Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 03.09.2025 – RN 11 K 25.33328
Titel:

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, keine Bindungswirkung hinsichtlich Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedsstaat, Entbehrlichkeit der Heranziehung der Akten des Erstverfahrens

Normenkette:
AsylG § 3
Leitsatz:
Die Mitgliedstaaten sind nicht an die positive Entscheidung über den internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat gebunden, müssen jedoch die Entscheidung und die zugrunde liegenden Anhaltspunkte vollständig berücksichtigen. (Rn. 17)
Schlagworte:
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, keine Bindungswirkung hinsichtlich Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedsstaat, Entbehrlichkeit der Heranziehung der Akten des Erstverfahrens
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22740

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
2
Der Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens zu sein. Nach seinen Angaben verließ er Syrien im September 2015 und reiste im Mai 2019 nach Griechenland ein. Am 07.04.2020 wurde dem Kläger in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach den Angaben des Klägers wurde er in Griechenland nicht zu seinen Asylgründen angehört, da er damals minderjährig gewesen sei.
3
Am 06.06.2021 reiste der Kläger nach seinen Angaben in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 22.07.2021 einen Asylantrag.
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Bei der persönlichen Anhörung am 26.07.2021 trug der Kläger im Wesentlichen vor, dass seine Familie und er von einem Flugzeug beschossen worden seien. Ihr Haus sei dabei total zerstört worden. Seine beiden Beine seien amputiert worden. Es herrsche Krieg in Syrien. Man werde von Panzern und Flugzeugen beschossen. Zwei Monate nach einem Raketenangriff auf ihr Haus im Juli 2015 seien sie dann aus Syrien ausgereist. Eine direkte persönliche Bedrohung oder Verfolgung habe er in Syrien nicht erlebt. Auch habe er nicht an Demonstrationen oder sonstigen oppositionellen Tätigkeiten teilgenommen. Auf die Frage, was er bei der Rückkehr nach Syrien befürchte, gab der Kläger an, er habe Angst vor dem Assad-Regime. Er habe Angst vor den Flugzeugen, den Bombardierungen, vor der Armee und vor allen Soldaten. Wenn er nach Syrien zurückkehre, erwarte ihn der Tod.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 15.11.2022, zugestellt am 22.11.2022, den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Nr. 2). Der Kläger habe sich auf den Bürgerkrieg und die schlechte Sicherheitslage sowie die schlechten Lebensumstände in Syrien berufen. Selbst wenn er im Juli 2015 während einer Flugzeugbombardierung seine Beine verloren haben würde, könne dies nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Dem Vorbringen seien keine drohenden Verfolgungshandlungen in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG zu entnehmen. Der Antragsteller sei nicht in Anknüpfung an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung einer Verfolgung ausgesetzt. Auf die Begründung des Bescheids wird im Übrigen Bezug genommen.
6
Mit bei Gericht am 29.11.2022 eingegangenen Schreiben ließ der Kläger vorliegende Klage gegen die Entscheidung des Bundesamts erheben, die zunächst unter dem Az. RN 11 K 22.31732 geführt wurde, und einen Prozesskostenhilfeantrag stellen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft habe. Das Bundesamt sei inhaltlich an die Entscheidung der griechischen Behörden hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes gebunden. Vorsorglich werde ausgeführt, dass der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft habe, da er vorverfolgt ausgereist sei. Er sei bereits in das Blickfeld des syrischen Regimes geraten, weil er den Wehrdienst verweigert habe. Der Kläger würde demnach aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung mit asylrelevanter Verfolgung zu rechnen haben, sobald er aufgegriffen werden würde. Maßgeblich sei vorliegend, dass ihm wegen der Wehrdienstverweigerung von staatlicher Seite eine oppositionelle, regimefeindliche Haltung zugeschrieben werde. Da der Kläger aus einer (tatsächlich) regierungsfeindlichen Zone stamme, bestehe für ihn die Gefahr, bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien im Rahmen der zu erwartenden Rückkehrerbefragung bzw. einer etwaigen anschließenden Verbringung in ein Haft- oder Verhörzentrum einer menschenrechtswidrigen Behandlung (Folter) ausgesetzt zu sein. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem Kläger nicht zur Verfügung. Seine Verfolgung sei angesichts der in Syrien herrschenden Verhältnisse nicht regional begrenzt.
7
Der Kläger lässt beantragen,
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15.11.2022 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen.
8
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
9
Mit Beschluss vom 13.12.2022 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigen bewilligt (Ziffer I. des Beschlusses) und infolge übereinstimmender Erklärungen der Parteien das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts (1 C 26.21) angeordnet (Ziffer II. des Beschlusses).
10
Auf Nachfrage des Gerichts im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18.06.2024 (Az. C-753/22) wurde mitgeteilt, dass sich der Kläger nicht weiter äußern wolle.
11
Mit gerichtlichem Schreiben vom 01.08.2025 wurde die Beklagte gebeten, die Unterlagen aus dem griechischen Asylverfahren zu anzufordern bzw. zu übermitteln. Mit Schreiben vom 07.08.2025 führte die Beklagte aus, dass der Informationsaustausch im Ergebnis nur als zusätzliches Mittel der Informationsgewinnung – nicht aber als alleiniges – zu verstehen sein könne. Sollte sich aus objektiven Kriterien bereits die Ungeeignetheit ergeben, so sei er verzichtbar und wegen des Beschleunigungsgebotes nicht durchzuführen. Das Informationsersuchen an den schutzgewährenden Mitgliedstaat würde zur reinen Förmelei verkommen, wenn kein weiterer Erkenntnisgewinn durch das Informationsersuchen zu erwarten sei. In diesem Sinne habe auch das VG Gelsenkirchen (Urteil vom 17. Juli 2024 – 15a K 1766/22.A –, juris, Rn. 53 f.) entschieden, dass ein Informationsaustausch in Einzelfällen unterbleiben könne. Auch in dem hier beklagten Verfahren sei nicht mit einem weiteren Informationsgewinn durch ein Inforequest zu rechnen. Der Kläger habe angegeben, in Griechenland nicht angehört worden zu sein. Im Übrigen sei der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland zu seinem Verfolgungsschicksal angehört worden, sodass er die Gelegenheit gehabt habe, seine Schutzgründe vollumfänglich darzulegen. Im Klageverfahren habe er bisher ebenfalls noch nicht vorgetragen, dass ein Informationsaustausch erforderlich sei, da sich hieraus neue Erkenntnisse für die Beklagte ergeben können würden. Es sei daher nicht zu erwarten, dass ein Informationsaustausch weitere individuell zu berücksichtigende Umstände ergeben könnten, die eine andere Entscheidung durch die Beklagte rechtfertigen würde.
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Mit Beschluss vom 21.08.2025 wurde der Ruhensbeschluss vom 13.12.2022 aufgehoben und das Verfahren unter dem aktuellen Aktenzeichen fortgeführt.
13
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Bundesamtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden, da die Prozessparteien hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
15
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Das Gericht folgt zunächst der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hierauf Bezug, § 77 Abs. 3 AsylG. Im Übrigen wird auf Folgendes hingewiesen:
A.
16
Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft folgt nicht daraus, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft in Griechenland zuerkannt worden ist.
17
I. Es ist durch den Europäischen Gerichtshof geklärt, dass die Mitgliedstaaten nicht an die positive Entscheidung über den internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat gebunden sind. Bei der vom Europäischen Gerichtshof geforderten neuen, individuellen, vollständigen und aktualisierten Prüfung des Asylantrags müssen jedoch die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats, diesem Antragsteller internationalen Schutz zu gewähren, und die Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruht, in vollem Umfang berücksichtigt werden (vgl. EuGH, U. v. 18.06.2024 – C-753/22 und im Anschluss daran BVerwG, U. v. 24.03.2025 – 1 C 7.24).
18
1. Die Beklagte ist den Vorgaben des EuGH grundsätzlich nicht nachgekommen. Sie hat nach Aktenlage den angegriffenen Bescheid ursprünglich ohne Kenntnis der Anhaltspunkte, auf denen die Entscheidung der griechischen Behörden beruhte, erlassen. Lediglich auf Bl. 127 f. der Behördenakte findet sich die Information seitens der griechischen Behörden, dass dem Kläger am 07.04.2020 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist. Die Hintergründe der griechischen Entscheidung ergeben sich aus der Behördenakte jedoch nicht und wurden auch nicht nachträglich von der Beklagten von den griechischen Behörden angefordert.
19
2. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird jedoch vertreten, dass im konkreten Einzelfall von einem solchen Informationsaustausch abgesehen werden kann (vgl. VG Köln, U. v. 18.07.2024 – 8 K 2288/22.A – juris Rn. 33; VG Münster, U. v. 24.10.2024 – 2 K 393/21.A; U. v. 09.10.2024 – 2 K 1764/22.A). Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen führt hierzu in seinem Urteil vom 17.07.2024 – 15a K 1766/22.A aus:
„Für eine Entscheidung der Behörden eines Mitgliedstaats über einen Antrag auf internationalen Schutz, der dem Antragsteller zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zuerkannt wurde, hat der Europäische Gerichtshof aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabsatz 1 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die Verpflichtung der zuständigen Behörde, die über den neuen Antrag zu entscheiden hat, abgeleitet, unverzüglich einen Informationsaustausch mit der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats einzuleiten, die den Antragsteller zuvor als Flüchtling anerkannt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 2024 – C 753/22 –, ECLI:ECLI:EU:C:2024:524, curia.europa.eu, Rn. 77 f.).
Diese Pflicht zum Informationsaustausch ist nach den Worten des Europäischen Gerichtshofs, auch in anderen Sprachfassungen, zwar auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bezogen, (…) soll jedoch im Rahmen des Verfahrens zur Gewährung – nicht auf die Flüchtlingseigenschaft begrenzten – internationalen Schutzes die mit dem neuen Antrag befasste Behörde in die Lage versetzen, ihre Überprüfungen in voller Kenntnis der Sachlage vorzunehmen (…).
Die bei dieser Prüfung nach Art. 4 Abs. 3 der RL 2011/95/EU zu berücksichtigenden und vom Europäischen Gerichtshof herausgehobenen Umstände sind neben den mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a) der RL 2011/95/EU) die den Antragsteller/Kläger selbst betreffenden Umstände, seine Angaben und von ihm vorgelegten Dokumente (Art. 4 Abs. 3 Buchst. b) der RL 2011/95/EU), seine individuellen und persönlichen Umstände (Art. 4 Abs. 3 Buchst. c) der RL 2011/95/EU), sowie seine Aktivitäten seit Verlassen des Herkunftsstaates (Art. 4 Abs. 3 Buchst. d) der RL 2011/95/EU). Hiernach stehen die Person des Klägers, sein Vorbringen und die von ihm vorgelegten Dokumente sowie die Tatsachen im Herkunftsland im entscheidungserheblichen Zeitpunkt im Zentrum der Prüfung.
Im Hinblick auf diese bei jeder Einzelfallprüfung individuell und aktuell zu berücksichtigenden Umstände im Zeitpunkt der entscheidungserheblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) konnte im Lichte des von dem Europäischen Gerichtshofs hervorgehobenen Zwecks, die Überprüfung auf eine volle Kenntnis der Sachlage zu stützen, im vorliegenden Verfahren von einer Anforderung weiterer Unterlagen von den griechischen Behörden abgesehen werden. Die aus November 2015 stammenden und mittlerweile neun Jahre alten Unterlagen, sofern sie noch vorhanden sein sollten, erscheinen im Lichte des vom Europäischen Gerichtshof aufgezeigten Zwecks des Informationsaustauschs objektiv ungeeignet, die entscheidungserhebliche Sachlage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich zu vervollständigen. Ihre Anforderung stellte vorliegend, auch im Lichte des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit, eine bloße Förmelei dar und wäre mit dem Grundsatz der zügigen Verfahrensbearbeitung nicht zu vereinbaren. Denn nach dem 18. Erwägungsgrund der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes liegt es im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, dass über die Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, entschieden wird. Dem folgend stellen die Mitgliedstaaten nach Art. 31 Abs. 2 der RL 2013/32/EU sicher, dass das Prüfungsverfahren unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung so rasch wie möglich zum Abschluss gebracht wird. Zeitlich nicht absehbare Verzögerungen durch einen in der Sache offensichtlich ungeeigneten Informationsaustausch wären damit nicht überein zu bringen. In diesem Licht sind die Maßgaben des Europäischen Gerichtshofs für die mit dem erneuten Antrag befasste Behörde zu sehen, einen Informationsaustausch mit der Behörde, die zuvor die Zuerkennung ausgesprochen hat, „unverzüglich“, einzuleiten (…).
Dieser Maßgabe der Unverzüglichkeit kann vorliegend offensichtlich keine Rechnung mehr getragen werden. Zudem brächte ein Informationsaustausch inhaltlich bei Berücksichtigung der von dem Kläger (vgl. Art. 4 Abs. 3 der RL 2011/95/EU) vorgetragenen Umstände offensichtlich nichts entscheidungserhebliches für die Sachlage im hier maßgeblichen Zeitpunkt zu Tage. Sie könnten nicht der sachgerechten Vervollständigung der Sachlagenkenntnisse dienen.“
20
Gemessen daran spricht viel dafür, dass die Anforderung der Unterlagen aus dem griechischen Asylverfahren des Klägers nicht angezeigt war.
21
Der Kläger gab beim Bundesamt an, dass er in Griechenland nicht zu seinen Asylgründen angehört wurde. Dies legt nahe, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Griechenland nicht auf dem individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers beruhen konnte, sondern allein auf den äußeren Umständen seiner Herkunft und den zugrundeliegenden Herkunftslandinformationen. Die Informationen zu Syrien, die der griechischen Entscheidung 2020 zugrunde lagen, können im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG, im Jahr 2025 aber nicht mehr herangezogen werden, da sie – insbesondere infolge des Sturzes des Assad-Regimes in Syrien – nicht mehr aktuell sind. Denn nach Art. 10 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b der RL 2013/32/EU müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, (…), eingeholt werden, die Aufschluss geben über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller (…) und diese Informationen den für die Prüfung und Entscheidung der Anträge zuständigen Bediensteten zur Verfügung stehen. Es kann daher bei einer Entscheidung im Jahr 2025 nicht mehr auf die Auskunftslage im Jahr 2020 abgestellt werden, sofern neue Erkenntnisse zur Verfügung stehen, was bei Syrien gerade der Fall ist (vgl. VG Regensburg, U. v. 14.08.2024 – RO 13 K 23.30704 zum Irak). Darüber hinaus wurde von Klägerseite auch nicht dargelegt, inwiefern sich durch den Informationsaustausch mit den griechischen Behörden neue Erkenntnisse für die Beklagte ergeben könnten. Der Kläger gab ferner im Rahmen seiner Befragung am 22.07.2021 (Bl. 57 ff. der Behördenakte) an, dass er keine neuen Gründe und Beweismittel habe, die nicht in dem früheren Verfahren geltend gemacht worden seien und die ein neues Asylverfahren rechtfertigen sollten (Frage 5.4, Bl. 59 der Behördenakte).
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Würde man im vorliegenden Fall darauf beharren, die Informationen aus Griechenland fünf Jahre nach erfolgter Schutzgewährung einzuholen, obwohl diese objektiv nicht dazu beitragen können, die Entscheidung zugunsten des Klägers zu beeinflussen, wäre das nicht mit dem Grundsatz der zügigen Verfahrensbearbeitung zu vereinbaren, vgl. Art. 31 Abs. 2 der RL 2013/32/EU, und reiner Formalismus.
23
Das Gericht war auch nicht gehalten, selbst die griechischen Behörden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren um die Übermittlung von Informationen zu bitten. Eine Notwendigkeit hierfür folgt weder aus dem Unionsrecht noch aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht nimmt hierzu Bezug auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Urteil vom 06.09.2024 – A 11 K 788/23:
„Eine Verpflichtung, die Behörde eines anderen Mitgliedstaats, die einem in Deutschland internationalen Schutz beantragenden Ausländer bereits einen solchen Schutz gewährte, um die Übermittlungen von Informationen hierzu zu bitten, begründet das Unionsrecht nur für die zur Entscheidung über den Antrag berufenen Behörde (vgl. EuGH, Urteil vom 18.06.2024 – C-753/22 –, juris Rn. 74 ff.), nicht aber für die mitgliedstaatlichen Gerichte. Dies wird schon daran deutlich, dass der Gerichtshof der Europäischen Union die Verpflichtung wörtlich als eine solche bezeichnet, die „die zuständige Behörde“ trifft, und er nicht etwa von einer pauschal für „den Mitgliedstaat“ oder dessen „Behörden und Gerichte“ geltenden Pflicht spricht. Darüber hinaus erlaubte es aber vor allem auch die normative Herleitung der Verpflichtung nicht, diese auch auf die mitgliedstaatlichen Gerichte zu erstrecken, denn sie findet ihre Grundlage maßgeblich (auch) in dem Gebot der Kohärenz der Entscheidungen der Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, Urteil vom 18.06.2024 – C-753/22 –, juris Rn. 78). Dieses Kohärenzprinzip, also das Gebot, Entscheidungen inhaltlich aufeinander abzustimmen, kann von vornherein nicht für Gerichte Geltung beanspruchen. Denn gerichtliche Entscheidungen sind in richterlicher Unabhängigkeit zu treffen; damit unvereinbar wäre ein Gebot, die gerichtliche Entscheidung inhaltlich abzustimmen mit der Entscheidung eines anderen mitgliedstaatlichen Gerichts oder gar einer mitgliedstaatlichen Behörde.
Nach dem Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist das Gericht verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Die danach gebotene Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts ist dem Gericht vorliegend aber hinreichend möglich gewesen, ohne dass die griechische Behörde, die dem Kläger internationalen Schutz gewährte, um Informationen gebeten wurde. Für die Entscheidung über das Begehren des Klägers sind in erster Linie zum einen die allgemeine Lage im Herkunftsland des Klägers und zum anderen dessen individuelle Situation erheblich. Die allgemeine Lage in der Heimat der Kläger ist hinreichend mithilfe der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zu ermitteln; etwaige zusätzliche Informationen aus dem in Griechenland geführten Verwaltungsverfahren über den dortigen Antrag der Kläger auf internationalen Schutz versprechen demgegenüber keinen relevanten Erkenntnisgewinn, insbesondere weil das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellen muss, die der griechischen Behörde bei ihrer Entscheidung vorliegenden Informationen aber schon mehrere Jahre alt sind. Die individuelle Situation des Klägers ist wiederum im Wege seiner Anhörung durch das Gericht unter Einbeziehung seiner Angaben beim Bundesamt hinreichend zu ermitteln gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass eine Auswertung im griechischen Asylverfahren dokumentierter Informationen noch erhebliche weitere Erkenntnisse hätte bringen können, sind nicht ansatzweise ersichtlich.“
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Dem steht nach Auffassung des Gerichts auch nicht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.03.2025 (1 C 7.24) entgegen. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht darin ausgeführt, dass sich die Verpflichtung, die Entscheidung des anderen Mitgliedstaates sowie die ihr zugrunde liegenden Anhaltspunkte bei der Entscheidung über einen Asylantrag zu berücksichtigen, sich auch auf ein sich anschließendes verwaltungsgerichtliches Verfahren erstrecke. Die Frage, ob ein solcher Informationsaustausch aus o. g. Gründen unterbleiben kann, wurde jedoch nicht beantwortet bzw. nicht explizit verneint.
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3. Ob der Informationsaustausch vorliegend erforderlich war, kann jedoch dahingestellt bleiben, weil der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann nicht bestünde, wenn das Bundesamt hierüber in verfahrensfehlerhafter Weise entschieden hätte.
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Vielmehr kann das Begehren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur dann Erfolg haben, wenn deren materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG ist eine zwingende Vorschrift und erlaubt der Behörde keine Ermessensbetätigung; Gleiches ergibt sich aus der dem nationalen Recht zugrundeliegenden Bestimmung des Art. 13 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU). Es erscheint im vorliegenden Verfahren ausgeschlossen, dass ein durchgeführter Informationsaustausch im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshof vom 18.06.2024, C-753/22, zu einer anderen Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers geführt hätte. Der Kläger hat in seiner Anhörung am 26.07.2021 beim Bundesamt umfassend Gelegenheit bekommen, seine Fluchtgründe aus Syrien vorzutragen und hat davon auch Gebrauch gemacht. Der Kläger gab ferner im Rahmen seiner Befragung am 22.07.2021 (Bl. 57 ff. der Behördenakte) an, dass er keine neuen Gründe und Beweismittel habe, die nicht in dem früheren Verfahren geltend gemacht worden seien und die ein neues Asylverfahren rechtfertigen sollten (Frage 5.4, Bl. 59 der Behördenakte). Nach § 25 Abs. 1 AsylG liegt es allein im Verantwortungs- und Pflichtenkreis des Asylantragstellers, umfassend und selbstständig die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen. Dies muss auch dann gelten, wenn der Asylantragsteller in einem weiteren Staat um internationalen Schutz sucht.
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Basierend auf dieser Grundlage liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor (siehe hierzu unten B.; vgl. zum Ganzen: VG Stuttgart a. a. O.; VG Düsseldorf, U. v. 16.08.2024 – 17 K 3593/22.A – juris Rn. 11 f.; VG Gießen, B. v. 12.02.2025 – 8 L 210/25.GI.A, die auf eine Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers nach § 46 VwVfG abstellen), sodass sich selbst bei einem Verfahrensfehler kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergeben würde.
28
II. Eine Bindungswirkung lässt sich auch nicht aus dem Völkerrecht herleiten. Die Genfer Flüchtlingskonvention legt einheitliche Kriterien für die Qualifizierung als Flüchtling fest, macht jedoch Statusentscheidungen nicht für andere Staaten bindend (vgl. VG Regensburg, U. v. 22.04.2025 – RO 13 K 23.30832; U. v. 07.06.2022 – RO 15 K 21.31646; VG Minden, U. v. 02.03.2022 – 1 K 194/21.A; VG Stuttgart, U. v. 21.02.2022 – A 7 K 3174/21; vgl. auch BVerwG, U. v. 30.03.2021 – 1 C 41/20). Eine Bindung resultiert vorliegend schon deshalb nicht aus dem Europäischen Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge, weil dieses in Griechenland bislang nicht ratifiziert worden ist (vgl. https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list?module=signatures-by-treaty& treatynum=107; abgerufen am Entscheidungstag). Im Übrigen regelt das genannte Übereinkommen lediglich vereinzelte Rechte von als Flüchtling Anerkannten im Zweitstaat und beinhaltet gerade keine umfassende Bindungswirkung (vgl. VG Freiburg, U. v. 29.09.2022 – A 7 K 2018/22; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, U. v. 29.03.2022 – 11 S 1142/21).
B.
29
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, da er sich nach Überzeugung des Gerichts nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen. Ihm droht bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
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I. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
31
Es steht nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat er weder beim Bundesamt, noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose (drohender) politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen kommt dabei besondere Bedeutung zu. Dem Schutzsuchenden selbst obliegt es, die Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, B. v. 21.07.1989 – 9 B 239/89).
32
1. Die zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers in Syrien vorherrschende Kriegssituation sowie die unsicheren Lebensbedingungen können nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Erforderlich ist nämlich eine gezielte Rechtsverletzung, d. h. ein gezielter Eingriff in ein asylrechtlich geschütztes Rechtsgut (vgl. BVerwG, U. v. 19.01.2009 – 10 C 52.07). Nicht den Einzelnen gezielt treffende Folgen von Handlungen oder allgemeine Ereignisse wie Kriege oder Katastrophen genügen für die Annahme einer Verfolgung nicht. Der Bedrohung durch den bei der Ausreise des Klägers noch virulenten Bürgerkrieg wurde im Übrigen bereits durch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus Genüge getan.
33
2. Auch eine unmittelbar bevorstehende Einziehung zum Wehrdienst in der syrischen Armee hätte ebenfalls keine relevante Verfolgung nach sich gezogen. Die Einziehung zum Wehrdienst für sich führt nämlich nicht zu einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.03.2021 – 14 A 3439/18.A).
34
3. Darüber hinaus lassen sich dem Vorbringen des Klägers in seiner Anhörung beim Bundesamt keine konkreten Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG entnehmen. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG.
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II. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien bereits wegen des Regimewechsels nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung.
36
1. Eine flüchtlingsrelevante Verfolgung durch das Assad-Regime droht dem Kläger bereits deshalb nicht, weil sich durch dessen Sturz die politische Lage in Syrien grundlegend geändert hat. Bis auf das verbleibende Gebiet der sogenannten Demokratischen Selbstverwaltungsbehörden in Nord- und Ostsyrien (DAANES) werden nun, zumindest formal, alle Gebiete des Landes von der neuen syrischen Regierung verwaltet (vgl. AA, Lagebericht vom 30.05.2025, S. 4). In den Küstengebieten (Gouvernements Latakia und Tartous) sowie im westlichen Teil des Gouvernements Homs sind zwar nach wie vor Anhänger des gestürzten Assad-Regimes präsent (vgl. AA, Lagebericht a. a. O.). Da eine hypothetische Rückführung nur in die von der neuen syrischen Regierung beherrschten Gebiete erfolgen könnte, insbesondere nach dem Flughafen Damaskus, scheidet bereits deshalb eine mögliche Verfolgung des Klägers durch Anhänger des Assad-Regimes aus.
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2. Eine begründete Furcht des Klägers vor Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die nach dem Verlassen Syriens eingetreten sind. Insbesondere ergeben sich infolge des Sturzes des Assad-Regimes keine konkreten Umstände, die eine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr beachtlich wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Lage in Syrien stellt sich dabei im Wesentlichen wie folgt dar (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationen der Staatendokumentation, Syrien, Version 12, 08.05.2025, S. 11 f.):
„Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). (…) Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay’at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government – SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army – SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara’a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations – DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70% des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).“
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Dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 30.05.2025 lässt sich auf den Seiten 9 f. zur politischen Lage in Syrien u. a. Folgendes entnehmen:
„Einen Tag nach dem Sturz des Assad-Regimes, am 9. Dezember 2024, wurde der Premierminister des sogenannten „Syrian Salvation Government (SSG)“ aus Idlib, dem politischem Arm von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS), mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt, die bis zum 29. März 2025 geschäftsführend im Amt blieb. Dieses erste Kabinett war ausschließlich mit HTS-Vertretern besetzt. Die am 29. März 2025 ernannte neue Regierung ist inklusiver aufgestellt.
Neuer Präsident Syriens für die Übergangszeit ist Ahmed al-Sharaa. Im Rahmen einer sogenannten Siegeskonferenz wurde er am 29. Januar 2025 von zahlreichen militärischen Anführern syrischer Milizen zum Präsidenten ernannt. Dabei setzte er die bisherige Verfassung des Landes außer Kraft. Ein Verfassungskomitee veröffentlichte am 13. März 2025 eine Verfassungserklärung, die den Rahmen für eine fünfjährige Übergangsphase und eine zu erarbeitende neue Verfassung vorgibt.
Die gesetzgebende Gewalt soll gemäß der Verfassungserklärung bis zur Durchführung von freien Wahlen in fünf Jahren von einem Legislativrat ausgehen. Dieser solle zu 2/3 durch ein von Präsident Al-Sharaa zusammengestelltes Komitee gewählt und zu 1/3 direkt vom Präsidenten bestimmt werden. Begleitet wurden diese Schritte von einer Nationalen Dialogkonferenz, deren Hauptveranstaltung mit ca. 550 Personen am 25. Februar 2025 in Damaskus stattfand. In der 18 Punkte umfassenden Abschlusserklärung wurde der politische Prozess der Übergangsregierung im Prinzip bestätigt und durch einige konkrete Punkte ergänzt (z. B. mit Blick auf zivilgesellschaftliche Organisationen, auf die Institutionen des Staates und die angestrebte Aufhebung der Sanktionen).“
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a) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung, weil er sich durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat. Ihm droht auch nicht die Einziehung zum Wehrdienst, die für sich genommen sowieso keine Verfolgung darstellen würde. Dies ergibt sich bereits daraus, dass in den von der neuen syrischen Regierung kontrollierten Gebieten der verpflichtende Wehrdienst abgeschafft ist (vgl. AA, Lagebericht a. a. O., S. 13). Ende des Jahres 2024 bestätigte Syriens Übergangspräsident al-Scharaa, dass man zu einer Freiwilligenarmee übergehen wolle. Seitdem gibt es keine Berichte über Zwangsrekrutierungen mehr. Zahlreiche ehemalige Wehrpflichtige, Deserteure und Exilanten profitierten von entsprechenden Amnestien und konnten ohne Verhängung einer Strafe nach Syrien zurückkehren bzw. sich wieder in die Gesellschaft integrieren. Rekrutierungen neuer Armeeangehöriger erfolgen nun auf freiwilliger Basis. Die Übergangsregierung hat eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationen der Staatendokumentation, Syrien, Version 12, 08.05.2025, S. 141).
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b) Sonstige weitere individuell gefahrerhöhende Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen. Eine – hervorgehobene – politische Tätigkeit lässt sich seinen Angaben nicht entnehmen. Eine herausgehobene Position, die ein besonderes Interesse der neuen Regierung an seiner Person beachtlich wahrscheinlich machen würde, ist nicht zu erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass auch die neuen Machthaber in Syrien eine Flucht ins Ausland als Anknüpfungspunkt einer von ihnen ausgehenden politischen Verfolgung begreifen würden, bestehen nicht (vgl. VG Frankfurt, Gerichtsbescheid v. 23.04.2025 – 12 K 2449/24.F.A).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).