Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 27.06.2025 – B 3 K 24.420
Titel:

Schulpflicht bei entgegenstehendem Willen der Kinder, gewaltfreie Erziehung

Normenketten:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
BayEUG Art. 76
Schlagworte:
Schulpflicht bei entgegenstehendem Willen der Kinder, gewaltfreie Erziehung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21587

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger je zur Hälfte.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren die Aufhebung eines Bescheides, mit dem sie verpflichtet werden, dafür Sorge zu tragen, dass ihre im … 2014 geborene Tochter B** regelmäßig am Unterricht der Grundschule … teilnimmt und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besucht, sowie zweier Bescheide, mit denen diesbezüglich weitere Zwangsgelder angedroht wurden.
2
Die Kläger sind die Eltern einer im … 2014 geboren Tochter (B**) und eines im … 2017 geborenen Sohnes (A**). Die Tochter B** nahm in den Schuljahren 2020/2021 und 2021/2022 nicht regelmäßig am Unterricht teil. Im Schuljahr 2022/2023 fand grundsätzlich ein Schulbesuch statt, ab Juni 2023 nahm B** nicht mehr am Unterricht teil. Ab dieser Zeit befand sich die Familie nach eigenen Angaben auf einer längeren Schweden-Reise.
3
Mit E-Mail vom 20.10.2023 teilte die Klägerin zu 1) dem Schulleiter der Grundschule … mit, dass die Familie aus Schweden zurück sei. Der Meldestatus für die vergangenen Wochen sei noch nicht abschließend juristisch geklärt. Die Tochter und der Sohn der Kläger seien aktuell nicht zum Schulbesuch bereit. Sie als Erziehungsberechtigte würden die Entscheidung ihrer Kinder akzeptieren und diese nicht mit Gewalt zum Schulbesuch zwingen. Mit Schreiben des Landratsamtes … (Landratsamt) vom 25.10.2023 wurden die Kläger im Hinblick auf eine beabsichtigte Durchsetzung der Schulpflicht angehört. Ihnen wurde Gelegenheit gegeben, bis zum 03.11.2023 Stellung zu nehmen. Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 03.11.2023 Akteneinsicht. Mit Schreiben des Landratsamtes vom 08.11.2023 wurde den Klägern hierauf ihre E-Mail vom 20.10.2023 sowie Auszüge aus der Internetseite der Klägerin zu 1) und ein Presseartikel übersandt. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich aus diesen Unterlagen ergebe, dass die Kläger ihren Kindern freistellten, ob diese die Schule besuchten oder nicht. Hinsichtlich der Unterlagen, die das Bußgeldverfahren betreffen, welches wegen Nichterfüllung der Schulpflicht der Tochter der Kläger im Schuljahr 2021/2022 gegen die Kläger geführt wurde sowie der Unterlagen im Widerspruchsverfahren gegen die Ablehnung des Antrags der Kläger auf Beurlaubung von Unterricht, werde davon ausgegangen, dass diese den Klägern bekannt seien.
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Gleichzeitig wurde den Klägern der Bescheid vom 08.11.2023 übersandt. Der Bescheid hat folgenden Tenor:
1. Frau … und Herr … werden dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ihre schulpflichtige Tochter B* … regelmäßig am Unterricht der Grundschule … teilnimmt und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besucht.
2. Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 dieses Bescheides wird angeordnet.
3. Für den Fall, dass Frau … und Herr … der Verpflichtung aus Nr. 1 dieses Bescheides nicht binnen einer Woche nach Zustellung dieses Bescheides nachkommen, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro zur Zahlung fällig. Die Verpflichtung aus Nr. 1 dieses Bescheides entfällt auch nach Zahlung des Zwangsgeldes nicht.
4. Frau … und Herr … haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
5. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr in Höhe von 75,00 Euro erhoben. Die Auslagen betragen 3,50 Euro.
5
Zur Begründung führt der Bescheid aus, die Anordnung stütze sich auf Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (LStVG). Die Tochter der Kläger sei gem. Art. 35 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) schulpflichtig, da sie die altersmäßigen Voraussetzungen erfülle und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in … habe. Die Kläger kämen ihrer Verpflichtung des Sorgetragens für den regelmäßigen Schulbesuch ihrer Tochter nicht nach. Aufgrund der Äußerungen der Klägerin zu 1) sei davon auszugehen, dass die Kläger dieser Verpflichtung auch in Zukunft nicht nachgehen würden. Die Annahme werde durch die bereits in der Vergangenheit erfüllten Verstöße gegen die Erfüllung der Schulpflicht der Tochter der Kläger bestärkt. Die Maßnahme sei verhältnismäßig. Das Einschreiten sei sachgerecht und geboten, um das Andauern der ordnungswidrigen Handlung zu unterbinden und eine Erfüllung der Schulpflicht der Tochter der Kläger sicherzustellen. Die Maßnahme sei geeignet und erforderlich, weniger belastende Maßnahmen, die hinsichtlich der Erfüllung des Zwecks gleich geeignet seien, seien nicht ersichtlich. Gegen den Kläger zu 2) sei im Schuljahr 2021/2022 ein Bußgeldverfahren wegen Nichterfüllung der Schulpflicht durch seine Tochter B** geführt worden, welches nicht zu einem langfristigen Umdenken geführt habe.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 14.11.2023 legten die Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.11.2023 ein und beantragten die Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides (sofortige Vollziehung). Zur Begründung wurde vorgetragen, die Bescheide seien bereits formell rechtswidrig. Die Kläger hätten Akteneinsicht beantragt, die jedoch verwehrt worden sei. Den Klägern sei stattdessen die Möglichkeit zur Stellungnahme durch den Erlass des Bescheides verwehrt worden. Da die Bescheide auf das LStVG gestützt wurden, stünde den Klägern auch ein Schweigerecht zu. Auch dieses sei ihnen durch den verfrühten Bescheiderlass beschnitten worden. Weiter wurde Akteneinsicht beantragt.
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Am 21.11.2023 fand ein Gespräch der Kläger mit dem Schulleiter der Grundschule … statt, dessen Inhalte die Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 02.12.2023 zusammenfasste. Die Kläger hätten mit ihren Kindern die Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die ein Schulbesuch mitbringen würde, besprochen. Die Kinder würden jedoch weiterhin einen Schulbesuch ablehnen. Die einzige Möglichkeit der Kläger, auf ihre Kinder einzuwirken, sei deshalb Gewalt.
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Mit Schreiben vom 01.12.2023 teilte der Schulleiter der Grundschule … dem Landratsamt mit, dass die Kinder der Kläger die Schule weiterhin nicht besuchen würden.
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Mit Schreiben vom 27.11.2023 forderten die Kläger einen gemeinsamen Gesprächstermin mit dem Schulamt, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wie Bildung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse ihrer Kinder aussehen könne. Ein solches Gespräch wurde mit Schreiben vom 05.12.2023 abgelehnt und die Kläger auf die Beratungslehrkraft und den Schulpsychologen der Sprengelschule verwiesen.
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Mit Schreiben vom 04.12.2023 forderten die Kläger vom Landratsamt wiederum ein persönliches Gespräch und beantragten abermals die Aussetzung der Vollstreckung. Mit Bescheid vom 08.01.2024 wurde der erneute Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.
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Mit Bescheid vom 10.01.2024 wurde das im Bescheid vom 24.11.2023 angedrohte Zwangsgeld für fällig erklärt. Zudem wurde bei weiteren Verstößen gegen die im Bescheid vom 08.11.2023 festgelegten Pflichten ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 1000 EUR angedroht.
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Mit Schreiben vom 31.01.2024 ergänzten die Kläger die Widerspruchsbegründung wie folgt: Die ordnungsgemäße Aktenführung sei nicht eingehalten worden. Auf ihr Akteneinsichtsgesuch sei lediglich eine lose Papiersammlung ohne Paginierung übersandt worden, wobei nicht ersichtlich gewesen sei, ob es sich hierbei um die vollständige Akte handele. Die Aussagen in der Begründung des Bescheids seien falsch, unvollständig oder reine Vermutungen. Die Bescheide seien nicht angemessen und verhältnismäßig. Die Verfahren seien nicht isoliert betrachtet worden, da vor Androhung des Zwangsgeldes nicht alle milderen Mittel ausgeschöpft worden seien. Keines der Kinder der Kläger habe je unentschuldigt gefehlt. Zu jedem Zeitpunkt hätten sie im Kontakt mit der Schule gestanden. Der Vorwurf der Verletzung der Schulpflicht werde isoliert betrachtet, ohne Rechtfertigungsgesichtspunkte zu beachten. Die Verletzung der Schulpflicht sei nicht die vorliegende Absicht, sondern die folgerichtige Konsequenz aus dem erzieherischen Handeln zur Abwehr einer Gefährdung der Tochter der Kläger. Es gehe um die unvermeidbare Reaktion auf die Gefährdung des Wohlergehens eines jungen Menschen und dessen Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Zur Vermeidung einer Straftat, die durch das gewaltsame Zuführen B* … zur Schule zustande gekommen wäre, sei diese Handlung notwendig und unausweichlich geworden. Ein durch Zwang oder möglicherweise seelische oder körperliche Gewalt erreichter Schulbesuch stehe nicht im Verhältnis zum öffentlichen Interesse. Die Kläger hätten Gespräche und einen schriftlichen Austausch mit dem Schulleiter, der Beratungslehrkraft, der Schulpsychologin und einer Ärztin am Gesundheitsamt geführt. Die Frage, welches erzieherische Mittel die Kläger bisher unterlassen, falsch angewandt oder nicht bedacht hätten, bleibe unbeantwortet. Der bereits erfolgte Schulbesuch der Tochter im Schuljahr 2022/2023 zeige deutlich, dass diese keine grundsätzlich ablehnende Haltung gegen die Schule habe und dass die Kläger diese nicht am Schulbesuch hindern würden. Der schulische Einstieg in die 2. Jahrgangsstufe der Grundschule … sei B** leicht gelungen und sie habe sich in die Klassengemeinschaft eingefügt, aktiv am Unterrichtsgeschehen teilgenommen und sei durch ihre interessierte Art und ihr künstlerisches Talent positiv aufgefallen. Die regelmäßigen, im Vergleich zu Gleichaltrigen übermäßigen Fehlzeiten in dieser Zeit seien der Wahrung ihrer seelischen, körperlichen und geistigen Unversehrtheit geschuldet und hätten, entgegen der Erwartungen der Schule und des Schulamtes, nach Aussage der Klassenlehrerin keinerlei Auswirkungen auf ihre Leistungen, ihr Können, Wissen und ihre Fähigkeiten gehabt. Das erzieherische Einwirken der Kläger durch Gespräche, Versprechen, Motivation und Begleitung habe nur bedingt Einfluss auf die Entschlossenheit von B**. Diese Entschlossenheit zeige B** seit September 2023 insofern, dass sie den Besuch der örtlichen Grundschule ablehne und stattdessen formuliere, welche Unterstützung sie sich für ihren Bildungsweg wünsche. Diese Punkte seien dem Schulleiter per Mail mitgeteilt worden (siehe Email vom 11.12.2023) und auch in den Gesprächen mit der Beratungslehrkraft Frau …, der Schulpsychologin Frau … und der Amtsärztin Frau … genannt worden. Gegenteilig zu der Behauptung, B* … Chancen auf eine anerkannte schulische Qualifikation, einen staatlich anerkannten Abschluss oder einer Berufsausbildung wären stark eingeschränkt, lägen bestätigte Beweise vor, die dies klar widerlegten. Allein der reibungslose Einstieg ohne Vorbereitung in die 2. Jahrgangsstufe und die dortigen sehr guten Bewertungen seien ein Zeugnis dafür, dass es sich bei den Annahmen um Vermutungen handele. Das regelmäßige Aufsuchen der Psychomotorikpädagogin bestätige keinerlei Beeinträchtigung in der Entwicklung. Die Teilnahme an einer Erzählwerkstat und einem Englischkurs, sowie der Zugang zu Museen, Bibliothek und Werkstätten ermöglichten die uneingeschränkte Möglichkeit des Erwerbs von Wissen und Können sowie der sozialen Interaktion. Ergänzt durch die beruflich bedingte Tätigkeit der Kläger und Auslandsaufenthalte würden Herz und Charakter geschult. Es liege hier keine gegenläufige Erziehungsvorstellung zugrunde, die dem Schulgesetz widersprechen würde. Die Annahme, die Kläger seien nicht gewillt oder in der Lage angemessene Erziehungsmethoden anzuwenden, stelle eine beweislose Behauptung dar. Dem Schreiben lagen eine „Stellungnahme zum selbstbestimmten Bildungsweg von B** und A* …“, eine Stellungnahme von Motopädagogin … zur Entwicklung von B** und eine logopädische Stellungnahme der Leiterin einer Online-Erzählwerkstatt bei.
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Mit Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 22.04.2024 wurden die Widersprüche der Kläger zurückgewiesen. Zur Begründung führt der Widerspruchsbescheid aus, der Bescheid vom 08.11.2024 sei rechtmäßig. Der Antrag auf Akteneinsicht, dem auch stattgegeben worden sei, sei erst nach Ablauf der Anhörungsfrist gestellt worden. Selbst wenn man insofern Mängel feststellen würde, wären diese jedenfalls geheilt. Für die Erfüllung der Schulpflicht seien die Eltern mitverantwortlich. Die Behörden könnten und müssten daher die Befolgung dieser Pflicht zunächst von den Eltern einfordern und dann auch mit Zwangsmitteln durchsetzen. Art. 23 Abs. 2 BayEUG lasse Hausunterricht nur bei Schulbesuchsunfähigkeit zu, wofür keine Anhaltspunkte vorlägen. B** verletze die Schulpflicht, indem sie seit Schuljahresbeginn 2023/2024 nicht am Unterricht teilnehme. Es seien keine konkreten Maßnahmen vorgetragen worden, die die Kläger unternommen hätten um auf das Kind einzuwirken. Sofern diese sich pauschal darauf beriefen, durch „gutes Zureden“ alles getan zu haben und die Weigerung akzeptierten, zeige dies, dass gerade nicht alle pädagogisch zulässigen Mittel ausgeschöpft worden seien. Damit handelten die Eltern rechtswidrig und ordnungswidrig. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei nicht zu beanstanden. Sie liege im öffentlichen Interesse und insbesondere auch im Interesse von B**. Bei weiterem Abwarten würde der staatliche Erziehungsauftrag entgegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben dem elterlichen Erziehungsrecht untergeordnet werden und B** in ihren Lebenschancen voraussichtlich erheblich beeinträchtigt. Der staatliche Erziehungsauftrag beziehe sich nicht nur auf Wissensvermittlung, sondern diene auch dem Erwerb von Sozialkompetenz in der Schulgemeinschaft. Es stehe außer Frage, dass diese im Umgang mit Andersdenkenden effektiver eingeübt werden könne, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenden unterschiedlichen Auffassungen Teil von Alltagserfahrungen seien. Auch die Zwangsgeldandrohungen vom 08.11.2023, 24.11.2023 und 10.01.2024 seien rechtmäßig. Diese seien insbesondere ermessensgerecht festgesetzt worden.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 17.05.2024 erhoben die Kläger Klage gegen die Bescheide vom 08.11.2023, 24.11.2023 und 10.01.2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2024. Sie beantragen zuletzt,
Der Bescheid des Beklagten vom 08.11.2023 (Aktenzeichen: …*) betreffend B* … sowie die in Bezug auf diese Grundverfügung ergangenen weiteren Bescheide vom 24.11.2023 und 10.01.2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2024 werden aufgehoben.
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Die Klage sei mit dem Verfahren der Eltern hinsichtlich des Kindes A** zu verbinden, da ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde liege. Die Grundverfügung verlange etwas Unmögliches und sei offensichtlich rechtswidrig. Es würde der Besuch einer bestimmten Schule verlangt, obwohl die Eltern das Recht hätten, die Schule auszuwählen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die in den Bescheiden genannte Schule sei die zuständige Sprengelschule, die grundsätzlich nach dem bayerischen Schulsystem zu besuchen sei. Ein Antrag auf Besuch einer anderen Schule sei nicht gestellt worden. Die Kläger würden auch weiterhin nicht dafür Sorge tragen, dass ihre Tochter die Schule besuche.
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Der Klageerwiderung war eine Fehlzeitenübersicht aus dem November 2024 für die Tochter der Kläger beigelegt, aus der sich ergibt, dass diese den Unterricht im Schuljahr 2023/2024 und 2024/2025 an keinem Tag besucht hat, sie hat jedoch mehrere Proben mitgeschrieben.
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Ergänzend wird hinsichtlich des Sachverhalts auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.06.2025 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 08.11.2023 betreffend B* … sowie die Bescheide vom 24.11.2023 und 10.01.2024, jeweils in Form des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2024 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger daher nicht in ihren Rechten.
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1.1 Der Ausgangsbescheid vom 08.11.2023 in Form des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2024 ist formell rechtmäßig ergangen. Es kann dahinstehen, ob die Anhörungsfrist im Schreiben vom 25.10.2023 zu knapp bemessen war. Ein Mangel würde jedenfalls gem. Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) in der in der Bayerischen Rechtssammlung (BayRS 2010-1-I) veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 9. Dezember 2024 (GVBl. S. 570) und durch § 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2024 (GVBl. S. 599) geändert worden ist durch die im Widerspruchsverfahren und gerichtlichen Verfahren erfolgte umfangreiche Anhörung der Kläger geheilt werden. Hierfür waren keine Termine zur persönlichen Anhörung durch die Behörden notwendig. Die Kläger hatten die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung, von der sie auch umfangreich Gebrauch gemacht haben.
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Auch hinsichtlich der beantragten Akteneinsicht ergibt sich vorliegend kein Verfahrensfehler. Der Antrag auf Akteneinsicht ist beim Landratsamt erst nach Ablauf der Äußerungsfrist eingegangen. Dem Antrag wurde auch entsprochen. Dass das Landratsamt in dem konkreten Fall nur über eine äußerst spärliche Akte verfügte, und diese unpaginiert geführt wurde, verletzt das Recht der Kläger auf Akteneinsicht nicht. Auch dem weiteren Akteneinsichtsgesuch des Bevollmächtigten der Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde entsprochen. Selbst wenn man diesbezüglich einen Mangel annähme, wäre auch dieser analog Art. 45 BayVwVfG geheilt. Die Heilungsvorschrift ist nach zutreffender Meinung weit auszulegen und erfasst alle Verfahrenshandlungen, deren vornehmlicher Zweck darin besteht, den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. zur entsprechenden Norm des VwVfG: BVerwG, U.v. 18.10.1983 – 1 C 13/81 –, NVwZ 1984, 578, 579). Selbst nach der Gegenansicht könnte allein aufgrund des Formmangels jedenfalls vorliegend nicht die Aufhebung des Bescheides beansprucht werden. Gem. Art. 46 BayVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Dies ist vorliegend der Fall.
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1.2 Die Verpflichtung der Kläger, dafür Sorge zu tragen, dass ihre schulpflichtige Tochter regelmäßig am Unterricht der Grundschule … teilnimmt und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besucht (Ziffer 1 des Bescheides vom 08.11.2023) ist auch materiell rechtmäßig.
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1.2.1 Rechtsgrundlage der Ziffer 1 des Bescheids ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) in der in der Bayerischen Rechtssammlung (BayRS 2011-2-I) veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch § 2 des Gesetzes vom 9. Dezember 2024 (GVBl. S. 570) geändert worden ist. Danach können die Sicherheitsbehörden, soweit sie nicht anderweitig hierzu ermächtigt sind, Anordnungen für den Einzelfall nur treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen, zu verhüten oder zu unterbinden.
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Gemäß Art. 76 Satz 1 und 2 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 9. Dezember 2024 (GVBl. S. 579) geändert worden ist, sind die Erziehungsberechtigten verpflichtet, auf die gewissenhafte Erfüllung der schulischen Pflichten einschließlich der Verpflichtung nach Art. 56 Abs. 4 Satz 4 BayEUG und der von der Schule gestellten Anforderungen durch die Schülerinnen und Schüler zu achten und die Erziehungsarbeit der Schule zu unterstützen. Die Erziehungsberechtigten müssen insbesondere dafür sorgen, dass minderjährige Schulpflichtige am Unterricht regelmäßig teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen. Mit Geldbuße kann gemäß Art. 119 Abs. 1 BayEUG belegt werden, wer als Schulpflichtige oder Schulpflichtiger am Unterricht oder an den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen (Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG) vorsätzlich nicht teilnimmt (Nr. 4) oder wer entgegen Art. 76 Satz 2 BayEUG nicht dafür sorgt, dass minderjährige Schulpflichtige am Unterricht regelmäßig teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen (Nr. 2). Zur Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 76 Satz 2 BayEUG können nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG vollziehbare Anordnungen getroffen werden. Weder Art. 118 Abs. 1 BayEUG noch Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG treffen abschließende Regelungen; vielmehr bleibt daneben Raum für die zwangsweise Durchsetzung der Schulpflicht gegenüber Erziehungsberechtigten minderjähriger Schulpflichtiger (VG Augsburg, B.v. 7.5.2002 – Au 9 S 02.507 – juris Rn. 17; bestätigt durch BayVGH, B.v. 20.8.2002 – 7 CS 02.1302 – juris Rn. 20; VG München, B.v. 14.12.2021 – M 3 S 21.6390 – juris; bestätigt durch BayVGH, B.v. 7.1.2022 – 7 CS 21.3152 – BeckRS 2022, 179 Rn. 7, 14).
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1.2.2 Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Bescheides nach Art. 7 Abs. 2 LStVG waren und sind vorliegend gegeben. Bei der Aufforderung, für den Schulbesuch Sorge zu tragen, handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt. Die Behörde hat den Dauerverwaltungsakt auf fortbestehende Rechtmäßigkeit zu überwachen; für seine rechtliche Beurteilung ist die aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich. (BayVGH, B.v. 31.7.2023 – 7 CS 23.1072 – juris).
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Die Tochter der Kläger erfüllt die altersmäßigen Voraussetzungen und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit der Rückkehr der Familie aus Schweden im Oktober 2023 unstreitig in … Sie ist damit schulpflichtig gem. Art. 35 BayEUG. Ihre Schulpflicht hat die Tochter der Kläger seit Oktober 2023 nicht erfüllt. Sie hat den Unterricht seit der Rückkehr der Familie aus Schweden nicht besucht, sondern lediglich einzelne Leistungsnachweise an der Grundschule … erbracht. Vom 18.12.2023 bis 22.12.2023 wurde sie von den Klägern krankgemeldet, die übrigen Schultage wurden von der Grundschule mit Ausnahme des Schulfestes am 10.05.2024 und der Probentermine als unentschuldigt schulpflichtige Schultage gemeldet. Die Schulpflicht wurde auch nicht dadurch erfüllt, dass die Kläger ihren Kindern alternative Bildungsangebote zur Verfügung stellen. Die Schulpflicht wird gem. Art. 36 Abs. 1 BayEUG durch den Besuch einer Pflichtschule oder einer zugelassenen Ersatzschule (Art. 90 Satz 3 BayEUG) erfüllt. Der Besuch von Bibliotheken, Museen und Werkstätten oder die Teilnahme an einer Erzählwerkstatt, einem Englischkurs oder einer Ponyschule und die Teilnahme an Vereinstätigkeiten (Ballett, Pfadfinder) erfüllen die Voraussetzungen des Art. 36 BayEUG nicht. Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayEUG kann an einer Ergänzungsschule die Schulpflicht nur erfüllt werden, wenn das Staatsministerium die Eignung der Schule hierfür festgestellt hat; dies gilt auch für Grundschulen (Dirnaichner in PdK Bay G-1, BayEUG Art. 36 1.).
28
Der Schulpflicht stehen vorliegend auch keine verfassungsmäßigen Rechte der Kläger oder ihrer Tochter entgegen. Der Staat darf zur Erfüllung seines Schulauftrags nach Art. 7 Abs. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. März 2025 (BGBl. 2025 I Nr. 94) geändert worden ist eine Schul(besuchs) pflicht anordnen sowie ihren Beginn und ihre Dauer regeln. Der damit verbundene Eingriff in das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und die Grundrechte des Kindes (insb. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) ist grundsätzlich durch Art. 7 Abs. 1 GG gerechtfertigt (Dreier in GG/Brosius-Gersdorf, 4. Aufl. 2023, GG Art. 7 Rn. 184). Das BayEUG sieht in Art. 23 Ausnahmen von der Schul(besuchs) pflicht für Fälle vor, in denen eine Unterrichtsbefreiung zum Schutz der Grundrechte der Schüler angezeigt ist (bei längerfristig kranken oder aus gesundheitlichen Gründen nicht schulbesuchsfähigen Kindern, sowie für Kinder in Krankenhäuser oder anderen vergleichbaren Einrichtungen). Ein solcher oder ähnlicher Fall, in dem eine Ausnahme von der Schulpflicht geboten wäre, liegt bei der Tochter der Kläger nicht vor. Die von den Klägern angeführten Bedenken hinsichtlich des Rechtes ihrer Tochter auf körperliche, geistige und seelische Unversehrtheit, Entfaltung der Persönlichkeit und der Unantastbarkeit der Würde stehen der Schulpflicht vorliegend nicht entgegen. Es ist bereits nicht ersichtlich, inwiefern sich ein regelmäßiger Schulbesuch negativ auf die körperliche, geistige und seelische Unversehrtheit der Tochter der Kläger auswirken sollte. Die Kläger haben keine körperlichen oder seelischen Erkrankungen ihrer Tochter vorgetragen, die einem Schulbesuch entgegenstünden. Entsprechend der vorgelegten Bescheinigung der Frau … ist die Tochter der Kläger ein kreatives und selbständiges Kind. Es werden keine psychischen oder physischen Erkrankungen festgestellt, die die Tochter der Kläger von anderen Kindern unterscheiden würden. Ein kreativer, offener und freier Charakter führt alleine nicht dazu, dass eine Freistellung vom Unterricht geboten wäre. Soweit die Kläger einen Widerspruch der Unterrichtszeiten zum Biorhythmus ihrer Tochter sehen, wird auch damit keine Besonderheit geltend gemacht, die eine Ausnahme von der Schulpflicht bedingen würde. Gleiches gilt für den Wunsch des Kindes, die Unterrichtsinhalte mitzubestimmen, bzw. nur unter bestimmten Bedingungen die Schule besuchen zu wollen. Die organisatorische Gliederung der Schule und die strukturellen Festlegungen des Ausbildungssystems, das inhaltliche und didaktische Programm der Lernvorgänge und das Setzen der Lernziele gehören zum staatlichen Gestaltungsbereich gemäß Art. 7 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 19.8.2015 – 1 BvR 2388/11 – NVwZ-RR 2016,281, Rn. 18). In einem Umfeld, das einer Vielzahl von Personen mit unterschiedlichen Charakteren, Hintergründen und Ansichten sowie weiteren Rahmenbedingungen gerecht werden muss, ist es nicht möglich, den Wünschen und Vorstellungen jedes einzelnen Individuums vollumfänglich zu entsprechen. Auch aus den von den Klägern geschilderten bisherigen Erfahrungen der Tochter der Kläger mit der Schule ergibt sich nicht, dass ein Schulbesuch die Rechte der Tochter der Kläger in unzumutbarem Maße beeinträchtigten würde. Dass Schüler manche Situationen in der Schule (wie auch im übrigen Leben) als ungerecht empfinden, ist eine normale und zumutbare Lebenserfahrung. Es ist auch nachvollziehbar, dass ein Kind, das die Schule lange Zeit gar nicht und anschließend nur unregelmäßig besucht hat, mit einer Vielzahl neuer Reize und Situationen konfrontiert wird, bei deren Verarbeitung auch an den Nachmittagen noch eine höhere Anspannung feststellbar ist. Dass die psychische Gesundheit der Tochter der Kläger durch einen regelmäßigen Schulbesuch gefährdet wäre, lässt sich aus diesen geschilderten Eindrücken gerade nicht erkennen.
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Die Kläger sind als Erziehungsberechtigte dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Tochter ihrer Schulpflicht nachkommt. Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag, den die Regelungen des Art. 7 GG verfassungsrechtlich voraussetzen, und die zu seiner Konkretisierung erlassene allgemeine Schulpflicht beschränken in zulässiger Weise das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete elterliche Erziehungsrecht (BVerfG, B.v. 21.4.1989 – 1 BvR 235/89 – juris). Die Kläger dürfen daher einen einem Schulbesuch entgegenstehenden Willen ihrer Kinder nicht einfach akzeptieren. Das Bundesverfassungsgericht führte in einem vergleichbaren Fall Folgendes aus: „Zum einen setzt das Grundgesetz selbst die Notwendigkeit einer Bevormundung von Kindern voraus, wenn es einen gemeinsamen Erziehungsauftrag von Eltern und Schule statuiert (BVerfGE 34, 165 (183) = NJW 1973, 133). Zum anderen kann von einer “freien” Entscheidung gegen den Schulbesuch, die es zu respektieren gelte, bei einem Sechsjährigen, der weitgehend dem Einfluss seiner Eltern unterliegt, keine Rede sein. Die Bf. wollen vielmehr ihre eigenen pädagogischen Vorstellungen durchsetzen. Das kann aber nicht zu Lasten des verfassungsrechtlich anerkannten staatlichen Erziehungsauftrages gehen, der dem wohlverstandenen Interesse des Kindes dient“ (BVerfG, B.v. 05.9.1986 – 1 BvR 794/86 – NJW 1987, 180). Diese Rechtsprechung lässt sich vorliegend auch auf die Tochter der Kläger übertragen, da diese (auch aufgrund der langen Zeit, in der sie die Schule nicht besucht hat und der häufigen Fehlzeiten während der Dauer ihres Schulbesuchs) auch im Alter von 11 Jahren noch stark dem Einfluss ihrer Eltern und ihren pädagogischen Vorstellungen im Hinblick auf die Schule unterliegt.
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Die Kläger sind ihrer Verpflichtung aus Art. 76 BayEUG nicht nachgekommen.
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Sie teilten dem Schulleiter der Grundschule mit E-Mail vom 20.10.2023 Folgendes mit: „Aktuell sind sowohl unsere Tochter B**, als auch unser Sohn A** nicht bereit die Schule zu besuchen, es sei denn wir würden sie gewaltsam dazu bewegen, wozu wir nicht bereit sind. Wir respektieren ihre Entscheidung und nehmen ihre Bedürfnisse diesbezüglich wahr. Gleichzeitig stehen wir hinter ihnen und ermöglichen ihnen ihr Recht auf Bildung zu wahren und begleiten sie dabei, sich selbstbestimmt zu bilden. Ob und Inwieweit sich das mit der Schulpflicht vereinen lässt, können wir gerne gemeinsam erläutern. Wie auch bisher sind wir jederzeit zu einem Gespräch bereit, um gemeinsame Lösungen zu finden.“
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Aufgrund des tatsächlichen Ausbleibens des Kindes vom Unterricht, der E-Mail vom 20.10.2023 und weiterer Äußerungen der Klägerin zu 1) in den Medien (vgl. den in der Behördenakte enthaltenen Zeitungsartikel des … vom …2022) sowie den Erkenntnissen aus den vorangegangenen Verfahren hinsichtlich der Durchsetzung der Schulpflicht der Tochter der Kläger durfte der Beklagte bereits im Oktober 2023 davon ausgehen, dass die Kläger nicht bereit waren, ihrer Pflicht aus Art. 76 Satz 2 BayEUG nachzukommen, obwohl sie in ihrer E-Mail vom 20.11.2023 weitere Gespräche angeboten haben. Auch in der Folgezeit sind die Kläger ihren Verpflichtungen aus Art. 76 Satz 2 BayEUG nicht durch ausreichende und zielführende Anstrengungen nachgekommen. Den Klägern obliegt diesbezüglich die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2023 – 7 CS 23.1036 – juris Rn 15). Die Kläger standen zwar im Kontakt mit der Schule und haben ihrer Tochter auch die notwendigen Schulbücher und Unterlagen zur Verfügung gestellt, sowie ihr die Teilnahme an Proben ermöglicht, die Tochter hat den Unterricht im Schuljahr 2023/2024 und auch im Schuljahr 2024/2025 jedoch nicht besucht. Auf Frage nach ihren Bemühungen im Hinblick auf die Umsetzung der Schulpflicht haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärt, mit ihren Kindern im vergangenen Schuljahr das Schulfest (wenn auch nach Angaben des Schulleiters nur während eines Teils des Festes) besucht zu haben, um den Kindern zu zeigen, dass Schule auch ein sozialer Raum sei. Sie hätten auch überlegt, mit ihren Kindern ins Ausland zu ziehen. Sie würden mit ihren Kindern über Schule sprechen und ihre eigenen Erfahrungen mit der Schule beschreiben. Belohnungen und Bestrafungen lehnten sie ab. Diese seien nicht zielführend und würden die Vertrauensbasis zu den Kindern zerstören.
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Die Kläger haben damit bereits keine hinreichenden Anstrengungen geschildert, ihre Tochter tatsächlich zu einem Schulbesuch zu bewegen. Die vorgetragenen Bemühungen der Kläger sind größtenteils auf eine Anpassung des Schulsystems/der Umstände an den Willen der Kinder der Kläger und deren individuelle Bedürfnisse gerichtet und nicht darauf, dass die Kinder ihrer Schulpflicht auch unter den gegebenen Bedingungen entsprechen. Aus dem Vortrag der Kläger in der mündlichen Verhandlung und den Äußerungen der Klägerin zu 1) in sozialen Medien, Podcasts und auf ihrer Internetseite ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass die Kläger nicht bereit sind, übliche und gewaltfreie Erziehungsmethoden im Hinblick auf die Durchsetzung der Schulpflicht ihrer Kinder anzuwenden. Vielmehr akzeptieren sie die Entscheidungen ihrer Kinder, nicht zur Schule zu gehen. Ein solch weitgehendes Selbstbestimmungsrecht von Kindern ist jedoch mit dem durch die Art. 6 und 7 GG herausgestellten elterlichen und staatlichen Erziehungsauftrag ebenso wenig vereinbar wie die von den Klägern beanspruchte Freiheit, ein solches Selbstbestimmungsrecht respektieren zu dürfen (BayVGH, B.v. 7.3.2023 – 7 CS 23.324 – juris Rn. 10).
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Der angegriffene Bescheid verlangt von den Klägern auch nicht den Einsatz von Gewalt in der Erziehung. Kinder haben ein Recht auf Pflege und Erziehung unter Ausschluss von Gewalt, körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Maßnahmen (§ 1631 Abs. 2 BGB). Hieraus ergibt sich jedoch kein allgemeines „Bestrafungsverbot“. Andere als die in § 1631 Abs. 2 BGB genannten Sanktionen bleiben deshalb unberührt, etwa Ermahnungen und Tadel, Taschengeldentzug, Fernsehverbot, Computer- oder Handynutzungsverbot etc. (vgl. Huber in MüKoBGB, 9. Aufl. 2024, BGB § 1631 Rn. 26). Wenn die Kläger sich nicht in der Lage sehen, adäquate gewaltlose Erziehungsmittel anzuwenden, um ihre Tochter von der Verpflichtung zum Schulbesuch zu überzeugen, haben sie die Möglichkeit, aber auch die in ihrer Erziehungspflicht wurzelnde Verpflichtung, entsprechende Hilfe in Anspruch zu nehmen (BayVGH B.v. 7.3.2023 – 7 CS 23.324 – juris Rn. 10).
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Für die getroffene Anordnung war es auch nicht notwendig, dass eine Kindswohlgefährdung oder ein Entwicklungsrückstand bei der Tochter der Kläger festgestellt wird. Anders als bei einem Eingriff in die elterliche Sorge nach § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Juli 2025 (BGBl. 2025 I Nr. 163) geändert worden ist, der eine Gefährdung des Kindeswohls oder des Kindesvermögens voraussetzt, sind Maßnahmen, mit denen die Pflichten der Erziehungsberechtigten nach Art. 76 Satz 2 BayEUG durchgesetzt werden sollen, unabhängig davon möglich, ob aus familienrechtlicher Sicht eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder zu befürchten ist (BayVGH, B.v. 20.7.2023 – 7 CS 23.1036 – NVwZ-RR 2024, 105, Rn. 13).
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Der Bescheid ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil die Kläger dazu verpflichtet werden, für den Besuch einer bestimmten Grundschule Sorge zu tragen. Ist ein minderjähriger Schulpflichtiger an einer bestimmten Schule angemeldet, so kann sich die in Art. 76 Satz 2 BayEUG normierte Pflicht des Erziehungsberechtigten nur auf den an dieser Schule für die entsprechende Jahrgangsstufe angebotenen Unterricht und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen beziehen. Die Sicherheitsbehörden dürfen daher in solchen Fällen in ihrer Anordnung nicht nur die zur Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht vorgesehene Schulart (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 BayEUG) angeben, sondern auch die konkrete Schule, zu deren Besuch der Minderjährige – bis zu einem etwaigen Ausscheiden bzw. Schulwechsel – von dem Erziehungsberechtigten angehalten werden soll (BayVGH, B.v. 12.2.2008 – 7 CS 08.187 – juris Rn. 17). Die Tochter der Kläger hat die Grundschule … bereits in der zweiten Klasse besucht. Eine Abmeldung wurde nicht vorgetragen. Sie hat auch im Schuljahr 2024 an verschiedenen Proben an der Schule teilgenommen und dort ein Übertrittszeugnis ausgestellt bekommen, so dass von einer weiteren Anmeldung der Tochter an dieser Schule auszugehen ist. Es handelt sich bei dieser Grundschule auch um die zuständige Sprengelschule gem. Art. 42 BayEUG.
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1.2.3 Es sind auch keine Ermessensfehler hinsichtlich der Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides ersichtlich. Der Beklagte hat sein Ermessen bei Erlass des Bescheides vom 08.11.2023 ausgeübt und alle wesentlichen Interessen in seine Abwägung eingestellt. Entgegen der Ansicht der Kläger durfte der Beklagte bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Maßnahme auch die bereits bestehenden Erfahrungen mit den Klägern aus den vorangegangenen Jahren einbeziehen. Die Maßnahme ist trotz des inzwischen ausgestellten Übertrittzeugnisses und dem absehbaren Ende der Grundschulzeit auch nicht erforderlich, da durch jeden weiteren Zeitraum, in dem die Tochter der Kläger die Schule nicht besucht, ein Wiedereinstieg erschwert wird. Gerade die letzten Wochen der Grundschulzeit, in denen kein Notendruck mehr besteht, sind typischerweise von positiven Erlebnissen im Klassenverband geprägt, die die Einstellung eines Kindes zum Schulbesuch beeinflussen können.
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Vor dem Hintergrund der auch in unterschiedlichen Medien verbreiteten Äußerungen der Klägerin zu 1) stellte und stellt sich das Führen weiterer Gespräche mit den Klägern zu dem Thema nicht als gleich geeignetes Mittel dar. Auch bei der Abwägung der gegenseitigen Interessen sind keine Ermessensfehler der Behörde zu erkennen. Insbesondere gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass auf einen Schulbesuch gerichtete erzieherische Maßnahmen der Kläger – wie von den Klägern behauptet – einen drohenden Schaden für die „seelische, geistige und körperliche Entwicklung und Unversehrtheit“ ihrer Tochter nach sich zögen.
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1.3 Der Bescheid vom 08.11.2023 ist auch im Übrigen rechtmäßig. Insbesondere wurde das Zwangsgeld gegen die jeweiligen Kläger rechtmäßig angedroht.
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Bei der Bestimmung der Zwangsgeldhöhe steht der Behörde innerhalb des gesetzlichen Rahmens (15 Euro bis 50.000 Euro) ein weiter Entscheidungsspielraum zu, bei dem die Umstände des Einzelfalls und die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen zu berücksichtigten sind (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2023 – 9 ZB 22.2388 – juris Rn. 7 m.w.N.). Eine besondere Begründung für die geschätzte Höhe des wirtschaftlichen Interesses ist dabei regelmäßig nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 20.7.2023 – 7 CS 23.1036 – NVwZ-RR 2024, 105, 108, Rn. 20). Das Zwangsgeld bewegt sich mit 500 EUR am unteren Rahmen.
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Hinsichtlich der Kostentragungspflicht (Ziffer 4) und der Festsetzung der Kosten und Gebühren (Ziffer 5) sind keine Fehler vorgetragen oder ersichtlich.
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1.4 Die weiteren Zwangsgeldandrohungen vom 24.11.2023 und 10.01.2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2024 sind ebenfalls rechtmäßig. Die Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des der Zwangsgeldandrohung zugrundeliegenden Bescheids sind hierbei nicht nochmals zu prüfen. Aus Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwZVG ergibt sich der tragende Grundsatz des Verwaltungsvollstreckungsrechts, dass die Zulässigkeit der Vollstreckung keinen rechtmäßigen, sondern lediglich einen wirksamen und unanfechtbaren oder kraft Gesetzes oder besonderer Anordnung sofort vollziehbaren Verwaltungsakt voraussetzt (BayVGH, B.v. 31.7.2023 – 7 CS 23.1072 – juris Rn. 19). Ein solcher ist mit dem Bescheid vom 08.11.2023, dessen sofortige Vollziehung angeordnet wurde (Ziffer 2) gegeben. Der Beklagte hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch nicht aufgehoben, sondern entsprechende Anträge des Bevollmächtigten der Kläger mit Bescheiden vom 15.11.2023 und 08.01.2024 abgelehnt. Die moderate Steigerung der Zwangsgeldhöhe (auf 750 bzw. 1.000 EUR) ist vorliegend angemessen, weil die ursprüngliche Androhung keinen Erfolg hatte.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711