Titel:
Kein Schadensersatzanspruch wegen Inverkehrbringens des Impfstoffs "Comirnaty"
Normenketten:
AMG § 8, § 10, § 11, § 11a, § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 84a Abs. 1 S. 1, S. 2, § 87 S. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 3a, § 96 Nr. 3
BGB § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 826
GenTG § 32 Abs. 1, Abs. 5, § 37 Abs. 1
Leitsätze:
Ein Schadensersatzanspruch wegen schädlicher Wirkungen des Impfstoffs „Comirnaty“ besteht nicht, da die Nutzen-Risiko-Abwägung positiv ausfällt und keine schädlichen Wirkungen über ein vertretbares Maß hinausgehen. (Rn. 28-39) (Rn. 32 – 49)
1. Ein Anspruch aus § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 87 S. 2 AMG besteht nur dann, wenn der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Gebrauchsinformation oder Fachinformation eingetreten ist. Darüber hinaus setzt eine Haftung voraus, dass der Schaden gerade auf die fehlerhafte Arzneimittelinformation zurückgeht (Anschluss an OLG Bamberg BeckRS 2024, 7784). (Rn. 50 – 58) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Auskunftsanspruch gemäß § 84a Abs. 1 S. 1 AMG besteht nicht, wenn ein Sachadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 AMG von vornherein nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist. (Rn. 64 – 68) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Impfstoff "Comirnaty", Anspruch auf Schadensersatz, Arzneimittelsicherheit, Auskunftsanspruch, Nebenwirkungen, Nutzen-Risiko-Abwägung, Zulassungsentscheidung, fehlerhafte Arzneimittelinformation
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21853
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 105.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht Ansprüche auf Zahlung von immateriellem Schadensersatz sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten im Zusammenhang mit einer Impfung mit dem Impfstoff „Comirnaty“ geltend. Ferner begehrt die Klagepartei die Erfüllung eines Auskunftsanspruchs nach § 84a AMG.
2
Ende 2019 traten in der Volksrepublik China erste Fälle einer durch ein neuartiges Virus (SARS-CoV-2) verursachten Erkrankung auf. SARS-CoV-2 ist ein hochansteckendes Virus, das sich sehr schnell global ausbreitete. Seit Beginn des Jahres 2020 grassierte weltweit die COVID-19 Pandemie. Im Januar 2020 erreichte sie auch Deutschland. Diese Pandemie führte weltweit zu erheblicher Morbidität und Mortalität sowie weitreichenden Belastungen im Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftsbereich. Bis Ende Februar 2023 zählte die WHO mehr als 6,8 Millionen Todesfälle und ca. 758 Millionen bestätigte Fälle von COVID-19. Deutschland zählte Ende Februar 2023 mehr als 38.000.000 bestätigte Fälle von COVID-19 und ca. 168.000 Todesfälle.
3
Die Beklagte ist Inhaberin der Zulassung für den COVID-19-Impfstoff „Comirnaty“ in der EU, einschließlich Deutschland.
4
Der Impfstoff wurde erstmals am 21.12.2020 durch die Europäische Kommission bedingt zugelassen. Die Standardzulassungsentscheidung der Europäischen Kommission stammt vom 10.10.2022 (Anlage B8). Dieser ging eine Stellungnahme der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), deren Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP), vom 15.09.2022 voraus (Anlage B9). Aufgrund der Bewertung der CHMP vom 30.08.2023 (Anlage B6) wurde der auf die Omikron-Variante des SARS-CoV-2-Virus angepasste Impfstoff Comirnaty ebenfalls von der Europäischen Kommission europaweit am 31.08.2023 zugelassen. Am 27.06.2024 und am 19.09.2024 erfolgten erneute Zulassungsempfehlungen durch das CHMP für den an die Omikron-Varianten JN.1 und KP.2 angepassten Impfstoff. Die EU-Kommission setzte die Empfehlung um und änderte mit Beschlüssen vom 03.07.2024 (Anlage B 35) und vom 26.09.2024 (Anlage B 41) den Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022.
5
Der am 1992 geborene Kläger wurde am 06.2021 mit dem Impfstoff der Firma geimpft.
6
Am 11.2021 erfolgte die zweite hier streitgegenständliche Impfung mit dem Impfstoff „Comirnaty“ der Beklagten.
7
Am 11.2021 begab sich der Kläger in die Behandlung zu seinem Augenarzt (Anlage K10). Anschließend war der Kläger vom 11.2021 bis 12.2021 stationär in der neurologischen Klinik des Klinikums Dort wurde die Diagnose „Hemianopsie nach rechts DD i. R. Demyelinisierenden Enzephalitis (ADEM), Borreliose“ gestellt (vgl. Anlage K9).
8
Vom 12.2021 bis 12.2021 wurde der Kläger stationär im Universitätsklinikum behandelt, wo als Diagnose Homonyme Hemianopsie nach rechts unklarer Ätiologie (K11) angegeben wurde.
9
Am 01.2022 ergab ein Antikörpertest auf SARS-CoV2 Spike Ak im hohen Konzentrationsbereich (Anlage K3). Ein Bluttest am 01.2023 ergab einen erhöhten Wert von Interleukin 10 und Interleukin 6 (Anlage K4).
10
Der Kläger behauptet im Wesentlichen, er habe infolge der Impfung einen Gesichtsfeldausfall (Hemianopsie rechts sowie neurologische Sehstörung) rechts erlitten. Die Impfung sei für diesen Schaden ursächlich.
11
Auch die erhöhten Werte des Antikörpertests am 01.2022 sowie die am 01.2023 erhöhten Werte von Interleukin 6- und 10 seien auf die Impfung zurückzuführen. Vor der Impfung sei der Kläger „kerngesund“ gewesen. Er habe lediglich wegen einer bulbären Harnröhrenenge sowie einer Fehlstellung aufgrund Knick-Spreiz-Senkfuß behandelt werden müssen. Auch habe der Kläger nie eine Covid-19 Infektion erlitten.
12
Hinsichtlich des Impfstoffes müsse ein positives Nutzen-Risiko Verhältnis im Sinne des § 84 Abs. 1 Nr. 1 AMG verneint werden. Die Standardzulassung führe nicht zu einem positiven Nutzen-Risiko Verhältnis, da keine aussagekräftigen Daten vorgelegen hätten. Es fehle bei dem Impfstoff an Langzeitstudien. Eine Impfung mit Comirnaty schütze nicht vor der Erkrankung durch das Coronavirus, der Weiterübertragung oder schweren Verläufen und habe allenfalls einen geringen therapeutischen Nutzen. In Deutschland seien nach einer Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty in 980.105 Fällen Nebenwirkungen aufgetreten (Dezember 2022, Datenbank der EMA für Verdachtsfälle). Ferner spiegele die Anzahl gemeldeter Nebenwirkungen nicht adäquat die tatsächliche Anzahl eingetretener Nebenwirkungen wieder. Das negative Nutzen-Risiko Profil ergebe sich bereits daraus, dass eine Auffrischungsimpfung notwendig sei. Auch hätte sich bekanntermaßen im Jahr 2022 ein Großteil der Bevölkerung mit Covid infiziert.
13
Der Impfstoff wirke nahezu toxisch auf den menschlichen Körper. Der Impfstoff verursache durch seine Wirkweise mittels Boten-RNA Gefäßverschlüsse und das sog. Post-Vakzin-Syndrom. Die Analysen des Paul-Ehrlich-Instituts zu den Todesfällen im Zusammenhang mit einer Impfung des Wirkstoffes der Beklagten seien fehlerhaft.
14
Die Beklagte habe weiter in ihrem Informationsblatt zur streitgegenständlichen Impfung als mögliche Impfreaktion allein auf vier Fälle akuter Gesichtslähmung hingewiesen, die sich jedoch nach einigen Wochen wieder zurückbilden würde, sowie mögliche allergische Reaktionen wie Nesselsucht oder Schwellung des Gesichts. In sehr seltenen Fällen könnten eine allergische Sofortreaktion bis hin zum Schock oder andere auch bisher unbekannte Komplikationen nicht ausgeschlossen werden. Die Fach- und Gebrauchsinformationen hätten daher nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprochen.
15
Der Kläger sei nicht entsprechend aufgeklärt worden.
16
Die Klagepartei ist der Auffassung, dass ihr ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 84 Abs. 1 AMG, § 823 BGB, §§ 32 Abs. 1, 5 Satz 2 GenTG und § 826 BGB zustehe. Es gebe hinreichende medizinische Anhaltpunkte dafür, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und den Beschwerden bestehe. Dabei komme ihr ein Anscheinsbeweis sowie eine Kausalitätsvermutung nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG zugute. Eine Risiko-Nutzen-Abwägung dürfe nicht abstrakt-generell vorgenommen werden, sondern müsse einen individuellen Maßstab anlegen. Die Sittenwidrigkeit ergebe sich aus der unterlassenen Aufklärung der Beklagten über die bei der Klagepartei eingetretenen Nebenwirkungen.
17
Die Klagepartei reichte mit Schriftsatz vom 13.07.2023 Klage beim Landgericht Aschaffenburg ein. Diese erweiterte sie im Schriftsatz vom 23.12.2024 um einen Auskunftsantrag nach § 84a AMG.
18
Die Klagepartei beantragt zuletzt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 80.000,00 € nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden zu ersetzen, die aus der Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty am 06.2021 und 11.2021 entstehen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten einen weiteren Betrag in Höhe von 2.816,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit mit der Maßgabe zu zahlen, dass von diesem Betrag 2.666,97 € an die zu der Schadensnummer zu zahlen sind.
- 4.
-
Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über die im Zeitraum vom 27.12.2020 bis zur mündlichen Verhandlung bei Ihrer Mandantin bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen sowie sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen des Impfstoffs Comirnaty von Bedeutung sein können, soweit sie Hemianopsie, neurologische Sehstörung betreffen.
19
Die Beklagte beantragt,
20
Die Beklagte bestreitet bereits einen, dass bereits kein Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und den behaupteten gesundheitlicheauchächtigungen bestehen.
21
Kausalitätsvermutungen gem. § 84 Abs. 2 AMG oder aus anderen Rechtsquellen würden nicht zugunsten der Klägerin greifen. Es kämen bereits mehrere Alternativursachen für die behaupteten Beschwerden in Betracht, wie eine Ursache des Gesichtsfeldausfalls aufgrund entzündlicher Genese, eine unentdeckt gebliebene Covid-19 Infektion und ein beim Kläger in der Kindheit aufgetretener Strabismus (Anlage K11: Schielen in der Kindheit).
22
Zum behaupteten negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis verliere sich die Klägerin in Vermutungen und Spekulationen. Sämtliche wissenschaftlichen Studien und die Zulassungsbehörden hätten Comirnaty stets ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis bescheinigt. Die wissenschaftlichen Studien würden zudem zeigen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Impfstoff Entzündungen in den Blutgefäßen verursachen könne. Die CHMP habe im Rahmen der letzten Zulassung 27.06.2024 ausdrücklich erklärt, sämtliche relevanten Daten ausgewertet zu haben. Die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs seien durchgängig gewährleistet gewesen. Der Vortrag der Klägerseite leide weiter darunter, dass die Zahl der Verdachtsmeldungen nicht in Bezug zu den tatsächlich verabreichten Impfdosen gestellt werde. Comirnaty sei bis Juni 2022 weltweit geschätzt 2,6 Milliarden Mal verimpft worden. Ohnehin seien Verdachtsmeldungen nicht geeignet, eine Schadensneigung zu belegen.
23
Ein Anspruch nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 AMG bestehe nicht. Die Informationen zu Comirnaty seien stets auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft gewesen. Darüber hinaus ergebe sich eine Ersatzpflicht nur dann, wenn der Schaden infolge einer nicht korrekten Kennzeichnung, Fach- oder Gebrauchsinformation eingetreten sei. Dabei müsse die Fachinformation kausal für den eingetretenen Schaden gewesen sein und bei Vorliegen der Information der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden sein.
24
Auch ein Anspruch gemäß § 84a AMG bestehe vorliegend nicht, weil bereits ein Schadensersatzanspruch gem. § 84 AMG unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt in Betracht komme.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
26
Die Kammer hat am 27.05.2025 mündlich zur Sache verhandelt und den Kläger informa torisch angehört. Hinsichtlich des Inhalts wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
27
Die zulässige Klage ist unbegründet.
28
Der Klagepartei steht ein Schadensersatzanspruch oder ein Anspruch auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht im Zusammenhang mit der am 11.2021 erhaltenen Impfung mit „Comirnaty“ gegenüber der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Klagepartei hat auch keinen Auskunftsanspruch gemäß § 84a AMG gegenüber der Beklagten.
29
I. Ein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2, 87 S. 2 AMG besteht nicht.
30
1. Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AMG).
31
Die Ersatzpflicht besteht gem. § 84 Abs. 1 Satz 2 AMG nur, wenn (1) das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder (2) der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist. Insofern enthält § 84 Abs. 1 AMG zwei Haftungstatbestände. Beide sind vorliegend nicht erfüllt.
32
2. a) Die von der Klägerseite behauptete negative Nutzen-Risiko-Bilanz besteht nicht.
33
Die Kammer schließt sich insoweit der bisherigen einhelligen Judikatur an, wie sie in diversen obergerichtlichen Entscheidungen ergangen ist (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2025, Az. 5 U 738/24, zitiert nach juris, Rn. 22 ff. (rechtskräftig); Urteil vom 18. Dezember 2024, Az. 5 U 168/24, zitiert nach juris, Rn. 99 ff.; Urteil vom 25. September 2024, Az. 5 U 379/24, zitiert nach juris, Rn. 42; Urteil vom 10. Juli 2024, Az. 5 U 1375/23, zitiert nach juris, Rn. 32 ff. (rechtskräftig); OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 19. Februar 2025, Az. 23 U 13/24, zitiert nach juris, Rn. 236 ff. (rechtskräftig); OLG Oldenburg, Urteil vom 18. Dezember 2024, Az. 5 U 53/24, zitiert nach juris, Rn. 83 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 11. Oktober 2024, Az. 5 U 323/23, zitiert nach juris, Rn. 15 ff.; vgl. auch OLG München, Verfügung vom 12. Dezember 2024, Az. 14 U 3100/24 e, BeckRS 2024, 36083 Rn. 122 ff.; Hinweisbeschluss vom 5. November 2024, Az. 14 U 2313/24e, BeckRS 2024, 31623 Rn. 235 ff).
34
Die Nutzen-Risiko-Abwägung hat abstrakt-generellen Charakter und findet unter Berücksichtigung sämtlicher schädlichen Wirkungen für die vollständige durch die Indikationsangabe des pharmazeutischen Unternehmers anvisierte Patientengruppe statt; sie wird hingegen nicht bezogen auf den individuell Geschädigten oder bezogen auf Untergruppen innerhalb der durch die Indikation angesprochenen Patientengruppe vorgenommen (OLG Koblenz, Urteil vom 25.09.2024 – 5 U 379/24, juris Rn. 34; Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG § 84 Rn. 82; BeckOGK/Franzki, 01.02.2025, AMG § 84 Rn. 83; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris Rn. 46 m.w.N.). Das erklärt sich daraus, dass im Zulassungsverfahren stets auf anonymisierte Studien zurückgegriffen und die Gesamtheit der Ergebnisse bewertet wird. Demgegenüber liegen Daten zu den jeweils individuellen Risiken nicht vor. Die Spezifika des konkreten Einzelfalls können dagegen (nur) von dem das Arzneimittel einsetzenden Arzt beurteilt und beachtet werden, der hier aber keine Rolle spielt. Erfahrungen aus Einzelfällen fließen wiederum in Form der Art, Schwere und statistischen Häufigkeit von unerwünschten Nebenwirkungen in die Gesamtabwägung ein. Meldepflichten sichern, dass solche Erfahrungen aus Einzelfällen auch tatsächlich Berücksichtigung finden können.
35
Nach § 4 Abs. 28 AMG umfasst das Nutzen-Risiko-Verhältnis „eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko nach Absatz 27 Buchstabe a“, welches sich definiert als „jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“. Dabei gilt: Je besser der therapeutische Nutzen und je schwerwiegender die Erkrankung ohne Impfung, desto eher können auch gravierende schädliche Wirkungen akzeptiert werden (statt vieler: BeckOGK/Franzki, 01.02.2025, AMG § 84 Rn. 88). Risiken für den Einzelnen lassen sich also nicht gänzlich ausschließen und werden hingenommen, wenn der Nutzen bezogen auf die Gesamtheit der potentiellen Anwender in der Verhältnismäßigkeitsabwägung höher ausfällt.
36
§ 84 AMG begründet danach keine Haftung des Arzneimittelherstellers oder des das Medikament vertreibenden Unternehmers für solche Nebenwirkungen, die bereits bei der Zulassung bekannt und im Hinblick auf den Nutzen des Arzneimittels im Zulassungsverfahren hingenommen wurden, soweit in der Fachinformation und der Packungsbeilage darauf hingewiesen ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.10.2008 – 7 U 200/07, juris Rn. 6 ff.). Anders kann es sein bei im Rahmen der umfangreichen Prüfung der Arzneimittelzulassung als vertretbar eingestuften schädlichen Wirkungen, wenn die Schwere oder Häufigkeit der schädlichen Wirkungen sich im Vergleich zum Zeitpunkt der Zulassung verändert haben (BeckOGK/Franzki, 01.06.2025, AMG § 84 Rn. 67). Solche nachträglichen Erkenntnisse sind dann bei der (Neu-)Bewertung zu berücksichtigen und belasten gegebenenfalls den Hersteller (OLG Koblenz, Urteil vom 25.09.2024 – Az. 5 U 379/24., Rn. 39 ff.).
37
Hinsichtlich der schädlichen Wirkungen kommt es auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2025, Az. 5 U 738/24, zitiert nach juris, Rn. 21; Urteil vom 10. Juli 2024, Az. 5 U 1375/23, zitiert nach juris, Rn. 29-33). Als Zeitpunkt der Rückprojektion ist der Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels heranzuziehen; dies wird dem Charakter der Vorschrift als Gefährdungshaftung am besten gerecht.
38
Die Klagepartei trifft die Darlegungs- und Beweislast nach allgemeinen Grundsätzen.
39
b) Die vorgenannten Maßstäbe zugrunde gelegt, ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Impfstoff der Beklagten im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als positiv zu bewerten.
40
aa) Der Impfstoff der Beklagten hat fortwährend jegliche behördliche Zulassung erhalten, insbesondere auch die Standardzulassung am 10.10.2022. Dem Durchführungsbeschluss der Europäischen Kommission vom 10.10.2022 zur unbedingten Zulassung kommt insoweit Tatbestandswirkung zu (vgl. OLG Koblenz, Urt. V. 10.07.2024 – 5 U 1375/23 BeckRs 2024, 16169, Rn. 28). Zudem wurden auch weitere Zulassungsempfehlungen durch das CHMP für den an die Omikron-Varianten JN.1 und KP.2 angepassten Impfstoff erteilt. Die EU-Kommission setzte die Empfehlung um und änderte mit Beschlüssen vom 03.07.2024 (Anlage B 35) und vom 26.09.2024 (Anlage B 41) den Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022.
41
Mit der Feststellung der rechtswirksamen Zulassung wird inzident das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses festgestellt, da ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis Tatbestandsvoraussetzung der Zulassung eines Arzneimittels ist, gleichgültig, ob auf nationaler oder europäischer Ebene (OLG Koblenz, Urteil vom 25.09.2024 – Az. 5 U 379/24, Rn. 45). Die Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses war mithin wesentliche Voraussetzung sowohl für die bedingte Zulassung des Impfstoffs als auch für die Erteilung der unbedingten Zulassung, so dass mit der Zulassungsentscheidung zugleich das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis mit Bindungswirkung auch für die Zivilgerichte festgestellt wurde (zum Umfang der Tatbestandswirkung vgl. auch BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245-280, Rn. 12; wie hier auch LG Frankfurt, Urteil vom 14.02.2024 – 2-12 O 264/22, juris Rn. 12; für die Verwaltungsgerichtsbarkeit allein in Bezug auf die Zulassungsentscheidung: BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, juris Rn. 206 unter Bezugnahme auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.10.2009 – 1 BvR 3522/08, juris Rn. 50).
42
Die am 10.10.2022 erteilte unbedingte Zulassung ist bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder ausgesetzt oder widerrufen worden (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004) und auch die Verwendung des Impfstoffs ist nicht durch die Kommission ausgesetzt worden (Art. 20 Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004), so dass die Bindungswirkung unverändert fortbesteht. Vielmehr wurde zuletzt mit Beschluss vom 26.09.2024 der Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022 infolge einer Empfehlung des CHMP für den an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff entsprechend geändert.
43
bb) Die Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung im Zivilprozess kann in Frage gestellt werden, wenn substantiiert dargelegt wird, welche der Beklagten damals bereits bekannten Umstände bei der Zulassungsentscheidung nicht berücksichtigt worden sein sollen, bei deren Berücksichtigung eine andere Zulassungsentscheidung gerechtfertigt gewesen wäre, oder aber, wenn dargelegt wird, dass nach der Zulassung Nebenwirkungen des Impfstoffs bekannt geworden sind, deren Kenntnis im Zeitpunkt der Zulassung einer Zulassung entgegen gestanden hätten (OLG Koblenz a.a.O., Rn. 49; OLG Bamberg, Beschluss vom 14.08.2023 – 4 U 15/23 e, juris Rn. 15; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.05.2015 – ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, Rn. 28). Gleiches dürfte gelten, wenn im Einzelnen begründet wird, dass ein Ermessensfehler bei der Nutzen-Risiko-Abwägung vorliegt, d. h. das Ermessen nicht ausgeübt oder überschritten wurde oder das Ermessen wider der gesetzlichen Bestimmungen erfolgte.
44
Dazu hat die Klagepartei jedoch nichts Erhebliches vorgetragen.
45
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der EMA nicht alle erforderlichen Informationen erteilt wurden, um das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty zutreffend zu bewerten. Insbesondere ist die Beklagte verpflichtet, in regelmäßigen Abständen periodic safety update reports (PSUR) bei den Zulassungsbehörden einzureichen, in denen die Daten statistisch und epidemiologisch aufbereitet wurden. Dass die Beklagte ihren umfänglichen Berichtspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, ist nicht substantiiert dargelegt. Die Klägerin hat dahingehend vorgetragen, die Zulassungsentscheidung der EMA sei ermessensfehlerhaft gewesen und es bestünden Zweifel an der Unabhängigkeit der EMA von der Pharmaindustrie. Zudem sei aufgrund der Schnelligkeit des Zulassungsverfahrens keineswegs von einer positiven Nutzen-Risiko-Bilanz auszugehen. Dieser Vortrag erfolgt ins Blaue hinein und vermag keine Zweifel an dem Zulassungsverfahren zu begründen. Dabei wird von Klägerseite verkannt, dass die zunächst vorläufige Zulassung durch die unbedingte Zulassung bestätigt wurde und der Impfstoff auch nach wie vor zugelassen ist.
46
Insbesondere hat die Klagepartei keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die europäischen Behörden bei ihren fortlaufenden Prüfungen Tatsachen unbeachtet gelassen hätten, die bei ihrer Beachtung zu einem abweichenden Ergebnis geführt hätten.
47
Auch der Vortrag der Klagepartei zu einer Verunreinigung der Chargen ist als unsubstantiiert zu werten. Eine solche Verunreinigung war ursprünglich durch ein Schreiben als angeblicher Rote-Hand-Brief verbreitet worden. Hierzu nahm das Paul-Ehrlich-Institut am 05.12.2023 Stellung und gab an, dass das Schreiben ebenso wie die dort abgeleiteten Schlussfolgerungen falsch seien und der Aufruf keine behördlich geprüfte und autorisierte Information darstelle, sondern der Verunsicherung durch gezielte Desinformation diene. Dabei werde ausdrücklich betont, dass ein Nutzen der COVID-19-mRNA-Impfstoffe gegenüber möglichen Risiken deutlich überwiege.
48
Die Kammer gelangt daher zu dem Ergebnis, dass schädliche Wirkungen des Impfstoffs bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Eine positive Nutzen-Risiko-Abwägung darf nicht dahin verstanden werden, dass es nicht auch Fälle geben darf und gibt, in denen sich ein Risiko verwirklicht. Der Betroffene erhält darauf die versicherte Heilfürsorge, aber eben keinen darüber hinausgehenden Schadensersatzanspruch; insoweit wird ein „Sozialopfer“ für die Gemeinschaft der Anwender des Impfstoffs erbracht. Die in diesem Sinne verstandene Nutzen-RisikoAbwägung fällt daher positiv aus. Dies gilt sowohl für den heutigen Zeitpunkt als auch für den Zeitpunkt der Anwendung des Impfstoffs am 11.2021.
49
Die Voraussetzungen des Haftungstatbestandes § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG liegen somit nicht vor.
50
3. Ein Anspruch der Klägerin folgt auch nicht aus §§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 87 S. 2 AMG.
51
Danach besteht eine Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers nur dann, wenn der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung (§ 10 AMG), Gebrauchsinformation (= Packungsbeilage, § 11 AMG) oder Fachinformation (§ 11a AMG) eingetreten ist.
52
Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass eine der Produktinformationen zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprach. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass nicht jede entfernte Möglichkeit eventueller Nebenwirkungen in die Produktinformationen aufgenommen werden muss. Nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG sind „die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ der Maßstab dessen, was der pharmazeutische Unternehmer an Informationen in die Informationsträger (Kennzeichnung, Gebrauchs- und Fachinformation) aufzunehmen hat. Hierfür reicht bereits ein ernst zu nehmender Verdacht, solange dieser auf validen, wissenschaftlichen Daten beruht (vgl. im OLG Koblenz Urteil vom 10.07.2024 – 5 U 1375/23, juris Rn. 113 mwN).
53
Darüber hinaus setzt die Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG voraus, dass der Schaden infolge einer fehlerhaften Instruktion eingetreten ist. Es genügt also nicht, dass der Schaden durch das Arzneimittel verursacht wurde und die Arzneimittelinformation fehlerhaft war. Vielmehr muss der Schaden gerade auf die fehlerhafte Arzneimittelinformation zurückgehen (doppelte Kausalität) (vgl. OLG Bamberg, Beschluss v. 14.08.2023 – 4 U 15/23 e).
54
Hinsichtlich der Frage, ob der Schaden bei ordnungsgemäßer Arzneimittelinformation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre, genügt es, wenn der Anwender – vergleichbar zur nicht ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärung – einen echten Entscheidungskonflikt darlegt (vgl. OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 14.08.2023, – 4 U 15/23 e).
55
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen konnte die Kammer nicht feststellen. Der Kläger gab auf explizite Nachfrage in der mündlichen Verhandlung am 27.05.2025 an:
56
Er habe sich damals impfen lassen wegen der gesellschaftlichen Solidarität und damit er wieder am Leben habe teilnehmen können. Er habe sich im Vorfeld den Aufklärungsbogen durchgelesen. Da seien eigentlich keine großen Nebenwirkungen angegeben worden, sondern Rötungen an der Impfstelle und die Myokarditis. Auf neurologische Folgen sei seinem Verständnis nach nicht hingewiesen worden. Ansonsten habe er sich aus den Medien informiert. Eine Packungsbeilage des Impfstoffs habe er nicht gelesen. Er wisse nicht, ob es eine solche damals gegeben habe. Er habe nicht gewusst, dass man die Packungsbeilage googeln könne. Er sei der Auffassung, dass die Impfung zu Gesichtsfeldausfall geführt habe.
57
Wenn in dem Aufklärungsblatt damals konkret Probleme mit dem Gesichtsfeld bzw. Gesichtsfeldeinschränkungen als Nebenwirkung gestanden hätte, hätte er sich vermutlich doch impfen lassen.
58
Unter diesen Umständen kann die Kammer – unterstellt es läge eine nicht der medizinischen Wissenschaft entsprechende Kennzeichnung, Gebrauchsinformation oder Fachinformation vor, weder einen echten Entscheidungskonflikt der Klagepartei noch das Vorliegen einer doppelten Kausalität erkennen.
59
II. Der Klagepartei steht kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 32 Abs. 1 und Abs. 5 Gentechnikgesetz (GenTG) zu. Ein solcher Anspruch scheitert schon daran, dass die Anwendung der Vorschrift durch § 37 Abs. 1 GenTG ausgeschlossen ist. Gemäß § 37 Abs. 1 GenTG ist § 32 GenTG im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG) nicht anzuwenden, es kommt insoweit nur die Haftung nach dem AMG in Betracht. Es handelt sich bei dem streitgegenständlichen Impfstoff zudem nicht um ein Gentherapeutikum.
60
III. Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB. Sie konnte keine rechtswidrige Handlung der Beklagten darlegen. Die Beklagte hat einen von der zuständigen Behörde zugelassenen Impfstoff in Verkehr gebracht. Dass sie dabei im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder Studien manipuliert haben könnte, ist nicht ersichtlich.
61
IV. Auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 95 Abs. 1 Nr. 3a, 96 Nr. 3 AMG i.V.m. § 8 AMG oder aus § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 223 ff. StGB scheidet aus. Ein solcher Anspruch scheitert jedenfalls mangels Verschulden der Beklagten. Aus den im Rahmen der Darstellung zu § 84 AMG oben angeführten Gründen kann weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit der Beklagten angenommen werden.
62
V. Auch ein Anspruch aus § 826 BGB ist nicht gegeben. Hiernach ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlichen Schaden zufügt, zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet. Sittenwidrig handelt, wer gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Hierfür genügt es grundsätzlich nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten verletzt, gegen eine gesetzliche Vorschrift verstößt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss sich die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.20212 – ZR 268/1 1). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da die Entwicklung eines Impfstoffes mit einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis, dessen therapeutischer Nutzen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse seine etwaigen schädlichen Wirkungen überwiegt, nicht verwerflich sein kann (vgl. so auch LG Detmold, Urteil vom 13.02.2024 – 02 O 85/23, PharmR 2024, 228, 233). Die Klagepartei vermag auch nicht substantiiert vorzutragen, welche konkreten Personen bei der Beklagten vorsätzlich unzutreffende Gebrauchsinformationen in Verkehr gebracht haben oder notwendige Aufklärungen unterlassen haben sollen.
63
VI. Mangels Vorliegen einer Haftung dem Grunde nach besteht weder ein Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden noch ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
64
Auch ein Anspruch gem. § 84a AMG besteht nicht.
65
Ein solcher Auskunftsanspruch kommt nach § 84a Abs. 1 S. 1 AMG in Betracht, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel einen Schaden verursacht hat, es sei denn, dies ist zur Feststellung eines Schadensersatzanspruchs nicht erforderlich. Nach § 84a Abs. 1 S. 2 AMG richtet sich der Anspruch auf dem pharmazeutischen Unternehmer bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können.
66
An der Erforderlichkeit einer Auskunft fehlt es hierbei, wenn ein Anspruch nach § 84 Abs. 1 AMG von vornherein nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist, beispielsweise wenn die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 AMG nicht vorliegen (Franzki, in: BeckOK Großkommentar, Stand: 01.02.2025, AMG, § 84a, Rn. 15). Aus den oben dargestellten Gründen kommt ein solcher Anspruch nach § 84 Abs. 1 AMG vorliegend nicht in Betracht, sodass es unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen bereits an der Erforderlichkeit der Auskunft fehlt.
67
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des OLG Bamberg, Teilurteil v. 19.02.2024, Az. 4 U15/23 e. Im dortigen Verfahren ist die Erkrankung als Impfkomplikation anerkannt. Darüber hinaus wurde im dortigen Verfahren angenommen, dass die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG vorliegen dürften. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
68
Ein Anspruch der Klagepartei auf Auskunft nach § 84a Abs. 1 AMG besteht demnach nicht.
69
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
70
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 GKG i. V. m. § 3 ZPO.
71
Unter Berücksichtigung der Klarstellung der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung vom 27.05.2025 war der Feststellungsantrag mit 20.000 € und der Auskunftsanspruch mit dem Auffangstreitwert von 5.000 € anzusetzen. Der Streitwert beträgt somit 105.000 €.