Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.08.2025 – 20 B 25.477
Titel:

Verwerfung einer Berufung als unzulässig durch Beschluss, Berufungsbegründungsfrist, Weiterleitung durch ein unzuständiges Gericht, Wiedereinsetzung (abgelehnt)

Normenketten:
VwGO § 124a Abs. 3, Abs. 6
VwGO § 125 Abs. 2
VwGO § 60 Abs. 1 und 2
Schlagworte:
Verwerfung einer Berufung als unzulässig durch Beschluss, Berufungsbegründungsfrist, Weiterleitung durch ein unzuständiges Gericht, Wiedereinsetzung (abgelehnt)
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 06.12.2023 – M 26b K 20.6041
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22507

Tenor

I. Die Berufung wird verworfen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.000, -- Euro festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand

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Die Kläger begehren die Feststellung, dass die Kennzeichnung verschiedener Produkte der Klägerin zu 1 im Einklang mit den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen steht.
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Mit Urteil vom 6. Dezember 2023 wies das Verwaltungsgericht die Feststellungsklage der Kläger, dass bestimmte Nährwertdeklarationen auf den Produkten der Kläger nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) und Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verstoßen, ab.
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Bereits die Begründung des Antrages auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München wurde durch die Bevollmächtigten der Kläger beim Verwaltungsgericht Ansbach eingereicht, von diesem jedoch am nächsten Tag an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet. Mit Beschluss vom 6. März 2025 (20 ZB 24.871) wurde die Berufung der Kläger gegen das Urteil des VG München, Az. M 26b K 20.6041 wegen ernstlicher Zweifel zugelassen. Der Beschluss wurde den Bevollmächtigten der Kläger ausweislich des Empfangsbekenntnisses zugestellt. Das Empfangsbekenntnis wurde durch die Bevollmächtigten elektronisch an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückgesendet. Der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wurde wiederum beim unzuständigen Verwaltungsgericht eingereicht und von dort am selben Tag an den BayVGH weitergeleitet. Die Frist zur Berufungsbegründung wurde am 2. April 2025 antragsgemäß bis 5. Mai 2025 durch den Vorsitzenden verlängert. Laut Prüfvermerk vom 2. Mai 2025 wurde der Schriftsatz zur Berufungsbegründung am 2. Mai 2025 13:59:44 Uhr beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingereicht. Die Weiterleitung vom Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erfolgte erst am 27. Juni 2025.
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Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2025 wurde durch den Bevollmächtigten der Kläger Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt unter nochmaliger Übersendung der Berufungsbegründung an den BayVGH. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages führte der Bevollmächtigte der Kläger im Wesentlichen aus: Am 2. Mai 2025 hätte auf Anweisung des Bevollmächtigten die Berufungsbegründung vom 2. Mai 2025 an das zuständige Gericht, den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Ansbach, wie in der Berufungsbegründung vom 2. Mai 2025 in der Adresszeile angegeben, von der zuverlässigen, seit 2020 in der Kanzlei tätigen Rechtsanwaltsfachangestellten Frau D. verschickt werden sollen. Die Frist sei ordnungsgemäß notiert worden und von einem Rechtsanwalt, wie im Rahmen der Büroorganisation der Prozessbevollmächtigten der Kläger geregelt, überprüft und bestätigt worden. Da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Ansbach jedoch kein eigenes beA-Postfach habe, habe Frau D. die Berufungsbegründung an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach verschickt, da sie davon ausgegangen sei, dass über das beA-Postfach des VG Ansbach auch die Außenstelle des BayVGH in Ansbach erreicht werde. Frau D. habe zuvor bereits am 2. April 2025 einen Antrag zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 7. April 2025 ebenfalls an das Verwaltungsgericht Ansbach verschickt, da sie auch zu diesem Zeitpunkt den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Ansbach im beA-Portal nicht als Empfänger habe finden können. Der Fristverlängerungsantrag sei am selben Tag vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Ansbach genehmigt worden. Die Kanzlei des Unterzeichners sei hierbei von der Geschäftsstelle nicht darauf hingewiesen worden, dass die Schriftsätze an ein anderes beA-Postfach verschickt werden müssten. Frau D. sei deshalb davon ausgegangen, dass ihr Vorgehen korrekt gewesen sei. Nach dem Versand der Berufungsbegründung am 2. Mai 2025 habe Frau D. den Sendebericht überprüft und festgestellt, dass sie die Berufungsbegründung an das beA-Postfach des Verwaltungsgerichts Ansbach verschickt habe und diese dort auch zugegangen sei. Frau D. sei im irrigen Glauben gewesen, die Berufungsbegründung korrekt übermittelt zu haben und habe dem Unterzeichner nach dem erfolgreichen Versand der Berufungsbegründung mitgeteilt, dass das Einreichen der Berufungsbegründung erfolgreich gewesen sei. Der Unterzeichner habe sich auf diese Aussage verlassen und die Anweisung gegeben, die Frist zur Berufungsbegründung zu streichen, da Frau D. ihre Tätigkeit seit langer Zeit zuverlässig ausführe und es hierbei bislang zu keinen Beanstandungen gekommen sei.
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Im Rahmen der Büroorganisation sei das Sekretariatspersonal angewiesen, in Zweifelsfragen immer Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu halten. Andernfalls dürfte es seine Tätigkeit nicht fortsetzen. Der ordnungsgemäße Versand von Schriftsätzen über das beA-Portal und die Überprüfung des jeweiligen beA-Sendeberichts sei im Rahmen der Büroorganisation ordnungsgemäß auf die ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten übertragen. Das Verwaltungsgericht Ansbach habe durch die Nichtweiterleitung der Berufungsbegründung seine Fürsorgepflicht verletzt. Auch funktionell unzuständige Gerichte treffe hinsichtlich der Behandlung von Irrläufern eine Fürsorgepflicht gegenüber den Parteien. Die Berufungsbegründung sei am Freitag, den 2. Mai 2025, beim VG Ansbach in elektronischer Form eingereicht worden und vom Verwaltungsgericht nicht an den BayVGH weitergeleitet worden, obwohl Fristablauf erst Montag, der 5. Mai 2025 gewesen sei. Die Weiterleitung eines elektronisch eingereichten Schriftsatzes bedürfe nur „eines Mausklicks“ und sei im Hinblick auf die in die Abwägung einzustellende „Funktionsfähigkeit des Gerichts“ eine äußerst geringfügige Belastung, die üblicherweise auch zeitnah erfolge. Dennoch sei der Schriftsatz erst am 27. Juni 2025 vom VG Ansbach an den BayVGH weitergeleitet worden, sodass das VG Ansbach acht Wochen lang untätig geblieben sei.
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Mit ihrer Berufung verfolgen die Kläger ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiter.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
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Die Einreichung der Berufungsbegründung beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am 2. Mai 2025 habe nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 6 S. 2 VwGO entsprochen. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO lägen nicht vor, da der Bevollmächtigte der Kläger nicht ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Der Bevollmächtigte der Kläger hätte jedenfalls bei Einführung des EGVP-Versands klarstellen müssen, dass es nun nicht mehr zwei unterschiedliche Briefadressen (BayVGH München bzw. Ansbach) gebe, sondern nur noch eine EGVP-Adresse für den BayVGH relevant sei. Nachdem die Münchner Kanzlei des Bevollmächtigten im öffentlichen Recht und insb. auch im Lebensmittelrecht tätig sei, sei der elektronische Versand von Schriftstücken an den BayVGH wohl sicherlich nicht unüblich, so dass der Bevollmächtigte bei Übertragung des Versands auf sein Sekretariatspersonal sicherstellen müsse, dass die Angestellten ausreichend unterwiesen seien, auch in Bezug auf die elektronische Versendung an die maßgeblichen Gerichte, da ihn ansonsten ein Organisationsverschulden treffe. Ebenso hätte der Bevollmächtigte bei eigenständiger Kontrolle des Prüfvermerks den Eingang beim unzuständigen Gericht bemerken müssen.
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Die Landesanwaltschaft Bayern nahm als Vertreter des öffentlichen Interesses Stellung. Unabhängig vom Bestehen und vom Umfang der Kontrollpflichten des Rechtanwalts beim jeweiligen Versendevorgang und unabhängig von der ausreichenden Durchführung von stichprobenartigen Kontrollen (im vorliegenden Verfahren habe es zwei Fehlsendungen gegeben) sei aufgrund der Darlegungen der Klägerseite von einem Organisationsverschulden des Bevollmächtigten der Kläger auszugehen. Denn eine ausreichende Einweisung des Kanzleipersonals in den EGVP-Versand sei nach diesen Darlegungen nicht erfolgt. So wäre bei der Einführung des EGVP-Versands darauf hinzuweisen gewesen, dass es keine eigene EGVP-Adresse für die auswärtigen Senate des BayVGH in Ansbach gebe. Denn anders als bei einem Briefversand an die beiden Briefanschriften des BayVGH (Ansbach und München) bestehe beim EGVP-Versand nur noch eine Adresse – also nur ein EGVP-Postfach – für den gesamten BayVGH, dessen Sitz in München sei (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 AGVwGO). Hinzu komme, dass die Kanzlei des Bevollmächtigten in besonderem Maße Fälle aus dem Bereich Lebensmittelrecht vertrete. Der hierfür zuständige Senat des BayVGH sei einer der auswärtigen Senate in Ansbach. Vor diesem Hintergrund der gehäuften Versendung von Schriftsätzen im Zuständigkeitsbereich dieses Senats in Ansbach sei eine entsprechende Einweisung im Hinblick auf die Versendung in besonderem Maße geboten gewesen.
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Mit Schreiben vom 4. August 2025 hörte der Senat die Beteiligten zur beabsichtigten Verwerfung der Berufung als unzulässig an, weil die Kläger die Berufungsbegründungsfrist versäumt hätten und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne, weil ihr Prozessbevollmächtigter nicht ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die gesetzliche Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einzuhalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

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1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 6. Dezember 2023 ist gemäß § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 5 und § 125 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, weil die Berufung nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründet worden ist. Die Beteiligten wurden hierzu angehört (§ 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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a) Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2025, mit dem die Berufung in dem vorliegenden Verfahren zugelassen worden ist, wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 10. März 2025 zugestellt. Dem Beschluss war eine Belehrung über die Notwendigkeit der Berufungsbegründung, deren Frist und sonstige Modalitäten beigefügt.
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Die Frist von einem Monat für die Begründung der zugelassenen Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) wurde auf Antrag des Bevollmächtigten der Kläger durch den Vorsitzenden bis 5. Mai 2025 verlängert. Die Einreichung der Berufungsbegründung beim Verwaltungsgericht Ansbach am 2. Mai 2025 um 13:59:44 Uhr wahrte die Berufungsbegründungsfrist nicht. Der Eingang der Berufungsbegründung durch Übersendung des Verwaltungsgerichts Ansbach am 27. Juni 2025 war folglich verspätet. Die Berufungsbegründungsfrist war damit nicht eingehalten.
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b) Den Klägern ist keine Wiedereinsetzung (§ 60 VwGO) in die versäumte Frist für die Begründung der Berufung zu gewähren. Denn die Kläger bzw. ihr Bevollmächtigter, dessen Verschulden sich die Kläger zurechnen lassen müssen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO), sind an der Wahrung dieser gesetzlichen Frist nicht ohne Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO gehindert gewesen.
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aa) Verschuldet im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ist ein Fristversäumnis dann, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (stRspr, vgl. BVerwG, B. 25.9.2023 – 1 C 10.23 – NVwZ 2023, 1913 Rn. 12 m. w. N.). Dabei ist ihm ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die Kläger haben nicht im Sinne von § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO Tatsachen zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags dargelegt, die darauf schließen lassen, dass das Fristversäumnis für ihren Prozessbevollmächtigten unverschuldet war. Vielmehr ist das Fristversäumnis eingetreten, weil Letzterer die ihn treffenden Sorgfaltspflichten nicht gewahrt hat.
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Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per besonderem elektronischen Anwaltspostfach entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO erteilt wurde. Nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO erhält der Absender eines elektronischen Dokuments, sobald dieses auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist, eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs. Diese Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war (vgl. BVerwG, B. v. 16.5.2025 – 5 B 8.25 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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Versendet ein Rechtsanwalt fristwahrende Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Gericht, hat er in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend zu belehren, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung zu kontrollieren ist. Er hat zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen (BAG, B. v. 7.8.2019 – 5 AZB 16/19 – BAGE 167, 221; BGH, B. v. 11.5.2021 – VIII ZB 9/20 – juris Rn. 24). Gemessen daran kann den Klägern Wiedereinsetzung nicht gewährt werden, da nicht dargelegt ist, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger den Versandvorgang ordnungsgemäß kontrolliert hat. Zwar hat der Bevollmächtigte der Kläger vorgetragen, dass das Kanzleipersonal die Anweisung hatte, in Zweifelsfragen immer Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu halten. Andernfalls hätte es seine Tätigkeit nicht fortsetzen dürfen. Der Klägerbevollmächtigte hat jedoch nicht vorgetragen, dass er bei der Überwachung des Versandvorganges im Allgemeinen stichprobenweise Überprüfungen vorgenommen hat. Begehrt ein Beteiligter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hat er einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt (BGH, B. v. 25.2.2025 – VI ZB 36/24 –, juris). Dies hat der Bevollmächtigte der Kläger jedoch nicht getan und der Senat war auch nicht verpflichtet, ihn im Rahmen der Anhörung nach § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO auf diesen Umstand hinzuweisen. Der Anspruch auf Gewährleistung des rechtlichen Gehörs begründet keine Pflicht des Gerichts, seine Rechtsauffassung den Beteiligten bereits vor Erlass der abschließenden Entscheidung zu offenbaren (BVerwG, B. v. 13.10.1976 – BVerwG 6 B 77.75 – in Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 5; B. v. 9.6.1981 – 7 B 121.81 – BeckRS 1981, 5561; Seibert in Sodan/Ziekow, 5. Auflage 2018, § 125 VwGO Rn 47).
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bb) Die Fehlübermittlung der Zulassungsbegründungsschrift an das Verwaltungsgericht Ansbach war für die Fristversäumung auch ursächlich.
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Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Gericht, bei dem das Verfahren anhängig gewesen ist, verpflichtet, fristgebundene Schriftsätze für ein Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Ist ein solcher Schriftsatz so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen oder ordnungsgemäßen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht gelangt (vgl. dazu BVerfG, B. v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93 – BVerfGE 93, 99, juris Rn. 48; BVerwG, B. v. 15.7.2003 – 4 B 83.02 – Buchholz 310 VwGO Nr. 248, juris Rn. 9; BFH, B. v. 22.8.2023 – VIII B 76/22 – juris Rn. 3 ff.; BAG, B. v. 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 – BAGE 171, 28, juris Rn. 39; BSG, B. v. 10.12.1974 – GS 2/73 – BSGE 38, 248, juris Rn. 27; BGH, B. v. 30.11.2022 – IV ZB 17/22 – NJW-RR 2023, 351, juris Rn. 15). Die Berufungsbegründung ist hier jedoch vom Bevollmächtigten der Kläger nicht so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden konnte. Das gilt auch im elektronischen Rechtsverkehr.
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Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger ist daher hier nicht mangels Kausalität unbeachtlich, weil das Verwaltungsgericht den Schriftsatz nicht am selben Tag, an dem der Eingang zuverlässig festgestellt werden konnte, also zum Arbeitsbeginn am 5. Mai 2025, dem letzten Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist, an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet hat. Zwar hat der Bevollmächtigte der Kläger bereits am Freitag den 2. Mai 2025 um 13.57 Uhr den Schriftsatz an das Verwaltungsgericht Ansbach übermittelt, der dort laut Sendebericht um 13:59 Uhr zugegangen war. Entsprechend der vom Verwaltungsgericht nach außen publizierten Dienstzeiten (https://www.vgh.bayern.de/gerichte/vgansbach/kontakt/index.html) war dies eine Minute vor dem Dienstende, so dass zu diesem Zeitpunkt nach dem ordentlichen Geschäftsgang eines Verwaltungsgerichts nicht damit gerechnet werden konnte, dass auch ein Irrläufer, also ein Posteingang, der keinem Verfahren des Verwaltungsgerichts zugeordnet werden kann, noch behandelt wird. Dies bedeutet folglich, dass erst am Montag dem 5. Mai 2025 mit der Behandlung des Irrläufers gerechnet werden konnte. Dann konnten die Kläger jedoch nicht erwarten, dass ein Gericht, das nicht Vorinstanz war und damit mit der Verwaltungsstreitsache bisher nicht befasst war, binnen eines Arbeitstages die Angelegenheit prüft und den Schriftsatz noch am selben Tag an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterleitet. Denn auch unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und der darauf beruhenden Fürsorgepflicht des Gerichts für die Beteiligten muss den Beteiligten und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Übermittlung an den richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf (dafür) unzuständige Gerichte verlagert werden (BGH, B. v. 26.1.2023 – I ZB 42/22 – juris). Eine vordringliche Behandlung, etwa eine unmittelbare Weiterleitung des Schriftsatzes per EGVP an das Rechtsmittelgericht ist nicht geboten, zumal diese bei fristgebundenen Schriftsätzen eine vorherige Fristprüfung bzw. das Wissen um den unmittelbar bevorstehenden Fristablauf voraussetzen würde (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 6 ZB 24.179 – juris Rn. 6). Das Verwaltungsgericht war auch nicht verpflichtet, den Kläger oder seinen Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten (BVerfG, B. 3.1.2001 – 1 BvR 2147/00 – juris Rn. 11; BGH, B. v. 19.9.2012 – XII ZB 221/12 – juris Rn. 14).
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Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht bereits die Mitarbeiter der Poststelle des Verwaltungsgerichts erkennen konnten oder mussten, dass der an den Verwaltungsgerichtshof adressierte Schriftsatz eine Verfahrenshandlung enthielt, für deren fristwahrende Entgegennahme nach den einschlägigen prozessrechtlichen Bestimmungen nur der Verwaltungsgerichtshof zuständig war (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 6 ZB 24.179 – juris 6 f.). Die bloße Adressierung an den Verwaltungsgerichtshof nötigt nicht zur unmittelbaren Weiterleitung durch die Poststelle des Verwaltungsgerichts. Vielmehr ist in solchen Fällen durch entscheidungsbefugte Personen zu prüfen, ob etwa eine Falschadressierung oder auch eine falsche Angabe des Aktenzeichens der ersten Instanz vorliegt. Angesichts der Vielzahl der bei einem großen Gericht wie dem Verwaltungsgericht Ansbach täglich eingehenden Schreiben und Schriftsätze auch auf elektronischem Weg kann nicht erwartet werden, dass ein Schriftsatz, der sich nicht auf ein Verfahren beim Verwaltungsgericht Ansbach bezieht, innerhalb eines Arbeitstages durch entscheidungsbefugte Personen bewertet, zugeordnet und im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das zuständige Gericht weitergeleitet wird (vgl. auch BGH, B.v. 30.11.2022 – IV ZB 17/22 – juris Rn. 16; BayVGH, B. v. 13.2.2025 – 9 ZB 24.541 – juris).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
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3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
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4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.