Titel:
Betriebsschließungsversicherung, Versicherungsnehmer, Allgemeinverfügung, Versicherungsfall, Allgemeine Versicherungsbedingungen, Betriebsschließungen, OLG Nürnberg, Infektionsschutzgesetz, unangemessene Benachteiligung, Versicherungsschutz, Betriebsstätte, Behördliche Maßnahmen, Behörden, Behördliche Anordnung, Betriebseinschränkung, Betriebsangehörige, Tätigkeitsverbot, Versicherten, Krankheitserreger, Zurückstellung
Schlagworte:
Versicherungsfall, Betriebseinschränkung, Teilschließung, Allgemeinverfügung, Entschädigungsanspruch
Vorinstanzen:
LG München I, Berichtigungsbeschluss vom 26.09.2024 – 12 O 9782/22
LG München I, Urteil vom 03.09.2024 – 12 O 9782/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21515
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 03.09.2024, Az. 12 O 9782/22, berichtigt durch Beschluss vom 26.09.2024, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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Die Klägerin ist ein Klinikkonzern und unterhielt bei der Beklagten vom 1. Januar bis 31. Dezember 2020 eine Betriebsschließungsversicherung gemäß Versicherungsschein vom 24. Juli 2020 (Anlage HKLW K 1). In dieser war die Klinik… (fortan: Betriebsgesellschaft) als rechtlich eigenständiger Klinikstandort mitversichert. Vereinbart waren „Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden wegen behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) AVB BS 2002“ („Stand: 01.01.2008 – Anlage 075“; hier Anlage HKLW K 2), „Zusatzvereinbarungen zur Betriebsschließungsversicherung für Krankenhäuser, Kur- und Rehabilitations- sowie sonstigen Einrichtungen – Kompakt“ („Stand: 01.01.2008 – Anlage 078“; hier Anlage HKLW K 3), „Zusatzvereinbarungen zur Betriebsschließungsversicherung für Krankenhäuser, Kur- und Rehabilitations- sowie sonstigen Einrichtungen – Optimal“ („Stand: 01.01.2008 – Anlage 079“; hier Anlage HKLW K 4) sowie eine „Erweiterung zu den Besonderen Bedingungen Optimal 079 zur Betriebsschließungsversicherung – Anlage 499“ (fortan: Anlage 499; hier Anlage HKLW K 5).
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In dem mit „Versicherungsumfang“ überschriebenen Teil B der AVB BS 2002 heißt es in § 1 unter der Überschrift „Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren“:
„1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger … Krankheiten oder Krankheitserreger
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt; …“
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Ziffer 2.2 der Anlage 499 lautet:
„Der Versicherer leistet auch Entschädigung, wenn nur einzelne Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebs von der Schließung betroffen sind. Tätigkeitsverbote gegen sämtliche wesentliche Mitarbeiter eines Betriebes – ausgenommen Auszubildende und Hilfskräfte/Hilfsarbeiter – werden einer Schließung oder Teilschließung gleichgesetzt.
Eine Schließung oder Teilschließung im Krankenhaus bzw. Altenheim bzw. in einer wohlfahrtspflegerischen Einrichtung liegt insbesondere vor, wenn die zuständige Behörde die Neuaufnahme von Patienten bzw. Bewohnern untersagt bzw. die Nichtneuaufnahme von Patienten bzw. Bewohnern vereinbart oder empfiehlt.“
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Auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG (in der Fassung des Gesetzes vom 10. Februar 2020, BGBl. I S. 148) erließ das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege eine sofort vollziehbare Allgemeinverfügung vom 19. März 2020 (Anlage HKLW K 6), die am 20. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 15. Mai 2020 außer Kraft trat. Nr. 1 Satz 1 der Allgemeinverfügung ordnete an, dass Krankenhäuser, zu denen auch der versicherte Klinikstandort in … gehörte, „soweit medizinisch vertretbar, bis auf Weiteres alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen“ haben, „um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19 Patienten freizumachen“. Die Behandlung von Notfällen war gemäß Nr. 1 Satz 2 zu gewährleisten.
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Daraufhin setzte die versicherte Klinik die Neuaufnahme von Patienten aus und entließ, soweit medizinisch vertretbar, bereits aufgenommene Patienten vorzeitig. Die Klägerin meldete der Beklagten einen Versicherungsfall. Diese lehnte eine Versicherungsleistung ab (vgl. Anlage HKLW K 9).
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Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 18. März bis 16. Mai 2020 die Zahlung von 2.310.536,46 € an die Betriebsgesellschaft verlangt (zur Höhe vgl. auch Klageschrift, S. 13 f unter II 4), nämlich eines Betriebsschließungsschadens von 1.891.125,01 € (3.975.780,81 € abzüglich staatlicher Ausgleichszahlungen von 2.084.655,80 €) und 419.411,45 € Mehrkosten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
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Die zulässige Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsbegründung vom 2. Dezember 2024 und im Schriftsatz vom 29. Juli 2025 ist nicht geeignet, zu einer abweichenden Beurteilung zu gelangen.
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1. Das Landgericht hat ausgeführt, ein Versicherungsfall sei nicht gegeben. Voraussetzung hierfür sei eine angeordnete Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern. Bei den Maßnahmen aus der Allgemeinverfügung handle es sich nicht um eine solche. Es komme auf die Zielsetzung der behördlichen Anordnung an. Zielsetzung der Allgemeinverfügung sei es gewesen, dass ausreichend Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten zur Verfügung gehalten werden. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Anordnung in der Allgemeinverfügung und sei auch deren Begründung zu entnehmen. Nicht ausreichend sei der Umstand, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG aF die Rechtsgrundlage für die Allgemeinverfügung darstelle. Dahinstehen könne, ob die Maßnahmen in der Allgemeinverfügung zu einer Betriebsschließung führten sowie ob und in welchem Umfang die Klägerin Erstattungsleistungen erhalten habe.
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2. Unzutreffend ist die vom Landgericht gegebene Begründung, es habe keine Anordnung zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern im Sinn von Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 1 AVB BS 2002 vorgelegen.
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a) Diese Bestimmung ist dahin auszulegen, dass die behördliche Maßnahme nicht nur aufgrund des Infektionsschutzgesetzes erfolgt sein muss, sondern auch mit dem Zweck, die Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern zu verhindern.
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aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 – IV ZR 117/09, VersR 2011, 918 Rn. 22). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10. April 2019 – IV ZR 59/18, NJW 2019, 2172 Rn. 17 mwN).
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bb) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird für den in Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 1 AVB BS 2002 geregelten Fall zwei unterschiedliche Voraussetzungen darin sehen, dass die Betriebsschließung einerseits aufgrund des Infektionsschutzgesetzes vorgenommen sein muss und andererseits zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern. Die zweite Voraussetzung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dahin verstehen, dass ein Zweck der Maßnahme die Verhinderung der Verbreitung sein muss.
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(1) Es liegen zwei zu unterscheidende Voraussetzungen vor.
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Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Teil B § 1 Nr. 1 AVB BS 2002 stellt zunächst nur ab auf eine Maßnahme „aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)“, und zwar – als weitere Voraussetzung – „beim Auftreten meldepflichtiger … Krankheiten oder Krankheitserreger“ (insoweit erweitert durch zusätzliche Vereinbarungen, vgl. Klageschrift, S. 11 unter II 2.1). Gemäß Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 1 AVB BS 2002 ist Voraussetzung zudem, dass eine Betriebsschließung „zur Verhinderung der Verbreitung von … Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen“ erfolgt. Der Bezugnahme auf das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer nur entnehmen, dass es um Maßnahmen in diesem Zusammenhang gehen wird, nicht aber, ob der Versicherungsschutz sich auf bestimmte Maßnahmen nach diesem Gesetz beschränkt. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer einer Betriebsschließungsversicherung – einem Gewerbetreibenden – sind die näheren Voraussetzungen und Handlungsmöglichkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz nicht im Einzelnen bekannt. Der Formulierung, dass der Betrieb „zur Verhinderung der Verbreitung …“ geschlossen wird, wird er deshalb die zusätzliche Voraussetzung entnehmen, dass nur solche Betriebsschließungen versichert sind, die zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern erfolgen. Einen Abgleich mit den gesetzlichen Voraussetzungen einer Maßnahme gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG aF, die ihm weder bekannt noch im vorgelegten Bedingungswerk (Anlagen HKLW K 2 bis K 5) abgedruckt sind, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer hingegen nicht vornehmen, sondern den Umfang seines Versicherungsschutzes in erster Linie aus dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen ableiten.
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Hierin bestärkt wird er durch die erkennbare Systematik der Bestimmung. Die Voraussetzung einer Maßnahme aufgrund des Infektionsschutzgesetzes ist – neben weiteren allgemeinen Voraussetzungen („zuständige Behörde“, „Auftreten …“) – im einleitenden Satzteil von Teil B § 1
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Nr. 1 AVB BS 2002 enthalten. An diesen schließen sich fünf mit Buchstaben bezeichnete Gefahrengruppen (lit. a bis e) an, die jeweils weitere Voraussetzungen enthalten. Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 1 AVB BS 2002 setzt die Schließung des versicherten Betriebs oder einer versicherten Betriebsstätte „zur Verhinderung der Verbreitung …“ voraus. Dies wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer nur so verstehen, dass die Betriebsschließung gerade zur Verhinderung der Verbreitung erfolgt sein muss, die Verhinderung der Verbreitung also eine zusätzliche Voraussetzung darstellt, die über die allgemeinen Voraussetzungen im einleitenden Satzteil hinausgeht. Aus all dem wird sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erschließen, dass eine versicherte Gefahr nicht nur ein Tätigwerden auf der Rechtsgrundlage des Infektionsschutzgesetzes („aufgrund des Gesetzes“) voraussetzt, sondern darüber hinaus ein solches zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern.
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(2) Letzteres wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dementsprechend dahin verstehen, dass ein Zweck der Maßnahme die Verhinderung der Verbreitung sein muss.
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(a) Die behördliche Maßnahme muss den Zweck verfolgen, die Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten zu verhindern. Das kommt durch den Gebrauch der finalen Präposition „zur“ unmissverständlich zum Ausdruck (OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1290).
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Nicht ausreichend ist demnach der Umstand allein, dass die Behörde ihre Maßnahme auf das Infektionsschutzgesetz stützt. Hierfür spricht auch der erkennbare Regelungszusammenhang: Dass die Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes tätig wird, ist bereits nach dem einleitenden Satzteil von Teil B § 1 Nr. 1 AVB BS 2002 allgemeine Voraussetzung einer versicherten Gefahr. Die zusätzliche Voraussetzung „zur Verhinderung der Verbreitung“ (s.o. unter (1)) wird nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers einen darüber hinausgehenden Regelungsgehalt haben, sonst wäre sie obsolet, was der durchschnittliche Versicherungsnehmer an dieser Stelle nicht erwarten wird.
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(b) Weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck von Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 1 AVB BS 2002 kommt es aber darauf an, ob die Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten den alleinigen oder hauptsächlichen Zweck der konkreten behördlichen Maßnahme darstellt. Dergleichen kann ein verständiger Versicherungsnehmer der Klausel nicht entnehmen. Ein enger verstandener Charakter der vom Versicherungsschutz erfassten Anordnungen hätte im Bedingungswerk durch eine dem Versicherer ohne Weiteres mögliche und zumutbare Klarstellung zum Ausdruck kommen müssen (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1290). Dies ist jedoch nicht geschehen.
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b) Gemessen an diesen Voraussetzungen war die Anordnung in Nr. 1 der ausdrücklich auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG aF gestützten Allgemeinverfügung vom 19. März 2020 (Anlage HKLW K 6) unzweifelhaft eine Maßnahme aufgrund dieser Vorschrift. Auch ist die Anordnung noch als Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern anzusehen, weil die Verhinderung der Verbreitung jedenfalls einer der Zwecke der Anordnung war.
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aa) Allerdings ist dem Wortlaut der Allgemeinverfügung nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass die anordnende Behörde eine auf diesen Zweck gerichtete Zielsetzung verfolgte.
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(1) Im regelnden Teil der Allgemeinverfügung heißt es in Nr. 1 Satz 1, dass die Krankenhäuser die Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen haben, „um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19 Patienten freizumachen“.
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Hiernach sollte die Maßnahme das Freimachen möglichst umfangreicher Versorgungskapazitäten (für COVID-19-Patienten) bewirken. Nicht ausdrücklich genannt ist die Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern. Die Allgemeinverfügung ordnet auch weder Betretungs- oder Kontaktverbote noch Hygienemaßnahmen an, sondern beschränkt sich auf die Regelung planbarer Behandlungen.
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(2) Auch die in der Allgemeinverfügung enthaltene Begründung gibt keinen unmittelbaren Hinweis darauf, dass es sich um eine Anordnung mit dem Zweck handeln würde, die Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern zu verhindern.
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Der drohende Kapazitätsengpass an Krankenhäusern wird in der Begründung an zahlreichen Stellen genannt und als Grund für die Maßnahmen angeführt (vgl. Anlage HKLW K 6, S. 2 vorletzter und letzter Absatz, S. 3 vorletzter und letzter Absatz, S. 4 Abs. 1). Ein Infektions- oder Übertragungsrisiko hingegen nennt die Begründung (aaO S. 4 Abs. 2) nur als weiteren Grund – neben freizuhaltenden Kapazitäten – für die in Nr. 3 der Allgemeinverfügung angeordnete – und hier nicht einschlägige – Einstellung des Betriebs von Einrichtungen nach § 111a SGB V (Einrichtungen des Müttergenesungswerks oder gleichartige Einrichtung) in dieser Funktion, weil bei deren Weiterbetrieb zu Zwecken der Kinderbetreuung „ein besonders hohes Infektions- und Übertragungsrisiko“ bestünde. Hieraus lässt sich nicht ableiten, dass die anordnende Behörde eine entsprechende Erwägung auch der Anordnung gemäß Nr. 1 der Allgemeinverfügung zugrunde gelegt hätte, in der es nicht um den Betrieb von Einrichtungen zum Zwecke der Kinderbetreuung geht, sondern um den Krankenhausbetrieb. Vielmehr liegt der Umkehrschluss nahe, dass ein Infektions- oder Übertragungsrisiko aus Sicht der Behörde keinen maßgeblichen Grund für die hier interessierende Anordnung gemäß Nr. 1 der Allgemeinverfügung dargestellt hätte.
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bb) Dennoch stellte die Anordnung in Nr. 1 der Allgemeinverfügung eine bedingungsgemäße Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern dar (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1290 mwN). Die Anordnung diente auch diesem Zweck.
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Zwar zielte Nr. 1 der Allgemeinverfügung vom 19. März 2020, der die dort genannten Krankenhäuser dazu verpflichtete, nach Möglichkeit alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen, um auf diese Weise möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten freizumachen und die Behandlung von Notfällen zu gewährleisten, in erster Linie auf die Bewältigung eines im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erwarteten Notstands in der stationären Versorgung ab. Auf diese Weise trug die Regelung aber zugleich zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus bei, indem sie sicherstellte, dass an COVID-19 erkrankte Personen möglichst wirksam in den dafür vorgesehenen medizinischen Einrichtungen isoliert und behandelt werden konnten (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 25. April 2020 – AN 18 S 20.00739, juris Rn. 26). Die Bereithaltung von Behandlungskapazitäten für bereits an COVID-19 erkrankte Personen diente der Isolierung und Heilung solcher Patienten und hatte somit (auch) eine Begrenzung der Verbreitung zur Folge (OLG Nürnberg, aaO S. 1290 f).
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3. Die angefochtene Entscheidung ist aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend. Es fehlt an einer bedingungsgemäßen Schließung gemäß Teil B § 1 Nr. 1 lit. a AVB BS 2002 oder Ziffer 2.2 der Anlage 499 und es liegt auch kein Versicherungsfall gemäß Ziffer 1 Abs. 2 der Anlage 499 vor.
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a) Es fehlt an einer Betriebsschließung im Sinne von Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 1 AVB BS 2002. Die Bestimmung setzt voraus, dass die Behörde den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte „schließt“.
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aa) Nach den Auslegungskriterien für Allgemeine Versicherungsbedingungen (s.o. unter 2 a aa) „schließt“ die Behörde einen Betrieb (oder eine Betriebsstätte), wenn der Kern der dort bestimmungsgemäß ausgeübten Tätigkeit untersagt wird und der Versicherungsnehmer daher zur Einstellung seines Betriebs gezwungen ist (vgl. Notthoff, r+s 2020, 551, 554). Das Wort „schließen“ bzw. das synonym im Bedingungswerk verwendete Substantiv „Schließung“ (vgl. etwa Teil B § 2 Nr. 1 lit. a AVB BS 2002; vgl. auch Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 2 AVB BS 2002) werden im alltäglichen Sprachgebrauch (vgl. duden.de/rechtschreibung/schlieszen) als „eine Sache nach außen versperren“ oder „den Durchgang untersagen“ verstanden (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1291 f). Eine Schließung bei geöffneten Türen gibt es begrifflich nicht (OLG Nürnberg, aaO S. 1292; vgl. OLG Hamburg, VersR 2021, 1228, 1230 f).
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Nach der Wortbedeutung ist eine Betriebsschließung ein „Vorgang, bei dem eine öffentliche oder wirtschaftliche Einrichtung ihre Arbeit dauerhaft beendet“. Danach wäre unter einer Betriebsschließung nur die vollständige Schließung eines Betriebes zu verstehen. Es muss danach eine betriebliche Tätigkeit ganz eingestellt sein (Günther/Piontek, r+s 2020, 242, 245).
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Erweitert man den Begriff der Schließung in der gebotenen Weise auf seinen funktionalen Sinn, so wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer eine bloße Betriebseinschränkung oder eine teilweise Einstellung des Leistungsangebots nicht als von der Formulierung „schließt“ umfasst ansehen (vgl. OLG Karlsruhe, r+s 2021, 438 Rn. 58; LG München I, r+s 2020, 578 Rn. 40). Bereits der zur Bezeichnung der streitgegenständlichen Versicherung verwendete Begriff der „Betriebsschließungsversicherung“ legt nahe, dass es sich nicht um eine Betriebseinschränkungsversicherung handelt. Trifft eine Behörde Anordnungen, die nicht schlechthin einen Betrieb untersagen, sondern ihn lediglich Einschränkungen unterwerfen, kann also grundsätzlich nicht davon die Rede sein, die Behörde habe den Betrieb geschlossen (vgl. OLG München, Beschluss vom 12. Mai 2021 – 25 U 5794/20, VersR 2021, 1174, 1177). Bezogen auf ein Krankenhaus ist die Untersagung der „Normalbelegung“ daher auch nicht als Betriebsschließung zu bewerten (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1292).
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Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 1 AVB BS 2002 spricht zudem davon, dass die Behörde „den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte“ schließt. Teil B § 2 Nr. 1 lit. a AVB BS 2002 gewährt eine Entschädigung in Form einer „Tagesentschädigung“. Diese ist nicht als Schadensversicherung, sondern als Summenversicherung ausgekleidet. Auch hieraus ist herzuleiten, dass nur eine vollständige Schließung gedeckt ist, aber nicht lediglich eine Betriebseinschränkung, für die es folglich auch keine Entschädigungsberechnung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen gibt (vgl. Günther/Piontek, r+s 2020, 242, 245).
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Indem Teil B § 1 Nr. 1 lit. a Halbsatz 2 AVB BS 2002 es einer Betriebsschließung gleichstellt, wenn „sämtliche“ Betriebsangehörige ein Tätigkeitsverbot erhalten, wird deutlich, dass es auf die Einstellung des gesamten Krankenhausbetriebs ankommt. Würde mit einem Teil der Betriebsangehörigen ein – wenn auch eingeschränkter – Krankenhausbetrieb aufrechterhalten bleiben können und dürfen, läge keine bedingungsgemäße Schließung vor (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1292). Es fehlt an einer Betriebsschließung, wenn der Betrieb als solches öffnen kann, jedoch Teile seines Betriebs nicht nutzen darf (Beispiele: Bäckerei darf weiterhin Backwaren verkaufen, aber nicht an Tischen servieren, ein Hotel darf nur Geschäftsreisende aufnehmen oder eine Gaststätte darf Mahlzeiten nur außer Haus verkaufen; Günther/Piontek, r+s 2020, 242, 245). bb) Teil B § 1 Nr. 1 lit. a AVB BS 2002 ist wirksam.
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Die Bestimmung enthält keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klausel ist in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich die streitgegenständliche Versicherung an Gewerbetreibende richtet, ist der Versicherungsfall ausreichend transparent geregelt. Ein gesetzliches Leitbild für Betriebsschließungsversicherungen im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, von dem die Klausel abweichen könnte, existiert nicht. Insbesondere stellt das Infektionsschutzgesetz keinen tauglichen Maßstab für die unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers einer Betriebsschließungsversicherung dar (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2022 – IV ZR 144/21, BGHZ 232, 344 Rn. 39 mwN). Das zuvor genannte Klauselverständnis führt auch nicht zu einer Gefährdung des Vertragszwecks (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Mit dem Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung bezweckt der Versicherungsnehmer Schutz vor finanziellen Einbußen aufgrund von behördlichen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz. Der von der Beklagten versprochene Versicherungsschutz wird nicht dadurch ausgehöhlt, dass der Versicherungsfall der „Schließung“ eine behördlich veranlasste Stilllegung des Betriebs erfordert (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1292).
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cc) Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 19. März 2020 hat nicht die Schließung des Krankenhausbetriebs der betroffenen Adressaten – und somit auch nicht der Betriebsgesellschaft – angeordnet.
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(1) Im Gegenteil sollten die erfassten Krankenhäuser gerade geöffnet bleiben, um dort in möglichst umfangreichem Maße die Behandlung von COVID-19-Patienten zu gewährleisten und die erwartete massive Fallzahlensteigerung bewältigen zu können. Die Behörden wollten zielgerichtet die zur Verfügung stehenden Behandlungskapazitäten erheblich ausweiten, um dem festgestellten Notstand in der stationären Versorgung entgegenzuwirken (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1292 f). Nach wie vor zulässig – und geboten – waren gemäß Nr. 1 der Allgemeinverfügung alle nicht planbaren Behandlungen, insbesondere von Notfällen, alle planbaren Behandlungen, deren Zurückstellung oder Unterbrechung nicht medizinisch vertretbar war, sowie die Versorgung von COVID-19-Patienten.
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Davon, dass einzelne Betriebsteile der betroffenen Krankenhäuser (z.B. sämtliche Behandlungsleistungen einer bestimmten medizinischen Fachrichtung oder Station) einzustellen seien und es folglich zu einer quantitativen Einschränkung der Behandlungskapazitäten kommen sollte, ist in der Allgemeinverfügung nicht die Rede. Derartiges hätte den zuvor beschriebenen Anordnungszielen, der geforderten Verfügbarhaltung und der Lenkung von Patientenströmen auch diametral widersprochen. Durch die verpflichtende Verschiebung und Absage von Eingriffen und Behandlungen sollten nicht etwa personelle und räumlich-technische Kapazitäten vorübergehend obsolet werden, sondern vorrangig zur Behandlung von Corona-Patienten verwendet bzw. vorgehalten werden. Gleichzeitig musste aber auch die dringliche Behandlung von Nicht-Corona-Patienten sichergestellt bleiben. Ausdrücklich eingestellt – und damit „geschlossen“ – wurden durch die Allgemeinverfügung vom 19. März 2020 nur „Müttergenesungseinrichtungen“ im Sinne von § 111a SGB V in dieser Funktion. Davon war die versicherte Klinik unstreitig nicht betroffen. Maßnahmen, die lediglich eine Umplanung der Betriebsaufläufe erforderlich machen und dabei einzelne Betriebsvorgänge zu Gunsten von anderen – zu priorisierenden – zurückstellen, können bei verständiger Würdigung schon dem Wortlaut nach nicht als Schließung bezeichnet werden (vgl. OLG Nürnberg, aaO S. 1293).
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(2) Hier lag auch keine möglicherweise gleichzustellende „faktische Schließung“ des Betriebs vor.
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In den hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen ist die Schließung des versicherten Betriebes bzw. einer versicherten Betriebsstätte als Voraussetzung für die Entschädigungsleistung explizit geregelt. Es erscheint daher nicht zulässig, auf der Grundlage wirtschaftlicher Überlegungen gänzlich auf das Vorliegen dieser objektiv zuverlässig feststellbaren Voraussetzung zu verzichten (vgl. auch Korff, COVuR 2020, 246 f). Davon abgesehen hatte die behördliche Untersagung der „Normalbelegung“ der betroffenen Krankenhäuser auch nicht zur Folge, dass diese nicht mehr zu ihrem bestimmungsgemäßen Zweck genutzt werden konnten. Es lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die Krankenhäuser ihren Betrieb nur in ganz unerheblichem Umfang oder in völlig anderer Form hätte fortführen dürfen. Auch der Betriebsgesellschaft ist nach der Allgemeinverfügung eine wirtschaftlich sinnvolle Betätigungsmöglichkeit verblieben, ohne dass sie auf unternehmerische Alternativen ausweichen musste, die bislang wirtschaftlich keine Rolle gespielt haben. Sie war insbesondere nicht auf rein administrative Arbeiten zurückgeworfen. Der von ihr vollzogene Betrieb stellte mithin zu keinem Zeitpunkt ein „aliud“ gegenüber dem Regelbetrieb dar, welches die Annahme einer „faktischen Schließung“ des gesamten Betriebes rechtfertigen könnte (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1293 mwN).
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Weder der Sinnzusammenhang noch der Zweck des Bedingungswerks verlangen, dass bloße Betriebseinschränkungen, mögen sie auch von Gewicht sein, als „teilweise Betriebsschließung“ einer echten Schließung gleichgestellt werden. Demzufolge ist der Versicherungsfall auch nicht bereits eingetreten, wenn eine behördliche Maßnahme bei dem Versicherungsnehmer zu einem Umsatzverlust führt (OLG Nürnberg, aaO S. 1293). Es sind auch sonst keine Umstände ersichtlich, die es der Beklagten nach Treu und Glauben untersagen würden, sich auf das Fehlen einer Betriebsschließung zu berufen (vgl. hierzu LG Berlin, r+s 2021, 262 Rn. 25 ff).
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b) Es liegt keine Teilschließung gemäß Ziffer 2.2 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 499 (hier Anlage HKLW K 5) vor. Nach dieser Bestimmung leistet der Versicherer auch Entschädigung, wenn nur einzelne Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebs von der Schließung betroffen sind.
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aa) Nach den Auslegungskriterien für Allgemeine Versicherungsbedingungen (s.o. unter 2 a aa) „schließt“ die Behörde einen Betrieb oder Betriebsteil, wenn der Kern der dort bestimmungsgemäß ausgeübten Tätigkeit untersagt wird und der Versicherungsnehmer daher zur Einstellung seines Betriebs gezwungen ist (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1291 f; Notthoff, r+s 2020, 551, 554). Bezogen auf ein Krankenhaus ist die Untersagung der „Normalbelegung“ nicht als Schließung zu bewerten (vgl. OLG Nürnberg, aaO S. 1292; s.o. unter a aa).
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Diesem Verständnis steht nicht entgegen, dass die Parteien Regelungen für einen Versicherungsfall getroffen haben, der nur „Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebs“ betrifft (Ziffer 2.2 Abs. 1 der Anlage 499). Der in der maßgeblichen Ziffer 2.2 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 499 erwähnte Betriebsteil ist in den Versicherungsbedingungen nicht näher definiert.
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Gleiches gilt für die dem Teil gleichgestellte Abteilung. Der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer wird damit nicht lediglich eine Mehrzahl von Betriebsmitteln assoziieren, sondern einen personell und sachlich abgrenzbaren Teil der betrieblichen Ressourcen im Sinne einer organisatorischen Untergliederung. Unabhängig davon muss dieser konkrete (abgrenzbare) Teil nicht nur in seinem Betrieb beeinträchtigt, sondern – als Gegenstand der behördlichen Maßnahme – ebenfalls geschlossen worden sein, um einen Versicherungsfall auszulösen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2022 – IV ZR 305/21, VersR 2022, 1507 Rn. 11; LG Oldenburg, Urteil vom 28. Juni 2023 – 13 O 3030/22, BeckRS 2023, 23616 Rn. 25). Dass dies unverzichtbar ist, wird auch am klaren Wortlaut von Ziffer 2.2 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 499 deutlich, der eine Betroffenheit von „der Schließung“ voraussetzt (vgl. OLG Nürnberg, aaO S. 1292).
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bb) Der von der Beklagten versprochene Versicherungsschutz wird nicht dadurch ausgehöhlt, dass der Versicherungsfall der „Schließung“ eine behördlich veranlasste Stilllegung des Betriebs (s.o. unter a bb) oder eines abgrenzbaren Betriebsteils erfordert (vgl. OLG Nürnberg, aaO).
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cc) Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 19. März 2020 hat nicht die Schließung von Teilen oder Abteilungen des versicherten Betriebs angeordnet.
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(1) Zu einer Schließung des Betriebs (s.o. unter a cc) oder eines Betriebsteils durch behördliche Anordnung ist es nicht gekommen. Davon, dass einzelne Betriebsteile der betroffenen Krankenhäuser (z.B. sämtliche Behandlungsleistungen einer bestimmten medizinischen Fachrichtung oder Station) einzustellen seien und es folglich zu einer quantitativen Einschränkung der Behandlungskapazitäten kommen sollte, ist in der Allgemeinverfügung nicht die Rede. Derartiges hätte den zuvor beschriebenen Anordnungszielen, der geforderten Verfügbarhaltung und der Lenkung von Patientenströmen auch diametral widersprochen (s.o. unter a cc (1)). Das zuvor erläuterte Klauselverständnis lässt es mangels personeller und sachlicher Abgrenzbarkeit auch nicht zu, die Tätigkeit „planbare Behandlungen“ für sich genommen als Betriebsteil anzusehen (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1293).
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(2) Auch die „faktische Schließung“ eines Betriebsteils lag hier nicht vor.
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In den hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen ist die Schließung des versicherten Betriebes bzw. Betriebsteils als Voraussetzung für die Entschädigungsleistung explizit geregelt. Es erscheint daher nicht zulässig, auf der Grundlage wirtschaftlicher Überlegungen gänzlich auf das Vorliegen dieser objektiv zuverlässig feststellbaren Voraussetzung zu verzichten (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2024, 1288, 1293; vgl. auch Korff, COVuR 2020, 246 f; s.o. unter a cc (2)).
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Die Klägerin hat keine tatsächlichen Umstände vorgetragen, aus denen sich ergäbe, dass es der Betriebsgesellschaft auch ohne ausdrücklich hierauf gerichtete behördliche Anordnung nicht mehr sinnvoll möglich gewesen sei, einen personell und sachlich abgrenzbaren Teil ihrer betrieblichen Ressourcen weiterhin zu nutzen. Dass die klinischen Mitarbeiter der Betriebsgesellschaft – namentlich ärztliches und Pflegepersonal – weiterbeschäftigt worden sind, um sowohl COVID-Patienten als auch sonstige Notfall-Patienten behandeln und versorgen zu können, erscheint naheliegend. Selbst bei Schließung einzelner, typischerweise elektiven Behandlungen dienender Abteilungen durch die Betriebsgesellschaft hätte es sich nicht um die unmittelbare Folge eines behördlich angeordneten Verbots gehandelt, sondern um eine eigenverantwortliche unternehmerische und rein interne organisatorische Entscheidung der Betriebsgesellschaft. Zu keinem Zeitpunkt ist es dieser infolge behördlich angeordneter Beschränkungen faktisch unmöglich gemacht worden, Patienten in einzelnen Bereichen aufzunehmen und zu behandeln. Ein auf einen bestimmten versicherten Betriebsteil bezogenes Handeln der zuständigen Behörde hat nicht stattgefunden. Darüber hinaus hätte es wiederum dem Ziel der behördlichen Anordnungen, Kapazitäten für die Behandlung von COVID-19-Patienten zu schaffen bzw. verfügbar zu halten, widersprochen, ganze Abteilungen der Klinik aus der medizinischen Versorgung herauszunehmen (vgl. OLG Nürnberg, aaO).
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Weder der Sinnzusammenhang noch der Zweck des Bedingungswerks verlangen, dass bloße Betriebseinschränkungen, mögen sie auch von Gewicht sein, als „teilweise Betriebsschließung“ einer echten Schließung gleichgestellt werden. Demzufolge ist der Versicherungsfall auch nicht bereits eingetreten, wenn eine behördliche Maßnahme bei dem Versicherungsnehmer zu einem Umsatzverlust führt. Diese Sichtweise führt nicht dazu, dass der vertraglich zugesagte Versicherungsschutz für Teilschließungen im Ergebnis gegenstandslos wird. Der vertragsspezifische Zweck einer Betriebsschließungsversicherung für Krankenhäuser und Kliniken verlangt keine über das erläuterte Verständnis hinausgehende Auslegung der Begriffe der „Schließung“ und des Betriebsteils (vgl. OLG Nürnberg, aaO S. 1293 f). Es sind auch sonst keine Umstände ersichtlich, die es der Beklagten nach Treu und Glauben untersagen würden, sich auf das Fehlen einer Betriebsschließung zu berufen (vgl. hierzu LG Berlin, r+s 2021, 262 Rn. 25 ff).
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c) Ebenso wenig liegt (entgegen der Berufungsbegründung, S. 15 f unter II 4, und dem Schriftsatz vom 29. Juli 2025, S. 25 ff unter II 2) eine Schließung oder Teilschließung gemäß Ziffer 2.2 Abs. 2 der Anlage 499 (hier Anlage HKLW K 5) vor. Nach dieser Bestimmung liegt eine Schließung oder Teilschließung im Krankenhaus insbesondere vor, wenn die zuständige Behörde die Neuaufnahme von Patienten untersagt bzw. die Nichtneuaufnahme von Patienten vereinbart oder empfiehlt.
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aa) Nach den Auslegungskriterien für Allgemeine Versicherungsbedingungen (s.o. unter 2 a aa) wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer das in dieser Bestimmung verwendete Begriffspaar der „Schließung oder Teilschließung“ so verstehen und die beiden Begriffe so voneinander abgrenzen, wie dies seinem Verständnis der im erkennbaren Regelungszusammenhang unmittelbar vorangehenden Bestimmung der Ziffer 2.2 Abs. 1 der Anlage 499 entspricht, in dessen Satz 2 das Begriffspaar „Schließung oder Teilschließung“ eingeführt wird. Es bezieht sich dort auf die in Ziffer 2.2 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 499 getroffene Regelung, wonach der Versicherer auch Entschädigung leistet, „wenn nur einzelne Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebs von der Schließung betroffen sind“. Dies wird der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer demnach als Definition einer „Teilschließung“ auffassen. Damit wird er das Begriffspaar „Schließung oder Teilschließung“ auch in Ziffer 2.2 Abs. 2 der Anlage 499 so verstehen, dass mit „Schließung“ die (in Teil B § 1 Nr. 1 lit. a AVB BS 2002 angesprochene) Schließung des versicherten Betriebs oder einer versicherten Betriebsstätte (s.o. unter a aa) und mit „Teilschließung“ die Schließung einzelner Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebs (s.o. unter b aa) gemeint ist.
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Dieses Verständnis hat zur Folge, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer eine „Teilschließung“ durch Untersagung der Neuaufnahme bestimmter Patienten bzw. durch Vereinbarung oder Empfehlung der Nichtneuaufnahme bestimmter Patienten im Sinne von Ziffer 2.2 Abs. 2 der Anlage 499 nur dann in Betracht ziehen wird, wenn sich die Untersagung, Vereinbarung oder Empfehlung auf einzelne Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebs bezieht. Der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer wird damit nicht lediglich eine Mehrzahl von Betriebsmitteln assoziieren, sondern einen personell und sachlich abgrenzbaren Teil der betrieblichen Ressourcen im Sinne einer organisatorischen Untergliederung (s.o. unter b aa). Nicht in Betracht ziehen wird er hingegen ein – mit dem erkennbaren Zusammenhang des Bedingungswerks unvereinbares – Verständnis, wonach eine Untersagung, bestimmte Patienten neu aufzunehmen (bzw. eine entsprechende Vereinbarung oder Empfehlung), eine „Teilschließung“ – bezogen auf den betroffenen Patientenkreis – bewirken würde. Er wird erkennen, dass es sich hierbei nicht um eine Maßnahme handelt, die der Schließung einer organisatorischen Untergliederung gleichkommt, sondern dass ein Fall der nicht versicherten Betriebseinschränkung (s.o. unter a aa, b aa) vorliegt.
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bb) Mit der Allgemeinverfügung vom 19. März 2020 hat das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege nicht die Neuaufnahme von Patienten untersagt oder die Nichtneuaufnahme von Patienten vereinbart oder empfohlen.
58
Die Allgemeinverfügung enthält keine entsprechende Untersagung, Vereinbarung oder Empfehlung. Zur Neuaufnahme von Patienten äußert sich die Anordnung nicht ausdrücklich. Der Sache nach ist ihr kein entsprechendes Verbot zu entnehmen. Nach wie vor zulässig – und geboten – waren gemäß Nr. 1 der Allgemeinverfügung alle nicht planbaren Behandlungen, insbesondere von Notfällen, alle planbaren Behandlungen, deren Zurückstellung oder Unterbrechung nicht medizinisch vertretbar war, sowie die Versorgung von COVID-19-Patienten. Solche Patienten durften also notwendigerweise auch neu in die Krankenhäuser aufgenommen werden.
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Selbst wenn man der Allgemeinverfügung ein Verbot der Neuaufnahme (bzw. eine Empfehlung der Nichtneuaufnahme) anderer Patienten entnehmen wollte, würde dies keinen Versicherungsfall gemäß Ziffer 2.2 Abs. 2 der Anlage 499 begründen. Ein derartiges Verbot würde nur bestimmte Patientenkreise betreffen, nicht aber einzelne organisatorische Untergliederungen, und deshalb nach dem zuvor dargestellten Klauselverständnis (s.o. unter aa) keine Teilschließung darstellen.
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d) Zuletzt liegt auch kein Versicherungsfall gemäß Ziffer 1 Abs. 2 der Anlage 499 vor.
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Keiner der in dieser Bestimmung aufgezählten Fälle liegt vor. Im Streitfall geht es nicht um ein Handeln der Klinik nach einem mit der Behörde abgestimmten Hygieneplan, um einen Verweis der Behörde auf bestehende Richtlinien und ähnliches für den Umgang mit bestimmten meldepflichtigen Tatbeständen, um Empfehlungen oder Hinweise der Behörde, darum, dass zuweisende Kostenträger aufgrund des Ausbruchs einer meldepflichtigen Krankheit oder Infektion keine Patienten mehr zuweisen würden, oder um einen Hinweis durch eingereichte Laborbefunde.
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4. Unabhängig hiervon fehlt es an den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Tagesentschädigung, soweit die Klägerin diesen für den 18. und 19. März sowie den 16. Mai 2020 geltend macht. Für diese Tage würde es an einer behördlichen Schließung selbst dann fehlen, wenn man die Nr. 1 der Allgemeinverfügung vom 19. März 2020 als Schließung ansähe (wie nicht, s.o. unter 3). Die Allgemeinverfügung ist erst am 20. März 2020 in Kraft und schon mit Ablauf des 15. Mai 2020 außer Kraft getreten.
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5. Es wird erwogen, den Berufungsstreitwert auf 2.310.536,46 € festzusetzen.
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6. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).