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VG München, Beschluss v. 12.02.2025 – M 3 S 25.50045
Titel:

Dublin-Verfahren, EURODAC-Treffer, Kategorie 1, Abschiebungsanordnung, Zielstaat: Kroatien, Herkunftsstaat: Afghanistan, 2-Stufen-Prüfung des EuGH, Systemische Schwachstellen (offen gelassen), Keine konkrete Verletzungsgefahr von Art. 4 GrCh im Einzelfall

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AsylG § 34a
GrCh Art. 4
Dublin III-VO
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, EURODAC-Treffer, Kategorie 1, Abschiebungsanordnung, Zielstaat: Kroatien, Herkunftsstaat: Afghanistan, 2-Stufen-Prüfung des EuGH, Systemische Schwachstellen (offen gelassen), Keine konkrete Verletzungsgefahr von Art. 4 GrCh im Einzelfall
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2319

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Die Antragspartei begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2025 angeordnete Abschiebung nach Kroatien.
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Der Antragsteller, afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 9. Januar 2025 erneut in das Bundesgebiet ein und beantragte am 16. Januar 2025 erneut die Durchführung eines Asylverfahrens.
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Eine EURODAC-Abfrage ergab einen Treffer der „Kategorie 1“ für Kroatien. Am 20. Januar 2025 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Kroatien. Mit Schreiben vom 30. Januar 2025 erklärten die kroatischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags aufgrund Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO.
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Mit Bescheid vom 4. Februar 2025 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Kroatien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Am 10. Februar 2025 hat die Antragspartei Klage (Verfahren M 3 K 25.50044) erhoben und beantragt gleichzeitig,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung wird auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt verwiesen.
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Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 3 K 25.50044, sowie die vom Bundesamt übermittelte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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1. Der zulässige Antrag gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
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Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse der Antragspartei an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragspartei regelmäßig zurück.
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Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zu Lasten der Antragpartei aus. Nach summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnung im streitgegenständlichen Bescheid als gering anzusehen. Die Abschiebungsanordnung erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, da der Asylantrag zutreffend nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig abgelehnt worden sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG).
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Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
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Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Kroatien der zuständige Mitgliedstaat für die Durchführung der Asylverfahren der Antragspartei i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist.
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a) Die Zuständigkeit Kroatiens für den Asylantrag der Antragspartei ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO. Insoweit ist Kroatien, wo die Antragspartei ausweislich des EURODAC-Treffers mit der Kennzeichnung „HR1“ zuerst einen Asylantrag gestellt hat, zuständig. Die Ziffer „1“ in der Kennzeichnung „HR1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013 – EURODAC-VO).
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b) Auch trat kein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO ein, weil das Wiederaufnahmegesuch fristgerecht erfolgte. Kroatien hat innerhalb der 2-monatigen Antwortfrist des Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-VO dem Ersuchen zugestimmt, mit der nach sich ziehenden Verpflichtung Kroatiens, die Antragspartei wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für deren Ankunft zu treffen.
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c) Die Abschiebung nach Kroatien kann auch durchgeführt werden (vgl. § 34a Abs. 1 AsylG); die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich, dass die Antragspartei im Falle einer Abschiebung nach Kroatien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) ausgesetzt wäre (sog. 2-Stufen-Prüfung).
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Von systemischen Mängeln kann nur dann ausgegangen werden, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass die Schwachstellen im Asylsystem eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Hiermit geht grundsätzlich ein zweistufiges Prüfprogramm einher: Die Frage des Vorliegens systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat einerseits (1. Stufe) sowie die beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer Verletzung des Rechts aus Art. 4 GrCh andererseits (2. Stufe), die jeweils (grundsätzlich) kumulativ vorliegen müssen (vgl. EuGH, U.v. 29.2.2024 – C-392/22 – juris Rn. 59 ff.; U.v. 19.12.2024 – C-185/24; C-189/24 – juris Rn. 35 ff.). Daher machen selbst schwerwiegende Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen, die nicht nur vereinzelt vorkommen (und damit „systemisch“ sind), eine Überstellung im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht unmöglich, wenn sich daraus im konkret zu entscheidenden Einzelfall keine Gefahr einer erniedrigenden oder Art. 4 GrCh widersprechenden unmenschlichen Behandlung ableiten lässt (vgl. NdsOVG, U.v. 11.10.2023 – 10 LB 18/23 – juris Rn. 28; vgl. für den Fall des Vorliegens einer konkreten Garantieerklärung durch den Dublin-Zielstaat bei ansonsten vorliegenden systemischem Mangel: BayVGH, B.v. 27.2.2023 – 24 ZB 22.50056 – juris Rn. 13; zum Ganzen nun auch: VG München, B.v. 29.1.2025 – M 10 S 25.50022 – n.v. Rn. 18).
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aa) Die überwiegende Auffassung der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geht davon aus, dass das kroatische Asylsystem aktuell nicht an systemischen Mängeln leidet, wobei teilweise nicht zwischen den beiden Stufen differenziert wird (vgl. etwa HessVGH, B.v. 6.4.2024 – 2 A 1129/20 Z.A. – juris Rn. 17 ff.; VGH BW, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 36; NdsOVG, B.v. 22.2.2023 – 10 LA 12/23 – juris Rn. 8; B.v. 4.12.2023 – 10 LB 91/23 – juris Rn. 44; OVG NW, B.v. 4.7.2024 – 11 A 2105/23.A – juris Rn. 17 ff.; VG München, B.v. 27.3.2024 – M 19 S 24.500041 – juris; B. v. 27.6.2024 – M 3 S 24.50679 – juris Rn. 18; B.v. 23.5.2024 – M 22 S 24.50527 – juris; zuletzt: B.v. 17.1.2025 – M 3 S 24.5100 – n.v.; VG Ansbach, B.v. 19.6.2024 – AN 17 S 24.50374 – juris Rn. 22 ff.; B.v. 6.2.2024 – AN 14 S 23.50623 – juris; VG Würzburg, B.v. 7.5.2024 – W 7 S 24.50124 – juris; VG Arnsberg, B.v. 14.8.2024 – 6 L 788/24.A – juris; VG Cottbus, B.v. 15.9.2024 – VG 5 L 313/23.A – juris Rn. 15; VG Düsseldorf, B.v. 4.7.2024 – 12 L 1041/24.A – juris; VG Leipzig, B.v. 6.12.2022 – 6 L 678/22.A – juris S. 6 ff.; VG Saarlouis, B.v. 27.5.2024 – 5 L 550/24 – juris; VG Sigmaringen, B.v. 26.6.2024 – A 7 K 3288/23 – juris; VG Trier, B.v. 8.7.2024 – 2 L 3699/24.TR – juris; VG Wiesbaden, U.v. 25.4.2024 – 7 K 324/24.WI.A – juris; VG Hamburg, B.v. 30.7.2024 – 4 AE 2735/24 – juris m.w.N. zur Unterbringungssituation; a.A.: VG Hannover, B.v. 7.9.2022 – 15 B 3250/22 – juris Rn. 14 ff.; VG Stuttgart, B.v. 2.9.2022 – A 16 K 3603/22 – juris Rn. 21 ff.; VG Freiburg, B.v. 2.9.2022 – A 16 K 3603/22 – juris Rn. 21; VG Braunschweig, U.v. 24.5.2022 – 2 A 26/22 – juris Rn. 34 ff., 46; VG Köln B.v. 6.11.2024 – 22 L 2088/24.A – juris: Annahme offener Erfolgsaussichten auch unter Bezugnahme auf VG München, U.v. 22.2.2024 – M 10 K 22.50479 – juris; VG München, U.v. 31.5.2024 – M 10 K 23.50996 – juris; U.v. 10.6.2024 – M 10 K 23.50921 – juris; U.v. 10.6.2024 – M 10 K 23.51111 – juris; B.v. 29.7.2024 – M 10 S 24.50732 – juris Rn. 19 zur weiteren Entwicklung seit dem „Februar-Urteil“).
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Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat jüngst aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27. Januar 2025 ein Urteil des Verwaltungsgerichts München aufgehoben und entschieden, dass eine Rücküberstellung nach Kroatien möglich sei. Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen derzeit (wohl) noch nicht vor.
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bb) Dessen ungeachtet kann aber im Ergebnis offen bleiben, ob systemische Mängel vorliegen (1. Stufe). So ist das Vorliegen systemischer Schwachstellen grundsätzlich notwendige, aber jedenfalls nicht hinreichende Voraussetzung für die Annahme eines Zuständigkeitsübergangs (siehe auch für eine (allein) drohende Art. 4 GrCh-Verletzungsgefahr ohne die Prüfung systemischer Mängel: EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris Rn. 91 ff. und Hruschka, NVwZ 2017, 691, 696: „Abnehmende Bedeutung der ‚systemischen Schwachstellen’“).
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So sind etwa die von der 10. Kammer des Verwaltungsgerichts München in den Verfahren M 10 K 22.50479 und M 10 K 23.50597 (jeweils juris) festgestellten systemischen Mängel aufgrund regelhaft vorkommender Rechtsverstöße gegen das Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren (Art. 6 RL 2013/32/EU), das Refoulement-Verbot sowie das Verbot der Kollektivausweisung im konkreten Einzelfall des Antragstellers nicht in einer die Überstellung hindernden Weise im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO beachtlich, da sie sich nicht in überstellungsrelevanter Weise auf den Antragsteller auswirken bzw. mit der konkreten Gefährdung ihrer Rechte aus Art. 4 GrCh einhergehen (vgl. nun auch: VG München, B.v. 29.1.2025 – M 10 S 25.50022 – n.v. Rn. 20).
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Es gibt nach hier vertretenen Auffassung keine belastbaren Erkenntnisse, die im Sinne eines „real risk“ bzw. einer „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ darauf hindeuten, dass der Antragsteller nach der Überstellung von illegalen „Push-Backs“ oder Kettenabschiebungen betroffen sein könnte (vgl. HessVGH, B.v. 6.4.2024 – 2 A 1129/20 Z.A. – juris Rn. 17; VGH BW, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 58; NdsOVG, B.v. 4.12.2023 – 10 LB 91/23 – juris Rn. 44; B.v. 22.2.2023 – 10 LA 12/23 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 4.7.2024 – 11 A 2105/23.A – juris Rn. 19; VG Berlin, B.v. 7.5.2024 – 30 L 296/24 A – juris; B.v. 4.9.2024 – 24 L 185/24 – juris Rn. 18 ff.; VG München, B.v. 23.5.2024 – M 22 S 24.50527 – juris Rn. 32; B. v. 27.6.2024 – M 3 S 24.50679 – juris Rn. 20; B.v. 21.1.2025 – M 19 S 24.50838 – n.v.; VG Wiesbaden, U.v. 25.4.2024 – 7 K 324/24.WI.A – juris Rn. 33 ff.; B.v. 26.4.2024 – 4 L 371/23.WI.A – juris). Eine Verletzung von Art. 4 GrCh muss im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (NdsOVG, B.v. 22.2.2023 – 10 LA 12/23 – juris Rn. 5; VG München, B.v. 27.3.2024 – M 19 S 24.500041 – juris Rn. 37; B. v. 27.6.2024 – M 3 S 24.50679 – juris Rn. 21).
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Der Antragsteller wurde in Kroatien in Zagreb und damit nicht in der Grenzregion zu Bosnien und Herzegowina registriert. Auch in der Bundesamtsanhörung hat er nicht vorgetragen über Bosnien und Herzegowina nach Kroatien gelangt zu sein. Dementsprechend ist beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller etwa über Ungarn nach Kroatien eingereist ist. Es ist somit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ersichtlich, dass der Antragsteller von den bilateralen Rückübernahmeabkommen betroffen ist und weshalb er konkret eine Rückführung aufgrund deren Grundlage in diese Staaten zu befürchten hat. Zudem spricht die Tatsache, dass der Antragsteller sich zwischenzeitlich wieder mehrere Wochen in Kroatien aufgehalten hat, jedenfalls nicht positiv für ein Unterfallen unter die Rücknahmeabkommen. Ohne dass es hier einer abschließenden Entscheidung bedarf, dürfte der Transit allein durch Bosnien und Herzegowina und die grundsätzliche Rückführungsmöglichkeit nach dem bilateralen Rückübernahmeabkommen nicht für eine konkrete Verletzungsgefahr von Art. 4 GrCh genügen, sofern Kroatien nicht im konkreten Einzelfall bereits ein Wiederaufnahmegesuch an Bosnien und Herzegowina gerichtet bzw. dem betreffenden Drittstaatsangehörigen die Stellung eines Asylgesuchs verweigert oder ein Rückübernahmeverfahren nach Bosnien und Herzegowina eingeleitet hat. Der Antragsteller hat auch nicht konkret glaubhaft gemacht, dass Kroatien nach der Einreise unmittelbar ein Wiederaufnahmegesuch an Bosnien und Herzegowina gerichtet hat (z.B. mittels Vorlage eines konkret auf seinen Namen erlassenen sog. „7-Tage-Papiers“; vgl. zur dieser Konstellation, die zur Annahme einer konkreten Art. 4 GrCh-Verletzungsgefahr in dem „Februar-Urteil“ geführt hat: VG München, U.v. 22.2.2024 – M 10 K 23.50597 – juris Rn. 45).
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Es bestehen zwar wohl mittlerweile Anhaltspunkte dahingehend, dass die bilateralen Abkommen im Jahr 2023 auch tatsächlich angewendet wurden. So seien nach Angaben der kroatischen Regierung in den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 11.285 Ersuchen um Rückübernahme von Antragstellern nach Bosnien und Herzegowina geschickt worden, von denen 5.933 positiv beantwortet und 2.279 Personen zurückgeschickt wurden (AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 10.7.2024, S. 27). Diese Annahme allein kann jedoch allenfalls zur Annahme systemischer Schwachstellen führen (1. Stufe). Dass sich diese Daten im Bericht unmittelbar nach den Ausführungen zu illegalen Grenzübertritten und nicht im Kapitel zu den Dublin-Verfahren findet, stützt die Annahme, dass davon die Eingereisten, die gerade keinen Asylantrag stellten, betroffen waren. Auch die übrigen Quellen legen nicht dar, dass jedenfalls auch Dublin-Rückehrende von „Push-Backs“ betroffen sind (VG Wiesbaden, U.v. 25.4.2024 – 7 K 324/24.WI.A – juris Rn. 35 m.w.N.). Es finden sich auch keine Angaben, ob die bilateralen Abkommen tatsächlich auf eine der 897 nach rund 15.000 Übernahmeersuchen von Deutschland nach Kroatien tatsächlich überstellten Personen Anwendung gefunden haben (vgl. zu diesen Zahlen: AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 10.7.2024, S. 50).
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Der teils in der Folge angenommene Schluss, dass die Quellen auch nicht das Gegenteil nahelegen, würde den Maßstab eines real risk bzw. einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit in Richtung einer diffusen, nicht ausschließbaren Möglichkeit rücken. Sofern teils darauf abgestellt wird, dass gerade kein expliziter Nachweis darüber erbracht worden sei, dass keine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina auch in Bezug auf Dublin-Rückkehrende aus Deutschland aufgrund des bilateralen Abkommens erfolgen, so ist diese Ansicht nach hier vertretener Auffassung wohl schwerlich mit der oben dargestellten 2-Stufen-Prüfung kompatibel. Selbst wenn man das Vorliegen systemischer Schwachstellen des Asylsystems unter einer umfassenden Perspektive bejaht (1. Stufe), so resultiert daraus gerade nicht etwa im Sinne einer widerleglichen Vermutung die konkret drohende Art. 4 GrCh-Verletzung des jeweiligen Antragstellers (2. Stufe).
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cc) Das Gericht schließt sich im Übrigen der Bewertung des aktuellen Erkenntnismaterials – insbesondere unter Beachtung des AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 10.7.2024 – in der ganz überwiegenden, eingangs zitierten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an. Dass das kroatische Asylsystem im Einklang mit internationalen Normen steht, bestätigt ferner auch der aktuelle Bericht des „United Nations High Commissioner for Refugees“ – UNHCR – (UNCHR, Croatia Fact Sheet, Stand: September 2024, S. 1).
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Asylbewerber haben in Kroatien ein Recht auf materielle Versorgung, die eine Unterbringung, Verpflegung, Kleidung und – wenngleich geringe – finanzielle Unterstützung umfasst (VG Augsburg, B.v. 23.10.2023 – Au 8 S 23.50391 – juris Rn. 25 ff.). Zu den Unterbringungszentren, insbesondere in Zagreb im ehem. Hotel Porin bzw. in Kutina, haben das VG Saarlouis und das VG Augsburg umfangreich ausgeführt, worauf Bezug genommen wird (VG Saarlouis, B.v. 29.10.2020 – 5 L 762/20 – juris Rn. 43 ff.; VG Augsburg, U.v. 11.3.2020 – Au 6 K 20.50007 – Rn. 28 ff.). Diesbezüglich lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, dass das nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCh zu fordernde Mindestmaß bei Dublin-Rückkehrenden bei einer zu erwartenden Unterbringung in Zagreb oder Kutina unterschritten würde. Das Aufnahmezentrum in Kutina ist für vulnerable Personen vorgesehen und verfügt über 300 Plätze. Für Vulnerable gelten spezielle Verfahrens- und Unterbringungsgarantien. Asylsuchende haben das Recht auf medizinische Notversorgung und notwendige medizinische und psychologische Behandlung. Diese Behandlung ist in den Aufnahmezentren Zagreb und Kutina verfügbar (vgl. insoweit ausführlich: AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 10.7.2024, S. 92 ff.). Für den Fall einer Schutzanerkennung ist ebenso wenig ersichtlich, dass Schutzberechtigte insoweit einer Gefahr i.S.v. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCh gemäß den dargestellten Maßstäben ausgesetzt wären (HessVGH, B.v. 6.4.2024 – 2 A 1129/20Z.A. – juris Rn. 18 ff.).
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Soweit der Antragsteller in der Bundesamtsanhörung vorgetragen hat, er habe Angst, da vor dem Camp in Kroatien afghanische Schleuser rumlungerten, ist dies bereits nicht substantiiert dargelegt worden. Im Übrigen ist nicht im Ansatz ersichtlich, weshalb daraus eine andere Bewertung folgen sollte.
30
d) Gesundheitliche oder sonstige, etwa familiäre Gründe, die der Überstellung entgegenstehen oder die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Dublin III-VO notwendig machen würden, sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Dies gilt insbesondere für den erwähnten, in Deutschland lebenden Onkel, zu dem aber bereits kein näherer Kontakt bestand bzw. besteht.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).