Inhalt

OLG München, Beschluss v. 03.09.2025 – 34 Wx 183/25 e
Titel:

Ausländische Entscheidung, Scheidungsverfahren, Antragsgegner, Scheidungsantrag, Anderweitige Rechtshängigkeit, Nach Rechtshängigkeit, Doppelte Rechtshängigkeit, ausländisches Verfahren, Anerkennungshindernisse, Entscheidung des Amtsgerichts, Außergerichtliche Kosten, Unvereinbarkeit, deutsche Staatsangehörigkeit, Türkische Staatsangehörige, Anerkennungsverfahren, Familiengerichte, Ehescheidungsverfahren, Ausländische Ehescheidung, Rechtskräftige Ehescheidung, Nichtvermögensrechtliche Angelegenheit

Normenketten:
FamFG § 107 Abs. 1, § 109 Abs. 1
ZPO § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Ehesachen ist schon dann ausgeschlossen, wenn vor Eintritt der Rechtshängigkeit des zugrundeliegenden Verfahrens bereits ein entsprechendes Scheidungsverfahren vor dem zuständigen deutschen Gericht rechtshängig war.
2. Auf die Frage der Unvereinbarkeit der in diesen Verfahren ergangenen Entscheidungen kommt es dann nicht mehr an.
Schlagworte:
Rechtshängigkeit, Anerkennungshindernis, Kostenentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22951

Tenor

I. Der Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 20.5.2025 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert für das gerichtliche Verfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
III. Die im gerichtlichen Verfahren entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 2 trägt die Antragstellerin.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Anerkennung einer in der Türkei ausgesprochenen Ehescheidung.
2
Am ... 1980 schlossen der Antragsgegner zu 1 und M. Y., die Eltern der Antragstellerin, die damals beide die türkische Staatsangehörigkeit hatten, im Standesamt von E., Konya, Türkei, die Ehe. In der Folgezeit erlangte M. Y. die deutsche Staatsangehörigkeit und gab die türkische Staatsangehörigkeit auf. Mit am 28.11.2011 der Ehefrau zugestelltem Schriftsatz beantragte der Antragsgegner zu 1 beim Amtsgericht Ingolstadt in Deutschland die Scheidung der Ehe. Am 13.1.2012 leiteten die Eheleute zudem vor dem Amtsgericht Ereğli, Konya, Türkei die Scheidung ein. Der dortige Scheidungsbeschluss erging noch am selben Tag, er ist seit 16.4.2012 rechtskräftig. Am ... 2012 sprach auch das Amtsgericht Ingolstadt die Scheidung aus, dieser Beschluss ist seit 21.9.2012 rechtskräftig. Am ... 2015 verstarb M. Y.
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Mit Schriftsatz vom 11.6.2024 beantragte die Antragstellerin beim Präsidenten des Oberlandesgerichts München die Anerkennung des Scheidungsbeschlusses vom 13.1.2012. Die Antragsgegnerin zu 2, die sich einer Forderung gegen den Antragsgegner zu 1 berühmt und deshalb dessen Ansprüche gegen die Erben der M. Y. aus eherechtlichem Errungenschaftsgewinn pfänden ließ, widersprach der Anerkennung mit Schriftsatz vom 12.8.2024.
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Am 20.5.2025 stellte der Präsident des Oberlandesgerichts München fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des Urteils des Amtsgerichts EreğIi, Konya, Türkei, vom 13.1.2012 nicht gegeben seien. Die in der Türkei erfolgte Scheidung sei mit dem früher in Deutschland rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar. In dem vor dem Amtsgericht Ingolstadt durch den Ehemann eingeleiteten Verfahren sei der Ehefrau der Scheidungsantrag am 28.11.2011 zugestellt worden. Das Verfahren sei somit spätestens am 28.11.2011 rechtshängig geworden. ln dem türkischen Scheidungsverfahren sei der Antrag erst am 13.1.2012 gestellt worden. Am selben Tag sei auch der Scheidungsbeschluss verkündet worden. Eine wirksame Rechtswahl der Ehegatten liege nicht vor. Ob das Amtsgericht Ingolstadt die Scheidung aussprechen konnte, obwohl die Ehe bereits durch ein türkisches Gericht rechtskräftig geschieden wurde, sei im Rahmen des Anerkennungsverfahrens nicht zu prüfen. Ferner sei nicht zu prüfen, aus welchem Grund es im deutschen Scheidungsverfahren versäumt wurde, den Scheidungsantrag zurückzunehmen. Der Prüfungsrahmen im Anerkennungsverfahren lasse lediglich die Prüfung zu, ob ein Hindernis nach § 109 Abs. 1 FamFG vorliege. Da die in der Türkei erlassene Entscheidung vom 13.1.2012 mit der Entscheidung des Amtsgerichts Ingolstadt vom 1.8.2012 unvereinbar sei, liege ein Anerkennungshindernis nach § 109 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vor. Deutsche Entscheidungen hätten gegenüber der Anerkennung von unvereinbaren ausländischen Entscheidungen stets Vorrang, auch wenn sie später als die ausländische Entscheidung ergangen seien. Hinzu komme, dass das inländische Verfahren früher rechtshängig geworden sei als das ausländische. Bereits hieraus folge, dass die türkische Entscheidung nicht anerkannt werden könne.
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Mit Schriftsatz vom 18.6.2025 hat die Antragstellerin die Entscheidung des Oberlandesgerichts beantragt. Unvereinbarkeit sei nicht gegeben, weil in beiden Verfahren die Ehe geschieden worden sei und keine Gesetzesverstöße vorlägen. Außerdem sei zu beachten, dass im Verhältnis zu anderen anerkennungsfähigen ausländischen Entscheidungen das Prioritätsprinzip gelte. Ausgehend von diesem Prinzip sei auf die zuerst ergangene türkische Scheidung abzustellen. Die Eheleute Y. hätten trotz des laufenden Ehescheidungsverfahrens vor dem Amtsgericht Ingolstadt den Willen gefasst, in der Türkei eine einvernehmliche Scheidung durchzuführen. Sie hätten eine lange Verfahrensdauer in Deutschland vermeiden wollen. Da die Entscheidung durch die damaligen Eheleute übereinstimmend erfolgt sei, stelle dies keinen Verstoß gegen den Grundsatz der doppelten Rechtshängigkeit dar. Soweit trotz der rechtskräftigen Ehescheidung dennoch am 1.8.2012 ein Termin beim Amtsgericht Ingolstadt stattfand, sei das darauf zurückzuführen, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Ehemanns fehlerhaft den Antrag nicht zurückgenommen habe und die damaligen Beteiligten davon ausgegangen seien, damit eine Anerkennung der in der Türkei ausgesprochenen Scheidung in Deutschland herbeizuführen. Der Scheidungsbeschluss des türkischen Familiengerichts habe Bindungswirkung gegenüber dem Amtsgericht Ingolstadt entfaltet, weshalb dieses nicht befugt gewesen sei, eine Ehescheidung auszusprechen. Eine bereits geschiedene Ehe könne nicht ein weiteres Mal geschieden werden. Das Oberlandesgericht Bamberg habe in seinem Beschluss vom 13.3.1996 – 2 WF 89/95 entschieden, dass ein vor einem deutschen Gericht gestellter Scheidungsantrag unzulässig werde, wenn die türkischen Eheleute von einem türkischen Gericht rechtskräftig geschieden wurden. Das gelte auch dann, wenn das Scheidungsverfahren vor dem türkischen Gericht erst nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags bei einem deutschen Gericht eingeleitet wurde. Im Übrigen werde auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Kollision rechtskräftiger Entscheidungen Bezug genommen: Seien in derselben Sache einander widersprechende Urteile ergangen, so gehe nach § 580 Nr. 7 lit. a) ZPO die Rechtskraft des älteren der des jüngeren vor. Die Entscheidung des Amtsgerichts Kassel – Az.: 520 F 3193/14 – betreffe eine andere Fallgestaltung, nämlich dass die Ehefrau einen Scheidungsantrag in der Türkei sowie der Ehemann einen Scheidungsantrag in Deutschland gestellt habe und es um die rechtliche Beurteilung der Frage gehe, welchem Antrag der Vorrang gegeben werde und welche Zustellung als wirksam anzusehen sei.
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Der Präsident des Oberlandesgerichts München hat am 14.7.2025 entschieden, nicht abzuhelfen. Die Unvereinbarkeit liege im Zeitpunkt der Scheidung. Deutsche Entscheidungen hätten gegenüber der Anerkennung von unvereinbaren ausländischen Entscheidungen stets Vorrang, auch wenn sie später als diese ergangen seien. Das Prioritätsprinzip käme nur im Verhältnis zu einer anderen anerkennungsfähigen ausländischen Entscheidung zum Tragen.
7
Die Antragsgegnerin zu 2 hat mit Schriftsatz vom 6.8.2025 beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen. Nach der türkischen Entscheidung wären die Eheleute Monate vor dem nach der deutschen Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt bereits geschieden gewesen, nach der deutschen Entscheidung wären sie in diesem Zeitraum noch verheiratet gewesen. Es sei daher nicht zutreffend, wenn die Antragstellerin behaupte, es bestehe gar kein Widerspruch zwischen den Entscheidungen. Das Oberlandesgericht Bamberg habe ausgeführt, dass eine Sachentscheidung nur ergehen dürfe, wenn nicht bereits über den Gegenstand des Prozesses anderweitig entschieden worden sei. Da dies gleichwohl im vorliegenden Fall passiert sei, ergäben sich hieraus andere Rechtsfragen, die nach § 109 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zu beurteilen seien. Dass nach § 580 Nr. 7 lit. a) ZPO die Rechtskraft der älteren jener der jüngeren Entscheidung stets vorgehe, wenn in derselben Sache einander widersprechende Urteile ergangen seien, sei nicht zutreffend. Das Amtsgericht Kassel befasse sich mit der hier streitgegenständlichen Frage der Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung, in deren Verfahren eine anderweitige Rechtshängigkeit übergangen wurde, nicht. Es sei in § 109 Abs. 1 Nr. 3 FamFG auch keine Voraussetzung, dass im ausländischen Verfahren eine lis alibi pendens-Einrede erhoben wurde.
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Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 29.8.2025 vorgetragen, die frühere Rechtshängigkeit des deutschen Verfahrens sei unerheblich gewesen, weil die Eheleute einvernehmlich die Scheidung vor dem türkischen Familiengericht beantragt und ihren diesbezüglichen Willen in der persönlichen Anhörung vor dem Richter bekundet hätten. In der Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg sei dazu ausgeführt, dass eine Sachentscheidung in einem Rechtsstreit nur ergehen dürfe, wenn nicht bereits über den Gegenstand des Prozesses anderweitig entschieden worden sei. Diesem Grundsatz zufolge sei der Ausspruch der Ehescheidung durch das türkische Familiengericht ergangen, so dass eine weitere Entscheidung des Amtsgerichts Ingolstadt nicht mehr veranlasst gewesen sei. Demzufolge müsse der türkische Ehescheidungsbeschluss anerkannt werden. Die Bezugnahme auf die Bundesgerichtshofsentscheidung sei vorliegend irrelevant. Der dortige Sachverhalt betreffe eine Doppelehe und es gehe um die Frage einer Vaterschaftsvermutung im Verhältnis zu den beiden Ehemänner. Eine analoge Anwendung oder Heranziehung der dortigen Entscheidungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall sei nicht möglich.
II.
9
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
10
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft. Der gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 FamFG i.V.m. § 4 GZVJu zuständige Präsident des Oberlandesgerichts München hat auf das Begehren der Antragstellerin hin nach § 107 Abs. 4 FamFG festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des Urteils des Amtsgerichts EreğIi, Konya, Türkei, vom 13.1.2012 nicht gegeben seien. Damit liegt eine Entscheidung der Landesjustizverwaltung im Sinne von § 107 Abs. 5 FamFG vor, für deren Überprüfung das Oberlandesgericht nach Abs. 7 Satz 1 der Vorschrift zuständig ist.
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2. Der Antrag auf Aufhebung der Entscheidung der Landesjustizverwaltung ist allerdings unbegründet, weil die Zurückweisung zu Recht erfolgt ist.
12
Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Ehesachen nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 FamFG unter anderem dann ausgeschlossen, wenn das ihr zugrunde liegende Verfahren mit einem früher hier rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar ist. Voraussetzung für Unvereinbarkeit in diesem Sinne ist in jedem Fall die Identität der Verfahrensgegenstände (Haußleiter/Gomille FamFG 2. Aufl. § 109 Rn. 15; Musielak/Borth/Frank/Frank FamFG 7. Aufl. § 109 Rn. 7). Diese ist hier gegeben, da in beiden Verfahren die Scheidung der am 10.10.1980 geschlossenen Ehe beantragt war. Während die Rechtshängigkeit des Verfahrens vor dem zuständigen Amtsgericht Ingolstadt gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO bereits am 28.11.2011 eingetreten war, geschah dies beim Amtsgericht Ereğli erst am 13.1.2012. Schon hieraus folgt, dass die dort getroffene Entscheidung nicht anerkannt werden kann (vgl. Senat FamRZ 2017, 131; Musielak/Borth/Frank/Frank a.a.O.). Dass und aus welchen Gründen der Antragsgegner zu 1 und M. Y. im weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem Amtsgericht Ingolstadt auf den inzwischen rechtskräftigen Scheidungsbeschluss des Amtsgerichts Ereğli nicht hingewiesen hatten, spielt keine Rolle. Die Beteiligten konnten das Gericht durch ihr Verhalten insoweit nicht binden (vgl. MüKoZPO/Becker-Eberhard 7. Aufl. § 261 Rn. 44) und auch das Anerkennungshindernis nicht beseitigen. Ebenso ohne Belang ist die Frage der Unvereinbarkeit der ergangenen Scheidungsbeschlüsse selbst im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 FamFG, da sich, wie dargelegt, bereits aus Alt. 3 der Vorschrift ein Anerkennungshindernis ergibt. Allein damit kann dem selbständigen Gehalt dieser Bestimmung Rechnung getragen werden.
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Der von der Antragstellerin zitierte Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 13.3.1996 steht dem nicht entgegen. Denn im dortigen Fall hatten beide Ehegatten die türkische Staatsangehörigkeit, was die vor einem türkischen Gericht erfolgte Ehescheidung dem deutschen Anerkennungsverfahren entzog (OLG Bamberg NJW-RR 1997, 4/5). Demgegenüber hatte im vorliegenden Fall die Ehefrau zum Zeitpunkt der Scheidungsbeschlüsse nicht mehr die türkische, sondern die deutsche Staatsangehörigkeit. Schon die Sachverhalte sind somit nicht vergleichbar. Erst recht ohne Aussagekraft für das hiesige Verfahren sind die von der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 2 jeweils erwähnten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Amtsgerichts Kassel.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Es entspricht nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund des vollständigen Obsiegens der Antragsgegnerin zu 2 und der Inaktivität des Antragsgegners zu 1 der Billigkeit, dass die Antragstellerin die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 2 trägt.
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4. Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf §§ 55 Abs. 2, 42 Abs. 3 FamGKG. Genügende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Werts der Anerkennung der Scheidung bestehen nicht. Da es sich um eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 FamGKG handelt, kann nicht der Wert der behaupteten Forderung der Antragsgegnerin zu 2 zugrundegelegt werden. Deshalb ist der Auffangwert von 5.000 € nach § 42 Abs. 3 FamGKG anzusetzen.
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5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor. Insbesondere besteht aus den unter 2. dargelegten Gründen keine Abweichung von tragenden Erwägungen im Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 13.3.1996, die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern würde.