Titel:
Einstweilige Anordnung (teilweise Stattgabe), Eingliederungshilfe, Schulbegleiter, Erziehungsbeistand, Widereingliederung in Schule
Normenketten:
VwGO § 123
SGB VIII § 27, § 30, § 35a
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (teilweise Stattgabe), Eingliederungshilfe, Schulbegleiter, Erziehungsbeistand, Widereingliederung in Schule
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21299
Tenor
I. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, die bewilligte Erziehungsbeistandschaft auch ab dem 16. September 2025 mit der Wiedereingliederung des Antragstellers in die Schule in Form der Schulbegleitung zu beauftragen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Parteien tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, eine Schulbegleitung zu bewilligen.
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Bei dem am 5. September 2014 geborenen Antragsteller wurden zuletzt ein Asperger-Syndrom (ICD-10: F 84.5), reduziertes Konzentrationsvermögen (ICD-10: F 98.80) sowie ein Stresssyndrom (ICD 10: F 43.2) diagnostiziert. Er lebt bei seiner Mutter, der die elterliche Sorge für ihn mit Beschluss des Amtsgerichtes – Familiengericht vom 11. September 2014 übertragen wurde. In dem Haushalt leben zudem seine jüngere Halbschwester sowie sein Stiefvater.
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Der Antragsteller besuchte seit dem Jahr 2023 die Schule nur noch unregelmäßig und ab November 2023 nicht mehr.
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Den Antrag des Antragstellers vom 24. April 2023 auf Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 30. Januar 2024 ab und empfahl eine heilpädagogische Tagesstätte als Alternativmaßnahme.
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Mit Attest einer Kinderärztin vom 3. Mai 2024 wurde der Antragsteller für das Restschuljahr 2023/24 (4. Klasse Grundschule) und das Schuljahr 2024/25 (5. Klasse Mittelschule) krankgeschrieben und eine online-Beschulung medizinisch befürwortet.
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Den Antrag des Antragstellers vom 18. Juni 2024 auf Kostenübernahme für eine „online-Beschulung“ lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10. Juli 2024 ab. Über den Widerspruch hiergegen hat die Widerspruchsbehörde bisher nicht entschieden.
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Mit Bescheid vom 18. November 2024 (verlängert mit Bescheid vom 17. Juli 2025) bewilligte der Antragsgegner Hilfe zur Erziehung in Form von Erziehungsbeistandschaft gemäß § 27 i.V.m. § 30 SGB VIII ab 29. Oktober 2024 bis 31. Oktober 2025.
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Die Widerspruchsbehörde wies mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. März 2025 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. Januar 2024 zurück. In den Gründen wurde ausgeführt, dass der Antragsteller entsprechend fachärztlicher Stellungnahme vom 3. Mai 2024 nicht in der Lage sei, am Präsenzunterricht der Schule teilzunehmen, womit eine Beschulbarkeit des Antragstellers verneint werde und damit bis zum Ende des Schuljahres 2024/25 keine Schulbegleitung möglich sei.
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In einer fachärztlichen Stellungnahme einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie vom 6. Mai 2025 wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die Wiedereingliederung in die Stammschule nach einem festen Plan erfolgen solle, um der Gefahr der erneuten Vermeidung entgegenzutreten. Es sei wichtig, die richtige Balance zu finden zwischen intensiven Hilfen und angemessenen, die Diagnose berücksichtigenden Anforderungen, die langsam und schrittweise ansteigen sollten, um eine Teilhabe an der Gemeinschaft wieder zu ermöglichen.
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Spätestens mit Schreiben der Bevollmächtigten der Antragstellerseite vom 27. Mai 2025 wurde ein erneuter Antrag auf Schulbegleitung gestellt. Der Antragsteller solle im neuen Schuljahr eine weiterführende Schule besuchen.
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Gemäß einem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 27. Juni 2025 hospitierte die Fachkraft des Antragsgegners am 2. Juni 2025 bei einem Schulbesuch des Antragstellers in Begleitung seiner Erziehungsbeiständin. Die zuständige Lehrerin habe mitgeteilt, dass der Antragsteller meist zwei- bis dreimal wöchentlich für eine Stunde in die Schule komme. Die Erziehungsbeiständin habe mitgeteilt, dass aufgrund der Schulbesuchsversuche die Onlineschule auf den späten Vormittag verschoben worden sei. Der Antragsteller nehme daran nicht regelmäßig teil, oft werde dort auch kein Unterricht gemacht.
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Laut einem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 27. Juni 2025 wurde der Mutter des Antragstellers bei einem Gespräch am 6. Juni 2025 mitgeteilt, dass der Antrag auf Schulbegleitung am 2. Juni 2025 im „Bewilligungsteam“ abgelehnt worden sei.
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Laut Aussage der Mutter des Antragstellers wurde am 2. Juli 2025 Hausunterricht für den Antragsteller bis zum Ende des Schuljahres 2024/25 bewilligt, welcher zweimal die Woche im Schulgebäude stattfinde.
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In der nicht-öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts – Familiengericht (Az. 5 F 367/25) vom 17. Juli 2025 erging ein Beschluss, mit dem der Mutter des Antragstellers aufgegeben wurde, unverzüglich beim Jugendamt einen Antrag auf sozialpädagogische Familienhilfe zu stellen und mit dieser dann auch entsprechend zusammenzuarbeiten. Zielsetzung sei, eine Struktur in der Familie aufzubauen, die Kindesmutter in der Erziehungsfähigkeit anzuleiten und den Antragsteller an die Schule wieder heranzuführen (Nr. 1), den Antragsteller unverzüglich therapeutisch anzubinden (Nr. 2), die bereits bestehende Erziehungsbeistandschaft für den Antragsteller fortzuführen (Nr. 3) sowie die Hausbeschulung des Antragstellers auch im nächsten Schuljahr fortzuführen (Nr. 4).
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Mit weiterem Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht im Hauptsacheverfahren (Az. 5 F 434/25) vom 28. Juli 2025 wurde ein Sachverständigengutachten darüber, welcher Elternteil insbesondere unter Berücksichtigung der gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes, der eigenen Erziehungsfähigkeit und Bindungstoleranz sowie der jeweils angestrebten Perspektiven für das eigene Leben und das Leben des Kindes besser in der Lage ist, das Kind zu betreuen und zu erziehen sowie, ob der derzeitige Verbleib des Kindes im Haushalt der Mutter das Wohl des Kindes gefährdet und gegebenenfalls welche Erziehungshilfen und sonstigen Maßnahmen, beispielsweise eine kurzzeitige Unterbringung, Tagesklinik, HPT o. Ä. aus sachverständiger Sicht erforderlich und ausreichend sind, eine Herausnahme des Kindes aus dem mütterlichen Haushalt zu vermeiden, in Auftrag gegeben.
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Die Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte am 28. Juli 2025 für diesen beim Verwaltungsgericht München,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für den Antragsteller vorläufig die beantragte Schulbegleitung ab dem 1. September 2025 stundenweise zur Eingewöhnung und ab dem 16. September 2025 im notwendigen Umfang zu gewähren, längstens bis zur Rechtskräftigkeit im Hauptsacheverfahren.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sowohl die den Antragsteller behandelnde Fachklinik, die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin sowie die Verfahrensbeiständin im familiengerichtlichen Verfahren davon ausgingen, dass für einen Schulbesuch zwingend eine Schulbegleitung erforderlich sei.
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Zudem erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers ebenfalls am 28. Juli 2025 Untätigkeitsklage gegen den Antragsgegner und konkretisierte den Klageantrag mit Schriftsatz vom 28. Juli 2025 sinngemäß dahingehend, den Antragsgegner zu verurteilen, die bisher angefallenen Kosten für die Beschulung über die Web-Individualschule zu erstatten sowie den weiteren Besuch im Rahmen der Eingliederungshilfe zu bewilligen (M 18 K 25.4570).
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Der Antragsgegner legte die Behördenakten elektronisch vor und beantragte mit Schriftsatz vom 31. Juli 2025 sinngemäß,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass die Schulbegleitung aus fachlicher Sicht als ungeeignet bewertet werde, da der Antragsteller die Schule bisher sehr unregelmäßig besucht habe und durch die gerichtliche Anordnung ebenfalls nicht zu erwarten sei, dass ein regelmäßiger Schulbesuch erfolgen werde. Eine wirksame und zielgerichtete Unterstützung durch eine Schulbegleitung setze jedoch eine regelmäßige Teilnahme am Schulunterricht voraus. Aktuell könne die gerichtlich angeordnete Hilfe in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe begonnen werden; der entsprechende Bescheid werde zeitnah erstellt. Im Juli sei der Hausunterricht in Form eines Schulbesuchs mit zwei Unterrichtsstunden an zwei Tagen pro Woche durch eine speziell eingesetzte Lehrkraft bereits an der Schule erfolgt. Mit der Rektorin der Schule sei vereinbart worden, dass zu Beginn des neuen Schuljahres der Schulbesuch täglich an zwei Unterrichtsstunden aufgenommen werde; dann im Rahmen einer regulären Klasse, wobei die bereits eingesetzte Lehrkraft bei Bedarf weiterhin unterstützend zur Verfügung stünde. Der Umfang solle sukzessiv ausgedehnt werden. Sollte zu einem späteren Zeitpunkt ein zusätzlicher Bedarf an externer Schulbegleitung entstehen, werde darüber gesondert entschieden. Diese schrittweise Rückführung könne derzeit von der Schule geleistet werden. Verschiedene Fachkräfte aus dem pädagogischen Umfeld würden das Verhalten des Antragstellers unter anderem auf das Fehlen einer stabilen Tagesstruktur zurückführen. Sollte die Mutter des Antragstellers weiterhin keine erkennbare Bereitschaft zur Veränderung ihres Erziehungsverhaltens zeigen, sei aus Sicht des Jugendamtes eine stationäre Maßnahme mit pädagogisch angebundene Schule unverzichtbar.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 18 K 25.4570 und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
24
Der Antrag hat (zumindest derzeit) nur im tenorierten Umfang Erfolg.
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Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
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Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatschlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber in zeitlicher Hinsicht vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
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Nach diesen Maßgaben hat der Antragsteller (zumindest) derzeit einen Anordnungsanspruch nur im tenorierten Umfang glaubhaft gemacht.
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Der Antragsteller hat derzeit keinen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII glaubhaft gemacht, dem vorliegend allein durch die (zusätzliche) Bewilligung einer Schulbegleitung Rechnung getragen werden kann.
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Der grundsätzliche Anspruch des Antragstellers auf Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist zwischen den Parteien unstreitig. Nach dieser Norm besteht dann ein Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Das Abweichen der seelischen Gesundheit nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist gemäß § 35a Abs. 1a Satz 1 SGB VIII durch die Stellungnahme eines Facharztes festzustellen. Welche Hilfeform im Rahmen des Anspruchs aus § 35a Abs. 1 SGB VIII geleistet wird, richtet sich nach dem jeweiligen Bedarf im Einzelfall (vgl. § 35a Abs. 2 und 3 SGB VIII).
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Grundsätzlich kommt dem Jugendhilfeträger bei der Entscheidung, welche Hilfeform im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, ein rechtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Einschätzungsspielraum zu. Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Maßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung der Fachkräfte des Jugendamtes und des betroffenen Hilfeempfängers, der nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern vielmehr eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation beinhaltet, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. sozialpädagogische Fachlichkeit). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich in diesem Fall darauf, dass allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 12 C 16.2159 – juris Rn. 11 m.w.N.; OVG SH, B.v. 3.2.2021 – 3 MB 50/20 – juris Rn. 11).
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Will ein Betroffener – wie hier der Antragsteller – die Verpflichtung des Trägers der Jugendhilfe zur Durchführung einer bestimmten Hilfemaßnahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwirken, muss er im Hinblick auf den in den Grenzen der sozialpädagogischen Fachlichkeit bestehenden Einschätzungsspielraum des Jugendamtes darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet ist, mithin fachlich vertretbar ist (BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 12 AE 15.1691 – juris Rn. 31 m.w.N.).
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Der Einschätzungsspielraum hat sich vorliegend derzeit noch nicht darauf verdichtet, dass für den Antragsteller alleine die zusätzliche Bewilligung einer Schulbegleitung geeignet und notwendig ist.
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Das Gericht erachtet zwar – wohl entgegen der Ansicht des Antragsgegners – eine Begleitung des Antragstellers in jeder von ihm besuchten Schulstunde im Klassenverband als erforderlich. Allerdings kann dieser Anspruch zunächst und vorübergehend auch durch die bereits bewilligten Hilfen, insbesondere durch Begleitung durch die Erziehungsbeiständin (wie auch bisher), erfüllt werden.
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Um dies sicherzustellen, war der Antragsgegner hierzu entsprechend der Tenorierung vorläufig zu verpflichten.
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Das Erfordernis einer Begleitung des Antragstellers in der Schule ergibt sich aus den vorliegenden Stellungnahmen zwingend.
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So führt die den Antragsteller seit langem begleitende Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychologie in ihrer fachärztlichen Stellungnahme vom 6. Mai 2025 insbesondere hinsichtlich der Wiedereingliederung des Antragstellers in den Schulunterricht aus, dass diese nach einem festen Plan erfolgen solle, um der Gefahr der erneuten Vermeidung entgegenzutreten. Es sei wichtig, die richtige Balance zu finden zwischen intensiven Hilfen, die der Antragsteller zweifelslos brauche (Schulbegleitung, anderweitige 1:1-Betreuung bei schulischen Dingen) und angemessenen, die Diagnose berücksichtigenden Anforderungen, die langsam und schrittweise ansteigen sollten, um eine Teilhabe an der Gemeinschaft wieder zu ermöglichen. Der Antragsteller sei dringend auf eine 1:1-Begleitung angewiesen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre er nicht dazu in der Lage, diese Hürde alleine zu bewältigen (S. 5). Auch in der fachärztlichen Stellungnahme der Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie vom 7. Juli 2025, in welcher sich der Antragsteller in fortlaufender ambulanter Behandlung befindet, wird erneut dringlich die Installation einer Schulbegleitung mit pädagogischer Grundausbildung empfohlen.
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Ebenso kommt die Verfahrensbeiständin in ihrer Stellungnahme vom 16. Juli 2025 an das Amtsgericht – Familiengericht zu der Beurteilung, dass die vermeintliche Unauffälligkeit des Antragstellers in der Schule kein Indiz für fehlende Bedarfe sei, sondern eine hohe Maskierungsleistung belege. Es bedürfe einer qualifizierten, autismuserfahrenen Fachkraft, die den Antragsteller in seiner schulischen und sozialen Teilhabe kontinuierlich begleite.
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Schließlich kommen auch die Erziehungsbeiständin, die den Antragsteller bisher sowohl während der Schulbesuche als auch des Hausunterrichts begleitete, als auch die sozialpädagogische Fachkraft des Antragsgegners zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller die Anforderungen im Schulalltag bislang nicht alleine bewältigen könne und er deutliche co-Regulation benötige. Der Antragsteller sei während der Hospitanz sehr unsicher gewesen und habe immer wieder den Kontakt und die Bestätigung der Erziehungsbeiständin gesucht. Ohne eine Schulbegleitung werde eine Teilnahme am Unterricht nicht als möglich gesehen (vgl. „Fallvorstellung im Team“ vom 27. Juni 2025).
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Dem entsprechen auch die Feststellungen des Antragsgegners im Rahmen der Hospitation am 2. Juni 2025. So hielt die Fachkraft hierüber zwar fest, dass der Antragsteller der Lehrkraft bei Unterrichtsbeginn zuhöre und seinen Blick stets zur Lehrkraft richte. Auch bei Störungen durch Klopfen an der Tür und das Nachfragen anderer Schüler habe der Antragsteller ruhig auf die Tafel und zu Lehrkraft geblickt. Beim Austeilen von Arbeitsblättern habe er sich eigenständig ein Blatt weggenommen. Er stelle eigenständig Fragen. Die Lehrkraft habe mitgeteilt, dass der Antragsteller zu Beginn der Unterrichtsstunde immer ein wenig brauche, bis er auftaue. Im Sportunterricht unterscheide er sich kaum von den anderen Kindern.
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Diese Feststellungen widersprechen den obigen Einschätzungen nicht. Denn diese Beobachtungen fanden zum einen gerade mit Begleitung des Antragstellers durch die Erziehungsbeiständin statt. Zudem belegen sie, dass der Antragsteller sich zwar im Schulunterricht überwiegend anpassen kann, jedoch zeigt das protokollierte Verhalten des Antragstellers nach der Schulstunde (der Antragsteller sei sehr zerstreut, verzweifelt, aufgebracht und respektlos gewesen) deutliche Hinweise darauf, dass der Antragsteller (bereits mit Begleitung durch die Erziehungsbeiständin) während der Schulstunde eine erheblich erschöpfende Leistung erbracht hat. Hierdurch wird insbesondere auch die Einschätzung der Verfahrensbeiständin bestätigt, dass der Antragsteller durch seine Maskierungsleistung in erheblichem Umfang überfordert werde, was sich nach erbrachter Maskierungsleistung in Form von Verhaltensexzessen zeige.
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Diese übereinstimmenden fachlichen Einschätzungen führen zu einem Anspruch des Antragstellers auf Schulbegleitung.
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Dieser Anspruch kann nicht – wie offenbar durch den Antragsgegner vorgenommen – von der Bereitschaft der Mutter des Antragstellers zur Zusammenarbeit (vgl. undatierte interne Stellungnahme an die wirtschaftliche Jugendhilfe) bzw. einer stationären Unterbringung des Antragstellers (vgl. „Fallvorstellung im Team“ vom 27. Juni 2025) abhängig gemacht werden. Vielmehr überschreitet der Antragsgegner mit dieser Beurteilung den Rahmen der sozialpädagogischen Fachlichkeit.
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Denn die Frage der Erziehungsfähigkeit der Mutter des Antragstellers und des weiteren Hilfebedarfs der Familie, insbesondere auch in Bezug auf die Wiederaufnahme des Schulbesuchs durch den Antragsteller und dessen weiteren stationären Aufenthalt obliegt ausschließlich dem Familiengericht, welches auch ein entsprechendes Fachgutachten in Auftrag gegeben hat. Der Antragsgegner hat hingegen den aktuell bestehenden tatsächlichen Hilfebedarf des Antragstellers zu Grunde zu legen, folglich sein Leben bei seiner Mutter und in diesem Rahmen die erforderlichen Hilfen zu leisten. Er kann sich daher nicht darauf zurückziehen, dass zunächst daran gearbeitet werden müsse, dass der Antragsteller es schaffe, regelmäßig die Schule zu besuchen, wofür der Antragsgegner primär die Mutter des Antragstellers und deren Erziehungsfähigkeit für maßgeblich hält. Zwar mögen die Zweifel des Antragsgegners daran, dass der Antragsteller tatsächlich zum beginnenden Schuljahr regelmäßig die Schule besucht, nach den Erfahrungen der Vergangenheit gerechtfertigt sein. Diese rechtfertigen es jedoch nicht, die für den Antragsteller erforderliche Hilfe im Rahmen des Schulbesuchs derzeit zu verweigern. Vielmehr ist diese Hilfe von Beginn an (vgl. hierzu: VG München, B.v. 27.8.2020 – M 18 E 20.3684 – juris Rn. 61; BayVGH B.v. 7.9.2018 – 12 CE 18.1899 – juris Rn. 9) erforderlich, um – unabhängig von der Erziehungsfähigkeit der Mutter des Antragstellers – den Antragsteller wieder in den Schulunterricht eingliedern und damit seine Teilhabe am Leben sichern zu können.
45
Das Gericht erachtet insoweit auch die Beurteilung des Antragsgegners, dass die geplante schrittweise Rückführung derzeit von der Schule geleistet werden könne, als fehlerhaft. Denn das Gericht versteht die durch den Antragsgegner wiedergegebene Planung der Regelschule so, dass der Antragsteller mit Schulbeginn zunächst täglich zwei Schulstunden in der Klasse verbringen soll. Hingegen werden diese Schulstunden nicht durch die Lehrkraft unterrichtet, welche derzeit den Hausunterricht durchführt; diese Lehrkraft ist vielmehr lediglich in der Schule anwesend. Dies bedeutet für den Antragsteller im Vergleich zu dem bisher erfolgenden Hausunterricht eine deutlich größere Herausforderung und Anpassungsleistung. Lediglich die (abstrakte) Möglichkeit sich an die bekannte Lehrkraft zu wenden bzw. Inklusionsstunden in Anspruch zu nehmen, erscheinen zur Bewältigung hierfür zum einen realistisch für den Antragsteller nicht erreichbar und zum anderen als derzeit unzureichend.
46
Allerdings geht das Gericht davon aus, dass derzeit kein Bedarf für die Installation einer weiteren Person mit Hilfeleistungen erforderlich ist, sondern die Wiedereingliederung in die Schule auch weiterhin durch die bereits installierte Hilfe zur Erziehung in Form der Erziehungsbeistandschaft (zumindest vorübergehend) geleistet werden kann.
47
Mit Bescheid vom 17. Juli 2025 wurden die Fachleistungsstunden für die Erziehungsbeistandschaft für den Zeitraum vom 1. Mai 2025 bis 31. Oktober 2025 auf 250 Stunden erhöht. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Erhöhung auf Grund des im Hilfeplangespräch vom 5. März 2025 festgestellten Hilfebedarfs erforderlich wurde. Im Protokoll des Hilfeplangesprächs vom 5. März 2025 wird festgehalten, dass die Erziehungsbeiständin die Wiedereingliederung in die Schule nach Auftrag des Antragsgegners begleite und dies auch in der Leistungsvereinbarung aufgenommen sei. Da hierdurch ein höherer Unterstützungsbedarf entstünde, wäre eine Erhöhung der Stunden notwendig. Die Ziele würden weiterhin erhalten bleiben.
48
Dementsprechend ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Erziehungsbeiständin auch weiterhin mit der Wiedereingliederung des Antragstellers in die Schule beauftragt ist. Aus den in den Akten befindlichen Stundennachweisen der Erziehungsbeistandschaft ergibt sich, dass die Erziehungsbeiständin den Antragsteller „engmaschig“ im Schulunterricht begleitete, ihn stabilisierte und die Schulstunden mit ihm vor- und nachbesprach.
49
Dem Gericht liegen keine Anhaltspunkte dagegen vor, dass auch zum neuen Schuljahr zunächst die Begleitung durch die Erziehungsbeiständin wahrgenommen werden kann. Insbesondere dürften hierfür auch noch ausreichend bewilligte Stunden zur Verfügung stehen. Nach den Abrechnungen von Mai und Juni 2025 in Höhe von insgesamt 53 Stunden ist davon auszugehen, dass auch nach der Abrechnung von Juli und August 2025 noch hinreichend bewilligte Stunden hierfür zur Verfügung stehen, um die Wiedereingliederung im neuen Schuljahr zunächst in Form von täglich zwei Schulstunden zu begleiten. Zudem spricht hierfür auch, dass die Erziehungsbeiständin dem Antragsteller bereits gut bekannt ist, sodass auch keine neue Anbahnung (vgl. Fachärztlichen Stellungnahme vom 7. Juli 2025) im Vorfeld erforderlich wird, welche den Antragsteller zusätzlich belasten dürfte. Zudem organisierte die Erziehungsbeiständin auch bisher die Wiedereingliederung in die Schule und kennt daher den Schulbetrieb und Ansprechpartner an der Schule.
50
Zwar mögen im Juli 2025 zunächst zwischen der Mutter des Antragstellers und der Erziehungsbeiständin Unstimmigkeiten bestanden haben. Auf Grund des Beschlusses des Familiengerichts vom 17. Juli 2025, in welchem u.a. die Fortführung der bestehenden Erziehungsbeistandschaft angeordnet wurde, geht das Gericht jedoch davon aus, dass diese überholt sind und die Mutter des Antragstellers mit der Erziehungsbeiständin wieder zusammenarbeitet.
51
Die Verpflichtung des Antragsgegners zu einer vorläufigen Bewilligung einer (zusätzlichen) Schulbegleitung erscheint daher derzeit nicht als einzige Möglichkeit, um den Hilfebedarf des Antragstellers zu decken. Insbesondere aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit erscheint es vielmehr derzeit als noch vertretbar, die Schulbegleitung (wie auch bisher) zunächst durch die bereits bewilligten Hilfen abzudecken. Allerdings erachtet es das Gericht als erforderlich, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, die bewilligte Erziehungsbeistandschaft auch ab dem 16. September 2025 mit der Wiedereingliederung des Antragstellers in die Schule in Form der Schulbegleitung zu beauftragen, um die notwendige konstante Schulbegleitung des Antragstellers sicherzustellen.
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Soweit die Antragsseite im Schriftsatz vom 12. August 2025 zudem auf eine erforderliche Begleitung auch während des Hausunterrichts verweist, kann dieser derzeit mangels bisher erfolgter Genehmigung und wohl auch noch fehlender Antragstellung, keine Berücksichtigung finden.
53
Dem Antrag war daher nur im tenorierten Umfang stattzugeben und im Übrigen abzulehnen.
54
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
55
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.