Titel:
Überleitung des Chancenaufenthaltsrechts, Behördliche Hinweispflicht (§ 104c Abs. 4 AufenthG), Gültigkeitsdauer einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 2 AufenthG
Normenketten:
AufenthG § 104c Abs. 2
AufenthG § 104c Abs. 3 S. 3
AufenthG § 104c Abs. 4
AufenthG § 25b
Schlagworte:
Überleitung des Chancenaufenthaltsrechts, Behördliche Hinweispflicht (§ 104c Abs. 4 AufenthG), Gültigkeitsdauer einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 2 AufenthG
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 03.07.2025 – B 6 E 25.575
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22490
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.750 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Die Prüfung der für die Begründetheit der Beschwerde streitenden Gründe ist im Grundsatz auf das in der Beschwerdebegründung Dargelegte beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Danach ergibt sich nicht, dass der Antragsgegner entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten wäre, vorläufig von dem Vollzug von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen und den Antragstellern zu 1 und 2 und ihren fünf minderjährigen, im Bundesgebiet geborenen Kindern, allesamt äthiopische Staatsangehörige, vorläufig bis auf weiteres Bescheinigungen über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zu erteilen.
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1. Die Rüge der Antragsteller, sie hätten einen Anspruch auf Erteilung von Duldungen, weil bei der Erteilung der vom 7. September 2023 bis 6. März 2025 gültigen Aufenthaltserlaubnisse nach § 104c AufenthG der Antragsteller zu 1 bis 6 keine ordnungsgemäße, vollständige Belehrung über die zu erfüllenden Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnisse gem. § 25b AufenthG und § 25a AufenthG erfolgt sei, greift nicht durch.
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Die Antragsteller lassen insoweit zur Begründung vortragen, dass sie unter Hinzuziehung des vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration zur Verfügung gestellten Hinweismusters „Wichtige Hinweise gemäß §§ 104c Abs. 4, 82 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)“ über die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG und § 25a AufenthG belehrt worden seien. Der erkennende Senat habe in seinem Beschluss vom 6. März 2025 (19 CE 24.1915 – juris) festgestellt, dass es sich bei diesem Hinweismuster um keine ausreichende Belehrung i.S.d. § 104c Abs. 4 AufenthG handle, da darin nicht alle Voraussetzungen vollständig aufgeführt seien, obwohl eine vollständige Belehrung erfolgen müsse. Es sei insoweit ohne Relevanz, ob (zufällig) über die nicht erfüllte Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG oder § 25a AufenthG belehrt worden sei oder nicht. Eine nicht vollständige Belehrung stelle immer eine Pflichtverletzung der Behörde dar, die dazu führe, dass dem Antragsteller eine Ermessensduldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG für 18 Monate ab dem Zeitpunkt der erstmaligen vollständigen Belehrung über dessen Pflichten zu erteilen sei.
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Dieses Vorbringen greift nicht durch. Zwar hat der Senat im genannten Beschluss (dort Rn. 14 ff. und Rn. 28) festgestellt, dass hinsichtlich der im dortigen Verfahren entscheidungserheblichen Erteilungsvoraussetzungen nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 AufenthG die vom Bundesgesetzgeber eingeforderten diesbezüglichen Hinweise fehlten und es daneben hinsichtlich dieser Erteilungsvoraussetzungen an der Bezeichnung konkreter Handlungspflichten, die in zumutbarerer Weise zu erfüllen seien, mangle (vgl. § 104c Abs. 4 Satz 2 VwGO). Dem Beschluss ist aber auch zu entnehmen, dass die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG nur dann in Betracht kommt, wenn ein Verstoß gegen die Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG für die Nichterlangung des Anschlusstitels ursächlich ist (vgl. Leitsatz). Eine Ursächlichkeit liegt folglich dann nicht vor, wenn die Erteilung eines Anschlusstitels an einer Voraussetzung scheitert, auf die den Anforderungen des § 104c Abs. 4 AufenthG entsprechend hingewiesen worden ist.
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Von einer solchen Ursächlichkeit kann vorliegend gerade nicht ausgegangen werden. Das Beschwerdevorbringen macht bereits nicht geltend, dass die Ausländerbehörde bei der Erteilung des Chancenaufenthaltsrechts ihren Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG bezüglich der hier maßgeblichen Erteilungsvoraussetzung der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG nicht oder unvollständig nachgekommen ist. Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (aus dem Hinweisblatt gehe hinreichend deutlich hervor, dass die Sicherung des Lebensunterhalts Voraussetzung für die Erteilung des Anschlusstitels nach § 25b AufenthG sei; das Hinweisblatt enthalte auch die „dringende Empfehlung“, die erforderliche Lebensunterhaltssicherung etwa durch Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu erreichen; angesichts der Vielgestaltigkeit der Möglichkeiten zur eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts wäre die weitergehende Benennung konkreter Handlungspflichten nicht zielführend und erscheine daher rechtlich nicht geboten) sind nach summarischer Prüfung darüber hinaus nicht zu beanstanden.
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2. Die Antragsteller erfüllen die Voraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG auch weiterhin nicht.
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Dass die Antragsteller ihren Lebensunterhalt derzeit überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern würden, behaupten sie erst gar nicht (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 AufenthG).
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Da die Familie ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet bislang ausschließlich durch Sozialleistungen bestritten hat und die Antragsteller zu 1 und 2 während ihres langen Aufenthalts im Bundesgebiet (erstmalige Einreise im Juni 2015) nie erwerbstätig waren, lassen die Ausführungen in der Beschwerdebegründung (die Arbeitsaufnahme des Antragstellers zu 1 als Mitarbeiter in der Bettenzentrale der S. mbH zum 1.7.2025 sei aufgrund der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vom 3.7.2025 nicht möglich gewesen, weil er über keine Aufenthaltserlaubnis mehr verfügt habe) und der weitere nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erfolgte Vortrag (der Antragsteller zu 1 habe sich spätestens seit 2021 um eine Arbeitsstelle bemüht, er habe als ungelernte Kraft aber keine Arbeitsstelle gefunden; im Zeitraum vom 17. bis zum 25.5.2025 habe er an einer Unterrichtung nach § 34a Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 GewO teilgenommen; mit Schreiben vom 29.4.2025 habe er sich als Lagerarbeiter bei der P. GmbH beworben; der Antragsteller zu 1 sei familiär sehr stark eingebunden, weil der am 14.1.2022 geborene Antragsteller zu 6 seit seiner Geburt einen sehr hohen Betreuungsbedarf aufweise und auf häufige Arztbesuche angewiesen sei; der Antragsteller zu 1 könne [nun] auch eine Vollzeitstelle annehmen, da den Antragstellern vom Jugendamt ein Familienhelfer zur Seite gestellt worden sei) keine dahingehende Prognose zu, dass die Antragsteller künftig ihren Lebensunterhalt i.S.v. § 2 Abs. 3 AufenthG – in vollem Umfang – ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern werden (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 AufenthG). Aus dem Vorbringen wird vielmehr hinreichend deutlich, dass die (letztlich erfolglosen) „Bemühungen“ des Antragstellers zu 1, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, lediglich eine Reaktion auf die Anhörung zur Ablehnung der Aufenthaltserlaubnisse der Antragsteller mit Schreiben des Antragsgegners vom 13. März 2025 sind. Auf eine dauerhafte Absicht des Antragstellers zu 1, den Lebensunterhalt der Familie selbstständig zu sichern, kann derzeit jedenfalls nicht geschlossen werden.
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3. Soweit die Antragsteller geltend machen lassen, da dem am 29. Februar 2024 geborenen Antragsteller zu 7 am 15. April 2024 fälschlicherweise eine bis 6. März 2025 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG erteilt worden sei, er aber einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 2 AufenthG mit 18-monatiger Gültigkeit (bis zum 15. Oktober 2025) gehabt habe bzw. ihm eine solche Aufenthaltserlaubnis hätte erteilt werden müssen, habe er einen Anspruch auf Duldung als Folgenbeseitigungsanspruch und hätten die Antragsteller zu 1 bis 6 als Eltern bzw. Geschwister des Antragstellers zu 7 jeweils einen Anspruch auf Erteilung von Duldungen gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG, Art. 8 EMRK, hilfsweise gem. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG, greift auch dieses Vorbringen nicht durch.
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Zwar wird eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG für 18 Monate erteilt (§ 104c Abs. 3 Satz 3). Diese Regelung gilt aber nur für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG, nicht hingegen für Aufenthaltserlaubnisse nach § 104c Abs. 2 AufenthG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch Ehegatten, Lebenspartner, minderjährige, ledige Kinder und volljährige ledige Kinder eines Begünstigten nach § 104c Abs. 1 AufenthG in den Genuss eines Aufenthaltstitels kommen können. Das Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht (BVerwG, U.v. 27.2.2025 – 1 C 13.23 – juris Rn. 20). Durch die Regelung soll verhindert werden, dass einzelne Familienmitglieder ausreisepflichtig werden, obwohl einem Familienmitglied mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht eine aufenthaltsrechtliche Perspektive in Deutschland eröffnet wurde. Es soll damit ein rechtliches Auseinanderreißen der Familie verhindert und auch ein einheitlicher Rahmen für die notwendige Identitätsklärung aller in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen während der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis geschaffen werden (BT-Drs. 20/3717 S. 45). Die Akzessorietät des Aufenthaltstitels hat jedoch zur Folge, dass das Ablaufdatum einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 2 AufenthG nicht zeitlich nach dem Ende des Gültigkeitszeitraums der Aufenthaltserlaubnis des nach § 104c Abs. 1 AufenthG Begünstigten liegen kann. Muss die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 2 AufenthG – wie z.B. nach der Geburt eines Kindes – zeitlich nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis des Stammberechtigten erfolgen, so kann das akzessorische Aufenthaltsrecht nicht länger gültig sein als das Aufenthaltsrecht des nach § 104c Abs. 1 AufenthG Begünstigten. Denn eine längere Gültigkeitsdauer des akzessorischen Aufenthaltsrechts würde wiederum zu einem rechtlichen Auseinanderreißen der Familie führen. Dies soll gerade durch die Norm des § 104c Abs. 2 AufenthG verhindert und nicht verursacht werden.
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Folglich ergibt sich aus der fälschlicherweise erfolgten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG an den Antragsteller zu 7 weder für diesen noch für seine Familienangehörigen ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 8.2.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).