Inhalt

OLG München, Beschluss v. 25.08.2025 – 25 W 1078/25 e
Titel:

Rechtsanwaltsgebühren, Festsetzung des Gegenstandswertes, Prozeßbevollmächtigter, Gerichtsgebühren, Gesamtstreitwert, Wertfestsetzung, Gerichtliche Streitwertfestsetzung, Verfahrensbeteiligte, Außergerichtliche Kosten, Gesonderte Festsetzung, Anwaltliche Tätigkeit, Beschwerdewert, Kostenerstattungsanspruch, Nichtabhilfeentscheidung, Selbstständige Festsetzung, Beschlussformel, Auftraggeber, Erbscheinserteilungsverfahren, Kosten des Beschwerdeverfahrens, Klageantrag

Schlagworte:
Gegenstandswertfestsetzung, Anwaltsvergütung, Mehrere Auftraggeber, Einzelwerte, Streitwertberechnung, Konsortialanteile, Kostenverteilung
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 17.07.2025 – 25 O 8726/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21747

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 17. Juli 2025, Az. 25 O 8726/24, abgeändert. Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug wird für den Prozessbevollmächtigten der Beklagten festgesetzt auf
44.296,18 € für die Tätigkeit für die Beklagte zu 1;
30.651,18 € für die Tätigkeit für die Beklagte zu 2;
15.490,07 € für die Tätigkeit für die Beklagte zu 3;
15.490,07 € für die Tätigkeit für die Beklagte zu 4;
9.425,63 € für die Tätigkeit für die Beklagte zu 5;
83.715,06 € für die Berechnung der Gebühren gemäß § 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 RVG.

Gründe

I.
1
Der Kläger hat gegenüber den Beklagten, einem Konsortium von fünf Versicherern, die Feststellung begehrt, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung fortbesteht (Klageantrag zu 1), sowie von jeder der Beklagten in Höhe ihres Konsortialanteils Zahlung aufgelaufener Renten (Antrag zu 2), aufgelaufener Beiträge (Antrag zu 3), künftige Zahlung von Renten (Antrag zu 4) und künftige Beitragsfreistellung (Antrag zu 5) verlangt, ferner – ebenfalls anteilig – Feststellung einer Überschussbeteiligung nach Renteneintritt (Antrag zu 6) und einer Ersatzpflicht für steuerlichen Progressionsschaden (Antrag zu 7) begehrt. Nach Rücknahme der Klage hat das Landgericht dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 83.715,06 € festgesetzt.
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Die Beklagten haben beantragt, den Gegenstandswert gemäß § 33 RVG für den Antrag (zu 1) auf Feststellung des Fortbestehens auf 7.909,52 € festzusetzen sowie für die übrigen Anträge (zu 2 bis 7; Wert: 75.805,54 €) auf 36.386,66 € für die Beklagte zu 1 (entsprechend einem Anteil von 48%), auf 22.741,66 € für die Beklagte zu 2 (30%), auf 7.580,55 € für die Beklagte zu 3 (10%), auf 7.580,55 € für die Beklagte zu 4 (10%) und auf 1.516,11 € für die Beklagte zu 5 (2%). Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Mit der Beschwerde verfolgen die Beklagten ihren Antrag weiter. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
3
Die gemäß § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses und zur Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit wie aus der Beschlussformel ersichtlich.
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1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegen die Voraussetzungen vor, unter denen gemäß § 33 Abs. 1 RVG das Gericht den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit selbstständig festzusetzen hat.
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a) Berechnen sich die Rechtsanwaltsgebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert oder fehlt es an einem solchen Wert, setzt gemäß § 33 Abs. 1 RVG das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag (§ 33 Abs. 2 RVG) durch Beschluss selbstständig fest.
6
Soweit sich die Gerichtsgebühren nach dem Wert richten, bestimmt sich gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG der Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gerichtlich festgesetzt, ist die Festsetzung gemäß § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend.
7
Trotz Vorliegens einer gerichtlichen Streitwertfestsetzung kann diese – in bestimmten Fällen – für die Berechnung der Anwaltsvergütung unmaßgeblich sein. Sind mehrere Personen in unterschiedlicher Weise an einem Verfahren beteiligt, ist der Gegenstandswert für jede Person gesondert festzusetzen, so zum Beispiel wenn der Anwalt in einem Erbscheinserteilungsverfahren nur einen Miterben vertritt (Mayer/Kroiß/Kroiß, RVG, 9. Aufl., § 33 Rn. 6 mwN). Ein geringerer Wert als der Streitwert kann für einen Kläger oder Beklagten maßgeblich sein, wenn sein Rechtsschutzziel deutlich hinter den Rechtsschutzzielen der anderen zurückbleibt. Dann ist eine Wertfestsetzung nach § 33 RVG geboten, die gegenüber der Wertfestsetzung nach § 32 RVG subsidiär ist (BGH, Beschluss vom 27. August 2013 – X ZR 83/10, BPatGE 53, 315 Rn. 4 mwN; vgl. auch Busse/Keukenschrijver/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl., § 84 Rn. 69, 73).
8
Das gilt nicht nur dann, wenn die unterschiedlich beteiligten Personen durch verschiedene Rechtsanwälte vertreten werden (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 22.02.2011 – X ZR 28/06, juris; BayObLG, AG 2001, 595). Unmaßgeblich ist der Streitwert auch insoweit, als es um die Gebührenpflicht mehrerer Auftraggeber eines Rechtsanwalts nach § 7 RVG mit unterschiedlichen Interessen geht (vgl. Hartmann, Kostengesetze online, 2022, § 33 RVG Rn. 5; Touissant, Kostenrecht, 55. Aufl., § 33 RVG Rn. 10). Wird ein Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit (vgl. § 22 Abs. 1 RVG) für mehrere Auftraggeber tätig, so schuldet gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVG nicht jeder Auftraggeber die volle Höhe der aus dem Gesamtstreitwert angefallenen Gebühren, sondern nur die Gebühren, die er schulden würde, wenn der Rechtsanwalt nur in seinem Auftrag tätig geworden wäre. Insgesamt kann der Rechtsanwalt aber nicht mehr verlangen, als die nach § 7 Abs. 1 RVG berechnete Gebühr aus dem Gesamtstreitwert (§ 7 Abs. 2 Satz 2 RVG). Um die Berechnung der Haftungsanteile der einzelnen Auftraggeber im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 RVG zu ermöglichen, sind im Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 RVG die jeweils zugrunde gelegten Einzelwerte festzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – XI ZB 12/12, WM 2016, 254 Rn. 12 f).
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b) So liegt der Fall hier. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten wurde in derselben Angelegenheit, der Verteidigung gegen die Klage, für mehrere Auftraggeber tätig, nämlich die Beklagten zu 1 bis 5. Die Verteidigung betraf für die einzelnen Beklagten jeweils ein unterschiedliches, hinter dem gesamten Streitwert deutlich zurückbleibendes wirtschaftliches Interesse, weil jede Beklagte nur in Höhe ihres Konsortialanteils (zwischen 2% und 48%) mit den Anträgen zu 2 bis 7 in Anspruch genommen wurde. Jede Beklagte schuldet dem gemeinsamen Prozessbevollmächtigten die Gebühren, die sie schulden würde, wenn er nur in ihrem Auftrag tätig geworden wäre, also nur diese Beklagte gegen den Antrag zu 1 und in der sie betreffenden Höhe gegen die übrigen Anträge verteidigt hätte, wobei der Prozessbevollmächtigte von den Beklagten insgesamt nicht mehr verlangen kann als die Gebühren aus dem tatsächlich entstandenen Gesamtstreitwert.
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In der Nichtabhilfeentscheidung hat das Landgericht ausgeführt, die Tatsache, dass auf Beklagtenseite mehrere Beteiligte mit unterschiedlichen Werten vorhanden seien, könne nicht dazu führen, dass sich der Streitwert insgesamt erhöhe und damit auch die vom Kläger zu erstattenden Kosten. Zu einer solchen Folge kommt es jedoch nicht durch die vorzunehmende Festsetzung von Einzelwerten für die Berechnung gemäß § 7 RVG. Da der Prozessbevollmächtigte der Beklagten von diesen insgesamt nicht mehr verlangen kann als die Gebühren aus dem (vom Landgericht festgesetzten) Gesamtstreitwert, droht dem Kläger durch die gesonderte Festsetzung kein überhöhter Kostenerstattungsanspruch. Nicht abhängig von der Wertfestsetzung hingegen ist der Eintritt einer Gebührenerhöhung bei mehreren Auftraggebern gemäß Nr. 1008 VV RVG.
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2. Die einzelnen Gegenstandswerte der anwaltlichen Tätigkeit sind in der aus der Beschlussformel ersichtlichen Höhe festzusetzen.
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a) Der jeweilige Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für jeden einzelnen der Beklagten ist hier wie dargestellt (s.o. unter 1) danach zu bemessen, aus welchem Wert die Rechtsanwaltsgebühren zu berechnen wären, wenn der Prozessbevollmächtigte nur im Auftrag der jeweiligen Beklagten tätig geworden wäre (vgl. § 7 RVG). Dieser Wert setzt sich jeweils zusammen (vgl. § 22 Abs. 1 RVG) aus dem Gegenstandswert für die Verteidigung gegen den Feststellungsantrag zu 1, von dem alle Beklagten in vollem Umfang betroffen waren, und aus der Summe der Gegenstandswerte der Anträge zu 2 bis 7 für die jeweilige Beklagte, das heißt in Höhe des gegen diese Beklagte geltend gemachten Prozentsatzes aus dem Wert des jeweiligen Antrags.
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Zugrunde gelegt werden können die vom Kläger zutreffend angegebenen und von den Beklagten in ihrem Festsetzungsantrag übernommenen Teilstreitwerte für die einzelnen Klageanträge, aus denen sich der – auch vom Landgericht festgesetzte – Streitwert von 83.715,06 € zusammensetzt. Der Antrag zu 1 ist mit 7.909,52 €, die Anträge zu 2 bis 7 sind mit 75.805,54 € zu bewerten.
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Die Einzelwerte für die Beklagten errechnen sich wie folgt:
„Beklagte zu 1: 7,909,52 € + 36.386,66 € [nämlich 48% von 75.805,54 €];
Beklagte zu 2: 7.909,52 € + 22.741,66 € [nämlich 30% von 75.805,54 €];
Beklagte zu 3: 7.909,52 € + 7.580,55 € [nämlich 10% von 75.805,54 €];
Beklagte zu 4: 7.909,52 € + 7.580,55 € [nämlich 10% von 75.805,54 €]; Beklagte zu 5: 7.909,52 € + 1.516,11 € [nämlich 2% von 75.805,54 €].“
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b) Zur Klarstellung wird auch der Gesamtbetrag für die Berechnung der Gebühren gemäß § 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 RVG in Höhe von 83.715,06 € festgesetzt. Dieser entspricht dem vom Landgericht festgesetzten (Gesamt-)Streitwert.
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3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gemäß § 33 Abs. 9 Satz 2 RVG nicht erstattet. Ein Beschwerdewert ist nicht festzusetzen, weil für das erfolgreiche Beschwerdeverfahren keine Gerichtsgebühren anfallen.