Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 19.08.2025 – 3 W 1224/25 Kart
Titel:

Gerichtsstandsvereinbarung, Antragsgegner, Gerichtsstandklauseln, unbillige Behinderung, Kartellrechtlicher Anspruch, Unerlaubte Handlung, Brüssel Ia-VO, Internationale Zuständigkeit, Sofortige Beschwerde, Eugvvo, OLG Düsseldorf, Deliktsgerichtsstand, Verbrauchergerichtsstand, Kartellrechtliche Unterlassungsansprüche, Unerlässlichkeit, Vertragsverhältnisse, Antragstellers, Gelegenheit zur Stellungnahme, Kartellrechtswidrige Behinderung, OLG Frankfurt

Normenketten:
EuGVVO Art. 7 Nr. 2
GWB § 19, § 33 Abs. 1
Leitsätze:
1. Begehrt ein Influencer Unterlassung gegen den Betreiber eines sozialen Netzwerks, weil dieser entgegen den Nutzungsbedingungen ohne vorherige Gelegenheit zur Äußerung und nähere Begründung das Konto deaktiviert hat, macht er regelmäßig lediglich einen Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten geltend, wofür der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht eröffnet ist.
2. Eine kartellrechtswidrige Behinderung scheidet in solchen Fällen aus, weil Verstöße gegen Rechtsnormen, welche nicht den Inhalt von Marktbeziehungen zum Gegenstand haben oder auf sie einwirken, keinen Verstoß gegen § 19 Abs. 1 GWB begründen können.
3. Da sich ein etwaiger kartellrechtlicher Anspruch jedenfalls mit vertraglichen Ansprüchen überschneiden würde, würde eine Gerichtsstandsvereinbarung, die sich auf sämtliche Ansprüche aus der Vertragsbeziehung erstreckt, auch einen solchen kartellrechtlichen Anspruch erfassen.
Schlagworte:
Internationale Zuständigkeit, Gerichtsstandsvereinbarung, Kartellrechtliche Behinderung, Vertragsauslegung, Deliktsgerichtsstand, Nutzungsbedingungen, Vorläufiger Rechtsschutz
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 07.07.2025 – 19 O 3742/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 24147

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Juli 2025, Az. 19 O 3742/25, wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten darum, welche Ansprüche der Antragstellerin und Beschwerdeführerin gegen die Antragsgegnerin wegen einer Sperre ihres gewerblich genutzten Accounts zustehen.
2
Die in der Republik Irland ansässige Antragsgegnerin ist die u.a. für Nutzer mit Sitz in der Bundesoptik Deutschland zuständige Gesellschaft des ...-Konzerns, welcher u.a. das soziale Netzwerk I. betreibt. Die Antragstellerin unterhält dort das Nutzerkonto „s[…]“, welches sie seit ca. 2 1/2 Jahren als Influencerin mit zuletzt rund 167.000 Followern nutzt; die Antragstellerin leistet deswegen monatlich ein Entgelt i.H.v. 16,99 € für einen qualifizierten Account (“blauer Haken“) und ein weiteres Entgelt i.H.v. 7,99 € für die werbefrei-Option. Zudem unterhält sie das Nutzerkonto „[…]privat“, auf welchem sie zumindest vergleichbare Inhalte veröffentlicht.
3
Die Antragsgegnerin sprach am 4. Juni 2025 eine Vorab-Sperre für das Konto „s[…]“ aus, weil dieses Konto oder die Aktivitäten der Antragstellerin dort gegen ihre Gemeinschaftsstandards gegen menschliche Ausbeutung verstießen. Ein Einspruch der Antragstellerin vom selben Tag führte zu keinem Ergebnis; vielmehr wurde am 19. Juni 2025 das Konto deaktiviert.
4
Nach erfolglosen außergerichtlichen Bemühungen unter Einschaltung ihres nunmehrigen Prozessbevollmächtigten begehrte die Antragstellerin mit Verfügungsantrag vom 2. Juli 2025, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Nutzeraccount „s[…]“ vollständig wiederherzustellen, ihr einen vollständigen Zugriff darauf zu verschaffen, und ihr zu untersagen, diesen Account dauerhaft zu deaktivieren, ohne der Antragstellerin vorher Gelegenheit zur Äußerung zu geben oder ihr mitzuteilen, in welchen Aktivitäten der Verstoß liege und gegen welche Klauseln verstoßen werden solle. In rechtlicher Hinsicht stützt die Antragstellerin ihr Begehren auf § 33 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB. Die von der Antragsgegnerin unternommene Deaktivierung und die angedrohte Löschung behinderten die Antragstellerin in ihren geschäftlichen und werblichen Maßnahmen, was den Wettbewerb berühre. Die Antragsgegnerin sei Normadressatin der §§ 19, 20 GWB. Die Antragstellerin habe keinerlei Aktivitäten unternommen, die als menschliche Ausbeutung begriffen werden könnten, und fördere insbesondere nicht Menschenhandel zu sexuellen Zwecken; sie veröffentliche im wesentlichen Bildnisse und Videos von ihr selbst, in denen sie sich in wechselnder Mode zeige.
5
Das Landgericht hat im angegriffenen Beschluss vom 7. Juli 2025 den Verfügungsantrag nach entsprechendem Hinweis als unzulässig infolge fehlender Zuständigkeit abgewiesen. Der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sei nicht eröffnet, weil auf Ansprüche, die vertraglicher Natur sind, nicht diese Norm, sondern Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Anwendung finde. Eine Streitigkeit vertraglicher Natur liege vor, wenn für die Klärung, ob das angegriffene Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist, eine Auslegung des Vertrags unerlässlich erscheint; vorliegend könne die Frage einer unwilligen oder sachlich nicht gerechtfertigten Behinderung nicht ohne Rücksicht darauf beurteilt werden, ob die Antragsgegnerin nach den vertraglichen Vereinbarungen unter den gegebenen Umständen zur Sperre des Accounts berechtigt war. Dasselbe gelte für den Unterlassungsanspruch. Diese Sichtweise führe auch nicht dazu, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVVO weitgehend unanwendbar wird, wenn zwischen den Parteien eine vertragliche Beziehung besteht, weil entscheidend sei, ob der gesetzliche Anspruch vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhänge oder nicht. Aus Art. 35 EuGVVO ergebe sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ebenfalls nicht, weil die einstweilige Maßnahme im Sitzland der Antragsgegnerin zu treffen wäre. Die Antragstellerin handle schließlich nicht als Verbraucherin, sodass auch der Verbrauchergerichtsstand nach Artt. 17, 18 EuGVVO nicht eröffnet sei. Auf die Frage, ob die Gerichtsstandsvereinbarung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ebenfalls entgegenstehe, komme es damit nicht mehr entscheidend an.
6
Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 9. Juli 2025, die sie am Folgetag begründet hat. Sie verweist auf Entscheidungen des LG Düsseldorf und des OLG Düsseldorf, die in vergleichbaren Fällen eine Zuständigkeit angenommen haben. Der kartellrechtliche Unterlassungsanspruch wurzle nicht in der zwischen den Parteien geschlossene Nutzungsvereinbarung, sondern in den gesetzlichen Verhaltenspflichten der Antragsgegnerin als marktbeherrschendes Unternehmen. Es gehe allein um die Frage, ob die Sperrung, die ohne vorherige oder unverzüglich nachgeholte Begründung erfolgte und bei der die Antragstellerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, eine Behinderung der Antragstellerin darstelle. Die Antragstellerin wisse auch nicht mehr, ob sie der Gerichtsstandsvereinbarung zugestimmt habe; diese sei auch u.a. aus formalen Gründen unwirksam.
7
Das Landgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Der Senat hat der Antragsgegnerin Gelegenheit zur Stellungnahme eröffnet, wovon diese unter dem 12. August 2025 Gebrauch gemacht hat. Die Antragsgegnerin verteidigt darin die Rechtsauffassung des Landgerichts und verweist zudem auf die zwischen den Parteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil der Nutzungsbedingungen sei, denen im Zuge der notwendigen Registrierung bei der Antragsgegnerin zwingend zugestimmt werden müsse. Sie hat ferner mitgeteilt, dass die angegriffene Sperrung und Deaktivierung seit 4. August 2025 beendet wurde. Die Antragstellerin hat unter dem 13. August 2025 dazu ausgeführt, dass die Gerichtsstandsklausel die deliktische Haftung für Ansprüche wegen Missbrauchs ihrer Marktmacht nicht erfasse, und unter dem 15. August 2025 von vier weiteren Sperrungen zwischen 6. und 8. August 2025, die jeweils mit einen Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards zur Kontointegrität begründet worden seien, berichtet. Die Antragsgegnerin hat unter dem 14. August 2025 auf die rechtlichen Erwägungen im Schriftsatz vom 13. August erwidert. Sie hat ferner Gelegenheit zur Äußerung zu dem Vorbringen betreffend neuerliche Sperrungen erbeten.
II.
8
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss, mit dem der Verfügungsantrag zurückgewiesen wurde, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich aber als unbegründet, weil das Landgericht zu Recht den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte zurückgewiesen hat.
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1. Der Senat schließt sich der bislang ganz herrschenden (u.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2024, I-16 W 8/23; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 1. April 2025, 16 U 127/24; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 23. Juli 2025, 16 U 9/25) und auch vom Landgericht vertretenen Auffassung an, dass sich die Antragstellerin in Konstellationen der vorliegenden Art nicht auf die Bestimmung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stützen kann.
10
a) Andere Bestimmungen der EuGVVO, nach der sich die internationale Zuständigkeit bestimmt, eröffnen vorliegend einen Gerichtsstand in der Bundesrepublik Deutschland erkennbar nicht.
11
Der sog. Verbrauchergerichtsstand des Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 EuGVVO ist hinsichtlich des Kontos „s[…]“ wegen der unternehmerischen Zielsetzung, die die Antragstellerin mit ihren Aktivitäten auf diesem Account verfolgt, zweifelsfrei nicht eröffnet. Die speziell für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorgesehene Regelung in Art. 35 EuGVVO erfordert eine reale Verknüpfung zum angerufenen Gericht, an der es wegen des Sitzes der Antragsgegnerin in Irland ebenfalls fehlt (vgl. jeweils auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2024, I-16 W 8/23, S. 8; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 1. April 2025, 16 U 127/24, S. 3). Auch die Antragstellerin kommt im Beschwerderechtszug nicht mehr auf diese Bestimmungen zurück.
12
b) Maßgeblich für die Anwendung des Deliktsgerichtsstands in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO – und die Abgrenzung zum Gerichtsstand des für Klagen aus vertraglichen Schuldverhältnissen geltenden Erfüllungsorts in Art. 7 Nr. 1 EuGVVO – sind folgende Vorgaben und Grundsätze:
13
aa) Der Begriff der unerlaubten Handlung ist autonom und tendenziell weit auszulegen. Am Handlungs- oder Erfolgsort sollen alle Klagen erhoben werden können, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag i.S.v. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO anknüpfen (EuGH, Urteil vom 10. September 2015 – C-47/14, EuZW 2015, 922 Rn. 68 – Holterman; BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 – VI ZR 63/19,NJW 2021, 2977 Rn. 15; Schlosser/Hess/Schlosser, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 13 m.w.N.). Erfasst sind zudem Abwehr- und Unterlassungsklagen (Schlosser/Hess/ Schlosser, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 13; MüKoZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2022, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 52; Musielak/Voit/Stadler/Krüger, 22. Aufl. 2025, VO (EU) 1215/2012 Art. 7 Rn. 18). In den Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO können zudem kartellrechtliche Sachverhalte fallen (MüKoZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2022, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 49; vgl. EuGH, Urteil vom 5. Juli 2018 − C-27/17, NZKart 2018, 357 – Lithuanian Airlines; EuGH, Urteil vom 29.7.2019 – C-451/18, EuZW 2019, 792 Rn. 24 – Tibor-Trans; EuGH, Urteil vom 21. Mai 2015, C-352/13, NZKart 2015, 307 Rn. 37 ff. – Hydrogen Peroxide).
14
Die fakultativen Gerichtsstände nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO und Art. 7 Nr. 2 EuGVVO schließen sich gegenseitig aus (BeckOK ZPO/Thode, 57. Ed. 1.7.2025, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 76b). Die erforderlich wertende Abgrenzung zu den vertraglichen Anspruchsgrundlagen ist nach dem Kriterium vorzunehmen, ob eine Verpflichtung freiwillig eingegangen wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 24. November 2020 – C-59/19, GRUR 2021, 116 Rn. 23 – Wikingerhof GmbH & Co. KG/Booking.com BV; BGH, Vorlagebeschluss vom 13. Oktober 2020 – VI ZR 63/19, IWRZ 2021, 39 Rn. 12; in der Sache nicht anders Schlosser/Hess/ Schlosser, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 14: ob eine Selbstbindung der Parteien gegeben ist).
15
bb) Vertragliche Ansprüche, die mit deliktischen Ansprüchen konkurrieren, fallen nicht von vornherein unter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, zumal die EuGVVO keine allgemeine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs kennt. Der Deliktsgerichtsstand ist umgekehrt eröffnet, wenn die deliktischen Ansprüche mit vertraglichen oder anderen gesetzlichen Ansprüchen konkurrieren, ohne direkt an den Vertrag anzuknüpfen (MüKoZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2022, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 54).
16
cc) Soweit nach den Bestimmungen des nationalen Rechts eine Klage auf eine unerlaubte Handlung gestützt werden kann, stellt eine solche Klage nur dann eine Klage wegen einer unerlaubten Handlung i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dar, wenn sie nicht an das vertragliche Rechtsverhältnis zwischen den Parteien anknüpft (EuGH, Urteil vom 10. September 2015 – C-47/14, EuZW 2015, 922 Rn. 70 – Holterman). Der Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Abs. 1 EuGVVO ist daher heranzuziehen, wenn das dem Antragsgegner zur Last gelegte Verhalten als Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 10. September 2015 – C-47/14, EuZW 2015, 922 Rn. 70 – Holterman).
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Das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien schließt damit die Qualifikation des Klagebegehrens als deliktischen Anspruch nicht von vornherein aus (BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 – KZR 66/17, GRUR 2021, 991, Rn. 11 – Wikingerhof). Maßgeblich ist, dass ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht, bei dem also die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 – KZR 66/17, GRUR 2021, 991, Rn. 11 – Wikingerhof; EuGH, Urteil vom 24. November 2020 – C-59/19, GRUR 2021, 116 Rn. 32 – Wikingerhof GmbH & Co. KG/Booking.com BV; BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 – VI ZR 63/19,NJW 2021, 2977 Rn. 20; OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. April 2025, VI-U (Kart) 5/24, NZKart 2025, 262 (262 f.)). Die Prüfung und Auslegung des Vertrags muss „unerlässlich“ für die Beurteilung der Begründetheit der Klage sein (EuGH, Urteil vom 24. November 2020 – C-59/19, GRUR 2021, 116 Rn. 32 – Wikingerhof GmbH & Co. KG/Booking.com BV; BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 – KZR 66/17, GRUR 2021, 991, Rn. 12 – Wikingerhof; BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 – VI ZR 63/19,NJW 2021, 2977 Rn. 17; BeckOK ZPO/Thode, 57. Ed. 1.7.2025, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 76c). Der Deliktsgerichtsstand scheidet aus, wenn die Ansprüche nach nationalem Recht zwar deliktrechtlicher Natur sind, das Verhalten jedoch als Verstoß gegen Vertragsverpflichtungen gewertet werden kann (Musielak/Voit/Stadler/Krüger, 22. Aufl. 2025, VO (EU) 1215/2012 Art. 7 Rn. 18).
18
c) Für den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies, dass eine vertragliche Streitigkeit vorliegt, weil die Antragstellerin nichts anderes geltend macht, als dass die Antragsgegnerin unter Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten, die im Einzelfall eine entsprechende Befugnis nicht hergaben, eine Sperrung vorgenommen hat.
19
aa) Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung gem. § 33 Abs. 1 GWB können grundsätzlich unter den Begriff der unerlaubten Handlung i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu subsumieren sein (statt aller auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2024, I-16 W 8/23, S. 11). Erforderlich ist allerdings nach allgemeinen Grundsätzen auch ein schlüssiger Vortrag dazu, dass durch das Handeln des Beklagten/Antragsgegners eine Tatbestandsvariante des § 19 GWB verwirklicht ist. Umgekehrt darf der Anspruch, wie dargestellt, nicht an einen Vertrag anknüpfen.
20
bb) Zum einen ergibt bereits eine Subsumtion des Verhaltens, welches die Antragstellerin der Antragsgegnerin vorwirft, unter die vertraglichen Regelungen, dass die Antragsgegnerin zu einer Sperrung und Deaktivierung des Kontos nicht befugt war. Immerhin sehen die Gemeinschaftsstandards, wie die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 12. August 2025 ausgeführt hat und auch dem Senat aus einer Vielzahl anderer Verfahren bekannt ist (§ 291 ZPO), in Umsetzung der Vorgaben des BGH in dessen Urteil vom 29. Juli 2021 (III ZR 179/20, NJW 2021, 3179 Rn. 58 ff.) gerade vor, dass der Nutzer über den Grund, die Art und Umfang der beabsichtigten Maßnahmen informiert wird und er Möglichkeit erhält, Stellung zu nehmen, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird.
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cc) Zum anderen ist eine Prüfung des Vertragsinhalts „unerlässlich“, um die Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Antragsgegnerin auch unter kartellrechtlichen Aspekten zu beurteilen. Von der Frage, welche Bedingungen im Vertrag vorgesehen sind, hängt im vorliegenden Fall ab, ob ihr Verhalten als willkürlich, unsachlich, grundlos etc. beurteilt werden kann (OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 1. April 2025, 16 U 127/24, S. 2; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 23. Juli 2025, 16 U 9/25, S. 5).
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Da die Antragsgegnerin grundsätzlich befugt ist, den Nutzern inhaltliche Vorgaben für die Nutzung des von ihr bereitgestellten Dienstes zu machen, wenn diese bestimmten Anforderungen entsprechen und verfahrensrechtliche Sicherungen vorgesehen sind (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20, NJW 2021, 3179 Rn. 58 ff.), ergibt sich eine kartellrechtswidrige Behinderung nicht schon aus dem Umstand einer Sperrung als solcher. Die Tatsache, dass und welche Regelungen die Antragstellerin in ihren Vertragsbedingungen vorsieht, ist für die zwingend vorzunehmende Abwägung, ob eine durch die Maßnahmen bewirkte Behinderung „unbillig“ oder „ohne sachlich gerechtfertigten Grund“ i.S.v. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB erfolgt, essenziell. Immerhin können die in den Gemeinschaftsstandards enthaltenen Vorgaben zeigen, dass und welche sachlichen Gründe die Antragsgegnerin mit derartigen Maßnahmen verfolgt.
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dd) Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Antragstellerin in ihrer Beschwerde geltend macht, schon aufgrund der kartellrechtlichen Vorgaben als solcher sei unzulässig, den Account ohne hinreichende Information und Gelegenheit zur Stellungnahme zu sperren, so dass allein deshalb eine Behinderung vorliege (in diesem Sinne auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. April 2025, VI-U (Kart) 5/24, NZKart 2025, 262 (263 ff.)).
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Richtig ist insoweit, dass es dann, wenn – wie vorliegend – unstreitig oder evident ist, dass eine Sperrung keinesfalls einen sachlichen Grund in dem Vertrag haben kann, weil die dort vorgesehenen Tatbestände nicht erfüllt sind, eine nähere Befassung mit den vertraglichen Regelungen entbehrlich ist. Zur Eröffnung des Gerichtsstands des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO führt dies gleichwohl nicht, weil es an schlüssigem Vortrag einer kartellrechtlich relevanten Maßnahme, hier einer unbilligen Behinderung etc., fehlt:
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(1) Für die Eröffnung des Deliktsgerichtsstands bedarf es zumindest schlüssigen (und damit auch substantiierten) Vortrags dazu, dass ein Delikt begangen wurde (vgl. Festschrift Schilken, Rechtslage – Rechtserkenntnis – Rechtsdurchsetzung, 2015, S. 523 (528, 531). In Fällen der vorliegenden Art muss daher schlüssig dargetan werden, dass ein Kartellverstoß, insbesondere eine unbillige Behinderung, gegeben ist (vgl. OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 23. Juli 2025, 16 U 9/25, S. 6).
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(2) Selbst wenn man, ausgehend von der Einordnung der Antragsgegnerin als marktbeherrschend im Hinblick auf das soziale Netzwerk Facebook, eine solche Eigenschaft auch hinsichtlich I. unterstellt, mangelt es an ausreichendem Vortrag dazu, dass eine Behinderung gegeben ist.
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(3) Eine Behinderung i.S.v. § 19 GWB verlangt zwar keine entsprechende Absicht oder Zwecksetzung (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. April 2025, VI-U (Kart) 5/24, NZKart 2025, 262 (265)). Jedoch offenbart der Umstand, dass die Antragsgegnerin in Umsetzung der BGH-Entscheidung (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20, NJW 2021, 3179 Rn. 80 ff.) entsprechende Rechte sämtlicher Nutzer einschließlich der Antragstellerin in ihren Vertragsbedingungen vorgesehen hat, dass sie gerade nicht bewirken will, dass sich für einzelne Nutzer wie die Antragstellerin behindernde Auswirkungen ergeben, auch wenn sie Mindeststandards für die verbreiteten Inhalte vorsieht.
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(4) Auch in der gegenwärtigen Fassung des GWB nach der 10. GWB-Novelle ist § 19 GWB nicht bei jeder Art von rechtswidrigem Verhalten durch marktmächtige Unternehmen anwendbar. Vielmehr gilt, dass Verstöße gegen Rechtsnormen, welche nicht den Inhalt von Marktbeziehungen zum Gegenstand haben oder auf sie einwirken, keinen Verstoß gegen § 19 Abs. 1 GWB begründen können (BT-Drs. 19/23492, S. 71; Bechtold/Bosch, 11. Aufl. 2025, GWB § 19 Rn. 5). § 19 GWB schützt nur die Einwirkung auf Marktbeziehungen (Bechtold/Bosch, 11. Aufl. 2025, GWB § 19 Rn. 5). Die Wettbewerbsrelevanz und damit die konkrete Eignung der fraglichen Konditionen zur negativen Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse muss im Einzelfall dargetan werden (Immenga/Mestmäcker/Fuchs, 7. Aufl. 2024, GWB § 19 Rn. 72e). Dieser Obliegenheit kommt die Antragstellerin nicht nach. Unter Behinderung anderer Unternehmen ist jede Beeinträchtigung ihrer Betätigungsmöglichkeiten im Wettbewerb zu verstehen, die auch eine Auswirkung auf die Wettbewerbschancen des beeinträchtigten Unternehmens gegenüber anderen Nachfragern oder Anbietern hat (BeckOK KartellR/Stancke, 17. Ed. 1.4.2025, GWB § 19 Rn. 46.1 nach OLG Düsseldorf). Diese „anderen Unternehmen“ können sowohl Mitbewerber auf dem beherrschten Markt als auch Unternehmen auf einem Drittmarkt sein (Bechtold/Bosch, 11. Aufl. 2025, GWB § 19 Rn. 5; BeckOK KartellR/Stancke, 17. Ed. 1.4.2025, GWB § 19 Rn. 46).
29
Da die Antragstellerin keine Dienstleistungen der Art anbietet oder bringt, wie es die Antragsgegnerin tut (soziale Netzwerke, Videoplattformen etc.), ist von vornherein ausgeschlossen, dass eine Behinderung auf diesem Markt stattfindet. Auch eine Behinderung auf dem Markt für entsprechende Inhaltsangebote, wie sie die Antragstellerin hinsichtlich Mode, ihrer Person o.Ä. bietet, ist nicht greifbar zu erkennen. Insbesondere gelten die Vertragsbedingungen unterschiedslos und werden, soweit ersichtlich, auch unterschiedslos angewandt.
30
Die Nutzungsbedingungen, insbesondere die Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin betreffend menschliche Ausbeutung (und auch zur Kontointegrität), weisen auch keinerlei Bezug zu den Marktbedingungen auf dem zuletzt genannten Markt auf. Vielmehr sollen sie sicherstellen, dass die Kommunikation der Inhalteanbieter wie die Antragstellerin mit den anderen, solche Inhalte rezipierenden Nutzern ein gewisses Mindestniveau wahrt und keine Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben oder ethische Standards erfolgen. Sie stellen daher Rechtsnormen dar, welche nicht den Inhalt von Marktbeziehungen zum Gegenstand haben oder auf sie einwirken, und deshalb keine kartellrechtlichen Verstöße begründen können.
31
Das Kartellrecht ist kein Instrument dazu, auf Vertragsverletzungen des anderen zu reagieren, und hierzu auch noch gesonderte Gerichtsstände zu gewähren. Bei einem anderen Verständnis wäre z.B. auch eine versehentliche Nichtausführung oder Verspätung einer Lieferung von Waren durch einen marktbeherrschenden Hersteller an einen gewerblichen Weiterverkäufer stets kartellrelevant und Behinderung, obwohl derartige Fälle klar dem Bereich der vertraglichen Leistungsstörungen zuzuordnen sind.
32
(5) Dafür, dass die Antragsgegnerin nur deshalb in dieser Weise handelt, weil sie keinem Wettbewerb ausgesetzt ist (dahin neigend OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. April 2025, VI-U (Kart) 5/24, NZKart 2025, 262 (265), kann der Senat ebenfalls nichts erkennen. Bereits die vorgesehenen vertraglichen Verpflichtungen und diesen daraus resultierenden Schadenersatzverpflichtungen im Falle einer Verletzung derselben bewirken, dass die Antragsgegnerin Anreize hat, Fehler wie den im vorliegenden Fall unterlaufenden zu vermeiden.
33
ee) Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dürfte zwar eröffnet sein, wenn die Antragstellerin geltend machen und schlüssig vortragen würde, die von der Antragsgegnerin vorgegebenen Vertragsbedingungen seien unbillig etc. i.S.v § 19 GWB. In einem solchen Fall wären Prüfungsmaßstab ausschließlich die gesetzlichen Bestimmungen des GWB, und die getroffenen vertraglichen Regelungen Gegenstand der Prüfung. Die Antragstellerin stützt sich jedoch hierauf nicht; sie führt vielmehr in der Beschwerdeschrift explizit aus, dass eine Prüfung der vertraglichen Rechtmäßigkeit der Sperre kartellrechtlich derzeit nicht angezeigt ist.
34
Aus diesem Grund kann der vorliegende Streit auch nicht der Fallgruppe zugeordnet werden, dass der zustande gekommene Vertrag lediglich Ziel und Folge einer deliktischen Handlung der Antragsgegnerin ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 – VI ZR 63/19, NJW 2021, 2977 Rn. 21). Die Antragstellerin zeigt nicht substantiiert auf, dass die Antragsgegnerin bei der Einbeziehung der entsprechenden Nutzungsbedingungen ihre Marktmacht ausgenutzt hat; hierbei ist wiederum zu berücksichtigen, dass die Regelungen unterschiedslos gelten.
35
ff) Darauf, dass die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin ein weiteres Konto unterhält, auf welchem sie vergleichbare Inhalte publiziert, und bereits ein solcher Umstand eine Behinderung ausschließen soll (gl. OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 23. Juli 2025, 16 U 9/25, S. 7), kommt es mithin nicht mehr entscheidend an.
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gg) Diese Sichtweise höhlt, wie das Landgericht zutreffend dargestellt hat, nicht den Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO übermäßig aus. Insbesondere verdrängt der Vertragsgerichtsstand nicht bei Sachverhalten, bei denen Ansprüche sowohl unter dem Gesichtspunkt von Vertragspflichtverletzungen als auch von unerlaubten Handlungen in Betracht kommen, den Deliktsgerichtsstand. Entscheidend ist stets, ob das Vertragsrecht auch die deliktsrechtliche Lage maßgeblich beeinflusst. Auch genügt der Umstand, dass Resultat einer arglistigen Täuschung der Abschluss eines Vertrags ist, nicht, diesen Gerichtsstand auszuschließen, wenn die Klage auf einen entsprechenden Betrug gestützt wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 – VI ZR 63/19,NJW 2021, 2977 Rn. 18 ff.).
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2. Im Übrigen wäre selbst dann, wenn sich aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergäbe, die getroffene Gerichtsstandsvereinbarung zu beachten, durch die diese Zuständigkeit abbedungen wurde.
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a) Der Senat muss in tatsächlicher Hinsicht davon ausgehen, dass auch im Verhältnis zur Antragstellerin die bei Verträgen mit der Antragsgegnerin übliche Gerichtsstandsvereinbarung wirksam einbezogen wurde, nach der Streitigkeiten ausschließlich vor den irischen Gerichten anhängig zu machen sind.
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Die Einlassung der Antragstellerin, nicht mehr genau zu wissen, ob sie den Nutzungsbedingungen einschließlich der darin enthaltenen Gerichtsstandvereinbarung aktiv zugestimmt hat, führt nicht dazu, dass die Einbeziehung wirksam bestritten wurde. Dem Senat ist aus einer Vielzahl anderer Verfahren bekannt, wie die Antragsgegnerin bei der erstmaligen Begründung eines Vertragsverhältnisses sowie bei späteren Vertragsänderungen vorgeht, insbesondere, dass sie sämtliche Nutzer bei der Registrierung bzw. beim erstmaligen Login nach einer entsprechenden Neufassung auffordert, die Bedingungen zu akzeptieren. Hierbei besteht auch die Möglichkeit, das Regelwerk in elektronischer Form abzurufen und zu speichern. Es ist technisch nicht möglich, die Dienste der Antragsgegnerin weiter zu nutzen, wenn dieser Prozess nicht ordnungsgemäß durchlaufen wurde. Trotz der Darlegungs- und Beweislast dessen, der sich auf eine Gerichtsstandsvereinbarung beruft, ist daher von der Richtigkeit des Vorbringens der Antragsgegnerin auszugehen. Die Antragstellerin hätte detailliert aufzeigen müssen, wie es ihr gelungen ist, ohne entsprechende Zustimmung die Dienste weiter zu nutzen, oder aus welchen Gründen im Einzelfall die formellen Anforderungen des Art. 25 EuGVVO nicht erfüllt waren.
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b) Diese Klausel erfasst auch Streitigkeiten der vorliegenden Art.
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aa) Die Streitigkeit lässt sich ohne weiteres unter die Gerichtsstandvereinbarung subsumieren.
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bb) Entgegen der jüngst vom OLG Düsseldorf – wenn auch nur obiter dictum, da bereits eine wirksame Gerichtsstandvereinbarung nicht festgestellt werden konnte – geäußerten Auffassung (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. April 2025, VI-U (Kart) 5/24, NZKart 2025, 262 (263)) steht einem entsprechenden Verständnis auch nicht die Interessenlage der Parteien entgegen. Wie die vorstehenden Überlegungen zeigen, überschneiden sich – einen entsprechenden kartellrechtlichen Anspruch unterstellt – in Fällen der vorliegenden Art Vertragsrecht und Kartellrecht quasi stets, weil jeder Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Nutzungsbedingungen zugleich eine Behinderung bedeuten würde. Es entspricht nicht dem Interesse einer der Parteien, dass die andere dadurch, dass sie ihren Anspruch auf den einen oder anderen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, in den Genuss eines zusätzlichen, anderen Gerichtsstands kommen kann.
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cc) Zu keinem anderen Ergebnis führt die von der Antragstellerin ins Feld geführte Entscheidung des EuGH vom 21. Mai 2015 (C-352/13, NZKart 2015, 307 – Hydrogen Peroxide).
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Das Erfordernis, dass sich eine Gerichtsstandsvereinbarung nur auf eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit beziehen darf, soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (EuGH, Urteil vom 21. Mai 2015, C-352/13, NZKart 2015, 307 Rn. 68 – Hydrogen Peroxide; EuGH, Urteil vom 24. Oktober 2018 – C-595/17, NJW 2019, 349 Rn. 22 – Apple Inc.; BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 – KZR 66/17, GRUR 2021, 991, Rn. 18 – Wikingerhof). Hieraus wurde abgeleitet, dass eine Klausel, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit erfasse, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seines einem rechtswidrigen Kartell entsprechenden Verhaltens belangt wird, da diese Folge nicht hinreichend vorhersehbar gewesen sei. Letzteres resultiere daraus, dass der geschädigte Unternehmer bei Abschluss des Vertrags nicht wusste, dass ein Vertragspartner an einem rechtswidrigen Kartell beteiligt war (EuGH, Urteil vom 21. Mai 2015, C-352/13, NZKart 2015, 307 Rn. 69 ff. – Hydrogen Peroxide).
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Von einer solchen Situation unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt in entscheidenden Punkten. Wie bereits ausgeführt, bedeutet – die Richtigkeit der Argumentation der Antragstellerin, der Tatbestand der unbilligen Behinderung sei erfüllt, unterstellt – in Fällen wie dem vorliegenden, dass jede unerlaubte Sperrung zugleich eine Behinderung i.S.v. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB bedeutet. Es war daher, zumal auch die marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin auf der Hand lag, offensichtlich, dass sich aus der Vertragsbeziehung Streitigkeiten der vorliegenden Art ergeben konnten und diese auch unter dem Gesichtspunkt des Kartellrechts rechtlich zu würdigen wären. Immerhin war bekannt und jedenfalls bei Durchsicht der Gemeinschaftsstandards etc. zu erkennen, dass die Antragsgegnerin gegen Beiträge vorzugehen gedenkt, die bestimmte Ausdrucksformen oder Inhalte aufweisen: es war daher keineswegs fernliegend, dass es zu Konflikten kommen kann, weil die Antragsgegnerin oder von ihr eingesetzte Software die Veröffentlichungen der Antragstellerin, die sich offenbar in aufreizenden Posen präsentiert, für einen Fall „menschlicher Ausbeutung“ hält.
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Dementsprechend differenziert auch der EuGH im Hinblick auf eine drohende Überraschung danach, ob das vorgetragene wettbewerbswidrige Verhalten etwas mit dem Vertragsverhältnis zu tun hat, in dessen Rahmen die Gerichtsstandsklausel vereinbart wurde, insbesondere, weil sich der im konkreten Fall geltend gemachte Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in den vertraglichen Beziehungen und in den Vertragsbedingungen manifestiert. Eine Erstreckung einer Gerichtsstandsvereinbarung auf darauf gestützte Klagen ist in einem solchen Fall auch dann nicht überraschend, wenn diese sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 – KZR 66/17, GRUR 2021, 991, Rn. 18 – Wikingerhof; EuGH, Urteil vom 24. Oktober 2018 – C-595/17, NJW 2019, 349 Rn. 29 ff. – Apple Inc).
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Berücksichtigt man dies und den zuvor dargestellten Umstand, dass jeder Vertragspartei klar sein muss, dass die andere kein Interesse besitzen kann, je nach rechtlicher Argumentation vor unterschiedlichen Gerichtsständen in Anspruch genommen zu werden, musste für die Antragstellerin erkennbar sein, dass Streitigkeiten der vorliegenden Art auch insoweit, als sie einen kartellrechtlichen Tatbestand erfüllen, von der Gerichtsstandvereinbarung erfasst sind.
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3. Auf die weiteren materiellrechtlichen Fragen, die sich zwischenzeitlich ergeben haben, kommt es damit nicht mehr entscheidend an.
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Dem Erfolg des Antrags auf Wiederherstellung des Nutzeraccounts steht allerdings, nachdem die Antragsgegnerin unstreitig die konkrete Sperre vom Juni 2025 am 4. August 2025 aufgehoben hat, entgegen, dass ein etwaiger Verfügungsanspruch damit erfüllt ist.
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Im Hinblick auf den Unterlassungsantrag bestehen deshalb Zweifel hinsichtlich des Verfügungsgrundes. Nachdem die Antragsgegnerin erklärt hat, künftig aufgrund des konkreten Sachverhalts keine Maßnahmen gegen die Antragstellerin mehr zu ergreifen, mag zwar die materiellrechtliche Wiederholungsgefahr nicht entfallen sein, wohl aber ein Verfügungsgrund, da eine etwaige Klärung in einem Hauptsacheverfahren erfolgen kann. Die zuletzt – wie von der Antragstellerin behauptet – erfolgten Sperren, die auf einen anderen Grund gestützt wurden, stellen einen völlig unterschiedlichen Sachverhalt dar als den, der Gegenstand der Sperre vom 19. Juni 2025 war. Dementsprechend sah der Senat auch keinen Anlass, der Antragsgegnerin, wie unter dem 18. August 2025 begehrt, Gelegenheit zur Erwiderung zu dem entsprechenden tatsächlichen Vorbringen einzuräumen.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Streitwert war entsprechend dem Ansatz des Landgerichts, gegen den sich die Parteien nicht gewandt haben, mit 15.000,00 € festzusetzen; auch der Senat hält diesen Betrag angesichts der unternehmerischen Betätigung der Antragstellerin und der daraus resultierenden Bedeutung für sie für angemessen.