Titel:
Nicht geringe Menge, Synthetische Cannabinoide, Psychiatrischer Sachverständiger, Entziehungsanstalt, Freiheitsstrafe, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Minder schwerer Fall, Hinreichende Erfolgsaussicht, Vorwegvollzug, Wirkstoffgehalt, Steuerungsfähigkeit, Verfahrensbeteiligte, Vertypte Milderungsgründe, Wertersatz, Gerichtsbekanntheit, Kostenentscheidung, Betäubungsmittelgesetz, Betäubungsmittelabhängigkeit, Betäubungsmittelgeschäfte, Betäubungsmitteldelikte
Normenketten:
BtMG § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage II zum BtMG
StGB §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2, §§ 52 Abs. 1, 64, 67 Abs. 2 S. 1, 2 u. 3, 73, 73c S. 1, 73d
Schlagworte:
Betäubungsmittelhandel, Abhängigkeitserkrankung, Strafzumessung, Schuldfähigkeit, Entziehungsanstalt, Wirkstoffgrenze, Vermögensabschöpfung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 23551
Tenor
1. Der Angeklagte ist schuldig des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
2. Er wird deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt.
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird angeordnet.
4. Von der erkannten Freiheitsstrafe ist ein Teil von einem Jahr und zwei Monaten vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt vorweg zu vollziehen.
5. Gegen den Angeklagten wird die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 5.980,00 EUR angeordnet.
6. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
(abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)
II. Suchtmittelkonsum und Abhängigkeit
1
Im Jahr 2014, als der Angeklagte 16 Jahre alt war, kam er über einen Schulfreund erstmalig mit Cannabis in Kontakt und konsumierte jenes sodann regelmäßig. Im Jahr 2017 stieg er von Cannabis auf Kräutermischungen um und rauchte hiervon täglich fünf bis sechs Gramm. Zudem kam am Wochenende und auf Partys regelmäßig Amphetamin und Ecstasy hinzu. Bis zu seiner Inhaftierung im hiesigen Verfahren konsumierte der Angeklagte zuletzt täglich Kräutermischungen, zwei bis vier kg Lachgas, Benzodiazepine, 10 x 10 mg Diazepam sowie 10 x 1 mg Alprazolam und am Wochenende zusätzlich Kokain sowie bis zu 30-40ml C-Liquid.
2
Alkohol konsumiert der Angeklagte nicht.
3
Bei dem Angeklagten besteht eine Abhängigkeitserkrankung von multiplen Substanzen gemäß ICD-10: F 19.2. Eine Therapie zur Bekämpfung seiner Betäubungsmittelabhänigkeit absolvierte der Angeklagte bislang nicht.
III. Strafrechtliche Vorahndungen
4
Der Angeklagte ist strafrechtlich bereits wie folgt in Erscheinung getreten:
5
Der Angeklagte ist unter den Benutzernamen „…“ auf der Internetplattform „crimemarket.is“ registriert, deren Hauptzweck der Handel mit kriminellen Gütern und Dienstleistungen ist.
6
Der Angeklagte veräußerte im Zeitraum vom 09.06.2023 bis Juli 2023 über die Internetplattform „crimemarket.is“ von seiner Wohnung aus gewinnbringend sog. „Knastpapiere“ sowie Kokain an andere Nutzer dieser Plattform. Die Betäubungsmittel versandte der Angeklagte nach Zahlung des Kaufpreises jeweils per Post an die Abnehmer.
7
Bei einem Knastpapier handelt es sich um ein mit ADB-BINACA getränktes Papier.
8
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Taten:
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Datum
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Käufer
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Menge
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Betäubungs mittel
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Preis
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[1]
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09.06.2023
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[1]
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Knastpapier
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105 EUR
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[2]
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18.07.2023
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[16]
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Knastpapiere
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1.000 EUR
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[3]
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§ 154a StPO
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[4]
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08.08.2023
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0,5
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Knastpapier
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50 EUR
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[5]
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16.08.2023
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[1]
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Knastpapier
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100 EUR
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[6]
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19.08.2023
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[2]
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Knastpapiere
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160 EUR
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[7]
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20.08.2023
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[1]
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Knastpapier
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100 EUR
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[8]
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22.08.2023
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[2]
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Knastpapiere
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160 EUR
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Datum
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Käufer
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Menge
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Betäubungs mittel
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Preis
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[9]
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§ 154a StPO
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[10]
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23.08.2023
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[1]
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Knastpapier
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110 EUR
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[11]
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§ 154a StPO
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[12]
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19.09.2023
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[1]
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Knastpapier
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100 EUR
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[13]
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24.09.2023
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0,3 Gramm
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Kokain
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15 EUR
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[14]
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29.09.2023
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1 Gramm
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Kokain
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60 EUR
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[15]
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01.10.2023
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[3]
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Knastpapiere
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300 EUR
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[16]
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20.10.2023
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[2]
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Knastpapiere
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210 EUR
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[17]
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29.11.2023
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[1]
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Knastpapier
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100 EUR
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[18]
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12.12.2023
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[2]
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Knastpapiere
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210 EUR
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9
Hierfür stellte der Angeklagte zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt Anfang August 2023 in der von ihm bewohnten Wohnung 100 Knastpapiere im Format DIN A4 her, indem er die karierten Papiere in einer Wanne mit synthetischen Cannabinoiden tränkte und sodann trocknete.
10
Aus dieser Herstellung stammen die in der Tabelle unter Ziff. 4.-12. und 15.-18. vorstehend genannten und an die genannten Abnehmer verkauften Knastpapiere (17 Stück), welche der Angeklagte mit den zuvor anderweitig verschafften Knastpapieren unter Ziff. 1.-2. als Vorrat aufbewahrte. Daneben veräußerte der Angeklagte an unbekannte Abnehmer aus der hergestellten Menge 32 Knastpapiere. Im Rahmen der polizeilichen Durchsuchung am 29.02.2024 konnten 38 Knastpapiere aufgefunden und sichergestellt werden.
11
Ein Anteil von 20% der hergestellten Menge Knastpapier diente dem Eigenkonsum des Angeklagten.
12
Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.
13
Die Knastpapiere wiesen bei einem Wirkstoffgehalt von 5,0% (hinsichtlich 95 Blättern) bzw. 5,1% (hinsichtlich 5 Blättern) insgesamt 29,04 Gramm ADB-BINACA auf. Das Kokain wies bei einem Wirkstoffgehalt von 20% insgesamt mindestens 0,26 Gramm Cocain-Hydrochlorid auf.
14
Der Angeklagte leidet an einer Abhängigkeit von multiplen Substanzen gemäß ICD-10: F.19.2. Die Fähigkeit, das Unrecht seines Tuns einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, war jedoch hierdurch nicht beeinträchtigt.
I. Keine Verfahrensabsprache
15
In der Hauptverhandlung hat keine Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 257c StPO stattgefunden. Die Feststellungen der Kammer beruhen auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme.
II. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen
III. Feststellungen zum Sachverhalt
16
Der Sachverhalt steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der umfassend geständigen Einlassungen des Angeklagten sowie aufgrund des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme im Übrigen.
17
Der Angeklagte hat sich umfassend geständig gezeigt und den Sachverhalt wie unter B. festgestellt eingeräumt, wobei er klarstellte, dass ein Anteil von ca. 20% der sichergestellten Betäubungsmittel seinem Eigenkonsum diente.
18
Die Kammer hat das Geständnis überprüft. Dieses hat sich durch das Ergebnis der übrigen Beweisaufnahme – insbesondere durch die Angaben des vernommenen Polizeibeamten, der den polizeilichen Erstzugriff durchgeführt hat und über die Auffindesituation hinsichtlich der Betäubungsmittel berichtete – bestätigt. Es bestand insofern kein Zweifel an der Richtigkeit und Glaubhaftigkeit der Angaben des Angeklagten, zumal sich dieser hierdurch selbst – teilweise sogar über den Anklagevorwurf hinaus – belastete und der massive Eigenkonsum des Angeklagten nicht in Abrede stand.
19
Aus der Einvernahme des Sachverständigen, der das Wirkstoffgutachten vom 19.06.2024 fertigte und hierüber mündlich berichtete, ergeben sich die unter B. festgestellten Mengen und Wirkstoffgehalte von 5,0% (hinsichtlich 33 Blätter) und 5,1% (hinsichtlich 5 Blätter) hinsichtlich der 38 Knastpapiere, die im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung sichergestellt und mithin untersucht werden konnten. Hinsichtlich der übrigen, bereits verkauften 62 Knastpapiere wurde – aufgrund der Vergleichbarkeit, da die Knastpapiere größtenteils aus einer Herstellung stammten – zu Gunsten des Angeklagten der Wirkstoffgehalt von 5% zu Grunde gelegt. Hinsichtlich des Kokains wurde zu Gunsten des Angeklagten von einem Wirkstoffgehalt von lediglich 20% Cocainhydrochlorid ausgegangen.
20
Abrundend wurden zahlreiche Lichtbilder in Augenschein genommen sowie auszugsweise der Observationsbericht der Polizei vom 29.02.2024 verlesen, so dass die Kammer sich insbesondere ein Bild von Art und Umfang der aufgefundenen Betäubungsmittel und der Observationsmaßnahmen machen konnte. Zudem wurden die Briefe des Angeklagten an … aus Dezember 2024 und an … aus Mai 2024 verlesen, welche die geständige Einlassung des Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung bestätigten.
21
IV. Feststellungen zur Abhängigkeitserkrankung und zur erhaltenen Schuldfähigkeit des Angeklagten Die Feststellungen zu der bei dem Angeklagten vorliegenden Abhängigkeitserkrankung sowie zur vollständig erhaltenen Schuld- und Einsichtsfähigkeit des Angeklagten ergeben sich aus den nachvollziehbaren Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen.
22
Dieser stellte dar, dass sich aus forensisch-psychiatrischer Sicht keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der eine solche auch selbst zu keinem Zeitpunkt eingewandt hat, ergeben hätten. Zwar leide der Angeklagte in der letzten Konsumphase vor der Inhaftierung an einer Abhängigkeitserkrankung von multiplen Substanzen gemäß ICD-10: F.19.2 sowie an einer Persönlichkeitsakzentuierung mit … . Allerdings habe sich diese Suchtmittelproblematik und die Persönlichkeitsakzentuierung bei dem Angeklagten auf die konkrete Tatbegehung nicht ausgewirkt: So resultiere hieraus bei dem Angeklagten keine schwerwiegende Veränderung der Persönlichkeitsstruktur, keine hirnorganische Schädigung und auch keine Persönlichkeitsstörung. Auch Entzugserscheinungen hätten bei dem Angeklagten keinen Einfluss auf die Tatdurchführung gehabt. Anhaltspunkte für einen schwerwiegenden Rauschzustand oder eine ausgeprägte Persönlichkeitsstörung hätten, so der Sachverständige, ebenfalls nicht vorgelegen, so dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit insgesamt nicht beeinträchtigt gewesen sei.
23
Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen des gerichtsbekannt sorgfältig und gewissenhaft arbeitenden Sachverständigen, gegen dessen Sachkunde auch die übrigen Verfahrensbeteiligten nichts erinnert haben, an und macht sich diese nach eigener kritischer Prüfung und Würdigung zu eigen. Der forensisch sehr erfahrene Sachverständige hat nachvollziehbar hergeleitet und begründet, dass eine Beeinträchtigung der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit nicht in Betracht kommt; es ist kein Umstand ersichtlich, der zu einer abweichenden Beurteilung Anlass geben könnte.
24
Der Angeklagte war daher voll schuldfähig.
25
Der Angeklagte hat sich auf Grund des festgestellten Sachverhalts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht.
26
I. Bestimmung des Grenzwertes der nicht geringen Menge Der Wirkstoff ADB-Binaca wurde durch die 23. Verordnung zur Änderung von Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes vom 01.06.2023 (BGBl. I 2023, Nr. 143) mit Wirkung vom 07.06.2023 in die Liste der Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen und war deshalb zum Tatzeitpunkt Betäubungsmittel.
27
Als Grenzwert der nicht geringen Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 für das synthetische Cannabinoid mit dem Wirkstoff ADB-BINACA hat die Kammer – wie vom Sachverständigen vorgeschlagen – ein Gramm herangezogen.
28
Berücksichtigt hat die Kammer hierbei, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen ist. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials, zu bemessen. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Urteile vom 10. August 2023 – 3 StR 462/22 Rn. 7; vom 5. November 2015 – 4 StR 124/14 Rn. 14; vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60 Rn. 10 und vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07, BGHSt 51, Rn. 12 ff.; Beschlüsse vom 8. März 2022 – 3 StR 136/21 Rn. 12 und vom 27. Januar 2022 – 3 StR 155/21, BGHSt 67, 2 Rn. 9).
29
Bei ADB-BINACA handelt es sich um einen potenten Cannabinoid-Rezeptor-Agonisten mit cannabis-ähnlicher Wirkung. Der Wirkstoff wird als sogenannte „Kräutermischung“, in reiner Pulverform und als dotierte CBD-Hanf-Produkte oder getränkte Papierbögen gehandelt und konsumiert.
30
Wie der Sachverständige ausführte, existieren keine ausreichend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu der äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis von ADB-BINACA wie auch zu anderen synthetischen Cannabinoiden, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass bei den Betroffenen oftmals eine Mischintoxikation vorliegt. Aus der Auswertung nichtwissenschaftlicher Erkenntnisquellen über die Erfahrungen von Konsumenten könne lediglich der Schluss gezogen werden, dass die Konsumeinheit der synthetischen Cannabinoide deutlich geringer ist als die bei THC bezogenen Cannabinoiden.
31
In Anbetracht der angeführten nicht ausreichend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse kann die nicht geringe Menge somit nur im Vergleich mit verwandten Wirkstoffen bestimmt werden. Hierzu bieten sich lediglich THC und andere synthetische Cannabinoide an, für die die nicht geringe Menge bereits höchstrichterlich festgestellt worden ist.
32
Nach den Ausführungen des Sachverständigen gilt für ADB-BINACA im Vergleich zu THC und anderen synthetischen Cannabinoiden Folgendes:
33
Wie auch andere synthetische Cannabinoide wirkt ADB-BINACA – anders als THC – als voller Agonist. THC dagegen wirkt als Partialagonist, was bedeutet, dass THC nur eine durch diesen Rezeptor vermittelte, im Vergleich zum Vollagonist submaximale Wirkung auslöst. Der Konsum von ADB-BINACA als Vollagonist führt zu einem wesentlich stärkeren Effekt, der bis zur Lebensbedrohlichkeit reichen kann. Anders als beim Konsum von THC tritt keine Sättigung ein. Vielmehr werden die Wirkungen, also auch die unerwünschten Nebenwirkungen, durch eine höhere Dosis verstärkt. Beobachtet wurden diesbezüglich halluzinogene Erlebnisphasen mit Angstzuständen, Desorientierung, Psychosen, Verwirrtheit, bis hin zur Bewusstlosigkeit, die in diesem Ausmaß nach dem Konsum von Cannabis nicht bekannt sind.
34
Mit Blick auf die Eigenschaft von ADB-BINACA als Vollagonist und die Tatsache, dass es stark an die Rezeptoren anknüpft (sog. intrinsische Aktivität) folgt die Kammer dem Vorschlag des Sachverständigen und setzt die Schwelle zur nicht geringen Menge auf ein Gramm Wirkstoffmenge, und damit deutlich niedriger als bei Cannabis, fest. Dies steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der bei stärker potenten Cannabinoiden wie 5F-ADB, AB-CHMINACA, AMBFUBINACA oder JWH-122 den Grenzwert bereits auf 1 Gramm festgelegt hat (BGH, Beschluss vom 08.03.2022 – 3 StR 136/21). Die Kammer hat bei ihrem Vergleich von ADB-BINACA mit diesen anderen synthetischen Cannabinoiden – wobei der Sachverständige klarstellte, dass es sich bei ADB-BINACA ebenfalls um ein stärker potentes Cannabinoid handelt – vor allem die besondere Gefährlichkeit der Substanz und die besonders niedrige Menge einer Konsumeinheit (ca. 1-2 mg bzw. 2 Kästchen eines karierten DIN-A4-Blattes berücksichtigt.
II. Annahme einer Bewertungseinheit
35
Die einzelnen aufgeführten Knastpapier- und Kokainverkäufe bilden dabei eine Tat im Sinne des § 52 StGB. Da die Betäubungsmittel aus unterschiedlichen Erwerbshandlungen sowie aus einer Herstellungshandlung miteinander als Vorrat in der Wohnung des Angeklagten vermischt wurden, begründet das Vermischen zu einer Gesamtmenge zum Zweck der Weiterveräußerung ein einheitliches Umsatzgeschäft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt das Zusammenführen von aus unterschiedlichen Einkäufen bzw. Herstellungen stammenden Suchtmitteln zu einer Gesamtmenge, um diese im Rahmen von Handelsgeschäften gewinnbringend weiterzuverkaufen (sog. Verkaufsvorrat), bei Teilidentität der Ausführungshandlungen zum Vorliegen einer einheitlichen Tat des Handeltreibens (vgl. etwa BGH NStZ-RR 2012).
36
III. Einstellung gemäß §§ 154 Abs. 2, Abs. 1 StPO bzw. Beschränkung der Verfolgung nach §§ 154a Abs. 2, Abs. 1 StPO Von der Verfolgung der Vorwürfe der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch den Ankauf von 1.000 Ecstasy Tabletten für einen anderen, damit dieser jene verkaufen kann vom 02.10.2022 sowie durch die Übergabe von Betäubungsmitteln an einen Uber-Fahrer wurde gem. §§ 154 Abs. 2, Abs. 1 StPO abgesehen. Soweit dem Angeklagten weitere Handelsgeschäfte mit Liquid (Vorwürfe aus den Ziff. 3., 9. und 11. der Anklage) zur Last lagen, wurde die Verfolgung nach §§ 154a Abs. 2, Abs. 1 StPO auf die übrigen Teile der Tat beschränkt.
37
Die Kammer ging im Ergebnis vom Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG aus, der eine Freiheitsstrafe zwischen 1 Jahr und 15 Jahren vorsieht.
38
Bei der Bestimmung hat die Kammer zunächst geprüft, ob ein minder schwerer Fall gem. § 29a Abs. 2 BtMG vorliegt, der zu einem gemilderten Strafrahmen mit Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis 5 Jahre führen würde, und dies im Ergebnis verneint.
39
Ein minder schwerer Fall liegt vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem solch erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2000 – 3 StR 363/99, NStZ 2000, 254). Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (vgl. nur BGH, Urteil vom 5. 6. 2003 – 3 StR 60/03, NStZ 2004, 32, 33; BGH, Beschluss vom 26. 8. 2008 – 3 StR 316/08, NStZ 2009, 37).
40
Bei der diesbezüglichen Prüfung hat die Kammer bedacht, dass es zuerst auf eine Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände ankommt. Erst wenn diese die Annahme eines minder schweren Falls allein nicht zu tragen vermögen, sind zusätzlich auch die gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe verwirklichenden Umstände in die Bewertung einzubeziehen (vgl. nur BGH, Urteil vom 28.02.2013, 4 StR 430/20; BeckRS 2013, 5335; BGH, Beschluss vom 16.11.2017, 2 StR 404/17, BeckRS 2017, 133725).
41
Bei der Gesamtwürdigung aller allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte des hiesigen Falls war zugunsten des Angeklagten maßgeblich sein umfassendes, von Reue geprägtes Geständnis zu sehen sowie der Umstand, dass die Tat vor allem der Finanzierung der eigenen Sucht diente. Zugunsten des Angeklagten fiel auch der Umstand ins Gewicht, dass er mit der form- und entschädigungslosen Einziehung der sichergestellten Gegenstände einverstanden war und eine nicht unerhebliche Rauschgiftmenge polizeilich sichergestellt und damit aus dem Verkehr gezogen werden konnte. Zudem spricht für den Angeklagten, dass dieser erkennbar und glaubhaft daran arbeiten will, sein Drogenproblem in den Griff zu bekommen.
42
Auf der anderen Seite wurde zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser bereits – teils einschlägig im Bereich der Betäubungsmitteldelikte – vorgeahndet ist und er die Tat beging, als er unter Bewährung stand. Ebenfalls war zu Lasten des Angeklagten zu sehen, dass die Menge der aufgefundenen Betäubungsmittel die Grenze zur nicht geringen Menge um ein Vielfaches überschritt. Berücksichtigt wurde ferner, dass Kokain ein erhebliches Suchtpotential und synthetische Cannabinoide eine erhöhte Toxizität aufweisen. Der Angeklagte verwirklichte zudem tateinheitlich mehrere Straftatbestände.
43
In einer Gesamtbetrachtung der Aspekte kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass das gesamte Tatbild (einschließlich der subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit) vom Durchschnitt des gewöhnlich vorkommenden unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht in einem solchen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG geboten erscheint.
44
Gesetzlich vertypte Milderungsgründe sind nicht ersichtlich, sodass ein minder schwerer Fall auch nicht unter zusätzlicher Berücksichtigung eines vertypten Milderungsgrundes zu rechtfertigen wäre.
45
II. Konkrete Strafzumessung
46
Ausgehend von dem dargestellten Strafrahmen von 1 Jahr bis 15 Jahren hat die Kammer bei der Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 46 StGB alle relevanten Strafzumessungskriterien herangezogen und bewertet.
47
Dabei wurden sämtliche der zuvor dargestellten strafzumessungsrelevanten Umstände nochmals gewichtet, wobei erneut insbesondere das vollumfängliche, erheblich selbstbelastende und von Schuldeinsicht und Reue getragene Geständnis aber auch die Art und enorme Menge der Betäubungsmittel gewürdigt wurde.
48
Unter Berücksichtigung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände sowie sämtlicher weiterer sich aus § 46 Abs. 1, Abs. 2 StGB ergebenden Strafzumessungsgründe war nach Überzeugung der Kammer eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren tat- und schuldangemessen und als Mindestmaß schuldgerechten Ausgleichs (§ 46 Abs. 1 StGB) geboten.
III. Maßregeln der Besserung und Sicherung
49
1. Keine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Mangels (überdauernder) psychischer Erkrankung bei dem Angeklagten und mangels Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zu den einzelnen Tatzeitpunkten kam eine Maßregel nach § 63 StGB von vornherein nicht in Betracht.
50
2. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB Dagegen war die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen.
51
Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 64 StGB in der seit dem 01.10.2023 geltenden Fassung sind erfüllt. Der Angeklagte weist einen Hang im Sinne der Vorschrift auf. Dieser Hang geht wiederum auf eine Substanzkonsumstörung zurück, infolge derer bei dem Angeklagten eine dauerhafte und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung eingetreten ist, welche ihrerseits fortdauert. Die verfahrensgegenständliche Tat geht auch überwiegend auf den Hang des Angeklagten zurück. Es besteht zudem die Gefahr, dass der Angeklagte, sollte er keine langfristige Therapiemaßnahme erfahren, weitere erhebliche Straftaten begehen wird. Es bestehen darüber hinaus tatsächliche Anhaltspunkte, dass der Angeklagte durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Zweijahresfrist des § 67d Abs. 1 S. 1 StGB zu heilen und von der Begehung hangbedingter, erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten ist.
a) Hang nebst Substanzkonsumstörung
52
Der Angeklagte weist einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB auf, Betäubungsmittel – zuletzt namentlich C-Liquid, Kräutermischungen, Kokain – im Übermaß zu sich zu nehmen. Es liegt diesbezüglich auch eine Substanzkonsumstörung vor, die sich – wie bereits ausgeführt – in einer Abhängigkeitserkrankung von multiplen Substanzen gemäß ICD-10: F19.02 manifestiert hat. Der Sachverständige hat diesbezüglich nachvollziehbar ausgeführt, dass bei dem Angeklagten nicht nur von einem schädlichen Gebrauch von Suchtmitteln auszugehen sei, sondern vielmehr eine akute Abhängigkeitserkrankung vorliege. Die Kammer teilt diese Einschätzung.
53
b) Schwerwiegende und dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensgestaltung Der Sachverständige führte aus, dass bei dem Angeklagten aus medizinischer Sicht von einer schwerwiegenden und dauerhaften Beeinträchtigung der Gesundheit sowie der Lebensgestaltung infolge der Substanzkonsumstörung auszugehen sei. In gesundheitlicher Hinsicht ist festzustellen, dass der Angeklagte aufgrund des erheblichen und dauerhaften Konsums Zahnausfall und Gedächtnisstörungen erlitten hat. Die Lebensführung des Angeklagten ist und war zudem beeinträchtigt. Schließlich scheiterte die letzte feste Beziehung des Angeklagten an dessen Betäubungsmittelabhängigkeit. Aufgrund des Suchtmittelkonsums verfügt der Angeklagte über kaum mehr stabile Kontakte zu zuverlässigen Personen, sondern verkehrte zuletzt ausschließlich mit Personen aus dem Betäubungsmittel- bzw. Rotlichtmilieu.
54
Die Kammer folgt hinsichtlich der Einschätzung, dass auf Grund der Substanzkonsumstörung eine dauerhafte und schwerwiegende, noch fortbestehende Beeinträchtigung der Lebensführung sowie der Gesundheit bei dem Angeklagten eingetreten ist, nach eigener kritischer Würdigung und aus eigener Überzeugung dem gerichtsbekannt sehr erfahrenen Sachverständigen. Die Kammer sieht diese Beeinträchtigungen auch als dauerhaft i.S.d. § 64 StGB an, da sie den Angeklagten auf nicht absehbare Zeit in seiner Lebensführung und Gesundheit beeinträchtigen werden.
c) Kausalität und Kriminalitätsprognose
55
Der Sachverständige führte weiter aus, dass er aus medizinischer Sicht davon ausgehe, dass die verfahrensgegenständliche Tat maßgeblich auf den Hang des Angeklagten zurückgehen würde, da der Angeklagte auf Grund seiner eigenen Drogensucht, die einen erheblichen Finanzbedarf mit sich bringe, eine Einnahmequelle habe generieren müssen. Die Tat sei dagegen nicht als Ausdruck einer per se delinquenten Lebensweise zu sehen. Sofern der Angeklagte keine Langzeittherapie erfahre, mithilfe derer er seine Suchtproblematik in den Griff bekommt, würden von ihm weitere erhebliche Straftaten aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.
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Auch insofern folgt die Kammer nach Würdigung der Gesamtumstände aus eigener Überzeugung der Einschätzung des Sachverständigen.
57
Es besteht auch eine hinreichende Erfolgsaussicht, dass der Angeklagte die Therapie erfolgreich durchläuft. Eine ausreichende Therapieerfolgsaussicht im Sinne des § 64 S. 2 StGB besteht aus Sicht der Kammer, weil sich – wie der Sachverständige ebenfalls schlüssig ausgeführt hat – keinerlei Beeinträchtigungen im Sinne einer Intelligenzminderung oder einer hirnorganischen Veränderung bei dem Angeklagten finden und er gewillt ist, seine Suchtmittelproblematik nachhaltig aufzuarbeiten. Der Sachverständige führte zudem aus, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Maßnahme auch deshalb zu erwarten sei, weil der Angeklagte nicht nur behandlungsfähig, sondern auch behandlungswillig sei.
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Die Kammer teilt die Auffassung des Sachverständigen umfassend. Insbesondere konnte die Kammer sich einen Eindruck von der körperlich schlechten Verfassung des Angeklagten machen, der insbesondere gealtert wirkt und seine Therapiemotivation kommunizierte.
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Die Kammer folgt auch hier nach eigener kritischer Prüfung und Würdigung der Gesamtlage der Einschätzung des Sachverständigen.
60
Nachdem der Sachverständige keine Faktoren, die einer regelgerecht verlaufenden Therapiemaßnahme entgegenstehen, zu erkennen vermochte und sich für eine Therapiedauer von 18 Monaten aussprach, schließt sich die Kammer dieser Einschätzung an.
61
Es bedarf gemäß § 67 Abs. 2 S. 1 u. 2 StGB daher des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe. Dieser ist ausgehend von der zu erwartenden Therapiedauer gemäß § 67 Abs. 2 S. 3 StGB auf 2 Jahre 2 Monate zu bestimmen.
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Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung von Wertersatz beruht auf §§ 73 Abs. 1, 73c StGB.
63
Der Angeklagte erzielte aus den Betäubungsmittelgeschäften aus den Ziff. 1-18 der Tabelle unter B. Erlöse in Höhe von insgesamt 2.780,00 EUR (1,3 Gramm Kokain & 17 Knastpapiere). Hinsichtlich der übrigen 45 Knastpapiere kommt nach Abzug des Eigenkonsumanteils in Höhe von 13 Knastpapieren ein Erlös von 3.200,00 EUR (32 Knastpapiere x 100,00 EUR) hinzu. Mithin hat der Angeklagte insgesamt 5.980.00 EUR durch die Tat erlangt. Dieser Betrag unterliegt, nachdem er sich nicht mehr gegenständlich im Vermögen des Angeklagten befindet, der Einziehung des Wertes von Taterträgen.
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Als Verurteilter hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 465 Abs. 1 StPO.