalpolizei ergibt sich dazu nichts Näheres) in dieser Körperstellung aufgefunden worden sein. Ob der Leichnam aber auch schon in dieser Position abgelegt worden war, ist völlig unklar. Denn nach den durchgeführten Ermittlungen ist noch nicht einmal geklärt (S. 10 des Haftbefehls, Anlage K5), ob die Ursache, dass die Knochen der unteren Gliedmaßen am Fundort nicht mehr aufgefunden werden konnten, in einer Tierverschleppung oder sogar in einer vorherigen Leichenteilung zu sehen ist.
- Bekleidung des Leichnams:
108
Schließlich sprechen auch die Angaben des Beklagten zur Bekleidung des Leichnams nicht für konkretes Täterwissen. Denn dem Beklagten wurde bereits zu Beginn der Vernehmung ein Durchsuchungsbeschluss vorgelegt (S. 3), in dem aufgeführt war, dass nach der Jacke des Kindes gesucht werden sollte (S. 136), die also am Fundort der Leiche nicht entdeckt worden war. Hieraus lässt sich zwangslos die Angabe des Beklagten zur Bekleidung erklären (S. 155): […]. Als Täterwissen zu bezeichnende Angaben zum Bekleidungszustand hat der Beklagte damit nicht machen können.
109
Auch die Aussage, das Kind habe ein T-Shirt getragen, stellt kein Täterwissen dar, sondern weist eher darauf hin, dass der Beklagte geraten hat. Denn tatsächlich war das Kind nicht mit einem kurzärmligen T-Shirt, sondern mit einem langärmligen Sweatshirt bekleidet (S. 19 des polizeilichen Schlussberichts = Bl. 1650 d. Ermittlungsakte).
110
Dass der Beklagte in seine Aussage nicht Täterwissen berichtet, sondern Vorgaben der Vernehmungsbeamten eingeflochten hat, lässt sich auch eindeutig an seinen Aussagen zu den Schuhen des Kindes erkennen. Während der Beklagte insofern zunächst wiederholt berichtet hatte, er wisse nichts von den Schuhen, gab er auf den Vorhalt, dass man am unmittelbaren Ablageort des Leichnams keine Schuhe gefunden habe, an, dass die Schuhe im Auto gelegen hätten und er sie mit dem Schulranzen verbrannt habe. Dazu, wann und wie die Schuhe vom Körper getrennt worden waren, konnte der Beklagte wiederum keine Angaben machen. So gab er einmal an, das Kind habe die Schuhe verloren gehabt, dann jedoch, dass er sie ihm ausgezogen habe. Auf weiteren Vorhalt, dass die Schuhe gefunden worden seien, vermutete der Beklagte als Auffindeort einen Container. Aufgrund dieses Aussageverhaltens hatten offensichtlich selbst die Vernehmungsbeamten weitere Zweifel am Wahrheitsgehalt der Schilderungen, was sich aus der folgenden deutlichen Äußerung ergibt:
111
Tatsächlich konnte der Beklagte auch in der weiteren Vernehmung den Auffindeort der Schuhe nicht benennen, sondern machte nacheinander unterschiedliche Angaben hierzu. Dies fiel auch den Ermittlungsbeamten auf, wie deren folgende Reaktion plastisch zeigt (S. 256):
- Keine Maßnahmen zur Verschleierung des Fundorts:
112
Auch dass der Beklagte angegeben hatte, keine Maßnahmen zur Verschleierung des Fundorts getroffen zu haben, belegt kein Täterwissen. Auch insofern lässt zum einen die Auffindesituation keine konkreten Rückschlüsse darauf zu, wie der Leichnam abgelegt worden war. Zudem hat der Beklagte zu dieser Thematik allenfalls spärliche Angaben gemacht. Auf die Frage, ob er Maßnahmen ergriffen habe, damit die Leiche nicht so leicht gefunden würde, gab er folgende Antwort (S. 157): […] Weitere Erklärungen gab er hierzu nicht ab. Auch ergänzende konkrete Nachfragen wurden hierzu nicht gestellt. Allerdings wurde dem Beklagten schon zuvor mehrmals im Laufe der Vernehmung erklärt, dass der Leichnam im Wald abgelegt worden sei (S. 8, 56, 82). Bereits seit diesem Zeitpunkt durfte der Beklagte damit davon ausgehen, dass die Leiche weder vergraben noch verscharrt worden war. Seine verneinende Antwort auf die spätere Frage war daher nur konsistent zu den früheren Vorhaltungen und Angaben der Ermittlungsbeamten.
113
d) Soweit das Landgericht Bayreuth in seinem Beschluss vom 13.02.2019 (Anlage K6) noch ausgeführt hatte, dass die Ermittlungen bis zu diesem Zeitpunkt – insbesondere das Spurenbild am Ablageort – das widerrufene Teilgeständnis des Beklagten bestätigten, lieferten die weiteren Untersuchungen bis zum Abschluss der Ermittlungen hierfür keine Belege. Der Schlussbericht der Kriminalpolizei (ohne Datum, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft B. am 17.10.2019; Bl. 1630 ff. d. Ermittlungsakte) führt vielmehr keine Indizien auf, die belegen könnten, dass das Geständnis des Beklagten der Wahrheit entsprochen hätte. Denn keine der teils noch nach Inhaftierung des Beklagten ausgewerteten Spuren – auch nicht in ihrer Gesamtschau – konnte einen belastbaren und eindeutigen Nachweis für einen Kontakt zwischen dem Beklagten und der Tochter der Klägerin erbringen.
114
3. Soweit das Vorbringen der Klägerin so verstanden werden kann, dass sie in der Berufung beantragt, die Vernehmungsbeamten dazu zu vernehmen, dass der Beklagte sich „nicht in einer Drucksituation“ befunden habe, und – mit demselben Beweisziel – die Videoaufzeichnung der Vernehmung in Augenschein zu nehmen, sind diese Beweismittel schon nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen.
115
Die Anträge der Klägerin stellen darüber hinaus keine tauglichen Beweisantritte dar. Notwendiger Inhalt eines Beweisantrages ist die spezifizierte Bezeichnung der Tatsachen, die mit dem Beweismittel bewiesen werden sollen. Dabei richtet sich die Anforderung an den Grad der Substantiierung auch nach dem Erfordernis, dem Gericht die Vorprüfung der Beweiserheblichkeit des benannten Beweismittels zu ermöglichen (Greger, in: Zöller, ZPO [2024], Vor § 284 Rn. 9). Denn auch die Erhebung unnötiger Beweise ist fehlerhaft. Das Gericht muss daher die Eignung, Zulässigkeit und Erforderlichkeit eines angebotenen Beweises prüfen und auch prüfen können.
116
Mit der Bezeichnung der zu beweisenden Tatsache als „Fehlen einer Drucksituation“ ist diese Prüfung nicht möglich. Es handelt sich dabei nämlich um eine wertende Zusammenfassung, die offen lässt, auf welche konkreten Vorgänge und Geschehnisse während der etwa zehn Stunden dauernden Vernehmung des Beklagten sie sich bezieht. Das gilt umso mehr, als sämtliche verbalen und teilweise auch nonverbalen Äußerungen der an der Vernehmung Beteiligten in der Niederschrift festgehalten sind, daher zur Verfügung stehen und als solche unstreitig sind. Wegen dieser Tatsachen ist eine Beweisaufnahme nicht erforderlich. Konkrete weitere Tatsachen hat die Klägerin nicht benannt. Die Umstände, die eine Drucksituation zu begründen vermögen, hat der Beklagte bezeichnet. Sie sind durch die Niederschrift belegt. Gegenläufige Umstände – abgesehen davon, dass die Vernehmung unstreitig in einer „freundlichen Atmosphäre“ stattfand – hat die Klägerin nicht substantiiert benannt. Die Einvernahme der Vernehmungsbeamten und die Inaugenscheinnahme des Vernehmungsvideos würden sich daher als verbotene Ausforschung darstellen. Dies besonders vor dem Hintergrund, dass nicht einmal die Klägerin selbst zur Einlegung und Begründung ihrer Berufung das Video angesehen hatte (Schriftsatz vom 12.07.2024).
117
4. Nach alledem hat das Landgericht zutreffend den Nachweis eines haftungsbegründenden Sachverhalts durch die Klägerin verneint.
118
Auf die Frage, ob das von der Klägerin behauptete – aber nicht nachgewiesene – Verhalten des Beklagten geeignet wäre, einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Gesundheit der Klägerin durch eine Handlung, nämlich das Verbergen des 12 U 80/24 e – Seite 23 – Leichnams ihres Kindes, zu begründen, kommt es daher nicht mehr an.
119
Die Klageabweisung ist deshalb nicht zu beanstanden, so dass die Berufung der Klägerin zurückzuweisen war.
120
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
121
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
122
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
123
Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Sache betrifft die Anwendung gesicherter Rechtsgrundsätze im Einzelfall.