Inhalt

LG Traunstein, Beschluss v. 19.05.2025 – 2 Qs 135/25
Titel:

Beweismittel, Beschlagnahmeanordnung, Beschuldigter, Staatsanwaltschaft, Kostenentscheidung, Kooperationsbereitschaft, Ermittlungsverfahren, Schutzbereich, Mobiltelefon, Hauptverhandlung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sach- und Rechtslage, Beschlüsse des Amtsgerichts, Herausgabe, Vertraulichkeit des Wortes, Nichtöffentliche, Überwiegende Wahrscheinlichkeit, Beschwerde gegen, Beweisaufnahme, Polizeibeamten

Schlagworte:
Beschlagnahme, Verhältnismäßigkeit, Anfangsverdacht, Beweismittel, Nichtöffentlichkeit, Polizeikontrolle, Kommunikationsschutz
Vorinstanz:
AG Rosenheim, Beschluss vom 17.03.2025 – II Gs 420/25
Rechtsmittelinstanz:
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 09.07.2025 – 1 BvR 975/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22632

Tenor

1. Die Beschwerde der Beschuldigten Z… J. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 17.03.2025 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Beschuldigte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
1
Unter dem staatsanwaltschaftlichen Aktenzeichen 420 Js 10045/25 wird ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte wegen des Verdachts des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes geführt.
2
Die Beschuldigte wurde am 14.03.2025 gegen 11:30 Uhr von den Beamten der Polizeiinspektion B. A. einer Verkehrskontrolle unterzogen. Anlass für diese war das festgestellte auffällige Fahrverhalten – Fahren in Schlangenlinien – der Beschuldigten. Im Laufe der Kontrolle begann die Beschuldigte mit ihrem Mobiltelefon die Kontrolle und die kontrollierenden Beamten zu filmen. Die Staatsanwaltschaft T., Zweigstelle Rosenheim, ordnete daraufhin am 14.03.2025 gegen 11.46 Uhr die Beschlagnahme des Mobiltelefons „iPhone 16“ der Beschuldigten an. Die Beschlagnahme wurde durch die Polizeibeamten mittels Fesselung der Beschuldigten vollzogen. POW S… und PMin W… stellten am 14.03.2025 bzw. 15.03.2025 Strafantrag für alle in Betracht kommenden Delikte (Bl. 5, 7 d.A.).
3
In einem an die Polizeiinspektion B. A. gerichteten Schreiben der Beschuldigten vom 17.03.2025 forderte diese die unverzügliche Herausgabe ihres sichergestellten Mobiltelefons (Bl. 16 d.A.).
4
Mit Beschluss vom 17.03.2025 bestätigte das Amtsgericht Rosenheim auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme des Mobiltelefons „iPhone 16 weiß“ der Beschuldigten (Bl. 19/20 d.A.). Dieser Beschluss wurde der Beschuldigten am 17.04.2025 übermittelt (Bl. 33 d.A.).
5
Mit Schreiben vom 15.04.2025 forderte die Beschuldigte die sofortige Einstellung des gegen sie geführten Ermittlungsverfahrens sowie die Herausgabe ihres Mobiltelefons innerhalb von 14 Tagen nach Zugang des Schreibens (Bl. 22/31 d.A.).
6
Mit Schreiben vom 03.05.2025 legte die Beschuldigte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 17.03.2025 ein und beantragte Einsicht in die Akten (Bl. 36/57 d.A.). Zur Begründung führt die Beschuldigte aus, dass es bereits an einem strafbaren Verhalten ihrerseits fehle. Sie habe zunächst lediglich ein „Selfie-Video“ angefertigt. Erst nach Einschalten der polizeilichen Bodycams habe sie die Beamten gefilmt. Die Beschlagnahme ihres Mobiltelefons sei auch unverhältnismäßig.
7
Mit Beschluss vom 12.05.2025 half das Amtsgericht Rosenheim der Beschwerde der Beschuldigten nicht ab (Bl. 76/77 d.A.).
8
Mit Verfügung vom 14.05.2025, beim Landgericht Traunstein am 19.05.2025 eingegangen, beantragte die Staatsanwaltschaft, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen (Bl. 78 d.A.).
II.
9
Die Beschwerde der Beschuldigten Z … J. hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
10
1. Der für eine Beschlagnahmeanordnung erforderliche Anfangsverdacht einer Straftat, hier § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB, liegt vor. Die Beschuldigte hat auch – nach eigenem Bekunden – eine Tathandlung im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgenommen.
11
a) Die Äußerungen im Rahmen der durchgeführten Verkehrskontrolle sind vom Schutzbereich des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst. Ein Amtsträger muss grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine Äußerungen im Rahmen polizeilicher Maßnahmen nicht mitgeschnitten werden. Geschützt wird nicht nur die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation zwischen Privatpersonen, sondern auch die zwischen Hoheitsträgern in Ausübung ihres Amtes und Privatpersonen.
12
b) Die Äußerungen der Polizeibeamten im Rahmen der Verkehrskontrolle waren „nichtöffentlich“ im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wobei die Aktivierung der Bodycamaufzeichnung für die Beurteilung der „Nichtöffentlichkeit“ ohne Einfluss bleibt.
13
Eine nichtöffentliche Äußerung liegt dann vor, wenn diese nicht für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten oder nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis bestimmt oder unmittelbar verstehbar ist. Für die Frage der Nichtöffentlichkeit sind vor allem der Wille des Sprechers, daneben auch der Zweck und die Eigenart der Unterredung von Bedeutung (vgl.: Fischer/Anstötz, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 72. Auflage 2025, § 201 Rn. 3).
14
Im Rahmen der zur Beurteilung stehenden Polizeikontrolle war der Zuhörerkreis abgeschlossen und die Kontrollmöglichkeit der Beamten über die Reichweite der Äußerungen gewährleistet. Neben den Polizeibeamten waren einzig die Kinder der Beschuldigten im Rahmen der Kontrolle anwesend. Die Polizei konnte aufgrund der Übersichtlichkeit der Situation – anders als bei Großveranstaltungen oder Demonstrationen – auch Einfluss auf die Reichweite der Äußerungen nehmen. Es konnte ausgeschlossen werden, dass unbeteiligte Dritte den Inhalt der Kommunikation zwischen den Beamten und der Beschuldigten (vollständig) mitbekommen. Möglicherweise hinzukommende Dritte – beispielsweise die von der Beschuldigten angeführte Wanderin – hätten dem Ort der Kontrolle verwiesen werden können. Zudem hätten derartige Personen nur „Fetzen“ einer Unterhaltung mitbekommen.
15
Das Einschalten der Bodycams ändert nichts an der Beurteilung der Äußerungen als „nichtöffentlich“. Die insoweit abweichende Einzelfallentscheidung des Landgerichts Hanau ändert an der Beurteilung der Kammer nichts. Denn der Schutzbereich des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB entfällt nicht dadurch, dass eine Aufzeichnung des Gesprächs mittels Bodycams vorgenommen wird. Zwar kann es sein, dass die Aufnahmen der Bodycam in einer späteren öffentlichen Hauptverhandlung Gegenstand der dortigen Beweisaufnahme werden. Jedoch ist dies lediglich eine vage und entfernte Möglichkeit der Verwendung. Die Aufnahme zu rein internen Zwecken ist ebenfalls denkbar. Der hiesige Fall ist vielmehr mit einem aufgezeichneten Vernehmungsgespräch vergleichbar. In derartigen Fällen besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass die Aufzeichnungen im Rahmen einer (öffentlichen) Hauptverhandlung reproduziert und damit veröffentlicht werden. Dennoch sind diese Konstellationen vom Schutzbereich des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst (vgl.: OLG Frankfurt, Urteil vom 28.03.1977 – 2 Ss 2/77; Tübinger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 31. Auflage 2025, § 201 Rn. 9).
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c) Die Beschuldigte hat – wie selbst angegeben – die Polizeibeamten mit ihrem Mobiltelefon gefilmt und damit eine „Aufnahme“ im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB erstellt (S. 13 1. Absatz des Beschwerdeschreibens vom 03.05.2025 – Bl. 48 d.A.)
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2. Das beschlagnahmte Mobiltelefon ist als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung.
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Für die Bejahung der Bedeutung als Beweismittel für die Untersuchung ist es sowohl erforderlich als auch ausreichend, dass bei einer ex ante-Betrachtung die Möglichkeit bejaht wird, dass der Gegenstand im weiteren Verfahren zu Beweiszwecken verwendet werden kann. Einer (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit bedarf es zwar nicht, jedoch bedarf es zumindest der Erwartung, dass der Gegenstand oder dessen Untersuchung Schlüsse auf verfahrensrelevante Tatsachen zulässt (vgl. LG Nürnberg-Fürth Beschl. v. 18.3.2021 – 12 Qs 9/21, BeckRS 2021, 5467, beck-online). So liegt der Fall hier. Die Beschuldigte hat selbst eingeräumt, dass sie eine Aufnahme der Polizeibeamten gefertigt hat. Dieses Video ist als Beweismittel für das weitere Ermittlungsverfahren von Bedeutung.
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Die Beschlagnahme ist noch verhältnismäßig. Feste Zeitgrenzen für die Auswertung der beschlagnahmten Beweismittel gibt es nicht. Jedoch ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte ihre Kooperationsbereitschaft angekündigt hat. Die Auswertung eines Mobiltelefons ist in Konstellationen, in denen die Betroffenen ihre Mitwirkung signalisieren, insbesondere zur Herausgabe der PIN bereit sind, deutlich schneller möglich als ohne Kooperationsbereitschaft. Insoweit sollte die Staatsanwaltschaft auf eine schnelle Auswertung des Mobiltelefons hinwirken und anschließend eine Herausgabe des Mobiltelefons an die Beschuldigte prüfen, sollte eine Einziehung des Mobiltelefons gemäß §§ 201 Abs. 5, 74 StGB unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten scheitern, § 74f StGB.
III.
20
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.