Titel:
Beginn des Drei-Monats-Zeitraums des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO bei Pfändung von Arbeitslohn
Normenkette:
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 2, § 140 Abs. 1
Leitsätze:
1. Soweit sich eine Pfändung auf eine künftige Forderung bezieht, wird ein Pfandrecht erst mit der Entstehung der Forderung begründet, sodass auch anfechtungsrechtlich auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Lohnanspruch entsteht monatlich am Monatsanfang neu. Die Fälligkeit des Lohnanspruchs ist für die Anfechtung nicht relevant. (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einem Insolvenzantrag am 5.2.2024 ist der zum 1.11.2023 entstandene Lohnanspruch außerhalb der Drei-Monats-Frist des § 131 I Nr. 2 InsO entstanden.(Leitsätze des Verfassers) (redaktioneller Leitsatz)
Bei der Insolvenzanfechtung eines Pfändungspfandrechts am gepfändeten Arbeitslohn des Schuldners kommt es für den Beginn des Drei-Monats-Zeitraums des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht auf die Zustellung des Pfändungsbeschlusses an, sondern auf die Entstehung des Anspruchs am Beginn des jeweiligen Bemessungsabschnitts nach dem Arbeitsvertrag (hier 15. jedes Monats) (Anschluss an BGH BeckRS 2009, 89008 und BeckRS 2008, 15503). (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzanfechtung, inkongruente Deckung, Lohnanspruch, Pfändung, Pfändungspfandrecht, Anfechtungszeitraum, Beginn, Anspruchsentstehung, Zustellung Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
Fundstellen:
ZIP 2025, 973
BeckRS 2025, 2342
NZI 2025, 330
FDInsR 2025, 002342
ZRI 2025, 491
LSK 2025, 2342
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 3.122,17 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Rückzahlung nach einer eingetretenen Insolvenz.
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Mit Beschluss vom 08.02.2024 hat das Amtsgericht Saarbrücken – Insolvenzgericht – das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn ... eröffnet (116 IK 13/24) und den Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Eröffnung erfolgte aufgrund des eigenen Antrags des Herrn ... (nachfolgend „Insolvenzschuldner“ genannt) vom 05.02.2024.
3
Der Insolvenzschuldner ist seit dem 01.05.2021 bei der Stiftung ... als Bereichsleiter angestellt. Ausweislich § 21a Abs. 1 S. 1 Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen, die der ... D. angeschlossen sind (nachfolgend: AVR DD) (vgl. Anlage K7) werden die Bezüge für den Kalendermonat berechnet und am 15. jedes Monats (Zahltag) für den laufenden Monat ausgezahlt.
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Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 02.03.2023 wurde der Lohn des Insolvenzschuldners, aufgrund des Haftungsbescheides des Beklagten gegen den Insolvenzschuldner vom 08.06.2020 über einen Betrag in Höhe von 123.721,79 € durch den Beklagten gepfändet.
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Am 15.11.2023 erfolgte infolge der Lohnpfändung eine Drittschuldnerzahlung in Höhe von 3.122,17 € vom Arbeitgeber des Insolvenzschuldners an den Beklagten.
6
Mit Schreiben vom 05.03.2024 forderte der Kläger den Beklagten unter anderem auf, den in anfechtbarer Weise erlangten Betrag bis zum 18.03.2024 an die Insolvenzmasse zurückzuerstatten. Nach einer anwaltlichen Zahlungsaufforderung lehnte der Beklagte die Rückerstattung mit Schreiben vom 30.04.2024 ab.
7
Der Kläger meint, der Anspruch sei erst mit Ablauf des Monats, der zu vergüten war, entstanden, da erst ab diesem Zeitpunkt die Arbeit tatsächlich erbracht worden sei. Bei § 21a Abs. 1 S. 1 AVR DD i.V.m. § 2 des Arbeitsvertrags vom 24.03.2021 handele es sich lediglich um eine Regelung der Zahlungsmodalitäten, die auf das Entstehen des Anspruchs keinen Einfluss habe.
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 3.122,17 € zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.03.2024;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 453,87 € zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem, auf die Rechtshängigkeit folgenden Tage.
9
Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte meint, die Lohnpfändung des Beklagten vom 02.03.2023 entfalte angesichts ihrer Wirkung auch für künftige Ansprüche, d.h. auch nachfolgend entstehende Monatsgehälter des Insolvenzschuldners. Der Anspruch auf Zahlung des Arbeitslohns für November 2023 sei bereits am 01.11.2023 entstanden und daher nicht vom anfechtungskritischen Zeitraum umfasst.
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Die Parteien haben einem schriftlichen Verfahren zugestimmt. Mit Beschluss vom 06.12.2023 wurde als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, der 23.12.2024 bestimmt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
13
1. Der Kläger hat die streitigen Zahlungen der Drittschuldnerin an den Beklagten gem. § 131 Abs. 1 Nrn. 2 InsO nicht wirksam angefochten. Der Beklagte hat sie deshalb nicht nach § 143 Abs. 1 InsO an den Kläger zurückzugewähren.
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Nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in dieser Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist bzw. wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Sicherung oder Befriedigung, die im Wege der Zwangsvollstreckung nicht früher als drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags erlangt worden ist, inkongruent, BGH Urt. v. 17.08.2008, IX ZR 203/07, Rn. 4. Ein während des Dreimonatszeitraums vor dem Eröffnungsantrag und bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wirksam gewordenes Pfandrecht in der Insolvenz begründet folglich kein anfechtungsfestes Absonderungsrecht nach § 50 Abs. 1 InsO.
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2. Der anfechtungskritischen Drei-Monatszeitraum gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO begann drei Monate vor der Stellung des Insolvenzantrags, mithin am 05.11.2023. Der Lohnanspruch des Insolvenzschuldners für November 2023 ist bereits vor diesem Zeitpunkt, am 01.11.2023, zur Entstehung gelangt.
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Gemäß § 140 Abs. 1 InsO ist für die Anfechtbarkeit des Pfändungspfandrechts auf den Zeitpunkt der Entstehung der jeweiligen Lohnforderung abzustellen. Die rechtlichen Wirkungen einer Forderungspfändung treten zwar grundsätzlich zu dem Zeitpunkt ein, in dem der Pfändungsbeschluss dem Drittschuldner zugestellt wird, weil damit ihre rechtlichen Wirkungen eintreten (§ 829 Abs. 3 ZPO). Soweit sich die Pfändung jedoch auf eine künftige Forderung bezieht, wird ein Pfandrecht nach ständiger Rechtsprechung des BGH erst mit deren Entstehung der Forderung begründet, so dass auch anfechtungsrechtlich auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist (BGH, Urteil vom 17. 9. 2009 – IX ZR 106/08, NJW 2010, 444 m.w.N.).
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Der Lohnanspruch entsteht nicht bereits mit der Aufnahme des Arbeitsverhältnisses, sondern er entsteht monatlich am Monatsanfang neu (BGH Urt. v. 17.7.2008 – IX ZR 203/07, BeckRS 2008, 15503 Rn. 5). Dass in der Urteilsbegründung des BGH nicht der Folgemonat, sondern der Monat gemeint ist, in dem die Arbeitsleistung erbracht wird, wird durch die deutlichere Formulierung der Vorinstanz des Landgerichts Bonn klar: „Gehaltsansprüche des Arbeitnehmers […] entstehen erst in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang, d.h. mit Beginn des Zeitabschnitts, nach dem die Vergütung bemessen ist, mithin bei kalendermonatlicher Bemessung der Vergütung mit Beginn des jeweiligen Kalendermonats, in welchem die Arbeitsleistung zu erbringen ist.“ (LG Bonn Urt. v. 24.10.2007 – 5 S 44/07, BeckRS 2007, 19645 Rn. 14).
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Dies steht auch nicht im Widerspruch zu früheren Entscheidungen des BGH, bei welchen es nicht auf die Entstehung, sondern die Durchsetzbarkeit des Anspruchs ankam. Nach der gesetzlichen Regelung des § 614 BGB wird der Lohnanspruch erst mit der Erbringung der jeweiligen Dienstleistung fällig und der Arbeitnehmer ist zur Vorleistung verpflichtet (vgl. BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 87/07, NJW-RR 2008, 1441, 1442, Rn. 13, BGH, Urt. v. 20. 9. 2012 – IX ZR 208/11, NJW-RR 2013, 248 Rn. 14 und BGH v.10.7.2014 – IX ZR 192/13, NJW 2014, 2579 Rn. 36).
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Auch der in der BAG Rechtsprechung manifestierte Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ bezieht sich lediglich auf die Fälligkeit des Lohnanspruchs. Das BAG zitiert in diesem Zusammenhang § 614 BGB, welcher ausdrücklich die Fälligkeit des Lohnanspruchs und nicht etwa den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung regelt (BAG, v. 16.05.2012, 5 AZR 347/11 und v. 16.04.2013, 9 AZR 554/11). Es widerspricht daher nicht dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“, wenn der Anspruch zum Monatsanfang entsteht und erst zum Monatsende, nach Verrichtung der Arbeit, fällig wird.
21
Diese Auslegung ist auch mit der abweichenden Regelung in § 2 des Arbeitsvertrags vom 24.03.2021 i.V.m. § 21a Abs. 1 S. 1 AVR DD (vgl. Anlage K7) vereinbar, da die Fälligkeit eines Anspruchs dessen Entstehung voraussetzt und daher der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung in diesem konkreten Arbeitsverhältnis vor dem 15. des Monats, der zu vergüten ist, liegen muss.
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Dem Kläger steht hinsichtlich des an den Beklagten abgeführten Einkommensanteils des Insolvenzschuldners für den Monat November 2023 folglich kein Anfechtungsrecht nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu. Auf die Frage der Zahlungsunfähigkeit kommt es daher nicht an.
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Die geltend gemachte Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708, 711 ZPO.
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Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 3 ZPO, § 63 Abs. 2 S. 1 GKG.