Titel:
Gerichtsstandsvereinbarung, Prozeßkostensicherheit, Vollstreckungsbedingung, Kostenerstattung, Anerkennung und Vollstreckung, Zwischenurteil, Erfolgreiche Vollstreckung, Vollstreckungsverfahren, Vollstreckungsgericht, Vollstreckungsmaßnahmen, Vollstreckungshindernis, Vollstreckung im Ausland, Vollstreckungsschuldner, Versäumnisurteil, Gerichtsstandübereinkommen, Finanzierungsvereinbarung, Aussicht auf Erfolg, Vertragsurkunde, Kostenentscheidung, Unverhältnismäßige Erschwernis
Schlagworte:
Prozesskostensicherheit, Gerichtsstandsvereinbarung, Vollstreckungshindernisse, Verwaltungssitz, Verbraucherbegriff, Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 10.04.2025 – 44 O 980/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21170
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 10.04.2025, Az. 44 O 980/24, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 01. August 2025.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung richtet sich gegen ein Zwischenurteil, mit welchem der Antrag des Beklagten auf Anordnung einer Prozesskostensicherheit zurückgewiesen wurde.
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Die Klägerin hat jedenfalls ihren Gründungs- und Satzungssitz in Gibraltar. Die Beklagte bestreitet, dass sie von dort auch eine Geschäftstätigkeit ausübt. Der Beklagte hat in Deutschland seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.05.2024 die Einrede der Prozesskostensicherheit gemäß § 110 ZPO erhoben und sich dabei zunächst auf den Sitz der Klägerin in Gibraltar und damit außerhalb der Europäischen Union berufen.
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Die Klägerin ist dem Antrag unter Berufung auf § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO in Verbindung mit dem Haager Gerichtstandübereinkommen (HGÜ) entgegengetreten. Der streitgegenständliche Vertrag enthalte in § 7 (Anlage K1) eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Münchener Gerichte. Daher sei gemäß § 8 HGÜ die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung – einschließlich einer Kostenentscheidung – gesichert.
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Die Beklagte macht geltend, der Anwendungsbereich sei gemäß Art. 2 HGÜ nicht eröffnet, da der Beklagte Verbraucher sei. Außerdem habe die Klägerin den hier maßgeblichen Verwaltungssitz in Gibraltar nicht ausreichend dargelegt und bewiesen. Zudem sei die Gerichtsstandsvereinbarung nicht in der gemäß Art. 3 HGÜ erforderlichen Schriftform geschlossen. Außerdem handele es sich nicht um eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung.
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Das Landgericht ist der Argumentation der Klägerin gefolgt und hat im Zwischenurteil vom 10.04.2025 unter Aufhebung des Versäumniszwischenurteils vom 23.01.2025 das VersäumnisZwischenurteil vom 18.11.2024, mit welchem der Antrag auf Prozesskostensicherheit zurückgewiesen worden war, aufrechterhalten.
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Zwar lägen die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO grundsätzlich vor, da die Klägerin ihren Sitz in einem Gebiet außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union habe. Es greife jedoch die Ausnahme des § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO in Verbindung mit dem HGÜ. Der Beklagte sei bei dem Abschluss der Finanzierungsvereinbarung nicht als Verbraucher tätig geworden. Es liege eine Gerichtsstandsvereinbarung in der Form des § 3 lit. c) HGÜ vor. Die Zustellung eines unterschriebenen Exemplars des Vertrages an den Beklagten sei nicht erforderlich. Es genüge, dass dieser in Textform gespeichert und ausgedruckt werden könne. Schließlich habe die Klägerin ausreichend Tatsachen dafür vorgebracht, dass sie ihren Verwaltungssitz in Gibraltar habe.
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Auf Tatbestand und Gründe des landgerichtlichen Urteils wird im Übrigen verwiesen.
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Mit seiner Berufungsbegründung, auf die Bezug genommen wird, wiederholt und vertieft der Beklagte sein Vorbringen zu den Voraussetzungen einer Prozesskostensicherheit. Das Landgericht habe die vorgetragenen Indizien dazu, dass die Klägerin als reine Briefkastenfirma in Gibraltar tätig sei, nicht hinreichend gewürdigt. Es habe nicht berücksichtigt, dass eine Vollstreckung gegen die Klägerin in Gibraltar mangels physischer Präsenz der Klägerin ins Leere gehen würde. Den Nachweis einer solchen Präsenz habe die Klägerin nicht erbracht. Sie habe nicht behauptet, dass sie Geschäftsräume unterhalte, über Büroräume verfüge oder Personal beschäftige. Auch existiere kein Webauftritt. Das Landgericht habe nicht gewürdigt, dass sich einer der Geschäftsführer ausweislich des Handelsregisterauszugs (Anlage K13a) in der Schweiz aufhalte. Zum Aufenthalt der zwei weiteren Geschäftsführer habe das Landgericht keine Feststellungen getroffen. Im Handelsregister finde sich dazu lediglich die Geschäftsadresse der Klägerin. Der vorgelegte Kontoauszug (Anlage K19) zeige nur eine Momentaufnahme der Vermögenssituation und belege keine Geschäftsaktivität.
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Die Beklagte beruft sich auf praktische Hindernisse und auf die Kosten einer etwaigen Vollstreckung im Vereinigten Königreich. Dies stehe einer Anwendung des § 110 Abs. 2 Nr. 2
ZPO entgegen. Er führt aus, dass die britischen Gerichte analog zu den deutschen Vollstreckungsgerichten Gebühren für die einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen erheben, welche der Beklagte vorleisten müsse. Anders als in Deutschland sei bei erfolgreicher Vollstreckung die Kostenerstattung nicht rechtssicher. Zudem fielen Übersetzungsgebühren und ein Honorarvorschuss für den vor Ort zu beauftragenden Rechtsanwalt an. Schließlich könne der Schuldner im Vollstreckungsverfahren vor den britischen Gerichten diverse Rechtsmittel einlegen, welche kostenintensiv vor Gericht verhandelt werden müssten.
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Der Beklagte beantragt,
Unter Abänderung des am 10. April 2025 verkündeten Zwischenurteils des Landgerichts München I, Az. 44 O 980/24, wird das Zischen-Versäumnisurteil vom 18. November 2024 aufgehoben und das Zwischen-Versäumnisurteil vom 23. Januar 2025 aufrechterhalten.
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Das Urteil des Landgerichts München ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO richtig beurteilt.
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1. Das HGÜ ist im Verhältnis zum Vereinigten Königreich anwendbar. Die Europäische Union ist als Gesamtheit mit Wirkung für ihre Mitgliedstaaten Vertragsstaat und damit gilt das HGÜ in Deutschland als Unionsrecht (Hausmann/Odersky/Schäuble, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, Rn. 188). Das Vereinigte Königreich hat am 28.09.2020 den Beitritt zum HGÜ erklärt (Schütze, IPrax 2023, 459 (460); Hau, MDR 2021, 521 (522) . Art. 8 HGÜ garantiert die Anerkennung und Vollstreckung eines in einer Gerichtsstandsvereinbarung benannten Gerichts eines Vertragsstaates.
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2. Der Anwendungsbereich des HGÜ ist eröffnet.
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a) Das Landgericht hat zu Recht keine Verbrauchereigenschaft des Beklagten gemäß Art. 2 Abs. 1 a) HGÜ angenommen. Die Vorschrift definiert einen engen Verbraucherbegriff. Aus dem Sachvortrag des Beklagten lässt sich nicht auf einen persönlichen, familiären oder den Haushalt betreffenden Zweck der streitgegenständlichen Finanzierungsvereinbarung schließen.
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Vielmehr erfolgte diese erkennbar im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit des Beklagten.
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b) Das HGÜ ist gemäß Art. 1 auf internationale Sachverhalte anwendbar. Diese setzen einen Aufenthalt der Parteien in unterschiedlichen Vertragsstaaten voraus. Der Aufenthalt wird in Art. 4 Abs. 2 HGÜ definiert. Eine juristische Person hat danach ihren Aufenthalt in dem Vertragsstaat, a) in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, b) nach dessen Recht sie gegründet wurde; c) in dem sie ihre Hauptverwaltung hat oder d) in dem sie ihre Hauptniederlassung hat (Hausmann/Odersky/Schäuble a.a.O, Rn. 194). Auf die Frage, ob die Klägerin in Gibraltar nur ihren Gründungs- und Satzungssitz oder auch ihren Verwaltungssitz hat, kommt es danach nicht an.
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c) Eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Satz 1 HGÜ liegt vor. Die Gerichtsstandsvereinbarung unterliegt gemäß Art. 26 Abs. 6 a) HGÜ ausschließlich der HGÜ ohne Rückgriff auf Art. 25 Brüssel Ia-VO (Hau, MDR 2021, 521 (522). Es gilt daher die Vermutung es Art. 3 HGÜ: Eine Gerichtsstandsvereinbarung, welche die Gerichte eines Vertragsstaates benennt, gilt als ausschließlich, sofern nichts anderes vereinbart ist. Die Form des Art. 3 lit. c) HGÜ ist hier eingehalten. Zwar fehlt eine Vertragsurkunde mit zwei Unterschriften. Es genügt jedoch, wenn die Vereinbarung in einer Weise zustande gekommen ist, dass auf die Information später wieder zugegriffen werden kann (Hausmann/Odersky/Schäuble a.a.O, Rn. 197). Diesem Erfordernis wird die Vertragsurkunde mit der Unterschrift des Beklagten (Anlage K1) gerecht. Die Wirksamkeit der Vereinbarung durch mündliche oder konkludente Annahme der Klägerin, die sich aufgrund der Rechtswahl im Vertrag (§ 7 Anlage K 1) nach deutschem Sachrecht richtet (Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO), ist hier nicht streitig.
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3. Der Anwendbarkeit des § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO stehen praktische Vollstreckungshindernisse nicht entgegen.
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Nach herrschender Meinung im Schrifttum erfordert die Ausnahme des § 110 Abs. 2 Nr. 2 nicht nur die formale Garantie der Anerkennung und Vollstreckung. Dieser dürfen keine hohen rechtlichen Hürden im Staat der Vollstreckung entgegenstehen (Schütze, BKR 2024, 443 (444); Musielak/Voit/Foerste, ZPIO 22. Aufl. 2022, § 110 Rn. 5; MüKo-ZPO/Schulz, 7. Aufl. 2025, Rn. 23). Auch darf die Vollstreckung nicht aus Kostengründen unwirtschaftlich sein. Hierfür können hohe Gebühren und eine fehlende Kostenerstattung sprechen.
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Diese einschränkende Auslegung überzeugt nicht. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Vollstreckung aufgrund völkerrechtlicher Verträge abstrakt gesichert ist, sofern kein Stillstand der Rechtspflege aufgrund von Krieg, Revolution, Umsturz oder ähnlichen Ereignissen vorliegt.
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Zwar mag in einzelnen Staaten die Vollstreckung aufwändiger oder teurer sein als im Inland, so dass das Risiko, mit der Kostenerstattung auszufallen, erhöht ist. Ein erhöhter Rechtsverfolgungsaufwand ist mit der Vollstreckung im Ausland, selbst in Mitgliedstaaten der Europäischen Union, jedoch häufig verbunden. Auch im Inland ist die Vollstreckung nicht ohne
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Hindernisse. Der Gesetzgeber hat dieses Risiko allgemein und im Anwendungsbereich des § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO im Besonderen in Kauf genommen. Schließlich wäre eine konkrete Prüfung der Vollstreckungsbedingungen am Sitz der jeweiligen Klagepartei geeignet, das Verfahren mit Unsicherheiten zu belasten und würde im Zwischenverfahren über die Prozesskostensicherheit zu einer unverhältnismäßigen Verzögerung führen.
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Schließlich sind die vorgetragenen Vollstreckungsbedingungen nicht geeignet, eine unverhältnismäßige Erschwernis zu begründen. Auch in Deutschland ist die Vollstreckung für den Gläubiger nicht kostenfrei. Dem Schuldner stehen auch hier Rechtsbehelfe im Vollstreckungsverfahren zur Verfügung. Die aufgeführten Hindernisse sind daher nicht ausreichend, um eine gesicherte Vollstreckbarkeit zu verneinen.
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4. Die Anwendbarkeit von § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO steht nicht unter dem Vorbehalt einer aussichtsreichen Vollstreckung aufgrund von Vermögensgegenständen der Klagepartei im Sitzstaat.
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Es kommt im Rahmen von § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht darauf an, ob die Vollstreckung gegenüber dem konkreten Vollstreckungsschuldner Aussicht auf Erfolg haben kann. Daher sind die Ausführungen des Beklagten dazu, dass eine Vollstreckung gegen die Klägerin mangels physischer Präsenz in Gibraltar keine Aussicht auf Erfolg habe, nicht geeignet, die Einrede der Prozesskostensicherheit zu begründen.