Inhalt

VG München, Beschluss v. 12.08.2025 – M 9 SN 25.779
Titel:

Anbau an eine Doppelhaushälfte, Doppelhausrechtsprechung, Nachbarantrag, Baugenehmigung, Abweichung von Abstandsflächensatzung, Rücksichtnahmegebot

Normenketten:
VwGO § 80a Abs. 3 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BauGB § 34
BauNVO § 22
BayBO Art. 6
Schlagworte:
Anbau an eine Doppelhaushälfte, Doppelhausrechtsprechung, Nachbarantrag, Baugenehmigung, Abweichung von Abstandsflächensatzung, Rücksichtnahmegebot
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22945

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 11.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren als Nachbarn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen mit Bescheid des Landratsamts ... vom 10. Dezember 2024 erteilte Baugenehmigung zum Anbau an ihre Doppelhaushälfte auf dem Grundstück FlNr. …16 der Gemarkung … (im Folgenden: Baugrundstück), in der C. Straße 8 in …
2
Die Antragsteller sind die alleinigen Erben der am 16. September 2024 verstorbenen Frau … … Die Erblasserin ist noch im Grundbuch als Eigentümerin des an das genehmigte Bauvorhaben angrenzenden Grundstücks in der Cl. Straße 8a, … … (FlNr. …7 Gemarkung …*) eingetragen.
3
Das Grundstück der Antragsteller und das Grundstück der beigeladenen Bauherrin sind mit einem Doppelhaus bebaut. Die Doppelhaushälfte der Antragsteller steht auf dem Grundstück FlNr. …7, Gemarkung … und die Doppelhaushälfte der Bauherrin steht auf dem Grundstück FlNr. …16, Gemarkung … Sowohl das Baugrundstück als auch das Nachbargrundstück befinden sich im unbeplanten Innenbereich und liegen zwischen der C. Straße und dem B. weg.
4
Auf beiden Seiten der C. Straße finden sich vor allem weitere Doppelhäuser (beispielsweise C. Straße 4, 4a; 10, 10a; 12, 12a; 3, 3a; 5, 5a; 13, 13a) sowie Einfamilienhäuser (beispielsweise C. Straße 15, 15a, 18), die jeweils Wohnzwecken dienen. Ebenso findet sich in der C. Straße Nr. 2 ein viergeschossiges Mehrparteienwohnhaus.
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Mit Bescheid vom 10. Dezember 2024 (Az. …*) erteilte der Antragsgegner auf Antrag vom 4. Juli 2024 der Beigeladenen die Baugenehmigung für eine Garage und Anbauten an deren Doppelhaushälfte zur Wohnraum-Erweiterung einschließlich Nebenbestimmungen. Dieser Bescheid wurde durch Bescheid vom 6. März 2025 (ebenfalls Az. …*) ergänzt bzw. geändert. Es wurde eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächensatzung vom 1. Februar 2021 der Gemeinde … i.V.m. Art. 6 Abs. 2 bis 5 BayBO wegen Reduzierung der westlichen Abstandsflächen des nördlichen Anbaus von bis zu 6,19 m auf 3,20 m gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilt. Zudem wurde der genehmigte Bauplan „Bebaute Grundfläche (Versiegelung) Ensemble Südansicht“ vom 30. Juni 2024 ersetzt durch den Ergänzungsplan „Bebaute Grundfläche (Versiegelung) Ensemble Süd- und Nordansicht Abstandsflächen Haus Nr. 8+8a“ vom 28. Februar 2025. Auf den Inhalt der Bescheide vom 10. Dezember 2024 und vom 6. März 2025 im Übrigen wird Bezug genommen.
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Die Gemeinde … erteilte im Vorfeld des Bescheids vom 10. Dezember 2024 ihr gemeindliches Einvernehmen hinsichtlich des Vorhabens mit Stellungnahme vom 5. August 2024 bzw. 5. November 2024 (Bl. 145 der Behördenakte – im Folgenden BA). Mit E-Mail vom 26. Februar 2025 erteilte die Gemeinde … das gemeindliche Einvernehmen zu der beantragten Abweichung von der Abstandsflächensatzung (Bl. 253 BA).
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Der Ausgangsbescheid vom 10. Dezember 2024 wurde den Antragstellern am 16. Januar 2025 zugestellt (Bl. 236-241 BA). Der Ergänzungsbescheid vom 6. März 2025 wurde dem Bevollmächtigten der Antragsteller am 12. März 2025 zugestellt (Bl. 285 f. BA).
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Mit am 10. Januar 2025 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten haben die Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 10. Dezember 2024 (Az. M 9 K 25.238) erhoben und mit Schriftsätzen vom 23. Januar 2025 sowie vom 27. März 2025 die Anträge neu formuliert.
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Zudem haben die Antragsteller mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 10. Februar 2025 beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Infolge des Ergänzungsbescheids der Antragsgegnerin vom 6. März 2025 beantragen die Antragsteller unter Abänderung des ursprünglichen Antrags zuletzt:
11
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 10. Januar 2025 in der Fassung vom 25. März 2025 gegen den Baugenehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 10. Dezember 2024 in der Fassung des Änderungs-/Ergänzungsbescheids vom 06. März 2025 – Az.: M 9 K 25.238 – wird angeordnet.
12
Zur Begründung wird mit Schriftsätzen vom 10. Februar 2025, 26. März 2025 und 11. April 2025 im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorhaben gegen das drittschützende Rücksichtnahmegebot im Begriff des „Einfügens“ des § 34 BauGB, § 15 Abs. 1 BauNVO verstoße, da die erteilte Baugenehmigung gegen die Grundsätze der Doppelhausrechtsprechung verstoße und sich das Vorhaben auch sonst nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Der bestehende einheitliche Gesamtbaukörper würde durch die Umsetzung des Vorhabens beseitigt und es könne nicht mehr von einer wechselseitig verträglichen Bebauung gesprochen werden. Durch eine widersprüchliche / ungenaue Genehmigungsplanung würde den Antragstellern die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung insbesondere in Bezug auf ihre Nachbarrechte zu überprüfen. Der auf dem Grundstück der Antragsteller vorhandene Anbau sei nicht mit dem Anbau der Beigeladenen vergleichbar. Schon das Raumvolumen würde im Vergleich zur Doppelhaushälfte der Antragsteller erheblich und unzumutbar gesteigert. Zudem seien die Abstandsflächen nicht gewahrt. Auf die Schriftsätze im Übrigen wird Bezug genommen.
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Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 11. März 2025 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
15
Zur Begründung wird mit den Schriftsätzen vom 11. März 2025 und 20. Mai 2025 im Wesentlichen ausgeführt, dass die Abweichung von der Abstandsflächensatzung der Gemeinde mangels relevanter Schlechterstellung und in Anbetracht der zu berücksichtigenden Besonderheiten habe erteilt werden können. Die Zweigeschossigkeit des Anbaus sei zulässig. Es sei keine vollständige Parallelität erforderlich. Die Haushälften müssten sich im grenznahen Bereich im Wesentlichen entsprechen, aber nicht im grenzfernen Bereich. Es handle sich noch immer um eine abgestimmte Bebauung. Es gebe weder qualitative noch quantitative Missverhältnisse mangels grober Uneinheitlichkeit im Bauvolumen oder im äußeren Erscheinungsbild. Der streitgegenständliche zweigeschossige Anbau entspräche dem Charakter der bestehenden Doppelhausbebauung. Zudem sei der Anbau grenzfern. Das streitgegenständIiche Gebäude füge sich insoweit in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die behaupteten Widersprüchlichkeiten in der Baugenehmigung seien nicht drittschützend und damit jedenfalls nicht entscheidend. Im Übrigen seien die Pläne in einer Gesamtschau ausreichend klar definiert. Insgesamt seien die getroffenen Regelungen im Baugenehmigungsbescheid für die Beteiligten erkennbar. Auf die Schriftsätze im Übrigen wird Bezug genommen.
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Die Beigeladene hat mit Schriftsatz vom 30. April 2025 zuletzt beantragt,
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den Antrag abzulehnen
18
Zur Begründung wird mit Schriftsätzen vom 3. März 2025, vom 30. April 2025 und vom 28. Juli 2025 im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Vorhaben in die nähere Umgebungsbebauung der C. Straße einfüge. Der Nachbar habe nur ein Abwehrrecht gegen die Zulassung eines Vorhabens, wenn dadurch das bestehende Doppelhaus seine Eigenschaft als Doppelhaus im Rechtssinne verliere. Das sei hier nicht der Fall. Denn das Doppelhaus bleibe in seiner äußeren Erscheinung vollkommen erhalten. Die Erteilung der Abweichung von Abstandsflächen sei rechtmäßig. Auf die Schriftsätze im Übrigen wird Bezug genommen.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren, Az. M 9 K 25.238, auf die vorgelegten Behördenakten samt genehmigter Bauvorlagen für das streitgegenständliche Verfahren sowie die vorgelegten Bauvorlagen vom 10. Juni 1975 hinsichtlich des Anbaus auf dem Antragstellergrundstück Bezug genommen.
II.
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I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die erteilte Baugenehmigung hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
21
1. Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bzw. § 80a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eines Dritten, hier der Nachbarn, die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Interessen oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage als Indiz heranzuziehen, wie sie sich aufgrund der summarischen Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung darstellen. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei.
22
2. Gemessen hieran überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse des Antragsgegners und der Beigeladenen gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller, da die Klage der Antragsteller in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Denn die angefochtene Baugenehmigung verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Nachbarn wie die Antragsteller eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden, subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren aufgrund einer Nachbarklage keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20 m.w.N). Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt werden (sog. Schutznormtheorie, vgl. etwa Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 42 Rn. 89 ff.). Ferner ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann erfolgreich angreifen kann, wenn die Rechtswidrigkeit der Genehmigung sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die Gegenstand des hier einschlägigen vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 Satz 1 BayBO sind (vgl. z.B. BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Nur nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind zu berücksichtigen, Änderungen zu seinen Lasten haben außer Betracht zu bleiben (BVerwG, U. v. 8.11.2010 – 4 B 43.10 – juris Rn. 9 m.w.N.).
24
Drittschützende Vorschriften sind im vorliegenden Fall nicht verletzt.
25
a. Eine Nachbarrechtsverletzung ergibt sich nicht aus einem Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme in seiner Ausprägung der sogenannten Doppelhausrechtsprechung.
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Das Gebot der Rücksichtnahme leitet sich für das streitgegenständliche Vorhaben aus § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. mit den Grundsätzen der Doppelhausrechtsprechung ab. Drittschutz entfaltet das Rücksichtnahmegebot, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 ff. = juris Rn. 21 m.w.N.). Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 17; U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris Rn. 20; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
27
Eine besondere Ausprägung findet das Rücksichtnahmegebot in den Grundsätzen der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auch in dem in offener Bauweise bebauten unbeplanten Innenbereich zur Anwendung kommen können (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 12). Liegt ein Doppelhaus im Rechtssinne vor, bindet der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an den jeweiligen gemeinsamen Grundstücksgrenzen die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke erhöht; das wird durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen, erkauft. Dieses besondere nachbarliche Austauschverhältnis darf nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 21; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 22). Damit wäre es auch ausgeschlossen, eine der beiden Doppelhaushälften zu beseitigen mit dem Ergebnis, dass die andere Hälfte als potentiell baurechtswidrige einseitige Grenzbebauung verbleibt.
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Voraussetzung für die Anwendung dieser Grundsätze ist, dass ein Doppelhaus im Rechtssinne vorliegt. Nur dann besteht die beschriebene, einer Doppelhausbebauung immanente Interessenlage, die es rechtfertigt, dem Bauherrn die besondere Rücksichtnahmeverpflichtung aufzuerlegen.
29
Ein Doppelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift – auch – im unbeplanten Innenbereich BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 1 ZB 15.1039 – juris Rn. 5) ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze berühren, aber als zwei selbständige Baukörper erscheinen. Die Annahme eines Doppelhauses im Rechtssinne verlangt, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 13 m.w.N.). Demnach liegt eine bauliche Einheit vor, wenn die einzelnen Gebäude einen harmonischen Gesamtbaukörper bilden, der nicht den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt. Voraussetzung ist insoweit zwar nicht, dass die einzelnen Häuser gleichzeitig und deckungsgleich errichtet werden. Ein einheitlicher Gesamtbaukörper kann auch noch vorliegen, wenn z.B. aus gestalterischen Gründen die gemeinsame vordere und/oder rückwärtige Außenwand des einheitlichen Baukörpers durch kleine Vor- und Rücksprünge aufgelockert wird (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2014 – 2 BV 13.789 – juris Rn. 27 m.w.N.). Zu fordern ist jedoch, dass die einzelnen Gebäude zu einem wesentlichen Teil (quantitativ) und in wechselseitig verträglicher und harmonischer Weise (qualitativ) aneinandergebaut sind (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2014 – 2 BV 13.789 – juris Rn. 27 m.w.N.). In quantitativer Hinsicht können bei der Beurteilung der Verträglichkeit des Aneinanderbauens insbesondere die Geschosszahl, die Gebäudehöhe, die Bebauungstiefe und -breite sowie dass durch diese Maße im Wesentlichen bestimmte oberirdische Brutto-Raumvolumen zu berücksichtigen sein. In qualitativer Hinsicht kommt es u.a. auf die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur des Gebäudes an. Bei den quantitativen Kriterien ist eine mathematisch-prozentuale Festlegung nicht möglich, vielmehr ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls anzustellen. Es ist qualitativ insbesondere die wechselseitig verträgliche Gestaltung des Gebäudes entscheidend, auf die umgebende Bebauung kommt es insoweit nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – juris Rn. 14 ff.). Die beiden Haushälften können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein. Kein Doppelhaus entsteht danach, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 22; VG München, B.v. 5.9.2022 – M 8 SN 22.3423 – juris Rn. 24). Ebenso wird nicht mehr von einem Doppelhaus ausgegangen, wenn ein beträchtlicher Unterschied in Bautiefe zusammen mit einer abweichenden Gestaltung vorliegt oder sich eine Haushälfte nach ihren Dimensionen nicht mehr dem Gesamtbaukörper unterordnet, sondern die Grundstückssituation in erheblicher Weise dominiert. Denn in diesem Fall fehlt es an dem für ein Doppelhaus notwendigen wechselseitigen Abgestimmtsein der Gebäude(teile) (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 1 ZB 15.1039 – juris Rn. 5 m.w.N.).
30
Vor Beantragung der streitgegenständlichen Baugenehmigung zum Anbau an die Haushälfte der Beigeladenen, lag auf den Grundstücken FlNr. …7 und FlNr. …16, jeweils Gemarkung …, unstreitig ein Doppelhaus im Sinne der obengenannten Rechtsprechung vor. Der Doppelhauscharakter wurde auch nicht durch den 1975 beantragten und durchgeführten Anbau auf dem Grundstück mit der FlNr. …7, Gemarkung … beseitigt.
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Entsprechend den soeben dargelegten Grundsätzen liegt aber auch mit dem genehmigten Anbau an das Gebäude auf dem Baugrundstück (FlNr. …16 Gemarkung …*) und dem Gebäude auf dem Grundstück der Antragsteller noch immer ein Doppelhaus im Rechtssinne vor. Die Betrachtung und Bewertung der qualitativen und quantitativen Kriterien im Rahmen der vorgenommenen summarischen Gesamtwürdigung des Einzelfalls im Zeitpunkt der Entscheidung nach Aktenlage ergibt, dass die Anforderungen, die an ein Doppelhaus im Rechtssinne gestellt werden, vorliegen. Trotz der vorhandenen Umstände, die bei der nach den genannten Maßgaben durchzuführenden Bewertung der Gebäudesituationen im hier zu entscheidenden Einzelfall gegen dieses Ergebnis ins Feld geführt werden können, überwiegen die Umstände, die das gefundene Ergebnis stützen.
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Das mit dem angefochtenen Bescheid genehmigte Gebäude auf dem Baugrundstück und das Gebäude auf dem Grundstück der Antragsteller stellen auf der Grundlage der hier im Antragsverfahren allein maßgeblichen Aktenlage und hierauf beruhenden Feststellungen keine zwei selbständigen Baukörper dar, die sich lediglich an der gemeinsamen Grundstücksgrenze berühren. Sie erscheinen auch nicht derart, sondern beide Gebäude wirken vielmehr wie ein Doppelhaus.
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Insoweit kann den Antragstellern nicht gefolgt werden, dass durch den Anbau der Doppelhauscharakter des Gebäudes verloren geht und es sich als grenzständiges Vorhaben nicht nach der Bauweise im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einfügt.
34
Mit Blick auf die streitgegenständliche Planung stellen sich beide Haushälften zwar weniger symmetrisch als ohne den einseitigen Anbau auf Seiten der Beigeladenen dar. Eine Gesamtbetrachtung lässt die beiden Haushälften jedoch noch immer wie einen einheitlichen Baukörper erscheinen. Zu berücksichtigen, wenn auch hier nicht allein maßgeblich, ist auch der Anbau der Antragsteller, der zwar nur ein Geschoss aufweist, jedoch seinerseits ebenfalls schon 1975 für eine Abkehr vom Bild der symmetrischen Doppelhaushälften gesorgt hat und bis heute optisch wirkt. Darüber hinaus wurde von den Antragstellern selbst zutreffend vorgetragen, dass Voraussetzung für ein Doppelhaus gerade nicht ist, dass die Hälften deckungsgleich errichtet werden müssen. Sogar ein (hier nicht vorliegender) Versatz oder kleinere Vor- und Rücksprünge an der gemeinsamen Außenwand sind möglich. Entscheidend ist ein wechselseitig verträgliches und harmonisches (Aneinander) bauen (BayVGH B.v. 18.4.2023 – 2 CS 22.2126 juris Rn. 4).
35
Zwar übersteigt das oberirdische Raumvolumen der Doppelhaushälfte der Beigeladenen das Volumen der Doppelhaushälfte der Antragsteller um 164,18 m³ (bzw. knapp 200 m³, soweit der überdachte Freisitz auf dem Grundstück der Antragsteller nicht berücksichtigt wird). Diese Angaben sind aber auch relativ in Bezug auf das bereits vorhandene Raumvolumen im Bestand der Antragsteller mit 633,86 m³ zu beurteilen. Ebenso ist das Gesamtgebäude zu berücksichtigen und der Eindruck, der sich durch den Anbau ergibt. So wie keine vollkommene Symmetrie der beiden Doppelhaushälften zu verlangen ist, ist es möglich, dass das Raumvolumen der einen Doppelhaushälfte das der anderen übersteigt. Hierbei sind knapp 200 m³ ein gewichtiger Faktor, der jedoch im vorliegenden Einzelfall an dem Gesamteindruck eines einheitlichen und in abgestimmter Weise errichteten Gesamtgebäudes nichts ändert. Eine grobe Uneinheitlichkeit oder gar Unzumutbarkeit des äußeren Erscheinungsbildes wird nicht vermittelt, was auch an der Verteilung des Anbaus auf die Nordsowie die Ostseite liegt. Das Doppelhaus erweckt eher den Eindruck eines organischen Wachstums.
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Selbiges gilt auch für die Mehrgeschossigkeit des Anbaus. Richtig ist, dass der zweigeschossige Anbau keine Entsprechung im nur eingeschossigen Anbau der Antragsteller findet, wohl aber in den jeweiligen Doppelhaushälften, die ihrerseits über jeweils zwei Geschosse verfügen. Insoweit vermag im konkreten Fall der Anbau der Antragsteller kein Vorbild, aber genauso wenig eine Begrenzung hinsichtlich der Geschosszahl bezüglich des Anbaus der Beigeladenen zu sein, auch wenn er als Teil des Gesamtgebäudes durchaus zu berücksichtigen ist. Auch hier erweckt der Anbau mit Blick auf den Bestand nicht den Eindruck, als lägen zwei losgelöste, nur zufällig aneinander gebaute Gebäude vor, sondern er passt sich in seiner Geschosszahl gut an den Hauptkorpus des Doppelhauses an.
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Neben quantitativen Aspekten sind auch qualitative Aspekte zu berücksichtigen. Dass im Gegensatz zum Bestand bei den Anbauten ein Walmdach genehmigt ist, beeinträchtigt im konkreten Fall den Doppelhauscharakter nicht entscheidend. Dies weicht zwar von dem bestehenden Satteldach auf beiden Doppelhaushälften ab, beeinträchtigt in einer Gesamtschau aber nicht den Eindruck einer wechselseitig verträglichen und einheitlichen Bebauung, ebenso wenig wie das Flachdach auf dem gesamten Anbau der Antragsteller. Das Walmdach erscheint untergeordnet und nicht prägend oder dominant und beeinträchtigt insgesamt nicht den Doppelauscharakter. Daran ändern auch die unterschiedlichen Firsthöhen des Anbaus und des Bestandes nichts. Diese sind uneinheitlich, lassen den Anbau aber vielmehr als Ergänzung zum Bestand erscheinen anstatt dessen Charakter als Doppelhaus in Frage zu stellen. Auch die teilweise veränderte Fensterplanung steht der fortbestehenden Einordnung als Doppelhaus nicht entgegen. Schließlich ist wesentlich, dass das Doppelhaus den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, eben, weil es als ein Gebäude erscheint (BVerwG, 19. März 2015 – 4 C 12.14 – juris Rn. 22).
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Entgegen den entsprechenden Ausführungen der Antragsteller ist eine Änderung des Dachfirsts des Bestandes den eingereichten Bauvorlangen nicht zu entnehmen und damit weder beantragt noch genehmigt. Für den Charakter des Wohnhauses ist zudem unerheblich, ob im Obergeschoss des Anbaus eine Treppe geplant oder genehmigt ist. Entscheidend ist nicht die Innengestaltung des Anbaus, die den Nachbarn nicht betrifft, sondern nach der Doppelhausrechtsprechung die Frage nach der Baulichen Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers (VG München, B.v. 26.6.2020 – M 9 SN 20.1396 – juris Rn. 22).
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Eine Gesamtschau von qualitativen und quantitativen Kriterien ergibt im vorliegenden Einzelfall daher, dass auch unter Berücksichtigung der genehmigten Planung der Beigeladenen beide Haushälften in verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut sind. Es ist noch immer von einem einheitlichen Baukörper und damit vom Vorhandensein eines Doppelhauses auszugehen (BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 19 f.).
40
b. Dass sich das Vorhaben nach der Art der Baulichen Nutzung (Wohnen) in die nähere Eigenart der Umgebung einfügt, ist unstrittig. Auf die Frage, ob sich das Vorhaben nach seinem Maß in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, kommt es vorliegend mangels drittschützender Wirkung des Maßes der Baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich nicht an. Ein Ausnahmefall, in dem das Maß der Baulichen Nutzung ausnahmsweise Drittschutz vermittelt, ist nicht gegeben. Insoweit ist es auch unerheblich, dass die Gemeinde zumindest zeitweise im Verlauf des Genehmigungsverfahrens der Ansicht gewesen sein mag, dass ein Einfügen nicht vorliegt. Unabhängig davon wurde dennoch das gemeindliche Einvernehmen erteilt.
41
c. Eine Verletzung der Abstandsflächen, insbesondere des nördlichen Anbaus zur Westgrenze, liegt nicht vor. Der nachgereichte Ergänzungsplan vom 28. Februar 2025 enthält eine ausreichende Darstellung der Abstandsflächen, die Vorschriften des Abstandsflächenrechts gemäß Art. 6 BayBO sind hinsichtlich der den Antragstellern zugewandten Seite des Bauvorhabens eingehalten.
42
Die Abweichung von § 2 der Abstandsflächensatzung vom 1. Februar 2021 der Gemeinde Ottobrunn ist rechtmäßig. In diesem Zusammenhang wurde die westliche Abstandsfläche des nördlichen Anbaus zulässigerweise reduziert. Art. 63 Abs. 1 BayBO, welcher Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften ermöglicht, stellt eine Vorschrift des sogenannten tatbestandlich intendierten Ermessens dar (BayVGH, B.v. 6.8.2013 – 15 CS 13.1076 – juris Rn. 25). Abweichungen sollen bei Vorliegen der Voraussetzungen regelmäßig zugelassen werden, außer es sprechen Gründe dagegen. Die Voraussetzungen, unter denen eine Abweichung erteilt werden kann, liegen vor. Insbesondere ist die erteilte Abweichung auch mit den öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen der Antragsteller vereinbar.
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Dabei ist im Wesentlichen der Argumentation des Landratsamtes mit Blick auf den Ergänzungsbescheid vom 6. März 2025 zu folgen. Die Gebäudeteile der Antragsteller und der Beigeladenen bilden ein Doppelhaus. Beide Doppelhaushälften befinden sich auf länglichen und vergleichsweise schmalen Grundstücken. Bereits ohne den streitgegenständlichen Anbau liegt mittlerweile eine Vielzahl an Außenwänden vor, welche dem typischen Anwendungsfall des 16 m-Privilegs von lediglich vier Wänden nicht gerecht werden (vgl. BayVGH B. v. 6.5.2019 – 2 CE 19.515, BeckRS 2019, 8675 Rn. 10).
44
Die Antragsteller als Nachbarn auf dem Grundstück FlNr. …7 der Gemarkung … werden durch die Reduzierung der Abstandsfläche auf 3,20 m nicht schlechter gestellt als bei Anwendung des 16 m Privilegs auf den nördlichen Anbau als freistehendes Gebäude. Durch die Wahrung des gesetzlich festgeschriebenen Mindestabstandes von 3 m und mangels weitergehender Anhaltspunkte ist auch nicht von einer Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung und Besonnung auszugehen, ebenso wenig von einer generellen Beeinträchtigung des Wohnfriedens. Eine abriegelnde Wirkung ist entgegen des Vortrags der Antragsteller nicht ersichtlich. Der nördliche Gartenbereich erscheint weitgehend noch offen und nicht beeinträchtigt, jedenfalls nicht in einem Ausmaß, dass die Annahme einer abriegelnden oder erdrückenden Wirkung als möglich erscheinen ließe.
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Dass die Antragsteller an die nördliche Außenwand (und östlich an ihren Anbau) anliegend einen überdachten Freisitz errichtet haben, kann hier – ungeachtet der Frage ob dieser genehmigt ist – keine andere Betrachtung rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes kann bei einem Gebäude mit mehr als vier Außenwänden, wie es auch das gegenständliche Doppelhaus aufweist, für die nicht aneinandergebauten Außenwände die Abstandsfläche halbiert werden, während im inneren Bereich mit Abweichungen (Art. 63 BayBO) gearbeitet werden kann (B. v. 6.5.2019 – 2 CE 19.515 – juris Rn. 10).
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Insbesondere ist auch die Besonderheit eines Doppelhauses zu berücksichtigen, bei dem das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird. Die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus setzt daher in Gebieten mit offener Bauweise den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Dieser Verzicht bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein: Ihre Baufreiheit wird zugleich erweitert und beschränkt. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der (häufig schmalen) Grundstücke erhöht. Das wird durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen, „erkauft”. Diese enge Wechselbeziehung begünstigt und belastet zugleich jeden der Grundeigentümer (BVerwG, B.v. 24. 2. 2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 21). Auch unter Berücksichtigung dieses Sonderverhältnisses ist die erteilte Abweichung von § 2 der Abstandsflächensatzung der Gemeinde … rechtmäßig.
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Ob es sich bei dem nördlichen Anbau um einen Anbau im nicht abstrakt bestimmbaren grenznahen oder schon grenzfernen Bereich handelt, kann dahinstehen. Denn im grenznahen Bereich dürfen zwar Abweichungen der aneinandergebauten Baukörper regelmäßig eine noch als „verträglich“ anzusehende Größenordnung nicht übersteigen (BayVGH, B.v. 14.2.2018 – 15 CS 17.2549 – juris Rn. 11) Die Anforderungen daran, was noch als verträglich anzusehen ist, nehmen jedoch mit zunehmendem Grenzabstand ab. Ob ein Vorhaben in diesem Sinne noch als verträglich anzusehen ist, bedarf stets einer Einzelfallentscheidung. Unter Berücksichtigung des eingehaltenen Abstands von 3,20 m ist in relativer Betrachtungsweise bei dem streitgegenständlichen Anbau unter Berücksichtigung von dessen Höhe und gesamter Kubatur im konkreten Fall nicht schon von einer nicht mehr verträglichen Größenordnung auszugehen.
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Auch die Abstandsflächen zur nördlichen Grundstücksgrenze und dem anliegenden B. weg werden unter Zugrundelegung der Bauvorlagen im maßgeblichen letzten Planungsstand gewahrt.
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d. Entgegen der Ansicht der Antragsteller wird diesen nicht durch eine widersprüchliche oder ungenaue Planung die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung in Bezug auf ihre Nachbarrechte zu prüfen. Widersprüchlichkeiten in der Plandarstellung begründen nicht generell eine Nachbarrechtsverletzung. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt nur vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (BayVGH, B.v. 26.04.2022 – 1 CS 22.551 – juris Rn. 6).
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aa. Dass die Maßketten hinsichtlich der Höhe des Bestands im Schnitt des Plans „Grundrisse, Ansichten, Schnitt, Abstandsflächen“ vom 1. November 2024 zu unterschiedlichen Höhenangaben von 7,92 m und 8,13 m kommen, ist insoweit unbeachtlich, da im Bestand weder eine Höhenveränderung beantragt noch genehmigt wurde, wie aus den übrigen Unterlagen ersichtlich ist. Die irrtümliche Bezeichnung der Firsthöhe als Wandhöhe im Plan „Osten Abstandsflächen Bestand“ führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist bereits aus der konkreten Planzeichnung ohne Weiteres ersichtlich, dass mit der bezeichneten Höhe die Firsthöhe gemeint ist
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bb. Die aktuellen Pläne enthalten die korrekte Darstellung des Bestands sowie des geplanten Walmdachs inklusive Neigung über den Anbauten Nord und Ost. Darüber hinaus gilt, dass die widersprüchliche Darstellung der Dachform bereits in Ermangelung einer drittschützenden Wirkung – und soweit sie nicht im Rahmen des Rücksichtnahmegebots und einer Gesamtbetrachtung bezogen auf die Doppelhausrechtsrechung von Relevanz ist (s.o.) – nicht zu einem Erfolg der Klage im dreipoligen Rechtsverhältnis führt. Die Dachform ist nicht grundsätzlich drittschützend, sondern nur im Ausnahmefall, wenn sie in einer örtlichen Satzung festgelegt ist und zusätzlich nach dem Willen des Plangebers Drittschutz entfalten soll (vgl. m. w. N. BayVGH, U.v. 3.3.2020 – 9 CS 19.1514 – juris Rn. 14). Das ist vorliegend nicht der Fall. Selbiges gilt zudem für die vermeintlich widersprüchliche Größe und Anordnung der Fassadenfenster. Auch Festsetzungen diesbezüglich liegen nicht vor und vermitteln keinen Drittschutz. Darüber hinaus ist die Änderung von Fenstern, wie zutreffend vom Antragsgegner vorgetragen, nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 c) BayBO jederzeit verfahrensfrei möglich.
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Hinsichtlich der Darstellung des Dachfirsts des Bestands in Rot im Grundriss Obergeschoss, der fälschlicherweise auch einheitlich im Grundriss Obergeschoss über dem Anbau Ost dargestellt ist, ist der Argumentation des Antragsgegners zu folgen. Der marginale Darstellungsfehler ist im Hinblick auf den Doppelhauscharakter hier nicht von Bedeutung. Eine Änderung des bestehenden Satteldaches nach Süden ist nicht beantragt und damit auch nicht Gegenstand des streitgegenständlichen Vorhabens. Entgegen der Ansicht der Antragsteller erstreckt sich die Überdachung des Anbaus Nord in der Darstellung „Norden Abstandsflächen“ vom Plan „Grundrisse, Ansichten, Schnitt, Abstandsflächen“ vom 1. November 2024 nicht bis einen Meter vor die Grundstücksfläche, sondern entspricht weitestgehend den übrigen Plandarstellungen. Dargestellt ist in dieser Ansicht allein die Doppelhaushälfte der Beigeladenen.
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cc. Die Geschossigkeit des Anbaus ist in allen Planansichten ausreichend klar dargestellt und stand zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens in Frage. Die eingezeichnete Treppe „ggf. Treppe OG-DG“ im Plan Grundriss Obergeschoss im inneren des Vorhabens hat keinerlei Wirkung auf das Antragstellergrundstück.
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dd. Dass die Beigeladene selbst davon spricht, dass sie unter anderem selbst die Errichtung eines Freisitzes begehrt, ändert an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nichts. Gegenstand des Bescheids sind die konkreten Unterlagen und das konkrete Vorhaben. Wird darüber hinausgehend ein genehmigungspflichtiges Vorhaben angestrebt, ist eine erneute Baugenehmigung zu beantragen. Gleiches gilt für die „fehlende“ Darstellung bspw. eines Balkons in den Grundrissen. Wenn ein solcher nicht geplant ist, muss er nicht beantragt und demzufolge auch nicht in den Plänen dargestellt werden. In der Folge darf ein solcher – im Falle einer Genehmigungspflicht – dann aber auch nicht eigenmächtig ergänzt werden. Etwas Anderes gilt für verfahrensfreie Vorhaben.
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Dass der Freisitz der Antragsteller teilweise mit einer falschen Dachkonstruktion dargestellt wird, führt ebenfalls nicht zu einer Rechtsverletzung der Antragsteller. Im konkreten Fall kann davon ausgegangen werden, dass den Antragstellern bekannt ist, welche Dachform für den Anbau und Freisitz auf ihrem eigenen Grundstück vorhanden ist. Aufgrund der mangelnden Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten und mangels Auswirkungen im Sinne der Doppelhausrechtsprechung (s.o.) verfängt eine Rüge dieser konkreten Darstellung auch im Übrigen nicht.
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e. Eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergibt, dass die Antragsteller nicht in drittschützenden Rechten verletzt sind und somit das Vollzugsinteresse überwiegt. Der Antrag wird abgelehnt.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil sie selbst einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 159 VwGO, §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, dort Nrn. 9.6.1 sowie 1.5.