Titel:
Baugenehmigung für Feuerwehrgerätehaus (Nachbarklage), Kostenentscheidung nach übereinstimmender Hauptsacheerledigung
Normenketten:
VwGO § 161 Abs. 2
BayBO Art. 6
BayBO Art. 63
Schlagworte:
Baugenehmigung für Feuerwehrgerätehaus (Nachbarklage), Kostenentscheidung nach übereinstimmender Hauptsacheerledigung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 22079
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger hat den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 4. August 2025 in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der Beklagte hat der Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 5. August 2025 unter Verwahrung gegen die Kostenlast zugestimmt.
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1. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen und gemäß § 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Hierfür ist gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwGO der Berichterstatter zuständig.
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2. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entspricht es im vorliegenden Fall billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dem Kläger aufzuerlegen.
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a) Die Kosten können nicht allein deshalb dem Kläger auferlegt werden, weil er den Rechtsstreit für erledigt erklärt hat. Denn die Erledigungserklärung des Klägers beruht nicht auf einer bloßen Willensänderung im Sinne eines Nachgebens, sondern ist durch die Aufhebung der gemeindlichen Abstandsflächensatzung wenige Tage nach Klageerhebung, also eine im Verfahren zu berücksichtigende Änderung der Rechtslage motiviert. Diese Änderung der Rechtslage beruht aber auch nicht auf einem Willensentschluss des Beklagten und fällt auch nicht in seine Sphäre, sondern in die der Beigeladenen, sodass eine Kostentragung des Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Herbeiführung des erledigenden Ereignisses ausscheidet. Der Beigeladene hat wiederum keine Anträge gestellt, sodass ihm nach der Wertung des § 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO trotz Herbeiführung des erledigenden Ereignisses grundsätzlich keine Kosten auferlegt werden können (vgl. VG Stuttgart, B.v. 4.4.2005 – 2 K 4689/04, BeckRS 2005, 25730 für die Erledigung einer Nachbarklage durch Rücknahme eines Vorbescheidsantrags durch den beigeladenen Bauherrn). Überdies hat der Beigeladene durch Aufhebung der Abstandsflächensatzung auch nicht in dem Sinn nachgegeben, dass er die Rechtswidrigkeit der Abweichung oder der Satzung anerkannt hätte. Das Vorgehen des Beigeladenen erscheint vielmehr als Versuch, das Risiko eines möglicherweise über längere Zeit schwebenden Prozesses zu beseitigen und zügig mit dem Bau beginnen zu können. Vor diesem Hintergrund entspricht es nicht der Billigkeit, dem Beigeladenen die gesamten Verfahrenskosten aufzuerlegen. Er hat aber – wie tenoriert – seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, da er keine Anträge gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
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b) Auch unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens (§§ 154 Abs. 3 Halbs. 2, 155 Abs. 4 VwGO) kommt eine (weitergehende) Kostentragung durch den Beklagten oder Beigeladenen nicht in Betracht. § 155 Abs. 4 VwGO ist eine restriktiv handzuhabende Ausnahmeregelung, die nur dann und nur insoweit eingreifen kann, wie Kosten durch eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung eines Beteiligten verursacht worden sind. Dem Beklagten fällt ein Verschulden nicht zur Last, denn mangels Normverwerfungskompetenz hatte das Landratsamt die im Zeitpunkt des Bescheiderlasses geltende Abstandsflächensatzung anzuwenden; diese war auch nicht offensichtlich rechtswidrig, sodass dem Beklagten nicht vorgeworfen werden kann, dass er nicht im Wege der Kommunalaufsicht auf Aufhebung der Abstandsflächensatzung gedrungen hat. Auch den Beigeladenen trifft kein Verschulden. Ihm stand es frei, die unter Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften erteilte Baugenehmigung im gerichtlichen Verfahren zu verteidigen oder der Abweichung durch Aufhebung der Abstandsflächensatzung die Grundlage zu entziehen, um einen möglicherweise langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden. Ebenso war der Beigeladene nicht gehalten, die Abstandsflächensatzung vor Genehmigungserteilung aufzuheben; ebenso gut konnte er stattdessen – wie geschehen – eine Abweichung beantragen. Von einem Fehlverhalten des Beigeladenen kann – anders als z.B. bei der unberechtigten Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens durch eine beigeladene Gemeinde (vgl. VG München, B.v. 10.3.2023 – M 11 K 22.5151 – BeckRS 2023, 4576) – nicht die Rede sein. Zudem ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei Aufhebung der Abstandsflächensatzung vor Klageerhebung die Klage nicht erhoben hätte, die Nicht-Aufhebung der Abstandsflächensatzung also ursächlich für die Klageerhebung und damit für die Prozesskosten war. Denn der Kläger hat seine Klage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht allein darauf gestützt, dass die erteilte Abweichung vom Abstandsflächenrecht rechtswidrig war, sondern auch auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch Immissionen und durch Einsichtsmöglichkeiten sowie Verstöße gegen Brandschutzvorschriften.
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c) Da sich die Frage der Kostenverteilung weder unter Veranlassungs- noch unter Verschuldensgesichtspunkten beantworten lässt, sind die Erfolgsaussichten der Klage in den Blick zu nehmen. Dabei stellt sich im Ausgangspunkt die Frage, wie sich eine während des Rechtsstreits eingetretene Rechtsänderung auf die Frage der Kostenverteilung auswirkt. Diese Frage wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet:
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Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs muss in Rechtsstreiten, bei denen die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder eines gleichzusetzenden Zeitpunkts maßgebend ist, bei einer Neuregelung zuungunsten einer Partei vor diesem Zeitpunkt stets auch zu deren Ungunsten entschieden und müssen ihr die Kosten kraft Gesetzes auferlegt werden, ohne dass es darauf ankäme, ob diese Partei bis zur Rechtsänderung im Recht gewesen ist (BFH, B.v. 31.8.1976 – VII R 20/74 – juris Rn. 6 ff.). Nach einer anderen Auffassung sollen die Kosten des Rechtsstreits stets der Behörde aufzuerlegen sein, da diese das Risiko des Bestandes eines belastenden Verwaltungsakts tragen müsse (vgl. OVG NW, B.v. 14.3.1963 – 63 IV A 884/61 – DVBl. 1963, 638), während nach wieder anderer Ansicht die Kosten zumindest hälftig zu teilen sein sollen (OVG NW, B.v. 22.9.1972 – I B 459/72 – NJW 1973, 386).
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Nach wohl herrschender Ansicht soll hingegen derjenige Beteiligte die Kosten tragen, der ohne die Rechtsänderung voraussichtlich unterlegen wäre (VGH BW, B.v. 8.12.1994 – 10 S 1603/94 – NVwZ-RR 1995, 302; BayVGH, B.v. 17.10.2005- 11 ZB 03.30717 – juris Rn. 9; B.v. 25.1.1961 – 46 VI 59 – VGH n.F. 14, 8/9 f.; Clausing in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 46. EL August 2024, § 161 Rn. 23; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 161 Rn. 17; Just in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 161 VwGO Rn. 31; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 91). Dieser Auffassung schließt sich das Gericht an. Sie entspricht der Billigkeit besser als die schematischen Lösungen der oben genannten Auffassungen. Denn nach der hier vertretenen Ansicht trägt der Kläger die Kosten nur dann, wenn seine Klage von Anfang an unzulässig oder unbegründet war; war sie hingegen zulässig und begründet, der Beklagte also ursprünglich im Unrecht, so trägt dieser die Kosten (und ggf. ein ihm beigesprungener Beigeladener).
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d) Nach der demnach erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung wäre der Kläger auch ohne Aufhebung der Abstandsflächensatzung voraussichtlich unterlegen, da die von dem Beklagten erteilte, durch die Aufhebung der Abstandsflächensatzung gegenstandslos gewordene Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften den Kläger voraussichtlich nicht in seinen Rechten verletzte und die übrigen Einwände des Klägers gegen die Baugenehmigung vom 17. März 2025 nach den hier in Bezug genommenen Ausführungen in dem Beschluss vom 2. Juli 2025 (Az. M 11 SN 25.2449) seiner Klage voraussichtlich nicht zum Erfolg verholfen hätten.
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aa) Die für die Zulassung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO auch weiterhin erforderliche (BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Rn. 26; B.v. 18.3.2025 – 1 ZB 24.142 – juris Rn. 17) sog. Atypik ergibt sich vorliegend aus dem Interesse der Beigeladenen, das neue Feuerwehrgerätehaus am selben Standort zu realisieren, dem „hutähnlichen“ Grundstückszuschnitt, der eine Bebauung praktisch nur im mittleren Bereich zulässt, sowie aus dem Umstand, dass die westliche Außenwand des geplanten Gebäudes auf derselben Länge und im selben Abstand zum Grundstück des Klägers errichtet werden soll wie die des Altbestands.
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bb) Die Zulassung der Abweichung ist nach summarischer Prüfung auch unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und bei Würdigung sowohl gesetzlich definierter überragender öffentlicher wie auch öffentlich-rechtlich geschützter nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar. Das klägerische Grundstück ist unbebaut. Es spricht viel dafür, dass es im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gelegen und deshalb einer Bebauung nur in engen Grenzen zugänglich ist. Das Grundstück ist ca. 570 m2 groß, die hierauf entfallende Abstandsflächenüberschreitung beläuft sich auf 5,7 m2, d.h. etwa 1% der Grundstücksfläche. Überdies ist im Wesentlichen nur die östliche Spitze des trapezförmigen Grundstücks betroffen. Vor diesem Hintergrund wird die bauliche Nutzbarkeit des klägerischen Grundstücks nur geringfügig beschränkt; insbesondere wäre eine Bebauung, wie sie sich aus dem als Anlage AST 2 im Eilverfahren (M 11 SN 25.2449) vorgelegten Lageplan ergibt, wohl – auch wenn dies ohne maßstabsgetreuen Plan nicht abschließend beurteilt werden kann – ohne Abstandsflächenverstoß möglich. Zudem käme es für den Kläger durch Errichtung des Neubaus zu keiner wesentlichen Verschlechterung der abstandsflächenrechtlichen Situation. Die Länge der Außenwand (9,24 m) und der Abstand zum klägerischen Grundstück (mind. 3,0 m an der östlichen Ecke des Klägergrundstücks) sollen, soweit ersichtlich, unverändert blieben. Zwar soll die Firsthöhe statt bisher 6,80 m künftig 7,39 m betragen. Die Westseite des Feuerwehrgerätehauses soll aber künftig nicht mehr als Trauf-, sondern als Giebelseite ausgeführt werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass es dadurch zu einer nennenswerten Verschlechterung im Hinblick auf Belüftung, Belichtung oder Besonnung des Klägergrundstücks kommt, zumal die gesetzlichen Mindestvorgaben aus Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO eingehalten werden. Demgegenüber wurde die Abweichung für ein Vorhaben erteilt, das der Erfüllung der gemeindlichen Verpflichtung zur Aufstellung, Ausrüstung und Unterhaltung gemeindlicher Feuerwehren (Art. 83 Abs. 1 BV, Art. 57 Abs. 1 GO, Art. 1 Abs. 1 und 2 BayFwG) dient, also gewichtigen öffentlichen Interessen. Für eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange i.S.v. Art. 3 Satz 1 BayBO ist nichts ersichtlich, vielmehr dient das Vorhaben der öffentlichen Sicherheit.
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cc) Vor diesem Hintergrund begegnet auch die Ausübung des tatbestandlich intendierten Ermessens (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2015 – 22 ZB 14.2340 – juris Rn. 15 f.) im Rahmen der summarischen, durch § 114 VwGO eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung keinen durchgreifenden Bedenken.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025.