Titel:
Befangenheitsablehnung eines Sachverständigen
Normenkette:
ZPO § 42, § 263, § 406
Leitsätze:
1. Die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit kann nicht auf eine etwaige Unzulänglichkeit oder Fehlerhaftigkeit des von ihm erstatteten Gutachtens gestützt werden. Und zwar selbst dann nicht, wenn etwaige Fehler das Gutachten entwerten würden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Klageerweiterung, deren einziger Zweck es ist, einen unliebsamen Sachverständigen aus dem Verfahren zu drängen, ist jedenfalls nicht sachdienlich iSv § 263 ZPO. Das Ermessen des Gerichts ist in einem solchen Fall aufgrund der mit der Klageänderung verfolgten, verfahrensfremden Zwecke und der Tatsache, dass anderenfalls jeder unliebsame Sachverständige durch eine entsprechende Klageerweiterung aus dem Verfahren gedrängt und das Verfahren so erheblich verzögert werden könnte, auf Null reduziert. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sachverständiger, Befangenheit, Ablehnung, Besorgnis der Befangenheit, Ablehnungsgrund, grobe Fahrlässigkeit, Klageerweiterung, Parteierweiterung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 19.08.2025 – 25 W 799/25 e
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21520
Tenor
Der Antrag der Klagepartei auf Ablehnung des Sachverständigen Dipl. Phys. Univ. … mit Schriftsatz vom 13.09.2024 (Bl. 316/317 d.A.) wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Mit Beweisbeschluss vom 18.07.2023 (Bl. 107/111 d.A.) ordnete das Gericht die Beweiserhebung über eine Reihe von Behauptungen der Beklagtenpartei im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfall und dem Verhalten des Klägers an und bestimmte zum Sachverständigen Dipl. Phys. Univ. …. Gegen dessen Bestellung wurden zunächst keine Einwände erhoben. Mit Verfügung vom 21.11.2023 (Bl. 148/149 d.A.) wies das Gericht u.a. auf Folgendes hin:
„Anders als der Klägervertreter meint, kommt es nicht vorrangig darauf an, ob die vom Kläger benutzte Software einen Programmierungsfehler enthielt, sondern es geht um die vom Sachverständigen aufzuklärende Frage, ob dem Kläger aus seinem gesamten Verhalten (vor und während des Fluges), und damit auch aus einer möglicherweise vorwerfbaren Nichteinhaltung der erforderlichen Mindestflughöhe, eine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.“
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Der Sachverständige Dipl. Phys. Univ. … erstattete sein Gutachten unter dem 30.01.2024 (Bl. 163/198 d.A.) und kam zu dem Ergebnis, dass der gegenständliche Unfall vom Kläger durch eine grobe Verletzung der gebotenen Sorgfaltspflicht bei der durchzuführenden Flugplanung und Flugdurchführung verursacht worden sei und führte hierzu näher aus.
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Mit Schriftsatz vom 10.04.2024 (/Bl. 212/246 d.A.) machte die Klagepartei innerhalb der verlängerten Stellungnahmefrist zum Gutachten des Sachverständigen ihre Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen geltend und beantragte dessen Entlassung durch das Gericht. Ferner bat sie um eine gerichtliche Einschätzung und entsprechende Hinweise und behielt sich weiteren Vortrag zur Sache vor. Mit Beschluss vom 21.06.2024 (Bl. 269/271 d.A.) ordnete das Gericht ein ergänzendes Gutachten durch den Sachverständigen Dipl. Phys. Univ. … an. Hiergegen legte die Klagepartei am 28.06.2024 sofortige Beschwerde ein (Bl. 274/297 d.A.). Auf deren Unstatthaftigkeit mit Verfügung vom 17.07.2024 (Bl. 307/308 d.A.) hingewiesen, stellte der Kläger innerhalb der gesetzten Stellungnahmefrist bereits am 13.09.2024 unter Rücknahme der Beschwerde den gegenständlichen Befangenheitsantrag (Bl. 316/317 d.A.), welchen er mit Schriftsatz vom 16.09.2024 (Bl. 319/402 d.A.), ebenfalls noch innerhalb der gewährten Stellungnahmefrist, begründete.
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Das Gericht stellte die Frage der Zustellung der Klageerweiterung gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen zunächst zurück und gewährte dem Sachverständigen … mit Verfügung vom 18.09.2024 (Bl. 405 d.A.) Gelegenheit, zu dem gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag Stellung zu nehmen.
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Mit Verfügung vom 15.10.2024 (Bl. 413/415 d.A.) wies die vormals zuständige Einzelrichterin – vor Zustellung der Klageerweiterung – darauf hin, dass sie Bedenken hinsichtlich Schlüssigkeit und Zulässigkeit der Klageerweiterung gegen den Sachverständigen habe und regte eine Rücknahme der erweiternden Klageanträge binnen Zweiwochenfrist an.
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Mit Schriftsatz vom 28.10.2024 (Bl. 416/417 d.A.) nahm der Sachverständige zu dem gegen ihn gerichteten Befangenheitsantrag Stellung. Mit Schriftsatz vom 26.11.2024 (Bl. 437/445 d.A.) hielt der Kläger an seiner Klageerweiterung fest und stütze seinen Befangenheitsantrag nunmehr auch auf die Tatsache, dass er Klage auch gegen den Sachverständigen erhoben habe. Daraufhin wurde die Klageerweiterung mit Verfügung vom 09.12.2024 (Bl. 452/453 d.A.) am 12.12.2024 an den Beklagten zu 2), …, zugestellt.
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Mit Schreiben vom 24.03.2025 (Bl. 495 d.A.) nahm der Sachverständige auch unter dem Aspekt der Klageerweiterung nochmals zu dem Befangenheitsantrag Stellung.
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Im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
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Der gem. §§ 406, 42 ZPO zulässige Befangenheitsantrag ist unbegründet. Dem Vorbringen der Klagepartei ist eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen Dipl. Phys. Univ. … iSv. § 42 Abs. 2 ZPO nicht zu entnehmen, eine solche ist auch nicht ersichtlich.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist er nicht verfristet, 406 Abs. 2 S. 2 ZPO.
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Die Klagepartei machte ihre Besorgnis der Befangenheit bereits mit Schriftsatz vom 10.04.2024 innerhalb der verlängerten Stellungnahmefrist zum Gutachten des Sachverständigen geltend und beantragte dessen Entlassung durch das Gericht. Ferner bat sie um eine gerichtliche Einschätzung und entsprechende Hinweise und behielt sich weiteren Vortrag zur Sache vor. Mit Beschluss vom 21.06.2024 ordnete das Gericht ein ergänzendes Gutachten durch den Sachverständigen Dipl. Phys. Univ. … an und gab so zu verstehen, dass es die Besorgnis der Klagepartei nicht teilt. Hiergegen legte die Klagepartei am 28.06.2024 sofortige Beschwerde ein (Bl. 274/297 d.A.). Auf deren Unstatthaftigkeit mit Verfügung vom 17.07.2024 (Bl. 307/308 d.A.) hingewiesen, stellte der Kläger innerhalb der gesetzten Stellungnahmefrist bereits am 13.09.2024 unter Rücknahme der Beschwerde den gegenständlichen Befangenheitsantrag (Bl. 316/317 d.A.), welchen er mit Schriftsatz vom 16.09.2024 (Bl. 319/402 d.A.), ebenfalls noch innerhalb der gewährten Stellungnahmefrist, begründete. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der Antrag gerade noch fristgerecht erfolgte.
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2. Dessen ungeachtet ist der Antrag aber jedenfalls unbegründet. Ein Ablehnungsgrund wurde weder dargetan noch ist ein solcher ersichtlich.
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a) Die Ablehnung eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ist nur begründet, wenn ein Grund vorliegt, der bei verständiger Würdigung vom Standpunkt des Ablehnenden aus gesehen ein Misstrauen gegen den Sachverständigen gerechtfertigt erscheinen lässt. Eine nur subjektive Besorgnis der Befangenheit einer Partei, für die bei Würdigung der objektiven Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht nicht aus (vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 406 Rn. 8 mwN). Andererseits ist es nicht erforderlich, dass der Sachverständige tatsächlich befangen ist. Es reichen Gründe aus, die die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, der Sachverständige trete einer Partei nicht unbefangen und unparteiisch gegenüber (vgl. OLG München, 13 W 1665/96).
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Demnach ist eine Ablehnung bspw. unbegründet, soweit man sie nur auf einen Mangel an Sachkunde des Sachverständigen stützen kann (OLG Frankfurt a. M., FamRZ 1980, 932). Auch das einer Partei ungünstige Ergebnis des Gutachtens rechtfertigt die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit in der Regel ebensowenig wie eine angeblich zu hohe Entschädigungsforderung des Sachverständigen (OLG München, 25 W 920/80, Rpfleger 1980, 303). Auch wenn und soweit das Gutachten des Sachverständigen Rechtsausführungen enthält, reicht dies in aller Regel ebenfalls nicht aus, die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen zu rechtfertigen (vgl. OLG Karlsruhe, 18a W 9/94, MDR 1994, 725; OLG Naumburg, 10 W 39/12, BauR 2013, 278; OLG Nürnberg, 4 W 2519/01, MDR 2002, 291; Toussaint/Weber, 54. Aufl. 2024, JVEG § 8a Rn. 68).
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b) Unter Zugrundelegung dessen sind vorliegend weder dem Gutachten des Sachverständigen noch dem Vorbringen der Klagepartei noch den Ausführungen des Sachverständigen in seinen Stellungnahmen auf den Befangenheitsantrag objektive Anhaltspunkte zu entnehmen, deren Würdigung vernünftigerweise und bei verständiger Würdigung auch aus Sicht des Klägers ein Misstrauen gegen den Sachverständigen und seine Unparteilichkeit gerechtfertigt erscheinen ließe.
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aa) Den umfangreichen Stellungnahmen der Klagepartei nach Gutachtenerstellung ist zu entnehmen, dass diese sich in erster Linie daran stört, dass der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass eine grobe Verletzung von Sorgfaltspflichten bei der durchzuführenden Flugplanung und Flugdurchführung seitens des Klägers den gegenständlichen Unfall (mit)verursacht hat.
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Dies mag nicht den Vorstellungen der Klagepartei entsprechen und überdies für sie ungünstig sein, rechtfertigt jedoch keine (objektive) Besorgnis der Befangenheit. Denn eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kann jedenfalls nicht auf eine etwaige Unzulänglichkeit oder Fehlerhaftigkeit des Gutachtens gestützt werden (BGH, Beschluss vom 15.03.2005, VI ZB 74/04, NJW 2005). Das gilt selbst dann, wenn etwaige Fehler das Gutachten entwerten würden (OLG Celle, 14 W 45/01, NJW-RR 2003, 135; OLG München, 25 W 920/80, Rpfleger 1980, 303). Der Sachverständige war in seinem Gutachten ersichtlich bemüht, den umfangreichen Fragenkatalog des Gerichts aus Beweisbeschluss vom 18.07.2023 (Bl. 107/109 d. A.) und so im Ergebnis auch die seitens des Gerichts als solche ausdrücklich benannte, „vom Sachverständigen aufzuklärende Frage, ob dem Kläger aus seinem gesamten Verhalten (…) eine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann“ (vgl. Bl. 148 d.A), zu beantworten. Dass es sich bei dieser letzten Frage ggf. um eine Rechtsfrage handelt, deren Beantwortung im Ergebnis allein dem Gericht obliegt, begründet ebenfalls nicht die (objektive) Besorgnis der Befangenheit.
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bb) Daran vermag auch der Gebrauch wertenden Vokabulars seitens der Klagepartei – so etwa „brachial“, „einfach so“ „noch nicht einmal“, „falsch“, „verwirrend“, „nicht erkennt oder verstanden hat“, „längst (…) als unverwertbar eingestuftes Fremdgutachten stützt“, „unnatürlich“, „brachiales Vorgehen“, „der den zu Beurteilenden verachtet“, „völlig unbrauchbare Arbeitsweise“ – nichts zu ändern. Dem Gutachten des Sachverständigen ist weder eine unsachliche noch eine abfällige Äußerung über den Kläger zu entnehmen. Der Sachverständige stellt lediglich fest, dass er das Verhalten des Klägers in seiner Gesamtheit als grob fahrlässig ansehe. Dies ist weder verachtend noch setzt sich der Sachverständige insoweit unberechtigt über Einschätzungen anderer hinweg, die für das gegenständliche Verfahren bindend wären. Denn etwaige Erkenntnisse aus Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Innsbruck entfalten weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Bindungswirkung für das gegenständliche Zivilverfahren zwischen den hiesigen Beteiligten. Im Übrigen gelten im (deutschen) Zivilrecht auch andere Haftungsmaßstäbe als im (österreichischen) Strafrecht. Ein Beweis kann daher im vorliegenden Verfahren nicht bereits durch etwaige Erkenntnisse aus dem Strafverfahren in Innsbruck geführt worden sein.
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cc) Auch der pauschale Vorwurf, der Sachverständige unterdrücke entweder gemeinsam mit der Beklagten Daten oder helfe dieser, diese nicht bereitstellen zu müssen, basiert auf bloßen Vermutungen und Behauptungen ins Blaue hinein, ohne dass die Klagepartei entsprechende Vorwürfe belegt oder mit entsprechenden Tatsachen untermauert hätte. Gleiches gilt für den Vorwurf, der Sachverständige habe Kopien von Datenpaketen, die der Herausgabe an den Kläger unterliegen würden.
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dd) Schließlich ist auch nicht erforderlich, dass sich der Sachverständige bereits im Rahmen seiner Stellungnahmen zum Befangenheitsantrag oder als Partei im Rahmen der Klageerweiterung inhaltlich mit dem Vorwurf der Fehlerhaftigkeit des Gutachtens auseinandersetzt. Ob das Gutachten tatsächlich Fehler aufweist oder nicht ist für die Frage der Besorgnis der Befangenheit ohne Relevanz, da selbst bei deren Vorliegen eine Ablehnung nicht gerechtfertigt wäre (s.o).
21
Die von der Klagepartei aufgezeigten vermeintlichen Unrichtigkeiten können ggf. Gegenstand eines Ergänzungsbeschlusses oder einer mündlichen Erläuterung des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung sein. Eine Ablehnung kann hierauf jedoch aus guten Gründen nicht gestützt werden.
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ee) Gleiches gilt im Ergebnis auch unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 16.09.2024 durch die Klagepartei im Wege der Klageerweiterung erhobenen Feststellungsklage gegen den Sachverständigen Dipl. Phys. Univ. … persönlich.
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Ungeachtet der Tatsache, dass es dieser Feststellungsklage bereits an dem erforderlichen Feststellungsinteresse fehlen und diese im Übrigen auch unschlüssig sein dürfte (vgl. gerichtlicher Hinweis vom 15.10.2024, Bl. 413/414), stellt sich diese Klageerweiterung, deren einziger Zweck sein dürfte, den unliebsamen Sachverständigen aus dem Verfahren zu drängen, als jedenfalls nicht sachdienlich dar, so dass sie bereits ohne weiteres als unzulässig abzuweisen wäre, vgl. § 263 ZPO. Insoweit dürfte das Ermessen des Gerichts im Übrigen aufgrund der mit der Klägeränderung verfolgten, verfahrensfremden Zwecke und der Tatsache, dass anderenfalls jeder unliebsame Sachverständige durch eine entsprechende Klageerweiterung aus dem Verfahren gedrängt und das Verfahren so erheblich verzögert werden könnte, auf Null reduziert sein, wenn die Beklagte in eine solche Klageänderung nicht einwilligt, was sie vorliegend nicht getan hat.
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Da der Sachverständige Dipl. Phys. Univ. … auf Grundlage der Klageerweiterung nichts weiter zu befürchten hat, da diese in der Folge allein für den Kläger kostenpflichtig als unzulässig abzuweisen wäre, hat er in seiner Stellungnahme vom 24.03.2025 folgerichtig mitgeteilt, dass er sich auch als Folge der Zustellung der Klage als solche nicht als befangen ansehe. Dementsprechend besteht auch diesbezüglich objektiv kein Grund, der bei verständiger Würdigung aus Sicht des Klägers ein Misstrauen gegen den Sachverständigen gerechtfertigt erscheinen ließe. Dass der Kläger subjektiv eine entsprechende Besorgnis hegt, reicht nicht aus (s.o.).