Inhalt

VGH München, Beschluss v. 01.08.2025 – 19 ZB 24.2190
Titel:

Ausweisung, Sachverhalts- und Beweiswürdigung, Ernstliche Zweifel, Sachaufklärungsrüge, Besondere tatsächliche Schwierigkeiten, Sicherung der Konsistenz der Zulassungsgründe

Normenkette:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 5
Schlagworte:
Ausweisung, Sachverhalts- und Beweiswürdigung, Ernstliche Zweifel, Sachaufklärungsrüge, Besondere tatsächliche Schwierigkeiten, Sicherung der Konsistenz der Zulassungsgründe
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 18.11.2024 – W 7 K 23.1757
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22502

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Slowenien, seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid des Landratsamts ... vom 24. November 2023 weiter. Mit diesem Bescheid wurde er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ein auf drei Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen; ferner wurde seine Abschiebung in den Kosovo angedroht.
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Die Ausweisung gründet auf der Annahme der Ausländerbehörde, der Kläger sei im Bundesgebiet illegal erwerbstätig geworden. Der Kläger hat sich hingegen stets dahin eingelassen, er sei in Deutschland keiner Beschäftigung nachgegangen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch besondere tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 VwGO).
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1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Solche Zweifel bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier nicht der Fall.
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Ausweislich der Behördenakte hat der Bruder des Klägers im März 2023 per E-Mail für diesen bei der Beklagten um eine Arbeitserlaubnis gebeten, um ihn in seiner Firma zu beschäftigen (s. Bl. 1 der Behördenakte <BA>). Im November 2023 wurde der Kläger sodann in einem Pkw zusammen mit seinem slowenischen Arbeitgeber und zwei (legal) Beschäftigten seines Bruders aufgegriffen. Im Auto lagen eine Arbeitshose und Arbeitshandschuhe; alle Personen hatten eine Tüte mit Vesper und Getränken bei sich und wirkten auf die Polizei vor Ort, als seien sie auf dem Weg zu Arbeit (s. Bl. 17 ff. der BA). Der Pkw wurde am frühen Morgen beim Verlassen eines Anwesens gestoppt, für das Hinweise auf die Unterbringung Schwarzarbeitender bei den örtlichen Behörden eingegangen waren (s. Bl. 31 der BA). Gegen den Fahrer, den slowenischen Arbeitgeber des Klägers, wurde bereits in der Schweiz wegen illegaler Erwerbstätigkeit eine Einreisesperre verhängt (s. Bl. 17 ff. der BA). In der Behördenakte enthalten ist auch die Niederschrift über die Vorsprache des Klägers bei der Ausländerbehörde (s. Bl. 39 f. der BA), wenngleich sich diese dahin erschöpft, dass der Kläger angab, auf dem Weg zurück nach Slowenien gewesen zu sein, nachdem er seinen Onkel (einen der legal Beschäftigten im Fahrzeug) im Bundesgebiet besucht haben will. Ansonsten werden in der Niederschrift die Schlussfolgerungen der Ausländerbehörde wiedergegeben.
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Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht angesichts der „enorm gehäuften Indizien“ die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger im Bundesgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, ohne dies allerdings näher zu begründen.
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1.1 Der Kläger will die eingangs genannten Tatsachen (oder auch Umstände bzw. Indizien) anders gewürdigt haben und sieht insoweit Richtigkeitszweifel. Allein, weil sich der Bruder des Klägers vergeblich um eine Aufenthaltserlaubnis für diesen bemüht habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in der Folge illegal einer Beschäftigung nachgegangen sei. Der Eindruck, der bei der Polizeikontrolle im November 2023 gewonnen worden sei, täusche. Der Kläger sei zusammen mit seinem slowenischen Arbeitgeber, seinem Onkel und dessen Arbeitskollegen auf dem Weg nach Slowenien gewesen. Die gefundenen Arbeitsutensilien gehörten dem slowenischen Arbeitgeber. Bei den Speisen und Getränken habe es sich um Proviant für die Fahrt gehandelt. Die Hinweise auf die Schwarzarbeiterunterkunft seien nicht verifiziert. Die Einreisesperre und der Vorwurf illegaler Erwerbstätigkeit in der Schweiz richteten sich nicht gegen den Kläger, sondern gegen dessen Arbeitgeber und rechtfertigten nicht die Annahme, dass der Kläger im Bundesgebiet illegal erwerbstätig gewesen sei.
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Der Senat verkennt nicht, dass die aus der Behördenakte ersichtlichen Erkenntnisse auch anders hätten interpretiert werden können. Die Schlussfolgerungen der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts sind keineswegs zwingend. Gleichwohl rechtfertigt das nicht die Zulassung der Berufung. Da das Zulassungsverfahren dazu dient, eine weitere Tatsachen- und Rechtsinstanz zu ermöglichen, können ernstliche Zweifel auch in einer dem sachlichen Recht zuzuordnenden fehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung liegen. Die Berufung ist deshalb auch dann wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zuzulassen, wenn das Verwaltungsgericht den ihm bei der Beweiswürdigung zustehenden Wertungsrahmen überschritten hat, etwa weil es von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Aug. 2024, § 124 VwGO Rn. 26g; BayVGH, B.v. 4.7.2025 – 9 ZB 24.1628 – juris Rn. 9 m.w.N.).
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Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Rechtsmittelführers unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (BVerwG, B.v. 14.07.2010 – 10 B 7.10 – juris Rn. 4). Allein mit dem Vortrag, der Sachverhalt sei anders als vom Verwaltungsgericht angenommen zu bewerten, lässt sich daher der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel nicht darlegen. In ebensolchen Rügen erschöpft sich aber das Zulassungsvorbringen des Klägers, da er den Sachverhalt schlicht anders gewürdigt wissen will. Der Schluss des Verwaltungsgerichts ist nicht „unmöglich“. Der Kläger hatte offensichtlich ein Interesse, im Betrieb seines Bruders in Deutschland zu arbeiten. Er wurde auch – so der Eindruck der Polizei – auf dem Weg zur illegalen Arbeit angetroffen, wobei der Fahrer und slowenische Arbeitgeber des Klägers insoweit einschlägig bekannt ist. Es gab Hinweise auf die Schwarzarbeiterunterkunft, vor der der Kläger angetroffen worden ist. Der Umstand, dass die Fahrzeuginsassen Jogginghosen trugen und nur für eine Person Arbeitskleidung vorhanden war, lässt nicht zwingend darauf schließen, dass es sich um eine Freizeitfahrt handelt. Vor Ort im Betrieb des Bruders oder einer anderen Arbeitsstätte könnte die erforderliche Arbeitskleidung durchaus bevorratet gewesen sein.
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Der Kläger hat (erstmals) im Zulassungsverfahren die – angeblichen – Umstände seines Aufenthalts in Deutschland näher und unter Beweisangebot geschildert. Da er, worauf der Beklagte bei seiner Antragserwiderung zutreffend hingewiesen hat, hinsichtlich der näheren Umstände der Fahrt vom 16. November 2023 seiner Mitwirkungspflicht bei der Erforschung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) nicht nachgekommen ist, hat dies zur Folge, dass der Vortrag des Klägers insoweit für den Senat im Zulassungsverfahren unbeachtlich ist (NdsOVG, B.v. 10.2.2003 – 2 LA 2953/01 – juris Rn. 10, a.A. Kautz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 124 VwGO Rn. 70 unter Hinweis auf Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 124 Rn. 7). Für diese Auffassung spricht, dass ansonsten ein nicht zu rechtfertigender unterschiedlicher Maßstab gegenüber der Berufungszulassung wegen eines Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) bzw. besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 VwGO) bestehen würde, was mit Blick auf die Gewährleistung der Konsistenz der Zulassungsgründe nicht hingenommen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2025 – 19 ZB 23.116 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 23.12.2023 – 3 ZB 24.304 – juris Rn. 15). Bei den letzten genannten Berufungszulassungsgründen besteht jeweils das Erfordernis einer Hinwirkung auf eine entsprechende Sachaufklärung (siehe dazu nachfolgend 1.2 und 2.).
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1.2 Letztlich rügt der Kläger der Sache nach eine unvollständige Sachverhaltsermittlung durch das Verwaltungsgericht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und damit einen Verfahrensfehler. Ernstliche Zweifel können grundsätzlich auch mit Blick auf eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung geltend gemacht werden; sie betreffen dann die Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen. Werden die ernstlichen Zweifel an der (tatsächlichen) Richtigkeit der Entscheidung auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht gestützt, kommt eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aber nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge über § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu einer Zulassung führen würde (BayVGH, B.v. 20.2.2025 a.a.O.).
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Die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese zu einer für den Rechtsmittelführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Außerdem muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die weitere Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt wurde oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die weiteren Ermittlungen von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 10.08.2017 – 9 B 68.16 – juris Rn. 8). Diese Darlegungsanforderungen erfüllt das Vorbringen des Klägers nicht.
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Der Kläger ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht hätte zu den näheren Umständen der Fahrt nach Obernburg und den Geschehnissen in den Morgenstunden des 16. November 2023 (ebenfalls) in Obernburg Beweis durch die Einvernahme der drei Mitfahrer erheben müssen. Der Kläger hat jedoch vor dem Verwaltungsgericht nicht hinreichend auf eine entsprechende Sachverhaltsaufklärung hingewirkt und zudem auf eine mündliche Verhandlung und damit einen förmlichen Beweisantrag (schriftsätzlich waren keine entsprechenden Beweisanträge angekündigt worden) verzichtet. Das Verwaltungsgericht ist nicht gehalten, von sich aus mögliche Sachverhaltsalternativen in den Blick zu nehmen und jedem noch so geringfügigen Zweifel nachzugehen (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 35).
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2. Die Berufung ist schließlich nicht wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten zuzulassen.
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Der Kläger führt zu diesem Zulassungsgrund aus, das Verwaltungsgericht habe nur unzureichende Feststellungen zu der Frage getroffen, von wann bis wann sich der Kläger tatsächlich in Deutschland aufgehalten hat und welchen Zweck sein Besuch tatsächlich gehabt habe. Das Verwaltungsgericht habe keine Feststellungen zu der Frage getroffen, was dem Arbeitgeber des Klägers tatsächlich vorgeworfen worden sei und inwieweit hieraus wirklich die Schlussfolgerung gezogen werden könne, dass der Kläger in Deutschland illegal einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Das Verwaltungsgericht habe nur ganz unzureichende Feststellungen zu der Frage getroffen, welche Personen am 16. November 2023 in dem Pkw angetroffen worden seien, welches Reiseziel sie gehabt hätten und welcher Person welcher der mitgeführten Gegenstände zugeordnet werden könne. Es fehle an jeglichen näheren Feststellungen zu dem „Anwesen“, von dem aus der Kläger die Fahrt angetreten haben solle. Die Klärung all dieser tatsächlichen Umstände sei im Zulassungsverfahren noch möglich, es bedürfe der Durchführung eines Berufungsverfahrens und dort einer umfassenden Beweisaufnahme, die das Verwaltungsgericht versäumt habe.
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Besondere tatsächliche Schwierigkeiten können bei einer unzureichenden Ermittlung oder unzutreffenden Feststellung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht gegeben sein, wenn also auf der Grundlage des im Zulassungsverfahren nicht klärungsbedürftigen Sachverhalts offen ist, zu welchem Ergebnis die noch zuzulassende Berufung führen wird (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 110). Aber auch hier gilt das zu 1.2 gesagte, nämlich, dass der Kläger vor dem Verwaltungsgericht nicht hinreichend auf eine entsprechende Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat, sodass auch die Zulassung der Berufung aus diesem Grund ausscheidet. Im Übrigen legt die Zulassungsbegründung bereits nicht substantiiert dar, dass die Rechtssache einen besonders unübersichtlichen oder einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt aufweist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 33).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).