Inhalt

OLG München, Beschluss v. 10.09.2025 – 7 W 1061/25 e
Titel:

Streitwertfestsetzung, Hauptsachestreitwert, Festsetzung des Streitwerts, Einstweiliges Verfügungsverfahren, Gewinnverwendungsbeschluß, Gewinnausschüttung, Hauptsacheverfahren, Antragsgegner, Ermessensfehler, Landgerichte, Vorläufige Untersagung, Abschlag, Kostenentscheidung, Beschlussanfechtung, vorläufige Regelung, Billiges Ermessen, Grundkapital, Rechtskrafterstreckung, Anfechtung, Vorläufiger Rechtsschutz

Schlagworte:
Streitwertfestsetzung, Ermessensausübung, Gewinnverwendungsbeschluss, Beschlussanfechtung, Hauptsacheverfahren, Vorläufiger Rechtsschutz, Vermögensinteresse
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 15.05.2025 – 5 HK O 6209/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 23411

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 15.5.2025 (Az.: 5 HK O 6209/5) wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrte mit Antrag vom 14.5.2025 von der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung, es zu unterlassen, den in der Hauptversammlung vom 12.5.2025 gefassten Gewinnverwendungsbeschluss über die Ausschüttung einer Dividende von 30 Mio. € zu vollziehen. Das Verfahren endete durch Rücknahme des Antrags.
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Die Antragsgegnerin ist eine Gesellschaft in der Rechtsform der SE mit einem Grundkapital von 144.179,- €. Die Antragstellerin ist an der Antragsgegnerin mit 32.850 Aktien beteiligt, welche rund 22,8% des Grundkapitals repräsentieren.
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Durch den angegriffenen Beschluss hat das Landgericht den Streitwert des Verfügungsverfahrens auf 2.280.000,- € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie die Festsetzung des Streitwerts auf 20 Mio. € erstrebt. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13.8.2025 nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
4
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Streitwertfestsetzung nach § 247 AktG (der für die SE entsprechend herangezogen werden kann) richtet sich (insoweit nicht anders als bei § 3 ZPO) nach billigem Ermessen, wobei die Kriterien für die Ermessensausübung nach den Sätzen 1 und 2 des Absatzes 1 der Vorschrift vorgegeben sind. Ermessensfehler des Landgerichts sind (jedenfalls auf der Basis des genannten Abhilfebeschlusses) nicht ersichtlich.
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1. Nicht zu beanstanden ist der methodische Ansatz des Landgerichts, zunächst den Streitwert eines hypothetischen Hauptsacheverfahrens zu ermitteln und vom Ergebnis einen Abschlag im Hinblick darauf vorzunehmen, dass vorliegend nur eine vorläufige Regelung streitgegenständlich war.
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2. Hauptsacheverfahren für das vorliegende Verfügungsverfahren wäre eine Klage auf Nichtigerklärung des gefassten Gewinnverwendungsbeschlusses. Der vom Landgericht vorgenommene Ansatz eines hypothetischen Streitwerts von 6.840.000,- € erscheint nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere wurden dabei die Kriterien des § 247 Abs. 1 AktG zutreffend angewendet.
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a) Zu Satz 1 des § 247 Abs. 1 AktG erkennt das Landgericht, dass in die Ermittlung der Umstände des Einzelfalles bzw. der Bedeutung der Sache für die Parteien nicht nur die Interessen des klagenden Aktionärs und der Gesellschaft, sondern wegen der Rechtskrafterstreckung des § 248 AktG auch diejenigen der übrigen Aktionäre einzubeziehen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 28.9.1981 – II ZR 88/81, Rz. 2). Dass das Landgericht auf dieser Basis im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Beschluss vom 23.4.2025 – 7 W 344/25 e, Rz. 21) den Vermögenswert der beschlussgegenständlichen Maßnahme, also die zu beschließende Gewinnausschüttung von 30 Mio. € ansetzt, lässt Ermessensfehler nicht erkennen.
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b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht auch angenommen, dass der sich nach Satz 1 der Vorschrift ergebende Wert eine Deckelung durch Satz 2 erfährt. Rechnerisch richtig geht es davon aus, dass der hiernach maßgebliche Wert von 1/10 des Grundkapitals der Antragsgegnerin 14.417,90 € betragen würde. Konsequent prüft es sodann, ob die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin höher zu bewerten ist (§ 247 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 AktG), und kommt hiernach zu einer Bewertung der Hauptsache mit 6.840.000,- €. Dieser Betrag entspricht rechnerisch dem Anteil von 22,8% der Antragstellerin am auszuschüttenden Gewinn von 30 Mio. €. Auch dies lässt Ermessensfehler nicht erkennen.
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Rechtlich zutreffend geht das Landgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Beschluss vom 8.8.2023 – 7 W 712/22 e, Rz. 7) davon aus, dass für die Überschreitung des Deckelungsbetrages (im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, anfechtende Aktionäre nicht mit übermäßigen Kostenrisiken zu belasten) ausschließlich die Interessen des Anfechtenden maßgeblich sind. Von daher erscheint es konsequent, wenn man die Interessen aller Beteiligter nach S. 1 der Vorschrift mit dem Vermögenswert der beschlussgegenständlichen Maßnahme bewertet (vgl. oben), die Interessen des Anfechtenden mit seinem Anteil daran zu bewerten. Nicht anders hat es die Antragstellerin selbst gesehen, wenn sie ihr Interesse in der Antragsschrift (Bl. 2 und 54) unter Berücksichtigung eines Verfügungsabschlags von 2/3 mit 2.280.000,- € bewertete, was einem Hauptsachestreitwert von 3 x 2.280.000,- € = 6.840.000,- € entspricht.
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Das Landgericht durfte sich ohne Ermessensfehler an dieser Bewertung ihres Interesses am Verfahren durch die Antragstellerin orientieren. Die von der Beschwerde hiergegen angeführten Gesichtspunkte zwingen nicht zu einer anderen Bewertung. Gegenständlich ist eine Beschlussanfechtung und keine bezifferte Zahlungsklage; dass im Beschlussantrag die Zahl „30
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Mio. €“ auftaucht, besagt damit noch nicht, dass der Streitwert diesem Betrag entspricht. Das Interesse der Antragstellerin ist auch nicht deshalb mit 30 Mio. € zu bewerten, weil die Antragstellerin die Ausschüttung des Gesamtgewinns an alle Gesellschafter verhindern will; denn dies reflektiert das Interesse der Gesellschaft und nicht das für eine Überschreitung des Deckelungsbetrages allein maßgebliche (vgl. oben) der Antragstellerin. Es mag sein, dass es der Antragstellerin nicht (nur) um die konkrete Gewinnverwendung, sondern auch um die Durchsetzung des von ihr behaupteten Vetorechts für zukünftige Gewinnverwendungsbeschlüsse geht; das ändert aber nichts daran, dass streitgegenständlich nur die konkrete Gewinnverwendung ist. Für nicht relevant erachtet der Senat schließlich auch die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass der Gesellschaftsanteil der Klägerin wesentlich mehr wert sei als 22,8% am Grundkapital der Antragsgegnerin; eine solche Betrachtungsweise (die schon für die Festsetzung des korrekten Streitwerts eine sachverständige Unternehmensbewertung voraussetzen würde) verkennt, dass der Satz 2 des § 247 Abs. 1 AktG in typisierender Betrachtung vom Grundkapital ausgeht.
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3. Nicht zu beanstanden ist auch der Ansatz eines Bruchteils von 1/3 des Hauptsachestreitwerts für das vorliegende Verfügungsverfahren, so dass sich ein Betrag von 2.280.000,- € ergab.
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Im Verfügungsverfahren hätte die Antragstellerin allenfalls eine vorläufige Regelung, befristet bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens erreichen können (konkret: eine vorläufige Untersagung der Gewinnausschüttung). Das Interesse hieran ist denknotwendig geringer als eine im Hauptsacheverfahren abstrakt denkbare endgültige (rechtskräftige) Verhinderung der Gewinnausschüttung. Dem hat das Landgericht konsequent durch einen Abschlag vom Hauptsachestreitwert Rechnung getragen.
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Die Bemessung dieses Abschlags mit 2/3 des Hauptsachestreitwerts lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Nicht gefolgt werden kann der Ansicht der Beschwerde, dass eine eventuelle vorläufige Untersagung dem Befriedigungsinteresse der Antragstellerin weitgehend Rechnung trüge und damit einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkommen würde; denn die Antragsgegnerin wäre im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache (die beim Landgericht unter dem Aktenzeichen 5 HK O 7686/225 anhängig ist) nicht gehindert, die gegenständlichen Gewinne später auszuschütten, so dass eine vorläufige Regelung das Interesse der Antragstellerin an der Nichtausschüttung der Gewinne bei weitem nicht vollständig befriedigen würde.
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Dass ein geringerer Abschlag von etwa 1/2 oder 1/3 des Hauptsachestreitwert im Rahmen billigen Ermessens möglicherweise ebenfalls begründbar gewesen wäre, macht den vorliegend vom Landgericht vorgenommenen Abschlag von 2/3 nicht ermessensfehlerhaft.
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Dass andere Gerichte in Wettbewerbs- und Familienrechtssachen unter dem Regime der §§ 51 GKG, 41 FamGKG bei im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes geltend gemachten Unterlassungsansprüchen einen geringeren oder keinen Abschlag gegenüber dem Hauptsachestreitwert vorgenommen haben, hinderte vorliegend das Landgericht unter dem Regime des § 247 AktG nicht zu entscheiden wie geschehen.
III.
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Eine Kostenentscheidung und eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht veranlasst (§§ 68 Abs. 3, Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).