Titel:
Entlassung eines Gläubigerausschussmitglieds aus wichtigem Grund bei Interessenkonflikt
Normenkette:
InsO § 21 Abs. 2 Nr. 3, § 69, § 70
Leitsätze:
1. Gläubigerausschussmitglieder sind verpflichtet, ausschließlich die Gesamtinteressen der Gläubiger zu wahren (§ 69 InsO). Sie unterliegen der Pflicht zur Unparteilichkeit und dürfen keine Eigeninteressen verfolgen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Mitglied des Gläubigerausschusses kann aus wichtigem Grund nach § 70 InsO entlassen werden, wenn es seine gesetzlichen Pflichten schwerwiegend verletzt oder das notwendige Vertrauen der Gläubigergesamtheit zerstört ist. (Rn. 8 f.) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen durch ein Gläubigerausschussmitglied gefährdet die neutrale Funktionsweise des Gläubigerausschusses und untergräbt das Vertrauen der Gläubiger in die ordnungsgemäße Durchführung des Insolvenzverfahrens. Sie rechtfertigt dessen Entlassung aus dem Amt. (redaktioneller Leitsatz)
4. Interessenkollisionen werden in der Regel rechtlich durch den Ausschluss des Stimmrechts gelöst. Eine Interessenkollision allein rechtfertigt in der Regel nicht die Entlassung eines Gläubigerausschussmitglieds, wenn keine erhebliche Pflichtverletzung vorliegt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein Gläubigerausschussmitglied unterliegt einem objektiven Interessenkonflikt, der mit der gesetzlich geforderten Unparteilichkeit unvereinbar ist und deshalb zur Entlassung aus wichtigem Grund berechtigt, wenn es auf der einen Seite einen Gläubiger vertritt (hier WEG) und auf der anderen Seite als Sondereigentumsverwalter im Interesse der Schuldnerin die Freigabe massezugehöriger Mieteinnahmen verlangt. (Rn. 14 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzverfahren, Gläubigerausschuss, Mitglied, Entlassung, wichtiger Grund, Interessenkonflikt, Gläubiger, Sondereigentumsverwalter, Freigabeverlangen
Fundstellen:
ZRI 2025, 974
ZIP 2025, 2575
ZInsO 2025, 1974
LSK 2025, 21796
BeckRS 2025, 21796
FDInsR 2025, 021796
NZI 2025, 937
Tenor
1. Das Gläubigerausschussmitglied Herr … F… wird auf Anregung der Insolvenzverwalterin aus wichtigem Grund nach § 70 InsO nach Rechtskraft dieses Beschlusses aus dem Gläubigerausschuss entlassen.
2. Die Anregung der Insolvenzverwalterin an das Insolvenzgericht, das Gläubigerausschussmitglied Herr … S… aus wichtigem Grund nach § 70 InsO aus dem Gläubigerausschuss zu entlassen, wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Die Insolvenzschuldnerin ist Eigentümerin von 95 Eigentumswohnungen nebst 32 Stellplätzen in der …. Zudem ist die Insolvenzschuldnerin Eigentümerin von 14 Wohnungen in ... . Im ersten Berichtstermin (§ 156 InsO) am 19.12.2024 wurde die Einsetzung eines Gläubigerausschusses durch Mehrheitsbeschluss beschlossen (§ 67 InsO) sowie die Einsetzung folgender Mitglieder: 1. … F… 2. Herrn … S… 3. Herrn …
2
In der Gläubigerversammlung zum Berichts- und Prüfungstermin am 19.12.2024 wurde von der Insolvenzverwalterin beantragt, die Beschlussfassung über die Besetzung des Gläubigerausschusses nach § 78 InsO aufzuheben. Mit Schreiben vom 20.12.2025 begründet die Insolvenzverwalterin Ihren Antrag u. a. damit, dass die gewählten Gläubigerausschussmitglieder jeweils in einem Interessenskonflikt stehen.
3
Mit Schreiben vom 08.01.2025 informierte die Insolvenzverwalterin das Gericht darüber, dass das Gläubigerausschussmitglied Herr F… als die von ihm als geschäftsführender Gesellschafter vertretene C… GmbH als Sondereigentumsverwalterin für die Schuldnerin eingesetzt wurde. Zudem wurde darüber berichtet, dass Herr F… die Mieter aufgefordert habe, die künftigen Mieten außerhalb eines Kontos der Insolvenzmasse zu bezahlen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung fallen die Mieteinnahmen, nachdem die Grundpfandrechtsgläubiger keine Zwangsverwaltung beantragt haben, auch nach Freigabe der Immobilie weiterhin als Neuerwerb der Schuldnerin in die Insolvenzmasse (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2009 – IX ZB 112/06). Die auf die vorgenannte Gerichtsentscheidung gestützte Vorgehensweise der Insolvenzverwalterin wird von der WEG, vertreten durch die C… GmbH, diese vertreten durch Herrn F… stark kritisiert.
4
Mit Schreiben vom 15.01.2025 hat die Insolvenzverwalterin den Antrag nach § 78 InsO zurückgenommen und zeitgleich die Entlassung des Gläubigerausschussmitglieds Herrn … F… sowie Herrn … S…, nach § 70 InsO bei Gericht angeregt.
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Das gewählte Gläubigerausschussmitglied, Herr …, hat mit Schreiben vom 06.03.2025 erklärt, dass er das Amt des Gläubigerauschussmitglieds nicht annimmt.
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Im Rahmen des gerichtlichen Anhörungsverfahrens nach § 70 Satz 3 1. HS InsO nahm Herr F… Stellung zur angeregten Entlassung nach § 70 InsO und verwies darauf, dass keine erhebliche Interessenskollision vorliege und im Übrigen die Vertretung von eigenen Interessen im Gläubigerausschuss den Regelfall darstelle. In diesen Fällen, wie auch in den Verhandlungen über den Ankauf von bestimmten Sondereigentumseinheiten, finde ein Stimmrechtsausschluss statt.
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Das Gläubigerausschussmitglied Herr … F… wird auf Anregung der Insolvenzverwalterin aus wichtigem Grund nach § 70 InsO aus dem Gläubigerausschuss entlassen. Die Anregung der Insolvenzverwalterin an das Insolvenzgericht, das Gläubigerausschussmitglied Herr … S… aus wichtigem Grund nach § 70 InsO aus dem Gläubigerausschuss zu entlassen, wird zurückgewiesen.
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1. Gemäß § 70 InsO kann das Insolvenzgericht ein Mitglied des Gläubigerausschusses aus wich – tigem Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen, auf Antrag des Mitglieds selbst oder auf Antrag der Gläubigerversammlung erfolgen. Vor der Entscheidung ist dem Mitglied rechtliches Gehör zu gewähren.
9
2. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 70 InsO liegt vor, wenn das Ausschussmitglied seine gesetzlichen Pflichten schuldhaft verletzt oder aus sonstigen Gründen das für die Amtsausübung notwendige Vertrauen der Gläubigergesamtheit zerstört ist (vgl. BGH, Beschl. v. 02.02.2006 – IX ZB 73/05). Dabei ist auf objektive Kriterien abzustellen; subjektive Missfallensgründe reichen nicht aus (Pape/Schultz, ZIP 2015, 1662,1663).
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3. Nach § 69 InsO hat der Gläubigerausschuss die Tätigkeit des Insolvenzverwalters zu überwachen und insbesondere die Interessen der Gläubigergesamtheit wahrzunehmen (Frege/Keller/Riedel InsR-HdB, 9. Aufl. 2022, Teil 3. Rn. 609) . Der Gläubigerausschuss hat in erster Linie die Belange der Insolvenzgläubiger zu vertreten, da die optimale Gläubigerbefriedigung das vorrangige Ziel des Insolvenzverfahrens ist (Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373 (1377).
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Nach § 70 InsO kann das Insolvenzgericht ein Mitglied des Gläubigerausschusses aus wichti – gem Grund aus dem Amt entlassen. Ein solcher wichtiger Grund liegt insbesondere bei schwerwiegender Pflichtverletzung oder bei nachhaltiger Störung des für die Ausübung des Amtes erforderlichen Vertrauensverhältnisses vor (vgl. BGH, Beschl. v. 15.05.2003 – IX ZB 448/02; BGH, Beschl. v. 02.02.2006 – IX ZB 73/05).
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Gläubigerausschussmitglieder sind verpflichtet, ausschließlich die Gesamtinteressen der Gläubiger zu wahren (§ 69 InsO). Sie unterliegen der Pflicht zur Unparteilichkeit und dürfen keine Eigeninteressen verfolgen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO analog).
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Das Verhalten von Herrn … F… verstößt in gravierender Weise gegen diese Pflichten.
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Die Einflussnahme zugunsten eigener wirtschaftlicher Interessen gefährdet die neutrale Funktionsweise des Gläubigerausschusses und untergräbt das Vertrauen der Gläubiger in die ordnungsgemäße Durchführung des Insolvenzverfahrens. Die Rechtsprechung erkennt in der Verfolgung eigennütziger Ziele ein typisches Beispiel für einen wichtigen Grund zur Entlassung an (vgl. BGH, Beschl. v. 02.02.2006 – IX ZB 73/05) . Auch die bloße objektive Besorgnis einer Interessenkollision kann bereits eine Entlassung rechtfertigen, wenn dadurch das Vertrauen der Beteiligten in die unparteiische Amtsausübung beeinträchtigt ist. Interessenkollisionen gehören zu den Konstruktionsmerkmalen des Gläubigerausschusses und werden in der Regel rechtlich durch den Ausschluss des Stimmrechts gelöst (Schmid-Burgk in: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Auflage, München 2019, InsO § 72 Rn. 15). Folglich kann nicht jede Interessenskollision zu einer Pflichtverletzung und somit einen wichtigen Grund für eine Entlassung nach § 70 InsO darstellen (vgl. Schmid-Burgk in: Münchener Kommentar zur Insolvenzord – nung, 4. Auflage, München 2019, InsO § 72 Rn. 15). Herr F… vertritt im Rahmen seiner Tätigkeit als Mitglied des Gläubigerausschusses Interessen, die in einem unauflösbaren Interessengegensatz zueinander stehen. Einerseits ist das Gläubigerausschussmitglied gehalten, die Gesamtinteressen der Gläubigerschaft gemäß § 69 InsO unparteiisch zu wahren; andererseits verfolgt er im konkreten Fall zugleich eigene oder drittbezogene wirtschaftliche Interessen, die den Zielen und Belangen der Gläubigergesamtheit diametral entgegenstehen. Das Gläubigerausschussmitglied Herr … F… vertritt als Insolvenzgläubigerin nach §§ 38, 39 InsO die WEG sowie die C… GmbH. Auf Schuldnerseite tritt Herr F… als Sondereigentumsverwalter für die Interessen der Schuldnerin ein, in dem die insolvenzmassezugehörig Mieteinnahmen der aus der Masse freigegebenen Immobilien in der … gefordert werden und das entsprechende Vorgehen der Insolvenzverwalterin auch öffentlich kritisiert wird. Mit dem Aufforderungsschreiben vom 28.12.2024 (Betreff: „Änderung der Kontoverbindung“) an die Mieter der Schuldnerin, sofort alle Mietzahlungen sowie eventuelle Nachzahlungen für Nebenkosten oder ausstehende Mietzahlungen des Jahres 2024 ausschließlich auf das Konto der G… GmbH zu überweisen, ist dem Gläubigerausschussmitglied Herrn F… masseschädigendes Verhalten vorzuwerfen. Darüber hinaus erfolgte die Aufforderung an die Mieter ohne Absprache und entgegen dem Willen der Insolvenzverwalterin. Dagegen wird der Insolvenzverwalterin öffentlich im …am 26.04.2025 von der vom Gläubigerausschussmitglied Herrn F… vertretene C… GmbH wiederholt vorgeworfen, die Hausgelder von den Mietern für Nebenkosten nicht an die WEG weiterzuleiten (… v. 26.04.2025, Wo bleibt der neue Investor?) . Fernmündlich teilte die Insolvenzverwalterin auf Nachfrage des Gerichts am 02.05.2025 mit, dass etwa 15 % der Mieten an die WEG u. a. zur Aufrechterhaltung der Versorgungsleistungen der Wohnungen weitergeleitet werden. Als Kaufinteressent vertritt Herr F… zudem die Interessen eines Immobilienerwerbers gegenüber der Insolvenzmasse mit diametraler Interessenslage auch in Bezug auf die Verhandlung hinsichtlich eines etwaigen Massekostenanteils für die Masse.
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Ein solches Auseinanderfallen von Rollen und Zielrichtungen begründet einen objektiven Interessenkonflikt, der mit der gesetzlich geforderten Unparteilichkeit (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO analog) unvereinbar ist und geeignet erscheint, das erforderliche Vertrauen in die Ausschusstätigkeit nachhaltig zu erschüttern. Ein Mitglied des Gläubigerausschusses ist aus wichtigem Grund zu entlassen, wenn sein Verbleiben im Amt die Belange der Gesamtheit der Gläubiger und die Rechtmäßigkeit der Verfahrensabwicklung objektiv nachhaltig beeinträchtigen würde (NJW-RR 2007, 1059, beckonline)
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4. Als Rechtsfolge einer solchen gravierenden Pflichtverletzung kommt gemäß § 70 InsO die Entlassung aus dem Amt in Betracht. Die Entlassung muss zudem verhältnismäßig (“kann“ vgl. 70 Satz 1 InsO) sein. Die Entlassung dient dem Schutz der übrigen Gläubiger und der Sicherung eines ordnungsgemäßen Insolvenzverfahrens. Die Verhältnismäßigkeit setzt ferner voraus, dass kein milderes Mittel oder eine Alternative gegeben ist (Knop in: Uhlenbruck Insolvenzord – nung Kommentar, 15. Auflage, München 2019, § 70 Rn. 7) . Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Ein Stimmrechtsausschluss kommt nur bei einer Interessenskollision in einer Abstimmungssituation in Betracht. Eine andauernde in der Person des Mitglieds begründete Interessensdivergenz dagegen kann nur mit der amtswegigen Entlassung nach § 70 InsO behoben werden. Auch ist die Entlassung eines einzelnen Mitglieds des Gläubigerausschusses auch im engeren Sinne verhältnismäßig, da der Gläubigerausschuss als Organ davon unberührt und fortlaufend bestehen bleibt und die Nachbesetzung durch eine neu anzuberaumende Gläubigerversammlung erfolgen kann.
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Die Voraussetzungen des § 70 InsO liegen vor. Das Verhalten des Ausschussmitglieds stellt eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, die geeignet ist, das Vertrauen der Gläubiger in die Objektivität und Integrität des Gläubigerausschusses nachhaltig zu erschüttern. Die Entlassung aus dem Amt ist daher geboten.
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5. Eine Pflichtverletzung des Gläubigerausschussmitglieds S… liegt nicht vor. Auch der Umstand, dass Herr S… bei der C… GmbH in einem Angestelltenverhältnis tätig ist, rechtfertigt eine Entlassung nach § 70 InsO nur, wenn eine auf das Gläubigerausschussmitglied bezogene Pflichtverletzung im erheblichen Maße vorliegt. Die Pflichtverletzung des Gläubigerausschussmitglieds F… kann dem Gläubigerausschussmitglied S… nicht zugerechnet werden. Jedes Mitglied des Gläubigerausschusses ist zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung seiner Aufgaben und Pflichten verpflichtet (vgl. Knof in: Uhlenbruck, InsO, 15. Auflage 2019, § 69 Rn. 2f.). Da eine Pflichtverletzung bei dem Gläubigerausschussmitglied Herrn S… nicht gegeben ist, war die Anregung auf Entlassung eines Ausschussmitglieds gemäß § 70 InsO zurückzuweisen.