Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 03.07.2025 – B 6 E 25.575
Titel:

Behördliche Hinweispflicht nach § 104c Abs. 4 AufenthG, Anschlusstitel nach § 25b AufenthG, Fehlende Sicherung des Lebensunterhalts, Anspruch auf Ermessensduldung (verneint)

Normenketten:
AufenthG § 25b
AufenthG § 104c Abs. 4
VwGO § 123
Schlagworte:
Behördliche Hinweispflicht nach § 104c Abs. 4 AufenthG, Anschlusstitel nach § 25b AufenthG, Fehlende Sicherung des Lebensunterhalts, Anspruch auf Ermessensduldung (verneint)
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 29.08.2025 – 19 CE 25.1391
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22491

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.
3. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird 8.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren die Erteilung einer Ermessensduldung im Zusammenhang mit einer von ihnen beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG.
2
Die Antragsteller (Eltern und fünf minderjährige, im Bundesgebiet geborene Kinder) sind äthiopische Staatsangehörige. Den Antragstellern zu 1 bis 6 hat das Landratsamt … eine vom 7. September 2023 bis 6. März 2025 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG erteilt. Dem im ... 2024 geborenen Antragsteller zu 7 hat das Landratsamt eine bis 6. März 2025 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG – nach Angabe des Landratsamts fälschlicherweise, da insoweit auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG erteilt werden hätte müssen – erteilt.
3
Am 3. Februar 2025 beantragten die Antragsteller die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis.
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Mit Bescheid vom 12. Mai 2025 lehnte das Landratsamt … die Anträge vom 3. Februar 2025 auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltstitel für alle Antragsteller ab (Ziffer 1). Die Antragsteller wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen (Ziffer 2); widrigenfalls wurde ihnen die Abschiebung nach Äthiopien angedroht (Ziffer 3). Für den Fall der Abschiebung wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt: Die Antragsteller erfüllten die Erteilungsvoraussetzungen des § 25b AufenthG in mehrfacher Hinsicht nicht. Die Antragsteller zu 1 und 2 seien bei ihrer persönlichen Vorsprache am 7. September 2023 auf die Voraussetzungen eines längerfristigen Aufenthalts im Bundesgebiet hingewiesen worden. Konkret seien die erforderlichen Voraussetzungen des § 25b AufenthG aufgelistet worden. Sie hätten gegen Unterschrift unter anderem ein Hinweisblatt gemäß §§ 104c Abs. 4, 82 Abs. 3 AufenthG erhalten. Neben weiteren Erteilungsvoraussetzungen erfüllten die Antragsteller nicht das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung gemäß § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG. Nach Aktenlage und Auskunft des Jobcenters hätten sie zu keinem Zeitpunkt eigenes Einkommen erzielt. Der Lebensunterhalt werde seit Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ausschließlich durch Sozialleistungen bestritten. Nennenswerte Bemühungen, hieran etwas zu ändern, seien nicht ersichtlich. Schon deshalb liege auch kein Fall des gemäß § 25b Abs. 1 Satz 3 AufenthG unschädlichen vorübergehenden Sozialleistungsbezugs vor.
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Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller am 10. Juni 2025 Klage (B 6 K 25.576) zum Verwaltungsgericht Bayreuth. Zugleich beantragten sie, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, vorläufig von dem Vollzug von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen und den Antragstellern bis auf weiteres eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zu erteilen.
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Sie beantragen weiterhin, ihnen Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung zu bewilligen.
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Zur Begründung wird vorgebracht: Die Antragsteller seien erstmals in dem angegriffenen Bescheid auf die zu erfüllenden Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b AufenthG oder § 25a AufenthG hingewiesen worden. Es sei keine ordnungsgemäße bzw. gar keine entsprechende Belehrung erfolgt. Unter Zugrundelegung der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2025 (19 CE 24.1915) hätten die Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung von Ermessensduldungen gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG und zwar für einen Zeitraum von 18 Monaten beginnend mit der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids am 16. Mai 2025.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt: Der Ablehnungsbescheid beruhe im Wesentlichen auf der nicht vorhandenen Sicherung des Lebensunterhalts. Nach Auskunft des Sozialamts hätten die Antragsteller seit Beginn ihres Aufenthalts im Bundesgebiet durchgehend Sozialleistungen erhalten. Auf das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung sei deutlich und leicht erkennbar in der Aufzählung des den Antragstellern ausgehändigten Hinweisblattes hingewiesen worden. Die Antragsteller zu 1 und 2 hätten das genannte Hinweisblatt am 9. September 2023 gegen Unterschrift erhalten. Das Hinweisblatt als solches sei nicht in der Behördenakte enthalten, es sei jedoch ein detailliertes Empfangsbekenntnis zu den Akten genommen worden, welches genau angebe, welche Unterlagen bzw. Hinweisblätter den Antragstellern ausgehändigt worden seien. Eine Vorgabe, den Antragstellern die entsprechenden Informationen in ihrer Heimatssprache zu übergeben, sei nicht vorgesehen gewesen, da das Chancenaufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG für einen gut integrierten Personenkreis gedacht gewesen sei. Die von dem Antragstellerbevollmächtigten zitierte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2025 sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs lag zugrunde, dass die Ablehnung des Anschlussaufenthaltstitels ausschließlich auf Aspekte gestützt worden sei, die im Hinweisschreiben nicht klar genug beschrieben seien. Die Problematik der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts sei dort nicht Verfahrensgegenstand gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, dass die Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat.
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2. Der zulässige Antrag nach § 123 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.
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a) Der Antrag nach § 123 VwGO mit dem Ziel, den Antragsgegner zur Erteilung von Ermessensduldungen zu verpflichten, ist zulässig, insbesondere statthaft.
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Nicht statthaft wäre der Antrag nach § 123 VwGO hingegen, wenn die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz auch in Bezug auf die kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Regelungen des Bescheids vom 12. Mai 2025, insbesondere die Ablehnung der Titelerteilung und die Abschiebungsandrohung, begehrten. Denn insoweit wäre ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu stellen. Dies gilt auch für die Ablehnung der Titelerteilung in Ziffer 1 des Bescheids. Denn die Antragsteller haben die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig vor Ablauf der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnis beantragt. Mit dem Bescheid vom 12. Mai 2025 ist daher die Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erloschen, worin ein belastender, gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes sofort vollziehbarer Verwaltungsakt zu sehen ist, der im einstweiligen Rechtsschutz mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO anzugreifen ist. Einen solchen Antrag haben die Antragsteller nicht gestellt und es besteht auch kein Anlass, den gestellten Antrag nach § 123 VwGO in einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO umzudeuten. Denn die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 12. Mai 2025, insbesondere die Ablehnung der Titelerteilung nach § 25b AufenthG aufgrund der im Bescheid thematisierten Versagungsgründe, wird in der Antragsbegründung vom 24. Juni 2025 nicht in Frage gestellt. Vielmehr wird allein geltend gemacht, dass der Antragsgegner seiner Hinweispflicht nach § 104c Abs. 4 AufenthG nicht nachgekommen sei und die Antragsteller deshalb Anspruch auf eine Ermessensduldung für 18 Monate ab Zustellung des Bescheids vom 12. Mai 2025 hätten. Für dieses Begehren ist der gestellte Antrag nach § 123 VwGO der statthafte Rechtsbehelf des vorläufigen Rechtsschutzes.
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b) Der Antrag ist unbegründet, da kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurde. Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf die Erteilung von Ermessensduldungen.
17
Die Antragsteller zu 1 und 2 wurden durch Aushändigung eines Hinweisblattes auf die Voraussetzungen für die Erteilung eines Anschlussaufenthaltstitels nach dem für die Antragsteller allein in Betracht kommenden § 25b AufenthG hingewiesen. Die Behauptung der Antragstellerseite, es hätte überhaupt keine Belehrung stattgefunden, ist durch nichts belegt und widerspricht dem Akteninhalt. Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 12. Mai 2025 und in der Antragserwiderung darauf hingewiesen, dass den Antragstellern zu 1 und 2 das bezeichnete Hinweisblatt am 9. September 2023 persönlich ausgehändigt wurde. In der Behördenakte sind die von den Antragstellern zu 1 und 2 handschriftlich unterzeichneten Empfangsbekenntnisse enthalten (Bl. 329 und 604 der Behördenakte [Seitenzahlen der PDF-Datei]). Die Kammer sieht daher keinerlei Anlass daran zu zweifeln, dass den Antragstellern zu 1 und 2 das vom Antragsgegner mit der Antragserwiderung vom 30. Juni 2025 nochmals vorgelegte Hinweisblatt (Bl. 51 ff. d.A.) tatsächlich übergeben wurde.
18
Dieses Hinweisblatt weist keine für das vorliegende Verfahren relevanten Mängel auf. Das Landratsamt hat die Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG (neben weiteren Punkten) insbesondere auf die fehlende eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG gestützt. Dass diese Sicherung des Lebensunterhalts Voraussetzung für die Erteilung des Anschlusstitels nach § 25b AufenthG ist, geht aus dem Hinweisblatt hinreichend deutlich hervor. Aus der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2025 (19 CE 24.1915 – BeckRS 2025, 5868) ergibt sich für das vorliegende Verfahren nichts anderes. Die Kammer teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass diese Entscheidung nicht den hier zu beurteilenden Fall betrifft, dass die Titelerteilung nach § 25b AufenthG auch und maßgeblich an der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts i.S.v. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG scheitert. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sah in der genannten Entscheidung Mängel des bayernweit einheitlich verwendeten Hinweisblattes in Bezug auf die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 4 und 5 (BayVGH a.a.O. Rn. 22-24). Aus der VGH-Entscheidung geht hervor, dass im dort zu entscheidenden Fall die Nichterfüllung der Regelerteilungsvoraussetzungen gemäß § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 AufenthG maßgeblicher Versagungsgrund gewesen ist, die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angeführten Mängel des Hinweisblattes also gerade die entscheidungserheblichen Erteilungsvoraussetzungen betrafen (BayVGH, a.a.O. Rn. 2, 24 („hier kritischen Erteilungsvoraussetzungen (Ziff. 2 und 4)“, Rn. 28 („hinsichtlich der hier kritischen Erteilungsvoraussetzungen“), Rn. 37). Dementsprechend heißt es im amtlichen Leitsatz des VGH-Beschlusses in Bezug auf den Verstoß gegen § 104c Abs. 4 AufenthG: „und ist dieser Verstoß für die Nichterlangung des Anschlusstitels ursächlich“. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Denn die Antragsteller erfüllen, wovon der Antragsgegner zu Recht ausgeht, offensichtlich nicht die Regelerteilungsvoraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG betreffend die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts. Dies wird von der Antragstellerseite auch nicht in Frage gestellt. Die Kammer nimmt daher insoweit entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen im Bescheid vom 12. Mai 2025 Bezug, folgt den dortigen Ausführungen und sieht insoweit von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die Antragsteller haben nichts vorgebracht, geschweige denn glaubhaft gemacht, das darauf hindeutet, dass sie ihren Lebensunterhalt derzeit überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 AufenthG), oder das die Prognose zuließe, dass sie künftig ihren Lebensunterhalt i.S.v. § 2 Abs. 3 AufenthG – in vollem Umfang – ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern werden (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 AufenthG).
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Die Kammer kann auch nicht erkennen, dass das Landratsamt hinsichtlich der hier nicht gegebenen Sicherung des Lebensunterhalts § 104c Abs. 4 Satz 2 AufenthG, welcher anders als die Hinweispflicht gemäß § 104c Abs. 4 Satz 1 AufenthG im Übrigen als „Soll“-Vorschrift ausgestaltet ist, nicht beachtet hat. Neben dem Hinweis auf die Regelerteilungsvoraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG findet sich in dem vom Antragsgegner verwendeten Hinweisblatt die „dringende Empfehlung“, die erforderliche Lebensunterhaltssicherung etwa durch Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu erreichen. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Möglichkeiten zur eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts wäre die weitergehende Benennung konkreter Handlungspflichten – anders als in dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall, in dem es um die konkrete Anforderung, ein A2-Sprachzertifikat und den erfolgreich abgeschlossenen Test „Leben in Deutschland“ nachzuweisen, ging (BayVGH, B.v. 6.3.2025 – 19 CE 24.1915 – BeckRS 2025, 5868 Rn. 28) – nicht zielführend und erscheint daher rechtlich nicht geboten.
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3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.2.3, 1.1.3, 1.5 des Streitwertkatalogs 2025.