Inhalt

VGH München, Urteil v. 27.08.2025 – 8 N 22.41
Titel:

Normenkontrollantrag, Verordnung über die Regelung des Gemeingebrauchs an Gewässern, Einrichtung einer Winterruhezone für Wasservögel auf dem Staffelsee, Schutz der Natur, abstrakte Gefahr, Gefahrenvorsorge, Verhältnismäßigkeit, schlüssiges Schutzkonzept

Normenketten:
VwGO § 47
GG Art. 2 Abs. 1
BayWG Art. 18 Abs. 3
Leitsätze:
1. Die Regelung des Art. 18 Abs. 3 BayWG zur Ausübung des Gemeingebrauchs oberirdischer Gewässer ermächtigt nicht zum Erlass von Verordnungen zur Gefahrenvorsorge.
2. Eine Rechtsverordnung zur Einschränkung des Gemeingebrauchs nach Art. 18 Abs. 3 BayWG zum Schutz der Tier- und Pflanzenwelt erfordert ein auf ausreichender Tatsachengrundlage aufbauendes, in sich schlüssiges Schutzkonzept.
Schlagworte:
Normenkontrollantrag, Verordnung über die Regelung des Gemeingebrauchs an Gewässern, Einrichtung einer Winterruhezone für Wasservögel auf dem Staffelsee, Schutz der Natur, abstrakte Gefahr, Gefahrenvorsorge, Verhältnismäßigkeit, schlüssiges Schutzkonzept
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22538

Tenor

I. § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung des Landratsamtes Garmisch-Partenkirchen zur Beschränkung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs am Staffelsee, Achauslauf und Ferchenbach zur Schaffung von Ruhezonen für Wasservögel und Schutzzonen für Wasservegetation vom 7. Januar 2021 werden für unwirksam erklärt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Antragsteller, ein aktiver Kanusportler, wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Rechtsverordnung des Landratsamtes Garmisch-Partenkirchen zur Beschränkung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs am Staffelsee, Achauslauf und Ferchenbach zur Schaffung von Ruhezonen für Wasservögel und Schutzzonen für Wasservegetation (im Folgenden: StaffelseeVO) vom 7. Januar 2021.
2
Die Verordnung wurde zusammen mit einer Karte im Maßstab 1:5.000, in der die einzelnen Schutzzonen eingezeichnet sind, am 7. Januar 2021 im Amtsblatt des Landkreises Garmisch-Partenkirchen bekannt gemacht. Sie trat am Tag nach ihrer Bekanntmachung in Kraft. Die Verordnung bezweckt mit der Festsetzung von Ruhezonen auf einem Teilbereich des Staffelsees Störungen von Wasservögeln während der Brut-, Mauser- und Durchzugszeit sowie im Winter fernzuhalten und ihre Lebensstätten einschließlich der notwendigen Nahrungsquellen und Brutgelegenheiten zu sichern (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 StaffelseeVO). Weiteres Ziel ist es, die submerse und emerse Wasservegetation vor mechanischer Beschädigung zu schützen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 StaffelseeVO). Nach der Verordnung muss daher insbesondere zur Beschränkung des immer stärker zunehmenden Freizeitbetriebs die Ausübung des Gemeingebrauchs am Staffelsee, an der Ach und am Ferchensee, zumindest in diesen bedeutsamen Bereichen reglementiert werden (vgl. § 1 Abs. 3 StaffelseeVO).
3
Die angegriffenen Vorschriften lauten wie folgt:
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§ 2 Schutzgrenzen
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(1) Als Ruhezonen für Vögel sowie zum Schutz der Wasservegetation werden folgende Bereiche des Staffelsees, FlNr. 1765/0 der Gemarkung Seehausen am Staffelsee, ausgewiesen:
(…)
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2) Schutzzone 2
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Obersee des Staffelsees östlich der „Kleinen Birke“ bis zu Schutzzone 1 (…)
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§ 3 Verbote
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(1) Die Ausübung des Gemeingebrauchs im Sinne des § 25 Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 BayWG, d.h. insbesondere das Baden, der Betrieb von Modellbooten ohne Verbrennungsmotoren und das Befahren mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft, ist wie folgt verboten:
(…)
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2) in Schutzzone 2 gilt das Verbot vom 15.10. – 31.03. eines jeden Jahres;
(…)
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Der Antragsteller macht zur Begründung seines am 5. Januar 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Normenkontrollantrags in formeller Hinsicht geltend, dass die Kanusportverbände vor Normerlass nicht angehört worden seien. In materieller Hinsicht rügt er im Wesentlichen, dass das in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO geregelte Verbot in räumlicher Hinsicht nicht hinreichend bestimmt sei. Zudem lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 3 BayWG für eine Beschränkung des Gemeingebrauchs in der Schutzzone 2 vom 15. Oktober bis 31. März eines jeden Jahres im maßgeblichen Zeitpunkt des Normerlasses nicht vor. Art. 18 Abs. 3 BayWG verlange, dass eine abstrakte Gefahr in dem Sinne bestehe, dass konkrete Anhaltspunkte vorlägen, dass in einer bestimmten Situation mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden (hier für Wasservögel) einzutreten pflege. Derartige konkreten Anhaltpunkte fehlten: Ein ins Gewicht fallender Bootsverkehr von kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft habe in der fraglichen Zeit weder vor Normerlass noch danach festgestellt werden können. Die vom Antragsgegner angeführten Fahrten seien Einzelfälle, die für ein Gesamtbild nicht ausreichten. Das registrierte Befahren der Schutzzone 2 sei auf Unkenntnis der Seenutzer zurückzuführen, da die Hinweistafeln am Seeufer noch nicht an die StaffelseeVO angepasst worden seien. Nachteilige Folgen für die Population der als Schutzgut in Betracht kommenden Wasservögel seien wissenschaftlich nicht belegt. Die vom Antragsgegner genannte Studie von Bull & Rödl (2018) verhalte sich nicht zum Staffelsee. Des Weiteren sei die Beschränkung nicht verhältnismäßig, weil sie unzumutbar Kanusportler treffe, die den Naturgenuss und die sportliche Betätigung im Kanusport suchten. Dass der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG nur geringes Gewicht habe, weil der Kernbereich privater Lebensführung nicht berührt sei, treffe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu; die Bedeutung des Naturgenusses und der Sportausübung für die private Lebensführung werde verkannt. Zudem nehme der Normgeber erhebliche Störwirkungen von anderen Seenutzern in Kauf. Die Seenschifffahrt dürfe bis November mehrmals täglich im Bereich der Schutzzone verkehren. Hinzu kämen jährlich bis zu 34 Nacht-, Charter- und Sonderfahrten, die im Zeitpunkt des Normerlasses weder räumlich noch zeitlich beschränkt gewesen seien. Zusätzlich gingen erhebliche Störwirkungen im Winterhalbjahr von motorisierten Fischerbooten sowie Jagdereignissen aus. Der Normgeber dürfe aber nicht auf alle möglichen Interessen anderer Seenutzer Rücksicht nehmen und nur den Seenutzern Einschränkungen abverlangen, bei denen er annehme, dass ihr politischer Einfluss am geringsten sei.“
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Der Antragsteller stellt den Antrag:
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§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen zur Beschränkung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs am Staffelsee, Achauslauf und Ferchenbach zur Schaffung von Ruhezonen für Wasservögel und Schutzzonen für Wasservegetation vom 7. Januar 2021 sind unwirksam.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er tritt dem Vorbringen des Antragstellers entgegen. Die Voraussetzungen, unter denen nach Art. 18 Abs. 3 BayWG Beschränkungen des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs zum Schutz der Natur zulässig seien, hätten bei Normerlass vorgelegen. Der Verordnungsgeber verfolge mit der Schutzzone 2 das Ziel, Störungen von rastenden und überwinternden Wasservögeln abzuwehren bzw. möglichst auf ein für die betroffenen Vogelbestände verkraftbares Maß zu reduzieren. Für die Annahme einer abstrakten Gefahr für das Schutzgut, hier der rastenden und überwinternden Wasservögel, lägen ausreichend konkrete Anhaltspunkte vor. Nach der Bewertung der Fachbehörden seien im Winterhalbjahr auf dem gesamten Staffelsee besonders geschützte Arten von Wasservögeln anzutreffen, die sich im Schwerpunkt auf den offenen Wasserflächen der Schutzzone 2 aufhielten. Es gebe zahlreiche wissenschaftliche Studien, die belegten, dass insbesondere von Kanufahrern und Stand-up-Fahrern Störwirkungen auf rastende Wasservögel ausgingen. Wasservögel würden bei Annäherung eines Bootes fliehen, wodurch es insbesondere in der kräftezehrenden Winterzeit und nach dem Vogelzug zu weiteren Fitnessverlusten bei den betroffenen Wasservögeln käme, die sich beispielsweise negativ auf den Bruterfolg auswirken könnten. Die Beobachtungen auf dem Staffelsee zum Bootsverkehr reichten für die zu treffende Prognose aus; eine systematische Erfassung jedweden Bootsverkehrs sei nicht erforderlich. Die Beschränkung des Gemeingebrauchs diene nicht nur der Gefahrenabwehr, sondern rechtfertige sich auch aus dem Prinzip der Risikovorsorge. Der in Art. 18 Abs. 3 BayWG verwendete Begriff „Schutz der Natur“ stehe einer Regelung zum Zwecke der Risikovorsorge nicht entgegen. Für eine Ermächtigung zur Risikovorsorge spreche in systematischer Hinsicht ein einheitliches Begriffsverständnis wie in § 1 BNatSchG und Art. 20a GG, bei denen anerkannt sei, dass der Begriff des Schützens auch die Risikovorsorge in Gestalt von Vorsorgemaßnahmen umfasse. Die Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO sei auch verhältnismäßig. Von ihr ginge nur ein geringfügiger Grundrechtseingriff aus, weil nur eine reine Freizeitbetätigung betroffen sei, die noch dazu auf über 63% des restlichen Sees weiterhin ausgeübt werden könne. Demgegenüber verfüge das Schutzgut über ein erhebliches Gewicht. Dem Rechtsgut Natur und Tierwelt komme als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut Verfassungsrang zu (Art. 20a GG). Die Schutzzone 2 habe nach den Bewertungen der Fachbehörden eine hohe Bedeutung als Rast- und Überwinterungsgebiet. Die auf dem Staffelsee anzutreffenden europäischen Vogelarten unterfielen als besonders geschützte Arten den § 7 Abs. 2 Nr. 12 und 13, § 44 BNatSchG. Zudem würden einzelne Arten auf den sog. „Roten Listen“ geführt. Schutzzonenregelungen seien nach den Aussagen der Fachbehörden ein wirkungsvolles Instrument für die Schaffung von Ruhezonen von Wasservögeln. Die Wirkung der Schutzzone 2 werde vorliegend durch die sonstigen dort oder im Umfeld zulässigen Seenutzungen, die dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG unterfielen, nicht wesentlich vermindert.
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Am 28. Januar 2025 hat der Senat in der Sache mündlich verhandelt. Er hat den Antragsgegner aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen alle Gestattungen des Boots- und Schiffsverkehrs am Staffelsee vorzulegen, die nicht unter den Gemeingebrauch fallen, die aber in die Schutzzone 2 in der Zeit vom 15. Oktober bis 3. März eines jeden Jahres im Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung einfahren durften und aktuell einfahren dürfen. Zudem wurde dem Antragsgegner aufgegeben, Auskunft zu geben oder Unterlagen vorzulegen, aus denen sich ergibt, ob in diesem Zeitraum auf dem Staffelsee und am Ufer des Staffelsees gejagt werden darf. Die Beteiligten verzichteten auf weitere mündliche Verhandlung.
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Mit Schriftsätzen vom 11. und 14. Februar 2025 legte der Antragsgegner die entsprechenden Unterlagen vor und äußerte sich ergänzend. Der Antragsteller nahm dazu am 31. März 2025 Stellung.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Mit Einverständnis der Beteiligten kann der Senat nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden.
21
Der auf Erklärung der Unwirksamkeit der § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 3 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO gerichtete Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO ist zulässig und begründet.
22
A. Der Normenkontrollantrag ist zulässig, insbesondere ist der Antragsteller als aktiver Kanusportler, der seinen Sport seinen Angaben zufolge auch im Geltungsbereich der Verordnung ausübt, antragsbefugt nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Er kann sich im Hinblick auf seine Sportausübung auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG berufen (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2038 u.a. – juris Rn. 21). Kein Maßstab ist das in Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV verankerte Grundrecht auf Genuss von Naturschönheiten und Erholung in der freien Natur, da Grundrechte der Bayerischen Verfassung gemäß § 47 Abs. 3 VwGO i.V.m. Art. 98 Satz 4 BV nicht zum Prüfungsmaßstab im Normenkontrollverfahren gehören (vgl. BayVerfGH, B.v. 23.3.1984 – Vf. 33-VI-82 – VerfGHE 37, 35; BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2038 u.a. – juris Rn. 22). Soweit nach Art. 140 Abs. 3 BV der Staat den Sport zu fördern hat, handelt es sich um eine Staatszielbestimmung und nicht um ein subjektives Recht, dessen Verletzung der Antragsteller rügen könnte (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2038 u.a. – juris Rn. 99; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Auflage 2017, Art. 140 Rn. 4).
23
B. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO verstößt gegen höherrangiges Recht.
24
I. Maßgeblich für die gerichtliche Prüfung ist die Sach- und Rechtslage bei Erlass der Verordnung (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2001 – 4 BN 55.00 – NVwZ 2001, 1050 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 9.7.2010 – 22 N 06.1741 – ZfW 2011, 53 – juris Rn. 25; U.v. 16.8.2022 – 8 N 19.1138 – juris Rn. 49; Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 47 Rn. 59; Hüttenbrink in Kuhla/Hüttenbrink, Verwaltungsprozess, 3. Aufl. 2002, D. Rn. 381). Die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung durch das Gericht ist nur dann maßgeblich, wenn nach dem Normerlass tatsächliche Entwicklungen eingetreten sind, die den Wegfall der Voraussetzungen für den Erlass der Verordnung zur Folge haben (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2008 – 22 N 06.484 – juris Rn. 32). Hingegen kann eine im Zeitpunkt ihres Erlasses unwirksame Norm durch spätere Entwicklungen nicht nachträglich wirksam werden (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.2010 – 2 C 77.08 – BVerwGE 137, 30 Rn. 20 für das nachträgliche Inkrafttreten einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage; OVG NW, U.v. 17.2.2016 – 10 D 42/09.NE – BeckRS 2016, 43473 Rn. 36; VGH BW, U.v. 20.10.2022 – 3 S 3017/20 – juris Rn. 83 jeweils für einen Bebauungsplan; W.-R. Schenke/R.P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 2024, § 47 Rn. 138).
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II. § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 3 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO sind zwar formell rechtmäßig.
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Insbesondere mussten die Kanusportverbände im Rahmen des Erlasses der StaffelseeVO nicht angehört werden. Nach Art. 73 Abs. 3 BayWG ist ein Anhörungsverfahren entsprechend Art. 73 Abs. 2 bis 8 BayVwVfG nur bei Rechtsverordnungen nach §§ 51, 53, 76 WHG und Art. 31 Abs. 3 BayWG durchzuführen, die hier nicht einschlägig sind. Auch eine Pflicht zur Anhörung aus Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG scheidet mangels Erlasses eines Verwaltungsaktes aus (vgl. BayVGH, U.v. 25.1.2022 – 10 N 20.1227 – juris Rn. 93). Aus Nr. 2.2.2.3 der Verwaltungsvorschrift zum Vollzug des Wasserrechts (VVWas) vom 27. Januar 2014 (AllBl. S. 57), geändert durch Bekanntmachung vom 21. November 2021 (BayMBl. Nr. 849), wonach in Verfahren zum Erlass von Gemeingebrauchsregelungen, die sich auf das Ausüben des Kanusports beziehen, der jeweilige Ansprechpartner des Bayerischen Kanuverbandes e.V. einbezogen werden soll, ergibt sich ebenfalls keine Pflicht zur Beteiligung der Kanusportverbände, da es sich hierbei nur um eine Verwaltungsvorschrift ohne Außenwirkung handelt. Eine Pflicht zur Beteiligung bestünde lediglich bei einer entsprechenden Übung des Landratsamtes (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG), wofür hier nichts ersichtlich ist. Schließlich verlangt auch das Rechtsstaatsprinzip nicht, dass der Antragsgegner den Kanusportverbänden vor dem Erlass der Verordnung Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen musste. Nicht zuletzt sehen weder das Grundgesetz noch die Verfassung des Freistaats Bayern beim Erlass von Gesetzen, die durchaus auch einen eingeschränkten Adressatenkreis haben können, ein allgemeines Anhörungserfordernis vor (vgl. BayVGH, U.v. 10.5.2024 – 8 N 21.2680 – juris Rn. 21; OVG NW, U.v. 4.3.2002 – 20 D 120/97.AK – NZV 2022, 478 – juris Rn. 2).
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III. Die die Ausübung des Gemeingebrauchs verbietende Regelung in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO ist aber materiell rechtswidrig und damit unwirksam.
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Die Regelung zum räumlichen Umgriff des Verbots (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO) genügt zwar den Anforderungen an die Bestimmtheit (1.). Eine abstrakte Gefahr für ein in Art. 18 Abs. 3 BayWG genanntes Schutzgut ist jedoch nur für das Befahren des Staffelsees mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft zu bejahen, nicht für die übrigen von Art. 18 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BayWG erfassten Ausübungsformen des Gemeingebrauchs (2.). Auch trägt das Befahrensverbot des Staffelsees mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, nicht hinreichend Rechnung (3.).
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1. Die Regelung zum räumlichen Umgriff des Verbots in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO genügt den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes. Die Schutzzone 2 ist hinreichend deutlich erkennbar.
30
Der Bestimmtheitsgrundsatz verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Normen müssen so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen können und die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der betreffenden Vorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren (vgl. BVerfG, B.v. 10.11.2020 – 1 BvR 3214/15 – BVerfGE 156, 11 Rn. 85 f.; U.v. 29.11.2023 – 2 BvF 1/21 – BVerfGE 168, 71 Rn. 80 m.w.N.). Dem Bestimmtheitserfordernis ist genügt, wenn mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden unter Berücksichtigung von Ziel, Tendenz, Programm, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang mit anderen Vorschriften eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewonnen werden kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 13.3.2025 – Vf. 5-VIII-18 u.a. – juris Rn. 135; BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2038 u.a. – juris Rn. 32). Diesem Gebot der Normklarheit ist entsprochen, wenn eine Schutzzone im Wortlaut der Verordnung grob umschrieben und ihre genauen Grenzen mit Hilfe einer an der zu benennenden Amtsstelle niedergelegten und dort in den Dienststunden für jedermann einsehbaren Landkarte ermittelt werden können, auf die der Normtext verweist; die archivmäßige Verwahrung der Karte ist sicherzustellen (vgl. Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayWG i.V.m. Art. 51 Abs. 2 LStVG; BVerwG, U.v. 31.1.2001 – 6 CN 2.00 – BVerwGE 112, 37 – juris Rn. 9 m.w.N.; OVG SH, U.v. 3.2.2011 – 4 KN 1/10 – juris Rn. 50).
31
Diesen Weg hat das Landratsamt gewählt. Es hat den räumlichen Umgriff der Schutzzone 2 mit „Obersee des Staffelsees östlich der „kleinen Birke“ bis zu Schutzzone 1“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO) beschrieben und in einer der amtlichen Bekanntmachung beigefügten Karte des Staffelsees im Maßstab 1:5.000 in blauer Schraffur die Schutzzone 2 kenntlich gemacht. Darauf wird im Verordnungstext ausdrücklich hingewiesen (§ 2 Abs. 2 StaffelseeVO). Die Karte wird beim Landratsamt Garmisch-Partenkirchen sowie bei den Gemeinden Seehausen am Staffelsee, Murnau am Staffelsee und Uffing am Staffelsee niedergelegt und verwahrt; sie kann dort während der allgemeinen Dienststunden eingesehen werden (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StaffelseeVO). Weiteres musste nicht veranlasst werden.
32
2. Eine abstrakte Gefahr für ein in Art. 18 Abs. 3 BayWG genanntes Schutzgut ist nur für das Befahren des Staffelsees mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft zu bejahen, nicht jedoch für die übrigen von Art. 18 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BayWG erfassten Ausübungsformen des Gemeingebrauchs.
33
Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der StaffelseeVO ist Art. 18 Abs. 3 BayWG. Danach kann die Kreisverwaltungsbehörde durch Rechtsverordnung die Ausübung des Gemeingebrauchs regeln, beschränken oder verbieten, um Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum, eigentumsgleiche Rechte oder Besitz zu verhüten, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu erhalten, die Natur, insbesondere die Tier- und Pflanzenwelt oder das Gewässer und seine Ufer zu schützen, oder den Erholungsverkehr zu regeln.
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a) Zulässiges Schutzgut im Sinne des Art. 18 Abs. 3 BayWG, der unter dem Begriff „Schutz der Natur“ ausdrücklich allgemein die Tierwelt aufführt, sind alle Arten von Wasservögeln. Da Art. 18 Abs. 3 BayWG keine weiteren Einschränkungen macht, ist Schutzgut jede Tierart, auch nicht besonders geschützte Arten im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 13 BNatSchG oder nicht streng geschützte Arten im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 14 BNatSchG. Angesichts der Wechselbeziehungen zwischen allen Arten von Pflanzen und Tieren im Naturhaushalt wäre es nicht ausreichend, den Naturschutz auf besonders wertvolle Arten oder besonders wertvolle Lebensräume zu beschränken (vgl. BayVerfGH, E.v. 16.12.2010 – Vf. 6-VII-10 – VerfGHE 63, 220 Rn. 84), so dass eine Beschränkung des Gemeingebrauchs nicht erst möglich ist, wenn die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände erfüllt sind (vgl. HessVGH, U.v. 9.3.2017 – 4 C 328/16.N – NuR 2017, 702 – juris 62 zu § 26 Nr. 1 BNatSchG). Unter Wasservögel versteht der Verordnungsgeber insbesondere Entenarten (Reiherente, Stockente, Pfeifente, Schellente, Tafelente u. v. m.), Gänse (Graugänse, Kanadagänse u. v. m.), Lappentaucher (Haubentaucher, Ohrentaucher, Zwergtaucher, Rothalstaucher), Seetaucher (Eistaucher, Prachttaucher, Sterntaucher), Rallen (Blässhuhn, Teichhuhn, Tüpfelsumpfhuhn), Möwen (Mittelmeermöwe, Lachmöwe, Sturmmöwe) und Kormorane (vgl. untere Naturschutzbehörde am Landratsamt Garmisch Partenkirchen [im Folgenden uNB], Stellungnahme vom 13.5.2022 = elektronische GA [eGA] Bl. 102).
35
b) Eine abstrakte Gefahr für Wasservögel im Winterhalbjahr durch kleine Fahrzeuge ohne eigene Triebkraft konnte der Verordnungsgeber prognostisch annehmen. Der in Art. 18 Abs. 3 BayWG verwendete Begriff der „Schutz der Natur“ bedeutet, dass gegenwärtige und potentielle Beeinträchtigungen oder Störungen gegenüber den Schutzgütern Tier- und Pflanzenwelt unterlassen bzw. aktiv abgewehrt werden sollen. Ein Schutzbedürfnis besteht nicht erst dann, wenn die Schutzgüter ohne die vorgesehenen Maßnahmen konkret gefährdet wären. Es bedarf aber in tatsächlicher Hinsicht einer hinreichend gesicherten Grundlage, dass die Schutzgüter ohne die vorgesehenen Maßnahmen abstrakt gefährdet werden (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2004 – 6 C 21.03 – Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 76 – juris Rn. 25; U.v. 25.10.2017 – 6 C 44.16 – BVerwGE 160, 157 Rn. 23 „aussagekräftige Erkenntnisse“; BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2038 – juris Rn. 52). Eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen. Das hat zur Folge, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347 – juris Rn. 35; U.v. 25.10.2017 – 6 C 44.16 – BVerwGE 160, 157 Rn. 23; BayVerfGH, E.v. 29.10.2018 – Vf. 21-VII-17 – VerfGHE 71, 272 Rn. 40 f.; BayVGH, U.v. 23.7.2013 – 10 N 13.210 u.a. – VGHE n.F. 66, 151 Rn. 58; U.v. 25.1.2022 – 10 N 20.1227 – juris Rn. 100 ff.)
36
Eine derartige abstrakte Gefahr konnte der Verordnungsgeber in Bezug auf Störwirkungen annehmen, die von kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft auf Wasservögel ausgehen.
37
Der Verordnungsgeber konnte seiner Gefahrenprognose einen hohen Bestand an rastenden und überwinternden Wasservögeln auf dem Staffelsee zugrunde legen. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen R. und der unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt hat der Staffelsee als Rast- und Überwinterungsgebiet eine hohe Bedeutung, nicht zuletzt deshalb, weil er selten vollständig zufriere (vgl. LfU, Stellungnahme vom 27.2.2019 S. 3 = eGA Bl. 181; uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 5 ff. = eGA Bl. 102 f.). Dies zeigt auch die Wintersumme der rastenden und überwinternden Wasservögel auf dem Staffelsee. Die Wintersumme ergebt sich aus der Summe der Monatszählungen von September bis April eines jeden Jahres und bewegt sich derzeit im Mittel um die 5.000 Wasservögel. Die häufigsten Arten sind Blässhuhn, Stockente, Reiherente und Haubentaucher (vgl. LfU, Stellungnahme vom 27.2.2019 S. 3 f. = eGA Bl. 181 f.). Davon, dass von Mitte Oktober bis Ende März zumindest einige wenige kleine Fahrzeuge ohne eigene Triebkraft auf dem Staffelsee verkehren, ist ebenfalls auszugehen.
38
Dass eine Annäherung eines Wasserfahrzeugs, beispielsweise eines Kanus, bei Unterschreitung einer gewissen Distanz zu einer Fluchtreaktion von Wasservögeln führt, ist ausreichend wissenschaftlich belegt (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 13 f. = eGA Bl. 110 f). Nach gegenwärtigem fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand führt die Annäherung eines Wasserfahrzeugs (ohne eigene Triebkraft) – bei einer generellen Betrachtungsweise – dazu, dass auf der Wasserfläche sich aufhaltende Wasservögel fliehen, zunächst durch Wegschwimmen bzw. – tauchen und bei weiterer Annäherung in letzter Konsequenz durch Wegfliegen. Es ist in der Wissenschaft auch ausreichend belegt, dass Störungen von Wasservögeln in den Zeiten des Vogelzugs und in den Wintermonaten allgemein zu einer Reduktion ihrer biologischen Fitness führen können. Häufiges Auffliegen bringt im ohnehin schon kräftezehrenden Winter eine enorme Zusatzbelastung mit sich. Dies bedeutet gerade bei niedrigen Temperaturen, unter welchen der Energieverbrauch ohnehin erhöht ist, für die Vögel einen zusätzlichen Energieverlust. Zudem verringert häufiges Auffliegen zeitlich die Möglichkeit der Wasservögel zur Nahrungsaufnahme. Folgen können ein verminderter Bruterfolg und eine verminderte Bildung von Energiereserven für den Vogelzug mit der Folge einer geringeren Überlebenschance sein (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 13 f.= eGA Bl. 13 f.).
39
c) In Bezug auf die übrigen, ebenfalls vom Verbot des § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO erfassten Formen des Gemeingebrauchs, wie dem Baden, dem Waschen, Tränken, Schwemmen, Schöpfen mit Handgefäßen und dem Betrieb von Modellbooten ohne Verbrennungsmotoren (vgl. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayWG; vgl. auch die in § 3 Abs. 2 Nr. 4 StafffelseeVO geregelte Verbotsausnahme für den Eissport) und den in Art. 18 Abs. 1 Satz 3 BayWG aufgeführten Gemeingebrauchsformen, ist eine abstrakte Gefahrenlage nicht feststellbar. Die Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose: Es müssen – bei abstrakt-genereller Betrachtung – hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen (vgl. oben Rn. 35). Die ganz entfernte Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses auf Grund bloßer Vermutung genügt nicht (vgl. Drost, Das neue Wasserrecht, Stand März 2021, Art. 18 Rn. 95); der Verordnungsgeber darf sich nicht in Spekulationen verlieren (vgl. SächsOVG, B.v. 15.3.2018 – 3 B 82/18 – juris Rn. 20).
40
Nach diesem Maßstab fehlen für eine störende Wirkung sonstiger Formen der Ausübung des Gemeingebrauchs auf Wasservögel ausreichende Belege, wie aussagekräftige Statistiken oder sonstige Erkenntnisse fachkundiger Stellen, zumal Ausübungsformen wie das Waschen, Schwemmen, Tränken und Schöpfen mit Handgefäßen in der Regel am Ufer und nicht auf der offenen Wasserfläche stattfinden. Auch in tatsächlicher Hinsicht liegen weder Erkenntnisse vor noch spricht die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass diese Formen des Gemeingebrauchs in der Zeit von 15. Oktober bis 31. März eines jeden Jahres auf dem Staffelsee überhaupt ausgeübt werden. Die insofern bestehenden erheblichen Erkenntnislücken sowohl in wissenschaftlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht gehen zu Lasten des Antragsgegners. Fehlt es im Vorfeld des Verordnungserlasses an geeigneten Untersuchungen, um die Beeinträchtigung der Wasservögel durch die Ausübung der verschiedenen Formen des Gemeingebrauchs im Winterhalbjahr prognostisch bewerten zu können, kann das Gericht solche Untersuchungen nicht nachholen, da ihm eine eigene Prognose verwehrt ist (vgl. SächsOVG, B.v. 15.3.2018 – 3 B 82/18 – juris Rn. 22; OVG RhPf, U.v. 26.4.2001 – 1 C 10604/00 – juris Rn. 39).
41
d) Anders als der Antragsgegner meint, ermächtigt Art. 18 Abs. 3 BayWG nur zum Erlass von Verordnungen zur Abwehr abstrakter Gefahren, nicht jedoch von Verordnungen zur Gefahrenvorsorge, bei denen bereits im Vorfeld konkreter Gefahren staatliche Aktivitäten entfaltet werden, um die spätere Entstehung von Gefahren zu verhindern (vgl. BVerfG, B.v. 18.12.2018 – 1 BvR 142/15 – BVerfGE 150, 244 Rn. 70; BayVerfGH, E.v. 17.5.2022 – Vf. 47-VII-21 – juris Rn. 87, 126; E.v. 13.3.2025 – Vf. 5-VIII-18 u.a. – juris Rn. 130).
42
Eingriffe der staatlichen Verwaltung in die Freiheitssphäre des Bürgers zum Zwecke der Gefahrenvorsorge müssen aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen gesetzlich vorgesehen sein (vgl. BVerwG, U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347 – juris Rn. 30). Aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) folgt allgemein, dass in einem Gesetz, durch das die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt wird, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt werden. Das Parlament soll sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (vgl. BVerfG, B.v. 25.11.1980 – 2 BvL 7/76 – BVerfGE 55, 207 – juris Rn. 85; BVerfG, B.v. 19.7.2000 – 1 BvR 539/96 – BVerfGE 102, 197 – juris Rn. 86; BVerwG U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347 – juris Rn. 31; B.v. 18.2.2013 – 6 BN 1.12 – juris Rn. 13).
43
Dies zugrunde gelegt ist die Gefahrenvorsorge, anders etwa als in § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG für den Immissionsschutz, in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2011 – 7 B 43.11 – juris Rn. 9 „umweltrechtliches Vorsorgeprinzip“), in § 32 Abs. 2, § 45 Abs. 3 und § 48 Abs. 1 und 2 WHG als wasserhaushaltsrechtlicher Besorgnisgrundsatz (vgl. BVerwG, B.v. 28.6.2019 – 7 B 26.18 – juris Rn. 17) oder in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL für den gemeinschaftsrechtlichen Gebietsschutz (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2007 – 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 Rn. 57 ff.; U.v. 15.5.2019 – 7 C 27.17 – BVerwGE 165, 340 Rn. 36), in Art. 18 Abs. 3 BayWG nicht verankert.
44
Die Gefahrenvorsorge ist bereits vom Gesetzeswortlaut nicht abgedeckt. In Art. 18 Abs. 3 BayWG ist ausschließlich von „Gefahr“, nicht hingegen von „Vorsorge“ oder „Vorbeugung“ die Rede. Auch verfolgt die Regelung des Art. 18 Abs. 3 BayWG zur Beschränkung des Gemeingebrauchs seit jeher ordnungsrechtliche Zwecke und dient der „Verhütung“ von Gefahren (vgl. LT-Drs. 4/1394 S. 4 zu Art. 22 BayWG 1960 – zur Rahmengesetzgebung § 23 WHG a.F.; Knopp/Rossi in Sieder/Zeitler, Bayerisches Wassergesetz, Stand März 2025, Art. 18 Rn. 157) und damit der Gefahrenabwehr, nicht aber der in dessen Vorfeld angesiedelten Gefahren- bzw. Risikovorsorge (vgl. zur Abgrenzung Gefahrverhütung und Risikovorsorge BayVerfGH, E.v. 17.5.2022 – Vf. 47-VII-21 – juris Rn. 87; BVerwG, U.v. 26.6.2014 – 4 C 2.13 – juris Rn. 17; OVG NW, U.v. 27.9.2005 – 13 A 4378/03 – juris Rn. 49).
45
Unabhängig davon sieht auch der Schutzzweck der streitgegenständlichen Verordnung keine Risikovorsorge vor, wie sich ausdrücklich aus § 1 Abs. 2 StaffeseeVO ergibt. Danach bezweckt die Verordnung, bestimmte Störungen von Wasservögeln fernzuhalten, Lebensstätten einschließlich der notwendigen Nahrungsquellen und Brutgelegenheiten zu sichern und die submerse sowie emerse Wasservegetation vor mechanischen Beschädigungen zu schützen. Eine Gefahrenvorsorge ist davon nicht umfasst. Eine spätere Anreicherung des Verordnungstextes durch weitere Schutzzwecke über den eindeutigen Wortlaut der Verordnung hinaus ist aufgrund der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht zulässig (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2000 – 9 ZB 00.1635 – juris Rn. 9).
46
3. Das in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO geregelte Verbot des Befahrens der Schutzzone 2 mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft vom 15. Oktober bis 31. März eines jeden Jahres ist jedoch unverhältnismäßig.
47
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinn) fordert, dass eine die Handlungsfreiheit einschränkende Norm einem legitimen Zweck dient, hierzu geeignet und erforderlich ist und dass der angestrebte Zweck und das gewählte Mittel in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BVerwGE 177, 92 Rn. 12; BayVerfGH, E.v. 30.9.2004 – Vf. 13-VII-02 u.a. – VerfGHE 57, 113 – juris Rn. 55; E.v. 25.6.2010 – Vf 1-VII-08 – VerfGHE 63, 83 Rn. 69). Bei Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit steht dem Verordnungsgeber ein weiter Spielraum zu (vgl. BVerfG, B.v. 22.4.2009 – 1 BvR 121/08 – BVerfGK 15, 355 Rn. 41 f.; BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BVerwGE 177, 92 Rn. 12; BayVerfGH, E.v. 17.5.2022 – Vf. 47-VII-21 – juris Rn. 97, 101). Ob die Grenzen dieses Spielraums überschritten sind, unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (vgl. BVerwG, B.v. 1.12.2023 – 9 B 15.23 – juris Rn. 6). Gegenstand der Kontrolle ist das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens, also die Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung. Auf die Motive desjenigen, der an ihrem Erlass mitgewirkt hat, und auf den der Verordnung zugrundeliegenden Abwägungsvorgang kommt es nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BVerwGE 177, 92 Rn. 12; B.v. 16.10.2023 – 4 BN 12.23 – juris Rn. 12; B.v. 1.12.2023 – 9 B 15.23 – juris Rn. 5).
48
Diesen Anforderungen genügt das Verbot in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 StaffelseeVO, soweit es das Befahren mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft betrifft, nicht in jeder Hinsicht. Das Verbot verfolgt zwar einen legitimen Zweck (a), zu dessen Erreichung es auch geeignet (b) und erforderlich ist (c). Es erfüllt aber zum maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses nicht die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Das Befahrensverbot lässt nicht erkennen, dass der angestrebte Zweck und das gewählte Mittel in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen. Für die notwendige Einschätzung fehlt es an einer aussagekräftigen Erkenntnisgrundlage und an einem darauf aufbauenden widerspruchsfreien Gesamtschutzkonzept (d).
49
a) Das in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO normierte Befahrensverbot verfolgt einen legitimen Zweck. Zweck ist es, in der Schutzzone 2 Störungen von Wasservögeln während der Durchzugszeit sowie im Winter fernzuhalten und ihre Lebensstätten einschließlich der notwendigen Nahrungsquellen zu sichern sowie die submerse und emerse Wasservegetation vor mechanischer Beschädigung zu schützen. Damit hält sich das Verordnungsziel im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 18 Abs. 3 BayWG, der ausdrücklich Einschränkungen des Gemeingebrauchs zum Zwecke des Schutzes der Natur, zu der auch die Tierwelt gehört, zulässt. Angesichts der staatlichen Schutzpflichten für die natürlichen Lebensgrundlagen und Tiere (vgl. Art. 20a GG, Art. 141 Abs. 1 BV) ist diese Zielsetzung zudem aus verfassungsrechtlicher Sicht ein legitimes Ziel (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2038 u.a. – juris Rn. 44).
50
b) Das Verbot zum Befahren der Schutzzone 2 mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft ist auch geeignet, den Verordnungszweck nach § 1 Abs. 2 StaffelseeVO zu erreichen.
51
Für die Eignung reicht es aus, wenn die Verordnungsregelung den verfolgten Zweck fördern kann, wobei bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl. BVerfG, U.v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 – BVerfGE 121, 317 – juris Rn. 114; BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 59; U.v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – BVerwGE 179, 168 Rn. 36). Das benutzte Mittel muss nicht das bestmögliche sein und nicht in jedem Einzelfall Wirkung entfalten; es genügt ein Beitrag zur Zielerreichung. Dem Verordnungsgeber steht ein weiter Spielraum bei der Beurteilung der Zwecktauglichkeit einer Vorschrift zu, soweit er sich im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage bewegt (vgl. BayVerfGH, E.v. 17.5.2022 – Vf. 47-VII-21 – juris Rn. 101).
52
Das Verbot, während der Zeit vom 15. Oktober bis 31. März eines jeden Jahres das Gebiet der Schutzzone 2 mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft zu befahren, ist für das in § 1 Abs. 2 StaffelseeVO festgelegte Ziel in diesem Sinne förderlich.
53
Die vorliegenden fachlichen Stellungnahmen und die Ausführungen des Sachverständigen R. in der mündlichen Verhandlung legen nachvollziehbar dar, dass es bei einer Annäherung eines Wasserfahrzeugs (Motorboote, Kanus, Kajaks etc.) an Wasservögel, auch wenn es dabei artspezifische Unterschiede gibt, ab einer bestimmten Nähe zu einer Fluchtreaktion kommt: Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Wasservögel auffliegen und sich von der Störquelle entfernen (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 13 = eGA Bl. 110; Protokoll über die mündliche Verhandlung am 28.1.2025 S. 4). Besonders im Winterhalbjahr sammeln sich auf den freien Wasserflächen des Staffelsees größere Vogeltrupps. Bei Störung von größeren Vogeltrupps führt die Fluchtreaktion eines einzelnen Vogels zu Mitreißeffekten: Bei einem Vogeltrupp fängt das störempfindlichstes bzw. scheueste Exemplar mit einer Fluchtreaktion durch Auffliegen an und veranlasst alle übrigen Wasservögel in einer Kettenreaktion ebenfalls zum Auffliegen (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 17 = eGA Bl. 114). Die Flucht in Form des Auffliegens ist nach den nachvollziehbaren Aussagen des Sachverständigen R. in der mündlichen Verhandlung die energieaufwendigste Fluchtart. Die Fluchtdistanzen (= störungsinduziertes Auffliegen der Wasservögel) liegen bei Kanus im Mittel zwischen 150 m und 300 m (vgl. LfU, Stellungnahme vom 6.2.2025 S. 4 = eGA Bl. 540). Fluchtreaktionen insbesondere in Form des Wegfliegens führen allgemein zu einer Reduktion der biologischen Fitness der betroffenen Wasservögel (vgl. uNB, Stellungnahem vom 13.5.2022 S. 13 = eGA Bl. 110). Häufige Störungen bedeuten gerade bei niedrigen Temperaturen, unter welchen der Energieverbrauch ohnehin erhöht ist, für die Vögel einen zusätzlichen Energieverlust (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 13 = eGA Bl. 110). In Zeiten des Vogelzugs haben Wasservögel nach den Erläuterungen des Sachverständigen R. in der mündlichen Verhandlung ebenfalls einen erhöhten Energiebedarf: Nach dem Vogelzug im Oktober müssen die Wasservögel den Energieverlust ausgleichen; vor dem Vogelzug im März müssen sie Energiereserven aufbauen. Häufiges Auffliegen verringert zudem die Möglichkeit der Wasservögel zur Nahrungsaufnahme. Weiterführende Folgen von störungsbedingten Fitnessverlusten kann ein verminderter Bruterfolg sein (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 13 = eGA Bl. 110). Das Befahrensverbot der Schutzzone 2 ist daher grundsätzlich geeignet, Störungen von rastenden und überwinternden Wasservögeln fernzuhalten und damit übermäßige Fitnessverluste dieser Wasservögel zu vermindern.
54
c) Das Erforderlichkeitsgebot ist verletzt, wenn dem Verordnungsgeber eine andere, gleich wirksame Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks zur Verfügung steht, die weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet (vgl. BVerfG, U.v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 u.a. – BVerfGE 121, 317 – juris Rn. 115; BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BVerwGE 177, 92 Rn. 15; BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2035 u.a. – juris Rn. 57). Im Rahmen des dem Gesetzgeber auch insoweit zustehenden weiten Beurteilungsspielraums kommt es darauf an, ob bei einem als Alternative in Betracht kommenden geringeren Eingriff in jeder Hinsicht eindeutig feststeht, dass er den fraglichen Zweck sachlich gleichwertig erreicht (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BVerwGE 177, 92 Rn. 15; BayVerfGH, E.v. 17.5.2022 – Vf. 47-VII-21 – juris Rn. 105). Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2024 – 1 BvR 936/24 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BVerwGE 177, 92 Rn. 15; U.v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – BVerwGE 179, 168 Rn. 37).
55
Der Verordnungsgeber hat bereits das Befahrensverbot räumlich (nur Schutzzone 2) und zeitlich (Zeit vom 15.10. bis 31.3. eines jeden Jahres) eingeschränkt. Es ist nicht ersichtlich, dass für die Grundrechtsträger weniger belastende, zugleich aber ebenso geeignete Mittel zur Erreichung des vom Verordnungsgeber vorgegebenen Zwecks zur Verfügung stehen. Nach den fachlichen Äußerungen ist die Schaffung von Schutzzonen die weitaus wirksamste Maßnahme zum Schutz von Wasservögeln vor menschlichen Störungen (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 17 = eGA Bl. 114). Nach den Ausführungen der unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt solle mittels verschiedener Zonen ein funktional ausreichender Schutz erreicht werden, wobei die Verbote auf die sensibelsten Bereiche und jahreszeitlich auf das Nötigste beschränkt worden seien (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 17 = eGA Bl. 115).
56
Eine Beschränkung des Verbots auf Stand-up-Paddler, wie sie der Antragsteller fordert, weil auf dem Staffelsee in der Winterzeit mehr Stand-up-Paddler auf dem See seien als Kanuten, wäre nicht gleich geeignet. Denn nach fachlicher Einschätzung führt ein Ausschluss nur der Stand-up-Paddler nicht zu einer Beruhigung des Sees, weil die anderweitigen Störungen insgesamt noch zu stark sind. Eine Beschränkung der Intensität der Nutzung erweist sich als nicht wirksam, da beispielsweise in Bezug auf Kanufahrer die Störung bereits von einem einzelnen Kanufahrer ausgeht und nicht erst ab einer gewissen Anzahl (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 17 = eGA Bl. 115).
57
d) Allerdings erweist sich das Befahrensverbot mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO als nicht verhältnismäßig im engeren Sinn.
58
Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen (vgl. BVerfG, B.v.19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 216 m. w. N.). Es ist Aufgabe des Verordnungsgebers, in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – BVerwGE 179, 168 Rn. 44; BayVerfGH, E.v. 17.5.2022 – Vf. 47-VII-21 – juris Rn. 108). Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Gewicht des Eingriffs und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 75; U.v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – BVerwGE 179, 168 Rn. 44; BayVerfGH, E.v. 17.5.2022 – Vf. 47-VII-21 – juris Rn. 108).
59
Auch bei der Prüfung der Angemessenheit besteht grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers. Die gerichtliche Überprüfung bezieht sich lediglich darauf, ob der Normgeber seinen Einschätzungsspielraum in vertretbarer Weise gehandhabt hat. Bei der Kontrolle prognostischer Entscheidungen setzt dies wiederum voraus, dass die Prognose auf einer hinreichend gesicherten Grundlage im konkreten Einzelfall beruht (vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 217 m.w.N.; BVerwG, B.v. 14.9.2017 – 3 C 4/16 – juris Rn. 19; OVG Berlin-Bdg, B.v. 30.12.2021 – 11 S 109/21 – juris Rn. 49). Je gewichtiger die drohende oder erfolgte Rechtsgutbeeinträchtigung und je weniger gewichtig der Grundrechtseingriff ist, um den es sich handelt, desto geringer darf die Wahrscheinlichkeit sein, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung des Rechtsguts geschlossen werden kann, und desto weniger fundiert dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein (sog. „Je-desto-Formel“ vgl. BVerfG, B.v. 4.4.2006 – 1 BvR 518/02 – BVerfGE 115, 320 – juris Rn. 136; BVerwG, B.v. 14.9.2017 – 3 C 4/16 – juris Rn. 19; BayVerfGH, E.v. 17.5.2022 – Vf. 47-VII-21 – juris Rn. 127; E.v. 13.3.2025 – Vf. 5-VIII-18 u.a. – juris Rn. 177).
60
Diesen Vorgaben hält das in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO verordnete Verbot, die Schutzzone 2 mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft in der Zeit vom 15. Oktober bis 31. März eines jeden Jahres zu befahren, nicht stand.
61
aa) Der vom Verbot ausgehende Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG des Antragstellers ist nicht besonders schwerwiegend, aber auch nicht marginal. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinn (stRspr., vgl. BVerfG, B.v. 6.6.1989 – 1 BvR 921/85 – BVerfGE 80, 127 – juris Rn. 62; BVerwG, U.v. 24.4.2024 – 6 C 2/22 – BVerwGE 182, 214 Rn. 35). Geschützt ist damit nicht nur ein begrenzter Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.1989 – 1 BvR 921/85 – BVerfGE 80, 127 – juris Rn. 62), mit der Folge, dass auch das Kanufahren als sportliche Freizeitbetätigung vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG umfasst ist. Der Eingriff durch die Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO stellt sich nicht als schwerwiegender Eingriff dar, weil das Verbot zum einen bereits regelungsimmanent zeitlich und räumlich beschränkt ist: In räumlicher Hinsicht verbleiben im Verbotszeitraum noch 63% der Seefläche zur Ausübung des Gemeingebrauchs (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022, S. 28 = eGA Bl. 116). Zeitlich ist das Verbot vom 15. Oktober bis zum 31. März eines jeden Jahres befristet. Zum anderen betrifft das Verbot keinen zentralen Bereich persönlicher Entfaltung. Das Führen von kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft gehört als Freizeitbetätigung nicht zum Kernbereich privater Lebensgestaltung und ist folglich einer gesetzlichen Beschränkung nicht grundsätzlich entzogen (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.1989 – 1 BvR 921/85 – BVerfGE 80, 127 – juris Rn. 62, 67; BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2038 u.a – juris Rn. 95). Nicht außer Acht bleiben darf andererseits eingriffserschwerend, dass es sich um ein selbstvollziehendes Verbot handelt und ein Verstoß gem. § 5 StaffelseeVO bußgeldbewehrt ist (vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – BVerfG 159, 223 Rn. 222, 294; BayVerfGH, E.v. 27.9.2023 – Vf. 62-VII-20 – juris Rn. 89).
62
bb) Den durch das Verbot bewirkten Grundrechtseingriff stehen auf der anderen Seite besonders schützenswerte Gemeinwohlbelange von hoher Bedeutung gegenüber.
63
Der Schutz der Natur stellt nicht zuletzt wegen seiner Verankerung in Art. 20a GG und Art. 141 Abs. 1 BV ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar (vgl. BT-Drs. 12/6633 S. 6; BayVGH, U.v. 13.5.2022 – 8 N 19.2038 u.a – juris Rn. 95). Er genießt andererseits aber keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen (BT-Drs. 12/6633 S. 6; BVerfG, B.v. 24.3.2021 – BvR 2656/18 u.a. – BVerfGE 157, 30 Rn. 198, 213; BVerwG, U.v. 13.4.1995 – 4 B 70.95 – juris Rn. 8; BayVerfGH, E.v. 18.11.2002 – Vf. 3-VII-01 – VerfGHE 55, 160 – juris Rn. 40 f.). Hierfür ist von Belang, welche Bedeutung objektiv dem Schutz der auf dem Staffelsee rastenden und überwinternden Wasservögel in der Zeit vom 15. Oktober bis 31. März eines jeden Jahres beizumessen ist.
64
Nach Aussage des Sachverständigen R. kommt dem Staffelsee eine hohe Bedeutung als Rast – und Überwinterungsgebiet für Wasservögel zu (vgl. LfU, Stellungnahme vom 27.2.2019, S. 4 = eGA Bl. 182). Dies gilt insbesondere für den Bereich der Schutzzone 2, weil es sich um eine größere offene Wasserfläche handelt, die im Winter selten zufriert (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 28.1.2025 S. 2). Der Bereich der Schutzzone 2 ist aber weder ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 3 der RL 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Abl. L 206 S. 7), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2013/17/EU vom 13.5.2013 (Abl. L 158 S. 193) noch ein Europäisches Vogelschutzgebiet nach Art. 4 Abs. 1 und 2 der RL 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung wildlebender Vogelarten (Abl. L 20 vom 26.1 2010, S. 7). Der Staffelsee ist auch nicht als Gebiet, das dem Übereinkommen über Feuchtgebiete, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel, von internationaler Bedeutung vom 2. Februar 1971 (sog. Ramsar-Konvention, für die Bundesrepublik Deutschland am 25.2.1976 ratifiziert und am 25. Juni 1976 in Kraft getreten, vgl. BGBl. II S. 1265) gelistet.
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Des Weiteren sind nach den Aussagen der Fachbehörden auf der Wasserfläche des Staffelsees im streitgegenständlichen Zeitraum europäische Wasservogelarten anzutreffen, die als besonders geschützte europäische Vogelarten (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. b Doppelbuchstabe bb BNatSchG, Art. 1 RL 2009/147/EG) dem besonderen Artenschutzrecht nach § 44 BNatSchG unterliegen. Die seit 1967 auf dem Staffelsee stattfindenden Wasservogelarten belegen allerdings ein überwiegendes Auftreten von allgemein verbreiteten Wasservogelarten (sog. „Allerweltsarten“), wie Blässhuhn, Stockenten, Reiherenten und Haubentraucher (vgl. LfU, Stellungnahme vom 27.2.2019 S. 4 = eGA Bl. 183), denen deswegen zwar hohe, aber keine überragende Bedeutung zugemessen werden kann. Auf Grund ihres günstigen Erhaltungszustands und ihrer großen Anpassungsfähigkeit ist bei diesen Vogelarten regelmäßig davon auszugehen ist, dass die Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG nicht erfüllt sind (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.2020 – 9 A 12.19 – BVerwGE 170, 33 Rn. 517; U.v. 7.7.2022 – 9 A 1.21 u.a. – BVerwGE 176, 94 Rn. 98), so dass hoheitliche Schutzmaßnahmen nicht verpflichtend sind. Soweit das Landratsamt angibt (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 11 = eGA 109), dass auf dem Staffelsee im Winterhalbjahr auch Ohrentaucher, Sterntaucher, Zwergsäger und Trauerseeschwalben nachgewiesen worden seien, die in Anhang I der RL 2009/147/EG aufgeführt und für diese deshalb nach Art. 4 Abs. 1 RL 2009/147/EG besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume zu treffen seien, wird deren Vorkommen durch die vorgelegte Wasservogelzählung (eGA Bl. 727 ff.) nicht bestätigt. Der Zwergsäger wurde letztmals 2004, Ohrentaucher bzw. Sterntaucher letztmals 2016 mit jeweils einem Exemplar und ein Vorkommen der Trauerseeschwalbe überhaupt nicht nachgewiesen. Bei den ebenfalls vom Landratsamt aufgelisteten Vogelarten, die nach der Roten Liste Deutschlands und Bayerns stark gefährdet, gefährdet bzw. vom Aussterben bedroht sind, handelt es sich um auf dem Staffelsee vorkommende Brutvogelarten, nicht um die vom streitgegenständlichen Verbot erfassten im Winterhalbjahr rastenden und überwinternden Wasservogelarten (vgl. uNB, Stellungnahme vom 13.5.2022 S. 12 = eGA Bl. 110).
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Auch der Verordnungsgeber selbst scheint dem Schutz der auf dem Staffelsee rastendenden und überwinternden Wasservögel keine überragende Bedeutung beizumessen. Denn er ist seiner sich aus § 1 Abs. 2 Satz 2 StaffelseeVO ergebenden Verpflichtung zur Anbringung aktueller Hinweistafeln bislang nicht nachgekommen. Er hat vielmehr veraltete Hinweistafeln beibehalten (vgl. Antragsteller, Schriftsatz vom 31.3.2025 S. 2 = eGA Bl. 672; Fotodokumentation eGA Bl. 685, 688, 704, 717) und nimmt damit sehenden Auges Verstöße gegen die Schutzzone 2 aus Unkenntnis der Seenutzer hin.
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cc) Entscheidet sich der Verordnungsgeber aufgrund des höher zu gewichtenden Schutzgutes für dessen Schutz, liegt es grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise er Situationen entgegengenwirken will, die nach seiner Einschätzung zu Schäden führen können. Hierbei kommt ihm grundsätzlich ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, U.v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 u.a. – BVerfGE 121, 317 – juris Rn. 120; BayVerfGH, E.v. 25.6.21010 – Vf. 1-VII-08 – VerfGHE 63, 83 – juris Rn. 80). Der Verordnungsgeber kann neben einem Vollschutz auch ein Schutzkonzept wählen, bei dem der Schutz der Wasservögel angesichts der dazu konträren Nutzungsinteressen der Seenutzer weniger streng verfolgt wird. Hat sich der Verordnungsgeber aufgrund seines Gestaltungsspielraums allerdings zu einer bestimmten Einschätzung des Gefahrenpotenzials entschlossen, auf dieser Grundlage die betroffenen Interessen bewertet und ein Regelungskonzept gewählt, so muss er, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden, diese Entscheidung auch folgerichtig umsetzen. Gefahreinschätzungen sind nicht schlüssig, wenn identischen Gefährdungen in demselben Gesetz unterschiedliches Gewicht beigemessen wird (vgl. BVerfG, U.v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 u.a. – BVerfGE 121, 317 – juris Rn. 130, 135; B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 2054/09 – BVerfGK 16, 199 juris Rn. 15; BayVerfGH, E.v. 25.6.2010 – Vf. 1-VII-08 – VerfGHE 63, 83 – juris Rn. 80; VerfGH RhPf, U.v. 30.9.2008 – VGH B 31/07 – juris Rn. 50). Ausreichend ist, dass auf Basis eines auf aussagekräftigen Erkenntnissen aufbauenden und nachvollziehbaren Schutzkonzepts im Zeitpunkt des Normerlasses absehbar ist, dass das Risiko eines Schadeneintritts beherrschbar ist; Maßnahmen eines Schutzkonzepts müssen bei Verordnungserlass nicht bereits vollständig umgesetzt sein (vgl. auch BVerwG, B.v. 15.4.2003 – 7 BN 4.02 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 18.6.2002 – 22 N 94.2352 – juris Rn. 13; U.v. 28.8.2019 – 8 N 17.523 – juris Rn. 105; U.v. 14.5.2025 – 8 N 23.853 – juris Rn. 57 und 64).
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Ein solches bei Normerlass bestehendes nachvollziehbares, in sich schlüssiges Gesamtschutzkonzept liegt nicht vor.
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(1) Für ein schlüssiges Schutzkonzept fehlt es vorliegend bereits an einer hinreichend belastbaren Tatsachenbasis in Bezug auf den stattfindenden Verkehr von kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft im Verbotszeitraum. Die Aussagen des Antragsgegners zu den Befahrungen mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft betreffen die aktuellen Verhältnisse, auf die es rechtlich nicht ankommt. Sie lassen auch keine belastbaren Rückschlüsse zur Belastungssituation bei Verordnungserlass zu, zumal die diesbezüglichen Beobachtungen nur einige wenige Tage umfassen und dabei nur einzelnes Befahren dokumentiert wurde (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 28.1.2025 S. 4 f.; E-Mail vom 21.1.2025 und 27.1.2025 = eGA Bl. 413, 415; Beobachtung der Vogelschutzwarte eGA Bl. 414). Der Sachverständige R. geht in Bezug auf Stand-up-Paddler sogar nur von Einzelfallereignissen aus (vgl. LfU, Stellungnahme vom 6.2.2025 S. 4 = eGA Bl. 541). Dass angesichts verbesserter Ausrüstung das Befahren im Winter zunehmen werde, wurde vom Antragsgegner nicht näher quantifiziert und ist daher spekulativ. Von einer ausreichenden Ermittlung der Tatsachenbasis nach Maßstab der sog. „Je-desto-Formel“ kann vorliegend auch nicht abgesehen werden, weil eine mögliche Beeinträchtigung überragend wichtiger Rechtsgüter gerade nicht inmitten steht (vgl. oben Rn 59).
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(2) Zudem ist das Schutzkonzept des Landratsamts in sich nicht schlüssig, weil es einerseits den nicht motorisierten Bootsverkehr einschränkt, andererseits im Verbotszeitraum zahlreichen störungsintensiven motorisierten Bootsverkehr zulässt.
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So sind etwa mehrere Motorboote von Berufsfischern zugelassen, deren Genehmigungen auf der Grundlage von Art. 28 Abs. 4 BayWG räumlich und zeitlich unbeschränkt erteilt wurden (vgl. eGA Bl. 528). Hierzu hat der Sachverständige R. nachvollziehbar ausgeführt, dass es aufgrund ihrer individuellen Fahrweise (Route, Geschwindigkeit) und damit ihrer Unberechenbarkeit zu deutlichen Störwirkungen für die auf dem Staffelsee rastenden und überwinternden Wasservögel kommt. Er verweist insofern auf die Studie von Bull & Rödl (2018), nach der von Motorbooten der größte Einfluss auf Wasservögel im Vergleich zu anderen Wasserfahrzeugtypen ausgehen (vgl. LfU, Stellungnahme vom 6.2.2025 S. 3 = eGA Bl. 540). Bis in den November hinein werden die Fischarten Zander, Barsch und Hecht befischt. Das jährliche Laichfischen (Renken) findet von Ende November bis Ende Dezember statt. Hierzu erfolgt vorher ein mehrmaliges Probefischen. Die Fischer sind dazu gleichzeitig mit fünf Booten auf dem gesamten See inkl. dem Bereich der Schutzzone 2 unterwegs (vgl. eGA Bl. 531). Die Fachberatung für Fischerei beim Bezirk Oberbayern hat dies bestätigt und weiter ausgeführt, dass die Netz- und Reusenfischerei im zeitigen Frühjahr, in der Regel bereits Anfang März, beginnt (vgl. eGA Bl. 532).
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Weiterhin finden Fahrten der Seenschifffahrt im Linien- und Gelegenheitsverkehr (d.h. Nacht-, Charter- und Sonderfahrten) im Verbotszeitraum in der Schutzzone 2 statt. Diesbezüglich geht der Sachverständige R. ebenfalls von erheblichen Störwirkungen für rastende und überwinternde Wasservögel aus (vgl. LfU, Stellungnahme vom 6.2.2025 S. 2 = eGA Bl. 539). Zwar hat er hinsichtlich des Linienverkehrs, der in der Schutzzone 2 vom 1. April bis 31. Oktober zugelassen ist (vgl. eGA Bl. 428, 435, 527), ausgeführt, dass davon aufgrund seiner Regelmäßigkeit und damit verbundenen Gewöhnungseffekten keine Störwirkungen auf Wasservögel ausgehen. In Bezug auf den Gelegenheitsverkehr der Seenschifffahrt nimmt er – auch wegen der damit verbundenen Lärm- und Lichtemissionen – hingegen starke Störwirkungen auf rastende und überwinternde Wasservögel an (vgl. LfU, Stellungnahme vom 6.2.2025 S. 3 = eGA Bl. 540). Gleichwohl hat das Landratsamt auf Grundlage des Art. 28 Abs. 4 und 5 BayWG für die Fahrgastschiffe „Seehausen“ und „Staffelseerin“ im Gelegenheitsverkehr ohne entsprechende zeitliche und räumliche Beschränkungen (maximal) 34 Nacht-, Charter- und Sonderfahrten pro Jahr zugelassen (vgl. eGA Bl. 437). Selbst unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2025 hat das Landratsamt mit Änderungsbescheid vom 10. Februar 2025 (vgl. eGA Bl. 533) den Gelegenheitsverkehr zeitlich lediglich insoweit eingeschränkt und an die Betriebszeiten des Linienverkehrs (1.4. bis 1.11.) angepasst, als die Betreiber sich mit dieser Einschränkung einverstanden erklärten (vgl. eGA Bl. 531 f.). Soweit der Antragsgegner auf das Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährt wird.
73
Des Weiteren bestehen für diverse weitere Motorboote Dauergenehmigungen zum Befahren des Staffelsees, die auch zum Befahren der Schutzzone 2 berechtigen, u.a. zugunsten des Landkreises (vgl. digitale LAB-Beiakte Bl. 109; eGA Bl. 529), der Wasserwacht (vier Motorboote; vgl. eGA Bl. 529 f.; digitale LAB-Beiakte Bl. 11, 30, 34, 44), der freiwilligen Feuerwehr Murnau (vgl. eGA Bl. 529), der Feuerwehr Seehausen (vgl. eGA Bl. 529; digitale LAB-Beiakte Bl. 88) und der Gemeinde Seehausen (vgl. eGA Bl. 529). Auch wenn die Schutzzone 2 von diesen Fahrzeugen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Auftrags mit Motorbooten befahren werden darf, ist von einer Störwirkung auf Wasservögel auszugehen (vgl. LfU, Stellungnahme vom 6.2.2025 S. 3 = eGA Bl. 539).
74
Eine Regelung, die letztlich nur einer Gruppe von Seenutzern Nutzungseinschränkungen abfordert, während andere Seenutzer bei ähnlichem Störungspotential für rastende und überwinternde Wasservögel ohne einleuchtende Begründung verschont werden, kann nicht mehr als verhältnismäßig im engeren Sinn angesehen werden (vgl. BVerfG, U.v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 – BVerfGE 121, 317 – juris Rn. 144; BayVGH, U.v. 25.1.2010 – 22 N 09.1193 – VGHE 63, 46 Rn. 40 f.).
75
C. Das in § 3 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaffelseeVO geregelte Verbot ist danach rechtswidrig. Auf Antrag des Antragstellers sind beide Normen für unwirksam zu erklären. Die festgestellte Teilrechtswidrigkeit der Staffelsee-VO führt dagegen nicht zur Nichtigkeit der übrigen, vom Antragsteller nicht angegriffenen Teile der Verordnung, da es insoweit an einem untrennbaren Zusammenhang fehlt (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 47 Rn. 82). Die übrigen Regelungen der StaffelseeVO sind ohne das unwirksame Verbot sinnhaft. Auch kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsgegner die Rechtsverordnung mit einem entsprechend eingeschränkten Inhalt erlassen hätte, wenn er die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Regelung erkannt hätte (vgl. LAB Schriftsatz vom 14.2.2025 S. 12 = eGA Bl. 668).
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D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO muss der Antragsgegner die Entscheidung in Ziffer I. der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils ebenso veröffentlichen wie die Verordnung bekannt zu machen wäre.