Titel:
Berufungsanträge, Abänderung, Zulassungsentscheidung, Schadensersatz und Schmerzensgeld, Berufungsrücknahme, Landgerichte, Gesundheitsschaden, Teilbarer Streitgegenstand, Nutzen-Risiko-Verhältnis, Überwiegende Wahrscheinlichkeit, Darlegungs- und Beweislast, Verschiedene Streitgegenstände, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Fehlende Kausalität, Unvertretbarkeit, Tatbestandswirkung, Auskunftsanspruch, Urteilserstreckung, Rechtsmittel, Rücknahme der Berufung
Schlagworte:
Berufungsbegründung, Streitgegenstand, Auskunftsanspruch, Kausalität, Risiko-Nutzen-Abwägung, Gesundheitsbeeinträchtigung, Berufungsrücknahme
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 28.01.2025 – 1 O 3941/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21530
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 28.01.2025, Az. 1 O 3941/23, gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO hinsichtlich des Berufungsantrags Zif. I.4. als unzulässig zu verwerfen.
2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 28.01.2025, Az. 1 O 3941/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
3. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 100.000,00 € festzusetzen.
4. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Berufung ist im Bezug auf Berufungsantrag Zif. I.4. (Auskunftsantrag) unzulässig.
2
1. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO muss die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Im Falle einer umfassenden Anfechtung muss die Berufungsbegründung zudem geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen (vgl. Senat, Beschluss vom 24. November 2020 – VI ZB 57/20, NJW-RR 2021, 189 Rn. 10 f. mwN). Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sie sich grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig.
3
2. Hier ist der Streitgegenstand von Berufungsantrag Zif. I.4. ein von den übrigen Berufungsanträgen verschiedener Streitgegenstand – schon weil es sich um einen Auskunftsantrag handelt und die weiteren Berufungsanträge auf Schadensersatz gerichtet sind. Die Abweisung des Auskunftsantrags wird vom Landgericht damit begründet, dass die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen hat, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verursachung der von der Klägerin behaupteten Beschwerden durch die streitgegenständliche Impfung begründen könnten (Zif. A. I. 1. des Urteils, S. 11 ff.). Die hierauf gestützte Abweisung des Auskunftsantrags wird mit der Berufungsbegründung in keiner Weise angegriffen.
4
Das Landgericht hat die Klage zu Recht im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin zeigt in der Berufungsbegründung weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht entscheidungserhebliche Fehler oder Versäumnisse des Landgerichts auf.
5
1. Die Klägerin rügt mit der Berufung, das Landgericht habe zu Unrecht eine Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung angenommen. Bei Comirnaty sei ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis anzunehmen. Es fehle bereits an einem Nutzen. Auch der Zweck, wonach die Impfung vor schweren Erkrankungen schütze, werde nicht erreicht. In der frühen Entwicklungsphase seien zwei verschiedene Herstellungsprozesse verwendet worden. Es bestehe der begründete Verdacht, dass die verwendete Charge des Impfstoffes mit Fremd-DNA verunreinigt gewesen sei. Das Landgericht habe auch die toxische Wirkung des Spike-Proteins außer Acht gelassen. Eine fehlerhafte Gebrauchsinformation liege vor. Wegen des Verschuldens der Beklagten bestünden auch die mit der Klage geltend gemachten deliktischen Ansprüche nach § 823 Abs. 1 und § 826 BGB. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.
6
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 23.07.2025 auf die Berufungsbegründung erwidert.
7
2. Die klägerischen Rügen greifen nicht durch.
8
a) Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das Landgericht habe bei der Prüfung des Anspruchs aus § 84 Abs. 1 S. 1 AMG rechtsfehlerhaft ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis für Comirnaty angenommen. Eine Haftung nach Abs. 1 S. 2 Nr. 1 setzt voraus, dass die beim bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels auftretenden schädlichen Wirkungen aus medizinischer Sicht unvertretbar sind. Dies hat die Klägerin bereits nicht hinreichend dargelegt. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens bestand somit kein Raum.
9
Die medizinische Unvertretbarkeit ist anhand einer Risiko-Nutzen-Abwägung zu ermitteln, wobei die therapeutischen Wirkungen eines Arzneimittels mit den schädlichen Wirkungen desselben verglichen werden (vgl. § 4 Abs. 28 AMG). Überwiegt der therapeutische Nutzen die Risiken, so sind die schädlichen Wirkungen als medizinisch vertretbar anzusehen. Bei der Prüfung der Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen werden nicht nur die im konkreten Fall eingetretenen Schäden berücksichtigt, sondern es wird eine abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung vorgenommen, bei der sämtliche schädlichen Wirkungen erfasst werden. Die Abwägung findet für die vollständige, durch die Indikationsangabe des pharmazeutischen Unternehmers avisierte Patientengruppe statt. Nicht berücksichtigt werden allerdings solche schädlichen Wirkungen, die schon bei der Zulassung bekannt waren und damals als vertretbar eingestuft wurden (OLG Karlsruhe PharmR 2009, 81 (82 f.). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn nach der Zulassung bekannt wird, dass die schädlichen Wirkungen häufiger auftreten, gewichtiger sind oder in anderer Ausprägung auftreten, als bei der Zulassungsentscheidung angenommen (OLG Bamberg, Urt. v. 08.04.2024 – 4 U 15/23, juris Rz. 45; BeckOGK/Franzki, Stand 1.6.2025, AMG, § 84 Rn. 83).
10
Hier hat die Klägerin nicht ausreichend konkret zu nach der Zulassungsentscheidung vom 10.10.2022 bekannt gewordenen schädlichen Wirkungen des Impfstoffes vorgetragen, so dass es auf die Frage einer etwaigen Tatbestandswirkung der Zulassungsentscheidung nicht ankommt. Der Klägerin obliegt insoweit die Darlegungs- und Beweislast. Eine Vorlage an den EuGH, wie von der Klägerin beantragt, ist daher ebenfalls nicht veranlasst.
11
Weiter fehlt es für einen Anspruch aus § 84 Abs. 1 S. 1 AMG auch an hinreichender Darlegung der Kausalität der Impfung mit Comirnaty für den Gesundheitsschaden der Klägerin. Die Erwägungen des Landgerichts zur fehlenden Darlegung der Kausalität (S. 11 ff des Urteils) im Rahmen des Auskunftsanspruchs, die die Klägerin mit der Berufung nicht angegriffen hat, geltend genauso für die Frage der Haftung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 S. 1 AMG. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird vollumfänglich Bezug genommen.
12
b) Einen Anspruch aus § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG ist ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Kausalität eines etwaigen Informationsfehlers für die Gesundheitsschäden der Klägerin zu verneinen.
13
c) Gleiches gilt für die Ansprüche aus §§ 823 und 826 BGB.
14
Weil die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (Nr. 1222 KV GKG).