Titel:
Abschalteinrichtung, Klagepartei, Sittenwidrigkeit, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Rechtsprechung des BGH, Schutzgesetzverletzung, Nutzungsvorteil, Arglistige Täuschung, Besondere Verwerflichkeit, Differenzschaden, Rechtshängigkeit, Erstinstanzliches Vorbringen, Anrechnung, Gesamtlaufleistung, Vorteilsanrechnung, Berufungsrücknahme, Unzulässigkeit, Schadensschätzung, Nutzungsentschädigung, Geschäftsgebühr
Schlagworte:
Abschalteinrichtung, Thermofenster, Sittenwidrige Schädigung, Nutzungsvorteile, Differenzschaden, Typengenehmigung, Vermögensschaden
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 27.09.2022 – 17 O 2520/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22365
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27.09.2022, Az. 17 O 2520/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei fordert von der Beklagten als Herstellerin des von ihr erworbenen Pkw Opel Zafira Tourer Innovation 2.0 CDTI, Euro 5, Schadensersatz mit der Begründung, das Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet.
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Die Klagepartei bestellte den Pkw am 22.11.2013 als Neufahrzeug (Kilometerstand 0) zum Preis von 30.900 €. Die Erstzulassung erfolgte am 23.01.2014. Am 11.07.2025 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 254.030 km auf.
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Das Fahrzeug unterliegt keinem Rückruf durch das KBA und ist für die Klagepartei seit dem Kauf uneingeschränkt nutzbar gewesen. Ein Software-Update musste unstreitig bislang nicht aufgespielt werden.
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Die Klagepartei behauptet, das Fahrzeug sei mit folgenden unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet:
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Das Fahrzeug sei mit einem Emissionskontrollsystem versehen, welches in Abhängigkeit u. a. von Umgebungsluftdruck (unterhalb 91,5 kPa) und Motorendrehzahl (oberhalb von 2.750 U/min) in seiner Wirkungsweise verringert werde. Die Abgasreinigung wechsele aufgrund einer Softwarefunktion 1180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen Betriebsmodus (den „schmutzigen“ Abgasmodus) und schalte auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen um. Darüber hinaus sei eine Software verbaut, die bewirke, dass im normalen Straßenbetrieb, mindestens bereits bei einer Außentemperatur von +17 Grad Celsius, bei weitem mehr Stickoxid ausgestoßen werde, als das für das streitgegenständliche Fahrzeug mit Euro 5 Abgasnorm zulässig sei („Thermofenster“).
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Die Klagepartei vermutet eine Prüfstandsmanipulation. Die Abgasreinigung werde aktiviert, wenn genau die Bedingungen des NEFZ nachgebildet werden was aber – so ihr eigenes Vorbringen – in der Theorie auch auf der Straße geschehen könne. Sobald das Fahrzeug zu normalen Straßenbetriebsbedingungen fährt, werde aber die Abgasreinigung gedrosselt und der Stickoxid-Ausstoß steige. Das OBD-System sei manipuliert und zeige die Überschreitung des zulässigen Stickoxidausstoßes nicht an.
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Der Klagepartei drohe die Entziehung der Betriebserlaubnis. Ein Vermögensschaden sei entstanden, weil die Klagepartei ein Fahrzeug erhalten habe, welches den gesetzlichen Vorgaben nicht entspreche. Darüber seien die Klagepartei und die Zulassungsbehörde vorsätzlich von den Beklagten getäuscht worden. Die Vorstände der Beklagten hätten dies zwingend gewusst und aus eigenem Gewinnstreben Dieselmotoren entwickelt, die nicht die Voraussetzungen der Euro – Norm erreichten. Auch die Schädigung sei vorsätzlich erfolgt.
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Die Beklagte wendet dagegen ein, dass bei der Beantragung der EG-Typengenehmigung keine Täuschung erfolgt sei. Die Abgasrückführung des streitgegenständlichen Fahrzeugs arbeite auf dem Prüfstand nicht anders als auf der Straße. Auch die Mitarbeiter der Beklagten seien stets davon ausgegangen, dass die hergestellten Fahrzeuge den geltenden Vorschriften entsprächen.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug erfülle die gesetzlichen Anforderungen; die Gefahr einer Stilllegung bestehe nicht.
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Die Beklagte bestreitet weder ein sog. Thermofenster, noch eine Steuerung der AGR nach Drehzahl und Umgebungsluft. Die AGR werde aber nicht unterhalb von 17 °C deaktiviert, sondern erst unterhalb von minus 10 °C. Von dieser tiefsten Temperatur werde der Sauerstoff-Sollwert im Brennraum verringert und dementsprechend die AGR-Rate stufenweise erhöht, bis ab 17 °C der minimale Sauerstoffanteil und dementsprechend die maximal in die Brennkammer des Motors rückführbare Abgasmenge erreicht werde. Deaktiviert werde die AGR des streitgegenständlichen Motortyps wiederum erst oberhalb von 40 °C. Das Thermofenster wirke – wie die weiteren parametergesteuerten Abschaltungen nach Drehzahl oder Umgebungsdruck – einer Versottung entgegen. Die Versottung könne zu einem Feststecken der Motorventile und in der Folge zu Fahrzeugruckeln aufgrund instabiler Verbrennung führen, was zu erheblicher Gefährdung der Verkehrssicherheit führen könne. Bei längerem Auftreten würde der Kolben und das Motorventil Schaden nehmen mit der Folge einer Beschädigung des Motors und eines sofortigen Motorstillstands. Es erfolge keine Abschaltung anhand einer fixierten Drehzahl, sondern eine variable Ausgestaltung anhand technischer und physikalischer Erfordernisse. Danach erfolge eine maßgebliche Reduktion der AGR je nach Motorlast erst ab Drehzahlen im Bereich von 3.000 U/min bis 3.300 U/min. Technische und physikalische Erfordernisse bringe auch steigender Umgebungsluftdruck mit sich. Die mit dem Umgebungsluftdruck abnehmende Sauerstoffkonzentration führe zu einer schlechteren Effizienz der Verbrennung und damit zu vermehrter Bildung von Kohlenwasserstoff und Ruß, weil der Massenanteil des Kraftstoffs im Verhältnis zum Sauerstoff zunimmt („fetteres Gemisch“) mit Gefahren von Motorschäden und für die Verkehrssicherheit durch Motoraussetzer. Parametergesteuerte Emissionskontrollsysteme dienten nicht der Umgehung der NEFZ-Emissionsprüfung mittels der „An-aus-Logik“ einer Prüfzykluserkennung,
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Die Beklagte bestreitet eine vorsätzliche Schädigung und einen Schaden der Käufer.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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Die Klagepartei verfolgt mir ihrer Berufung die erstinstanzlichen Ansprüche weiter bei Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens. Der Vortrag der Klagepartei sei zu allen Punkten substantiiert erfolgt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.
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Die Klagepartei beantragt unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth
I. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerpartei EUR 32.466,39 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel, Zafira Tourer, mit der Fahrgestellnummer W0L … zu zahlen;
II. das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth Az. 17 O 2520/22 aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen.
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Zusätzlich beantragt die Klagepartei hilfsweise mit Schriftsatz vom 21.11.2023:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 4.869,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf das erstinstanzliche Urteil, sowie auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze, Bezug genommen.
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Der Senat hat das Vorbringen der Klagepartei, auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH vom 26.06.2023, Az VIa ZR 335/21, geprüft und misst der Berufung keine Erfolgsaussichten bei.
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Jedenfalls im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Klagepartei keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegen die Beklagte zustehen.
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Auf die Hinweise des Senats vom 24.06.2025 und vom 16.07.2025 wird Bezug genommen.
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1. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung konnte – selbst für den Fall, dass die unstreitig implementieren Abschalteinrichtungen bzw. parametergesteuerten Emissionskontrollsysteme unzulässig sein sollten – durch die Klagepartei nicht dargelegt bzw. nicht nachgewiesen werden, so dass ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte ausscheidet.
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Unabhängig davon wäre hier auch ein wirtschaftlicher Nutzen des geltend gemachten großen Schadensersatzes für die Klagepartei unter Anrechnung von Nutzungsvorteilen bei einer Fahrleistung von mehr als 250.000 km in Frage gestellt. Insoweit wird auf die Ausführungen zur Berechnung von Nutzungsvorteilen unter 2. verwiesen.
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a) Ein Verhalten ist sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Eine Pflichtverletzung und ein Vermögensschaden reichen hierfür nicht aus. Hinzu kommen muss bei einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Verhaltens eine besondere Verwerflichkeit, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 16.9.2021 – VII ZR 190/20 Rn. 13). Wie der BGH im angeführten Urteil ausführlich dargelegt hat, genügt der behauptete Einbau von Abschalteinrichtungen allein nicht um darzulegen, das Verhalten der Beklagten sei besonders verwerflich gewesen. Voraussetzung der Annahme der Sittenwidrigkeit als objektives Tatbestandsmerkmal ist, dass die Personen bei der Entwicklung und/ oder Verwendung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Aufgrund der von der Klagepartei geschilderten Wirkweise der beanstandeten Abschalteinrichtungen arbeiteten beide im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise.
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Während eine Umschaltlogik, wie sie dem Motor EA 189 zugrunde liegt, unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperatur-abhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc., vgl. Art. 5 III a der VO [EG] Nr. 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anh. III der VO [EG] Nr. 692/2008 der Kommission v. 18.7.2008 zur Durchführung und Änderung der VO [EG] Nr. 715/2007 [ABl. 2008 L 199 v. 28.7.2008, 1 ff.]) i.V.m. Abs. 5.3.1 und Anh. 4 V .3.1, VI.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. 2006 L 375 v. 27.12.2006, 246 ff.) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (BGH, Beschluss vom 9.3.2021 – VI ZR 889/20 Rn. 27). Die Ausführungen des BGH zum sogenannten Thermofenster sind auf andere parametergesteuerte Abschalteinrichtungen zu übertragen, wenn wie hier ein Gleichlauf auf dem Prüfstand und im realen Straßenbetrieb besteht. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung müssen in einem solchen Fall weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.
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Bei den bei der Beklagten handelnden Personen müsste zunächst das Bewusstsein vorgelegen haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Dies konnte die Klagepartei jedoch nicht darlegen. Von der Unzulässigkeit der behaupteten Abschalteinrichtungen ist zwar zu ihren Gunsten auszugehen. Hinsichtlich des Thermofensters wurde dies jedoch erst durch Urteil vom 14.07.2022 (EuGH (Große Kammer), Urteil vom 14.7.2022 – C-134/20 (IR/Volkswagen AG) präzisiert. Das KBA erteilte dem Thermofenster vorher eine Genehmigung (siehe EuGH a.a.O.). Es waren jedenfalls im Vorfeld der EuGH – Entscheidung auch andere Rechtsauffassungen zur Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen bzw. einem parametergesteuerten Emissionskontrollsystem verbreitet. Die Klagepartei konnte daher nicht darlegen, dass die handelnden Personen der Beklagten zumindest billigend in Kauf nahmen, mit den Abschalteinrichtungen gegen europäisches Recht zu verstoßen. Dies vermutet sie zwar, belässt aber insoweit bei einer Behauptung ins Blaue hinein. Die von ihr zitierten Zeitungsartikel sind nicht geeignet, einen konkreten Anhaltspunkt für einen entsprechenden Vorsatz zu begründen. Eine nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die objektive Sittenwidrigkeit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rn. 27).
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b) Auch eine Täuschung der Genehmigungsbehörden erscheint bei deren früherer weiter Auslegung von zulässigen Abschalteinrichtungen als zu weit hergeholt. Die Klagepartei konnte nicht ausreichend substantiiert darlegen, dass den zuständigen Behörden nicht bekannte unzulässige Abschalteinrichtungen in den Fahrzeugen verbaut wurden, auf welche sich die Typengenehmigung bezieht und die Beklagte diese im Typengenehmigungsverfahren bewusst verschwiegen hätte. Sie differenziert schon nicht danach, welche Angaben zu Abschalteinrichtungen und den zugrundeliegenden Emissionsstrategien im konkreten Fall im Typgenehmigungsverfahren zu machen gewesen wären. Sie trifft aber die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, aus denen sich die Verwerflichkeit des Handelns der Mitarbeiter der Beklagten begründen soll (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 19).
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c) Die von der Klagepartei behauptete Manipulation des OBD-Systems ließe nicht auf einen bewussten Gesetzesverstoß oder ein auf Täuschung der Genehmigungsbehörden abzielendes sittenwidriges Verhalten schließen. Das OBD-System unterscheidet nicht zwischen einer zulässigen oder einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Arbeitet diese daher wie programmiert, liegt keine Fehlfunktion vor und das OBD-System kann eine solche auch nicht anzeigen (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2021 VIII ZR 190/19, Rn. 91; BGH, Urteil vom 28.10.2021 III ZR 261/20, Rn. 27).
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d) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die von der Klagepartei vorgetragen Umstände weder ausreichen, um auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der bei den Beklagten verantwortlichen Personen schließen zu können, noch auf eine für den behaupteten Schaden kausale Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörden. Eine sekundäre Darlegungslast bei der Beklagten wird nicht ausgelöst.
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2. Der Klagepartei steht auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH (Urt. vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21) kein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Der Differenzschaden ist jedenfalls durch die Anrechnung von Nutzungsvorteilen aufgezehrt.
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a) Ein Anspruch auf Gewährung des „großen“ Schadensersatzes besteht nicht. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i.V.m. Art. 5 VO (EG) 715/2007 schützen zwar das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf. Der Schutz erstreckt sich aber nicht auf das Interesse des Käufers, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden (BGH a.a.O, Rn. 19 ff.): „Denn aus der Verpflichtung des Herstellers zur Einhaltung des europäischen Abgasrechts und einer auch darauf bezogenen, dem Käufer ausgehändigten Bescheinigung ergibt sich nicht automatisch ein neben die kaufrechtliche Sachmängelgewährleistung des Verkäufers und die deliktische Haftung des Herstellers für Vermögensschäden nach der Differenzhypothese tretender Anspruch des Käufers auf eine vom Vorliegen eines Vermögensschadens nach der Differenzhypothese unabhängige, wirtschaftliche Rückabwicklung des Kaufvertrags im Verhältnis zum Hersteller bei einem Verstoß gegen Art. 5 II VO (EG) 715/2007 und der Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung“ (BGH a.a.O. Rn. 23). Der BGH stellt hierbei auf den unterschiedlichen Unwertgehalt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung einerseits und einer schuldhaften Schutzgesetzverletzung andererseits ab.
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b) Der Klagepartei ist aufgrund der behaupteten Schutzgesetzverletzung auch kein ersatzfähiger Differenzschaden entstanden, da dieser bereits durch Nutzungsvorteile aufgezehrt ist.
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Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine schuldhafte Schutzgesetzverletzung durch die Beklagte erfüllt sind. Selbst bei Annahme mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen und einem grundsätzlich bestehenden Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist der Klagepartei aufgrund der durchzuführenden Vorteilsanrechnung durch Berechnung von Nutzungsvorteilen kein Schaden entstanden.
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c) Der Bundesgerichtshof hat in seiner zitierten Rechtsprechung dargelegt, dass ein Vergleich der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses entstandene Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne das Ereignis eingetreten wäre, vorzunehmen ist. Der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs müsste hinter dem Kaufpreis zurückbleiben, weil der Käufer den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene Risiken zu teuer erworben hat.
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Unter der Annahme, der Klagepartei drohten jedenfalls abstrakt aufgrund der zu unterstellenden unzulässigen Abschalteinrichtungen Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung oder – untersagung, steht die zweckentsprechende Nutzung des erworbenen Fahrzeugs infrage. Diese damit einhergehende Unsicherheit setzt den objektiven Wert des Kaufgegenstands herab.
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Schon die Gebrauchsmöglichkeit eines Fahrzeugs ist als solcher ein geldwerter Vorteil. Bei der Schätzung der Schadenshöhe nach § 287 Abs. 1 ZPO hat der BGH einen Rahmen von 5 % – 15 % des Kaufpreises als möglichen Schadensersatz vorgegeben. Bei der Ausfüllung dieser Bandbreite im Rahmen der Schadenschätzung sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen und in die Abwägung einzustellen.
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aa) In der Regel spricht der Senat bei Pkw Schadensersatz in Höhe von 10 % des Kaufpreises zu, was im konkreten Fall einem Betrag von 3.090 € entsprechen würde. Es handelt sich um einen Betrag, der auch hier geeignet wäre, den erlittenen Schaden angemessen auszugleichen.
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bb) Es könnte allerdings sogar offen bleiben, ob 10 % im konkreten Einzelfall eine angemessene Wiedergutmachung im Sinne des Urteils des EuGH vom 01.08.2025 (C-666/23) für den erlittenen Schaden sind. Denn selbst wenn man der Klagepartei 15 % (oder sogar mehr) zubilligen würde, wäre ein Anspruch auf Schadensersatz inzwischen durch die Anrechnung von Nutzungsvorteilen vollständig aufgezehrt.
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cc) Die Klagepartei muss sich nach der Rechtsprechung des BGH (z.B. Urt. v. 26.06.2023, VIa ZR 335/21 Rn 80 – juris) Nutzungsvorteile seit dem Kauf anrechnen lassen. Diese Vorteilsanrechnung ist nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH mit dem Unionsrecht vereinbar (Urt. v. 01.08.2025, C – 666/23).
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dd) Der Senat bemisst die Nutzungsvorteile bei Pkw ausschließlich nach Laufleistung auf Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km. Dies steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der mit Dieselverfahren befassten Senate des OLG Nürnberg.
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So führt der 17. Zivilsenat in ständiger Rechtsprechung zur Begründung überzeugend aus:
„Dabei geht der Senat ausgehend von Fahrzeugtyp und Baujahr (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2021 – VI ZR 812/20, Rn. 16 bei juris) und den weiteren maßgeblichen Überlegungen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20, Rn. 58 ff. bei juris), insbesondere aufgrund der Motorengröße und -leistung von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des klägerischen Fahrzeugs von 250.000 km aus (§ 287 ZPO). Dieser Schätzwert bewegt sich innerhalb des üblichen Schätzungsrahmens für Dieselfahrzeuge (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2021 – VI ZR 480/19, Rn. 23 ff bei juris; BGH, Urteil vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20, Rn. 71 bei juris; BGH, Urteil vom 27. April 2021 – VI ZR 812/20, Rn. 16 bei juris; BGH, Beschluss vom 30. Januar 2024 – VIa ZR 673/23, Rn. 18 bei juris). Der Senat orientiert sich an der Faustformel, wonach bei mittleren Motoren, wie hier, bis etwa 2,5 l Hubraum und 250 PS die Gesamtlaufleistung auf allenfalls 250.000 km zu schätzen ist (vergleiche Reinking/Eggert „Der Autokauf“, 15. Aufl. 2024, Kapitel 9 Rn. 356).
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ee) Bei einem Kilometerstand von – wie hier – mehr als 250.000 km ist der zuerkannte Differenzschaden vollständig aufgezehrt.
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Der Senat teilt nicht die Ansicht der Klagepartei, dass ungeachtet von gezogenen Nutzungen und verbleibenden Restwert ein Schadensersatzanspruch zuzuerkennen ist bzw. der zuerkannte Schaden nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 01.08.2025, C – 666/23) nicht vollständig aufgezehrt werden dürfe.
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Auch nach der Rechtsprechung des EuGH geht es um den Ausgleich eines „Schadens“ des Käufers. Damit ist weder eine bloße Sanktion des Fahrzeugherstellers gemeint noch ein rein immaterieller Schaden. Der Bundesgerichtshof hat dementsprechend mit Urteil vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21) entschieden, dass ein Vergleich der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses entstandene Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne das Ereignis eingetreten wäre, vorzunehmen sei. Der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs müsse hinter dem Kaufpreis zurückbleiben, weil der Käufer den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben habe. Diese Rechtsprechung hat der EuGH im Großen und Ganzen gebilligt.
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Summieren sich aber die Vermögensvorteile auf einen Betrag, der den gezahlten Kaufpreis abdeckt und damit den Minderwert des Fahrzeugs beim Kauf vollständig ausgleicht, verbleibt dem Käufer kein Schaden. Eine Bereicherung des Käufers ist nach dem Verständnis des Senats der Urteile des EuGH vom 21.03.2023 (C-100/23) und vom 01.08.2025 (C-666/23) nicht angestrebt.
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Das Ergebnis scheint dem Senat auch nicht unbillig. Die Klagepartei hat ein Fahrzeug erworben, dass sie beanstandungsfrei über mehr als 11 Jahre und mit einer Laufleistung von mehr 250.000 km nutzen konnte. Ein etwaiger 2014 erlittener Schaden hätte, wenn auch ohne Zutun der Beklagten, eine Wiedergutmachung erfahren.
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Der Senat regt daher nochmals an, die Berufung zur Einsparung weiterer Kosten zurückzunehmen. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Geschäftsgebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).