Titel:
Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Klagepartei, Arglistige Täuschung, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Restwert, Erfolgsaussichten der Berufung, Rechtsprechung des BGH, Nutzungsvorteil, Schutzgesetzverletzung, Besondere Verwerflichkeit, Berufungsrücknahme, Offensichtliche Unzulässigkeit, Geschäftsgebühr, Differenzschaden, Darlegungs- und Beweislast, Geänderte Rechtsauffassung, Sachvortrag, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Genehmigungsbehörde
Schlagworte:
Abschalteinrichtung, Thermofenster, Sittenwidrigkeit, Nutzungsvorteile, Restwertberechnung, Prüfstandserkennung, Schadensersatzanspruch
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 15.09.2022 – 17 O 1929/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22368
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15.09.2022, Az. 17 O 1929/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.09.2025.
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei fordert von der Beklagten als Herstellerin des von ihr erworbenen Pkw Opel Insignia Sports Tourer 1.6 CDTI, Fahrzeugidentifikationsnummer …, Schadensersatz mit der Begründung, das Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet.
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Die Klagepartei erwarb am 24.02.2020 den Pkw als Gebrauchtfahrzeug zum Preis von 11.280,00 € bei einem Kilometerstand von 118.500 km. Der zuletzt am 28.07.2025 mitgeteilte Kilometerstand beträgt 224.314 km. Erstmals zum Verkehr zugelassen wurde das Fahrzeug am 07.11.2016.
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Ein von der Beklagten entwickeltes Software – Update wurde vom KBA am 25.02.2021 genehmigt und die Installation mit Bescheid vom 02.12.2021 angeordnet.
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Die Klagepartei behauptet, dass in dem Opel Insignia Sports Tourer 1.6 ein Temperatursensor verbaut sei, der die Außenlufttemperatur messe, und auch dazu eingesetzt werde, das Prüfstandverfahren zu erkennen. Die Abgasreinigung erfolge im vollen Umfang nur in dem für das Testverfahren relevanten Temperaturbereich (Thermofenster). Das OBD-System werde ebenfalls als Prüfstanderkennungsmechanismus genutzt.
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Ein gemessener Luftdruck im Fahrzeug von unter 920 hPa könne als weiterer Parameter zur Erkennung des Prüfstands herangezogen werden. Bei diesem Wert werde die Emissionskontrolle im Fahrzeug verringert, und zwar in der Weise, dass die Abgasrückführung und die Nachbehandlungsmaßnahmen ab diesem Außenluftdruck reduziert werden und mit abnehmendem Luftdruck immer weiter verringert werde. Als Steuerungsparameter werde auch die Motordrehzahl eingesetzt; die Abgasreinigung werde bei einer Motordrehzahl über 2.400 Umdrehungen/Minute reduziert. Ermittele die eingebaute Software auf der Grundlage der Erkennungsparametrik, dass sich das Fahrzeug nicht im Prüfstand befindet, komme es zu einer Reduzierung der AGR-Rate bis hin zur Abschaltung der Abgasrückführung.
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Die Beklagte habe sittenwidrig gehandelt. Das OBD-System sei manipuliert und verdecke die unzulässigen Abschalteinrichtungen. Die Beklagte sei zudem im Typengenehmigungsverfahren ihren Pflichten zu den Angaben zur temperaturabhängigen Funktionsweise der AGR nicht nachgekommen. Dies zeige sich daran, dass das Fahrzeug erst nachträglich vom KBA beanstandet worden sei. Dem Vorstand der Beklagten sei der Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen bekannt gewesen. Die Abschalteinrichtungen seien offensichtlich unzulässig.
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Die Beklagte bestreitet eine Prüfstands- oder Prüfzykluserkennung. Es könne aus ihrer Sicht dahinstehen, ob einzelne Software-Parameter der Steuerung des Emissionskontrollsystems, das vor vielen Jahren entwickelt wurde, als Abschalteinrichtungen zu werten seien und – falls ja – ob sie zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und zur Gewährleistung des sicheren Fahrbetriebs gerechtfertigt seien. Sie sei überzeugt davon gewesen und immer noch überzeugt, dass das Emissionskontrollsystem den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Dass Emissionskontrollsysteme parametergesteuert arbeiten und deren Betriebsleistung von Bedingungen wie (beispielsweise) Umgebungs- und Lufttemperatur sowie Umgebungsluftdruck abhänge, entspreche damals wie heute dem Technologiestandard und sei branchenüblich.
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Die Beklagte gesteht zu, dass die AGR unterhalb von 15,5 °C und ab einer Drehzahl von 2.600 U/min dynamisch reguliert werde. Unterhalb eines Umgebungsluftdrucks von 90 kPa (entspricht einer Höhenlage von ca. 900 m ü. NN) werde die AGR-Rate ebenfalls reduziert. Diese Regulierungen dienten allerdings der Abwendung der Gefahr von Motorschäden und Motoraussetzern und damit der Verkehrssicherheit.
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Auch das On-Board-Diagnosesystem weise keine Manipulationen auf, es funktioniere ordnungsgemäß. Es sei nicht Aufgabe des OBD-Systems, Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern.
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Das Update stehe für die Klagepartei bereit, ihr drohe keine Stilllegung des Fahrzeugs.
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Das Landgericht hat die auf den sog. großen Schadensersatz gerichtete Klage abgewiesen. Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Der Umstand, dass das Emissionskontrollsystem im Fahrzeug der Klageseite durch eine parameterabhängige Steuerung bei Einschlägigkeit gewisser Parameter reduziert bzw. deaktiviert werde, reiche nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Eine Prüfstandsbezogenheit lasse sich dem Vorbringen der Klagepartei nicht schlüssig entnehmen, sie werde ins Blaue hinein behauptet. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB sei nicht begründet.
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Die Klagepartei hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer Behauptung fest, dass ihr Fahrzeug mit einer Prüfstandserkennung versehen sei und sich die Funktionsweise der Abgasreinigung unter Prüfbedingungen von der Funktionsweise im Realbetrieb unterscheide. Die Beklagte habe sittenwidrig gehandelt.
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Die Klagepartei verfolgt einen Anspruch auf Schadensersatz mit folgenden Anträgen weiter:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 7.900,54 EUR sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel Insignia Sports Tourer 1.6 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... .
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeuges Opel Insignia Sports Tourer 1.6 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit im Übrigen erledigt ist.
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Hilfsweise beantragt die Klagepartei
das Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.
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Die Beklagte verteidigt das Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.
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Der Senat hat das Vorbringen, auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH vom 26.06.2023, Az VIa ZR 335/21, geprüft und misst der Berufung keine Erfolgsaussichten bei.
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Jedenfalls im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Klagepartei keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegen die Beklagte zustehen.
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1. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung konnte – selbst bei Unterstellung von unzulässigen Abschalteinrichtungen – durch die Klagepartei nicht dargelegt bzw. nicht nachgewiesen werden, so dass ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB ausscheidet.
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a) Ein Verhalten ist sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Eine Pflichtverletzung und ein Vermögensschaden reichen hierfür nicht aus. Hinzu kommen muss bei einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Verhaltens eine besondere Verwerflichkeit, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 16.9.2021 – VII ZR 190/20 Rn. 13). Wie der BGH im angeführten Urteil ausführlich dargelegt hat, genügt der behauptete Einbau von Abschalteinrichtungen allein nicht, um darzulegen, das Verhalten der Beklagten sei besonders verwerflich gewesen. Voraussetzung der Annahme der Sittenwidrigkeit als objektives Tatbestandsmerkmal ist, dass die Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
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aa) Der Senat unterstellt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Berufung unzulässige Abschalteinrichtungen, die allerdings im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise arbeiten.
22
Die Klagepartei behauptet zwar darüber hinaus eine Prüfstandserkennung mit Umschaltlogik. Dies erfolgt jedoch auch nach Ansicht des Senats unsubstantiiert und ins. Blaue hinein.
23
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs schlüssig und als Prozessstoff erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen.
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Das Gericht muss anhand des Parteivortrages beurteilen können, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Dabei ist die Angabe näherer Einzelheiten nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Hat eine Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrundeliegenden Vorgängen, darf sie auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptungen in den Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von den Einzeltatsachen hat (BGH, Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20). Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei allerdings dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 16.9.2021 – VII ZR 190/20 –, juris; BGH, Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20 –, juris; BGH, Urteil vom 26. April 2022, Az.: VI ZR 435/20 – juris). Auch nach diesem strengen Maßstab fehlt es im Vortrag der Klagepartei an Anhaltspunkten für ihre Behauptung. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
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bb) Während eine Umschaltlogik, wie sie dem Motor EA 189 zugrunde liegt, unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc., vgl. Art. 5 III a der VO [EG] Nr. 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anh. III der VO [EG] Nr. 692/2008 der Kommission v. 18.7.2008 zur Durchführung und Änderung der VO [EG] Nr. 715/2007 [ABl. 2008 L 199 v. 28.7.2008, 1 ff.]) i.V.m. Abs. 5.3.1 und Anh. 4 V.3.1, VI.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. 2006 L 375 v. 27.12.2006, 246 ff.) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (BGH, Beschluss vom 9.3.2021 – VI ZR 889/20 Rn. 27). Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum sogenannten Thermofenster sind auf die weiteren Abschalteinrichtungen zu übertragen, da auch hier ein Gleichlauf auf dem Prüfstand und im realen Straßenbetrieb besteht. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung müssen in einem solchen Fall weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 16.9.2021 – VII ZR 190/20 Rn. 13).
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Bei den bei der Beklagten handelnden Personen müsste zunächst das Bewusstsein vorgelegen haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Dies konnte die Klagepartei jedoch nicht darlegen, sondern sie beschränkt sich auf bloße nicht fundierte Vermutungen. Von der Unzulässigkeit der behaupteten Abschalteinrichtungen ist zwar zu ihren Gunsten auszugehen. Die Auslegung des Unionsrechts zur Zulässigkeit eines Thermofensters wurde jedoch erst durch Urteil des EuGH vom 14.07.2022 (C-134/20) konkretisiert. Auch das KBA erteilte dem Thermofenster vorher eine Genehmigung (siehe EuGH a.a.O.). Es waren jedenfalls im Vorfeld der EuGH-Entscheidung auch andere Rechtsauffassungen verbreitet. Die Klagepartei konnte daher nicht darlegen, dass die handelnden Personen der Beklagtenpartei zumindest billigend in Kauf nahmen, mit den Abschalteinrichtungen gegen europäisches Recht zu verstoßen. Eine nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die objektive Sittenwidrigkeit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rn. 27).
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b) Auch eine Täuschung der Genehmigungsbehörden wird von der Klagepartei ohne ausreichende Tatsachengrundlage lediglich vermutet. Sie leitet eine solche im Wesentlichen aus der Tatsache des Rückrufs her. Dieser mag aber ohne weiteres auch auf einer geänderten Rechtsauffassung des KBA beruhen. Die Beklagte trifft die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, aus denen sich die Verwerflichkeit des Handelns der Mitarbeiter der Beklagten begründen soll (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn, 19).
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c) Die von der Klagepartei behauptete Manipulation des OBD-Systems ließe nicht auf einen bewussten Gesetzesverstoß oder ein auf Täuschung der Genehmigungsbehörden abzielendes sittenwidriges Verhalten schließen. Das OBD-System unterscheidet nicht zwischen einer zulässigen oder einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Arbeitet diese daher wie programmiert, liegt keine Fehlfunktion vor und das OBD-System kann eine solche auch nicht anzeigen (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2021 VIII ZR 190/19, Rn. 91; BGH, Urteil vom 28.10.2021 III ZR 261/20, Rn. 27).
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d) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die von der Klagepartei vorgetragenen Umstände weder ausreichen, um auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der bei der Beklagten verantwortlichen Personen schließen zu können, noch auf eine für den behaupteten Schaden kausale Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörden. Eine sekundäre Darlegungslast bei der Beklagten wird nicht ausgelöst.
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2. Der Klagepartei steht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21) in Verbindung mit dem Urteil des EuGH vom 01.08.2025 (C-666/23) auch kein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
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a) Der Klagepartei ist aufgrund der behaupteten Schutzgesetzverletzung kein ersatzfähiger Differenzschaden entstanden, da dieser durch Restwert und Nutzungsvorteile aufgezehrt ist.
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Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine schuldhafte Schutzgesetzverletzung durch die Beklagte überhaupt erfüllt sind. Selbst bei Annahme der Unzulässigkeit der implementierten Abschalteinrichtungen und einem grundsätzlich bestehenden Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist der Klagepartei aufgrund der durchzuführenden Vorteilsanrechnung durch Berechnung von Restwert und Nutzungsvorteilen nämlich kein Schaden entstanden.
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b) Der Bundesgerichtshof hat in seiner zitierten Rechtsprechung dargelegt, dass ein Vergleich der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses entstandene Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne das Ereignis eingetreten wäre, vorzunehmen sei. Der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs müsste hinter dem Kaufpreis zurückbleiben, weil der Käufer den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben habe.
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Unter der Annahme, der Klagepartei drohten jedenfalls abstrakt aufgrund der zu unterstellenden unzulässigen Abschalteinrichtungen Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung, steht die zweckentsprechende Nutzung des erworbenen Fahrzeugs infrage. Diese damit einhergehende Unsicherheit setzt den objektiven Wert des Kaufgegenstands herab. Schon die Gebrauchsmöglichkeit eines Fahrzeugs ist als solcher ein geldwerter Vorteil. Bei der Schätzung der Schadenshöhe nach § 287 Abs. 1 ZPO hat der BGH einen Rahmen von 5 % bis 15 % des Kaufpreises als möglichen Schadensersatz vorgegeben. Der EuGH hat diese Rechtsprechung mit Urteil vom 01.08.2025 (C-666/23) nicht in Frage gestellt, soweit die Entschädigung eine angemessene Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden darstelle.
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Der Senat hält im Regelfall einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 10 % für einen Pkw für angemessen – hier 1.128 € – aber auch für ausreichend. Vorliegend kann die Höhe des Anspruchs sogar dahinstehen, weil jedweder Schaden durch die Anrechnung von Nutzungsvorteilen und Restwert aufgezehrt wäre.
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aa) Anzurechnen sind nämlich zum einen die Nutzungsvorteile, die hier mit mindestens 9.077 € zu beziffern sind, Der EuGH hat in seinem aktuellen Urteil vom 01.08.2025 (C-666/23) bestätigt, dass Unionsrecht einer Anrechnung nicht entgegenstehe.
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Der Senat bemisst die Nutzungsvorteile bei Pkw (ausschließlich) nach Laufleistung auf Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km. Dies steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der mit Dieselverfahren befassten Senate des OLG Nürnberg. Unter Berücksichtigung des am 28.07.2025 zuletzt mitgeteilten Kilometerstandes von 224.314 km, von dem auf die Zeit des klägerischen Besitzes 105.814 km entfallen, errechnen sich nach der Formel (105.814 gefahrene km × 11.280 € Kaufpreis) / 131.500 km Restlauf bei Erwerb anzurechnende Nutzungsvorteile in Höhe von gerundet 9.077 €.
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bb) Daraus folgt, dass ein möglicher Schaden der Klagepartei ab einem Restwert seines Fahrzeugs von mindestens 2.203 € vollständig aufgezehrt wäre.
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Den Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs schätzt der Senat allerdings auf mindestens 5.000 €. Eine aktuelle FIN-Abfrage bei SchwackeNet vom 05.08.2025 ergab einen Zeitwert von 6.300 € und einen Tagespreis von 5.280 €.
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cc) Die zu berücksichtigenden Vorteile der Klagepartei addieren sich somit auf mindestens 14.077 €, also einen Betrag, der den von ihr gezahlten Kaufpreis deutlich übersteigt.
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Der Senat regt daher an, die Berufung zur Einsparung weiterer Kosten zurückzunehmen. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Geschäftsgebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).