Titel:
Erfolglose Popularklage gegen außer Kraft getretenes Recht (Corona-Verordnung)
Normenketten:
BV Art. 98 S. 4
BayVfGHG Art. 55 Abs. 1 S. 1
12. BayIfSMV § 18 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 lit. b
Leitsätze:
Zur Unzulässigkeit einer Popularklage gegen Vorschriften in der außer Kraft getretenen Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, weil kein objektives Interesse mehr an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. (Rn. 8 – 16)
1. Wird der bayerische Normgeber aufgrund einer bundesrechtlichen Ermächtigung tätig setzt er Landesrecht und und bleibt in den Bereichen, in denen das Bundesrecht ihm Entscheidungsfreiheit belässt, an die Bayerische Verfassung gebunden (Fortführung von BeckRS 2023, 28483). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Bestands- bzw. Rechtskraft erwachsene Rechtsanwendungsakte bleiben von einer positiven Entscheidung über die Popularklage unberührt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die nur theoretische Möglichkeit der Wiederaufnahme von Bußgeldverfahren entsprechend § 79 Abs. 1 BVerfGG auf vollständig abgeschlossene Ordnungswidrigkeitenverfahren reicht zur Begründung eines objektiven Feststellungsinteresses für eine Popularklage gegen außer Kraft getretenes Recht nicht aus (Fortführung von BeckRS 2021, 35380). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Popularklage, außer Kraft getretenes Recht, Feststellungsinteresse, in Bestands- oder Rechtskraft erwachsene Rechtsanwendungsakte, Ordnungswidrigkeiten
Vorinstanz:
VerfGH München, Entscheidung vom 22.03.2021 – Vf. 23-VII-21
Fundstelle:
BeckRS 2025, 21049
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Antragsteller wenden sich mit ihrer am 10. März 2021 eingegangenen Popularklage gegen einzelne Vorschriften der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 5. März 2021 (BayMBl Nr. 171, BayRS 2126-1-16-G), die gemäß ihrem § 30 seit dem 8. März 2021 galt, zunächst bis zum 28. März 2021 befristet war und nach mehrmaliger Verlängerung ihrer Geltungsdauer (zuletzt durch § 1 Nr. 5 der Änderungsverordnung vom 14.5.2021, BayMBl Nr. 337, BayRS 2126-1-16-G) mit Ablauf des 6. Juni 2021 außer Kraft getreten ist. Die Verordnung war gestützt auf § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1, § 28 a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 9 Nr. 5 der Delegationsverordnung (DelV) in der damals geltenden Fassung. Im Einzelnen greifen die Antragsteller § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 13 Abs. 1, § 18 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 23 Abs. 1 12. BayIfSMV in ihrer ursprünglichen und gegebenenfalls auch in während der Geltungsdauer geänderter Fassung an.
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1. Die Antragsteller sind der Auffassung, die damaligen Vorschriften zum Distanzunterricht in Schulen (§ 18 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b 12. BayIfSMV) und zur Schließung von Tagesbetreuungsangeboten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 12. BayIfSMV) verletzten die Grundrechte aus Art. 128 und 129 Abs. 2 BV sowie aus Art. 100 und 101 BV. Hinsichtlich der Öffnungsverbote für bestimmte Handels- und Dienstleistungsbetriebe (§ 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 12. BayIfSMV), der Untersagung von Gastronomiebetrieben (§ 13 Abs. 1 12. BayIfSMV) und der Schließung von Kultureinrichtungen (§ 23 Abs. 1 12. BayIfSMV) rügen sie eine Verletzung der Art. 103 und 108 BV sowie insgesamt des Art. 101 BV. Sie machen geltend, der 7-Tage-Inzidenzwert von 100, dessen Überschreitung zu einer völligen Außerkraftsetzung von Grundrechten führe, sei willkürlich gewählt, da er stärker von der Anzahl der durchgeführten Tests als vom tatsächlichen Infektionsgeschehen abhänge. Mit der bei Überschreitung des Inzidenzwerts erfolgenden Anordnung von Distanzunterricht und Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen werde kleinen Kindern der in Art. 128, 129 Abs. 2 BV garantierte Zugang zur kostenfreien Bildung verweigert. Digitaler Unterricht sei für Kinder bis zehn oder zwölf Jahren völlig ungeeignet. Kindern aus bildungsfernen Familien werde durch die Schließung von Kindertagesstätten und Grundschulen die Möglichkeit genommen, durch Kontakt zu Erziehern, Lehrern und Gleichaltrigen Defizite in Sprache und Kultur zu überwinden. Beim Distanzunterricht könne von einem kostenlosen Unterricht für alle nicht gesprochen werden, da in armen Familien schon das Geld für ein Endgerät (Laptop o. ä.) je Schulkind fehle. Eine Aussetzung des Grundrechts auf Bildung allein auf einen Inzidenzwert zu stützen, stelle nach einem Jahr voller neuer Erkenntnisse einen Abwägungsausfall dar. Die Schulschließungen verletzten wegen des dadurch fehlenden Kontakts zu Gleichaltrigen auch das Grundrecht der Kinder und Jugendlichen auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 100 und 101 BV, da sie zu einer enormen Zunahme psychiatrischer Erkrankungen führten. Es sei auch wissenschaftlich erwiesen, dass Schulschließungen keinen Effekt auf das Infektionsgeschehen hätten.
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Bei der Schließung von Einzelhandel, Gastronomie etc. trete der Aspekt der willkürlichen Ungleichbehandlung hinzu. Während Baumärkte allerorten geöffnet sein dürften, auch wenn sich die Kunden dort in wenigen Bereichen (z. B. in der Gartenabteilung) drängten, dürften kleine Geschäfte nicht einmal einen einzigen Kunden hereinlassen. Die Unterscheidung zwischen Baumärkten und anderen privilegierten Geschäften einerseits und nicht privilegierten Geschäften andererseits sei willkürlich. Als milderes und durchaus sehr geeignetes Mittel sei die Beschränkung etwa auf nur einen Kunden gleichzeitig denkbar. Die völlige, nicht einmal von einer bestimmten Inzidenz abhängige Schließung von Einrichtungen der Kunst und der Kultur spreche der Kunstfreiheit nach Art. 108 BV Hohn. Es sei zu fragen, warum nicht Aufführungen unter freiem Himmel oder mit entsprechenden Lüftungskonzepten bei ausreichendem Abstand möglich seien. Das Totalverbot der Kultur nehme Kunstschaffenden ihre Existenz. Die Verordnung im Ganzen zeige eine völlige Verkennung der Grundrechte, wenn etwa Baumärkte ohne Rücksicht auf das Infektionsgeschehen geöffnet blieben, Bildungseinrichtungen aber nur bis zu einem gewissen Inzidenzwert und Kultureinrichtungen überhaupt nicht. Diese Ungleichbehandlung habe mit Infektionsschutz wenig zu tun; geöffnet bleibe, wer die stärkere Lobby habe. Auch das Verfahren zeige Mängel, da wesentliche Grundrechtseingriffe nicht durch das Parlament, sondern durch den Verordnungsgeber getroffen würden. Dieser erlasse die Verordnung nicht aufgrund einer eigenen Abwägungs- und Ermessensentscheidung, sondern in Umsetzung von Beschlüssen der weder im Grundgesetz noch in der Bayerischen Verfassung vorgesehenen Ministerpräsidentenkonferenzen.
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2. Mit Schreiben vom 29. Mai 2021 haben die Antragsteller klargestellt, dass sich die Popularklage auf die gerügten Normen auch insoweit erstrecke, als sie gegenüber der ursprünglichen Fassung geändert worden seien; dies gelte insbesondere hinsichtlich der Vorschriften zu Schulschließungen sowie zum Einzelhandel. Auch bei außer Kraft getretenen Vorschriften bestehe hier noch ein objektives Interesse an der verfassungsgerichtlichen Überprüfung, da mit neuen Beschränkungen zu rechnen sei. Unabhängig von der Kurzlebigkeit der einzelnen Normen sei es eine grundsätzliche Frage, inwieweit Naturereignisse wie eine Pandemie zur jahrelangen Außerkraftsetzung von Grundrechten und – im Fall des Schulbetriebs – von Grundlagen der Zivilisation führen könnten. Soweit die angegriffenen Normen inzwischen von § 28 b IfSG gedeckt seien, über dessen Verfassungsmäßigkeit der Verfassungsgerichtshof nicht urteilen könne, ändere die nachträgliche Übereinstimmung mit einer mittlerweile erlassenen Bundesnorm nichts an der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Verordnung; zudem bleibe auch unter Berücksichtigung der Bundesnorm genügend Entscheidungsspielraum. Die bayerische Normgebung gehe etwa mit dem teilweisen bzw. völligen Ausschluss von Präsenzunterricht ab einer Inzidenz von 50 bzw. 100 über die bundesgesetzliche Regelung des § 28 b Abs. 3 IfSG hinaus, die lediglich Schwellenwerte von 100 bzw. 165 vorsehe.
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3. Die Bayerische Staatsregierung hat sich mit Stellungnahme vom 10. Mai 2021 zu der Popularklage geäußert. Sie hält diese für teilweise unzulässig und im Übrigen für unbegründet.
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Der Bayerische Landtag hat sich nicht am Verfahren beteiligt.
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4. Einen von den Antragstellern gleichzeitig mit der Popularklage gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Verfassungsgerichtshof mit Entscheidung vom 22. März 2021 abgewiesen (VerfGHE 74, 70).
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1. Die Popularklage, die sich ausschließlich gegen nicht mehr geltendes Recht richtet, ist bereits deshalb abzuweisen, weil es inzwischen mangels objektiven Feststellungsinteresses an einem zulässigen Antragsgegenstand fehlt.
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a) Nach Art. 98 Satz 4 BV, Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts. Dem steht nicht entgegen, dass sie auf einer bundesrechtlichen Ermächtigung beruhten. Denn der bayerische Normgeber, der aufgrund einer bundesrechtlichen Ermächtigung tätig wird, setzt Landesrecht und bleibt in den Bereichen, in denen das Bundesrecht ihm Entscheidungsfreiheit belässt, an die Bayerische Verfassung gebunden (vgl. VerfGH vom 27.9.2023 BayVBl 2024, 78 Rn. 34 zur 4. BayIfSMV). Die angegriffenen Verordnungsregelungen sind jedoch kein zulässiger Prüfungsgegenstand im Popularklageverfahren mehr.
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Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift verfassungswidrig ist, seiner Beurteilung grundsätzlich den Rechtszustand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann, wenn noch ein objektives (nicht nur theoretisches) Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein solches Interesse insbesondere dann bestehen kann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsnorm noch rechtliche Wirkungen entfalten kann, weil sie für künftige (z. B. gerichtliche) Entscheidungen noch rechtlich relevant ist (vgl. VerfGH vom 30.8.2017 VerfGHE 70, 162 Rn. 75; vom 20.8.2019 VerfGHE 72, 157 Rn. 18; vom 7.12.2021 VerfGHE 74, 265 Rn. 41; vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 51; BayVBl 2024, 78 Rn. 36, jeweils m. w. N.; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 98 Satz 4 Rn. 14; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 23).
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b) An diesen Maßstäben gemessen ist die Popularklage insgesamt unzulässig.
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An einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der mit Ablauf des 6. Juni 2021 außer Kraft getretenen Bestimmungen der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) besteht kein objektives Interesse mehr. Anders als bei der mit Entscheidung vom 27. September 2023 inhaltlich geprüften allgemeinen Maskenpflicht nach §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV (VerfGH BayVBl 2024, 78 Rn. 37) ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass zu den hier angegriffenen Vorschriften noch immer in relevantem Ausmaß behördliche oder gerichtliche Verfahren anhängig wären, für die es auf die Verfassungsmäßigkeit der betreffenden Regelungen ankäme.
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Insbesondere kann mittlerweile ausgeschlossen werden, dass wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstöße gegen die genannten Vorschriften, die nach § 29 Nrn. 10, 11, 16, 17 und 19 12. BayIfSMV i. V. m. § 73 Abs. 1 a Nr. 24, Abs. 2 IfSG bußgeldbewehrt waren, heute noch belastende Entscheidungen ergehen könnten. Laut einem per Pressemitteilung veröffentlichten Beschluss der Bayerischen Staatsregierung vom 5. November 2024 werden laufende Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verstößen gegen Corona-Rechtsvorschriften nicht weiterverfolgt. Davon erfasst sind sämtliche bei den Kreisverwaltungsbehörden, den Staatsanwaltschaften und den Gerichten anhängigen Bußgeldverfahren und Vollstreckungsverfahren wegen Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Verstößen gegen Corona-Rechtsvorschriften, insbesondere auch gegen die anlässlich der Corona-Pandemie erlassenen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen. Bei den zuständigen Verfolgungsbehörden anhängige Verfahren sollen eingestellt werden und die Staatsanwaltschaften bei den Gerichten die Einstellung dort noch anhängiger Verfahren anregen. Bei bereits rechtskräftigen Bußgeldbescheiden findet keine weitere Vollstreckung statt, noch ausstehende Geldbußen werden erlassen (https://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabinettssitzung-vom-5-november2024/). Damit sind insoweit noch andauernde Rechtswirkungen für künftige Behörden- oder Gerichtsentscheidungen auszuschließen. Bereits bezahlte Bußgelder könnten auch dann nicht zurückgefordert werden, wenn die Popularklage Erfolg hätte, da in Bestands- bzw. Rechtskraft erwachsene Rechtsanwendungsakte von einer positiven Entscheidung über die Popularklage unberührt blieben (vgl. § 183 VwGO sowie zur entsprechenden Anwendung von § 79 BVerfGG VerfGH vom 29.4.1993 VerfGHE 46, 137/140; vom 27.8.2018 VerfGHE 71, 223 Rn. 25). Die nur theoretische Möglichkeit der Wiederaufnahme von Bußgeldverfahren entsprechend § 79 Abs. 1 BVerfGG (vgl. dazu Bethge in Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 79 Rn. 39 m. w. N.) auf vollständig abgeschlossene Ordnungswidrigkeitenverfahren reicht zur Begründung eines objektiven Feststellungsinteresses nicht aus (vgl. VerfGH vom 10.11.2021 BayVBl 2022, 116 Rn. 24). Die Popularklage dient dem objektiv-rechtlichen Schutz der Grundrechte gegenüber Rechtsvorschriften, von denen noch rechtliche Wirkungen ausgehen können, nicht dagegen der nachträglichen Beseitigung von Entscheidungen, die trotz der gegebenen Rechtsmittel des Individualrechtsschutzes einschließlich der damit inzident verbundenen Möglichkeiten der Normüberprüfung rechtskräftig geworden sind (vgl. VerfGHE 46, 137/140).
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Selbst wenn es in einzelnen (z. B. verwaltungsgerichtlichen) Verfahren künftig noch auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung ankommen sollte, ließe dies allein die Fortführung des Popularklageverfahrens nicht im öffentlichen Interesse als geboten erscheinen. Denn die Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV, die an die Antragsberechtigung geringe Anforderungen stellt (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG: „jedermann“) und keiner Fristbindung unterliegt, dient nicht in erster Linie dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen, der unter Umständen auch bei überholten Grundrechtseingriffen nachträglichen – subjektiven – gerichtlichen Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren beanspruchen kann (vgl. BVerfG vom 3.3.2004 BVerfGE 110, 77/85 ff.; zur nachträglichen gerichtlichen Klärung in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO vgl. BVerwG vom 22.11.2022 BVerwGE 177, 60 Rn. 12 ff.). Die verfassungsgerichtliche Popularklage ist vielmehr – anders als die Verfassungsbeschwerde nach Art. 120 BV zum Schutz der eigenen Grundrechte – ein objektives Verfahren (vgl. VerfGHE 74, 265 Rn. 42 m. w. N.; VerfGH vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 54 und 58; BayVBl 2024, 78 Rn. 36 m. w. N.; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Rn. 8). Der Verfassungsgerichtshof soll im Popularklageverfahren über die Geltung der angegriffenen Norm entscheiden, nicht über konkrete Anwendungsfälle. Daher wird ein objektives Interesse auch nicht allein dadurch begründet, dass die außer Kraft getretenen Vorschriften schwerwiegende Grundrechtseingriffe bewirkt haben oder ihre Geltungsdauer zu kurz war, um ein Popularklageverfahren in der Hauptsache durchzuführen (VerfGH BayVBl 2024, 78 Rn. 36; vom 18.12.2024 – Vf. 15-VII-17 – juris Rn. 28; vom 28.1.2025 – Vf. 2-VII-19 – juris Rn. 9). Hinzukommen muss vielmehr, dass die Grundrechte als Institution betroffen sind, etwa weil es um eine Vielzahl nicht abgeschlossener Fälle und nicht nur um einzelne Verfahren geht, in denen die Betroffenen auf Individualrechtsschutz zu verweisen sind (vgl. VerfGH vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 58; vom 18.12.2024 – Vf. 15-VII-17 – juris Rn. 28; vgl. auch VerfGH vom 13.3.2025 – Vf. 5-VIII-18 u. a. – juris Rn. 71 zur Verfahrenseinstellung nach Erledigterklärung). Dass dies hinsichtlich der nur für kurze Zeit im ersten Halbjahr 2021 geltenden Regelungen über den Distanzunterricht in Schulen, die Beschränkung von Tagesbetreuungsangeboten, die Öffnungsverbote für bestimmte Handels- und Dienstleistungsbetriebe, die Untersagung von Gastronomiebetrieben und die Schließung von Kultureinrichtungen der Fall wäre, ist nicht erkennbar.
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Ein fortbestehendes Feststellungsinteresse kann auch nicht mit der allgemeinen Erwägung begründet werden, im Fall einer erneuten Pandemie müsse wiederum mit vergleichbaren Beschränkungen auf infektionsschutzrechtlicher Grundlage gerechnet werden. Wie die im Verlauf der Corona-Pandemie zu beobachtende Dynamik des Infektionsgeschehens zeigt, die in wiederholten Präzisierungen der bundesgesetzlichen Vorgaben und in zahlreichen Neufassungen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen ihren Niederschlag gefunden hat, ließe sich das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Grundrechtsbeschränkungen, die in einem länger zurückliegenden Zeitraum gegolten haben, nicht auf mögliche künftige Pandemielagen übertragen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der wissenschaftliche Erkenntnisstand zur Gefährlichkeit und zu den Verbreitungswegen eines bestimmten Virus wie auch zur Wirksamkeit von Schutzvorkehrungen fortlaufend weiterentwickelt, sodass die Prüfung der Vertretbarkeit und Verhältnismäßigkeit konkreter Vorsorgemaßnahmen immer nur mit Blick auf die jeweils aktuellen Umstände erfolgen kann.
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Damit würde die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der hier angegriffenen Regelungen letztlich im Rahmen eines – für die Zulässigkeit der Popularklage nicht ausreichenden – theoretischen Feststellungsinteresses, nicht aber in einem die konkrete Rechtsanwendung betreffenden Zusammenhang erfolgen.
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2. Unabhängig von dem mittlerweile fehlenden Feststellungsinteresse war die Popularklage, anders als der Verfassungsgerichtshof bei summarischer Prüfung in der Entscheidung vom 22. März 2021 über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung angenommen hat (VerfGHE 74, 70 Rn. 10), von Anfang an auch mangels hinreichender Substanziierung einer Grundrechtsverletzung unzulässig.
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Zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage gehört gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG, dass der Antragsteller darlegt, inwiefern durch die angegriffene Rechtsvorschrift ein in der Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Eine ausreichende Grundrechtsrüge liegt nicht schon dann vor, wenn nur behauptet wird, dass die angegriffene Rechtsvorschrift gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstoße. Der Antragsteller muss seinen Vortrag vielmehr so präzisieren, dass der Verfassungsgerichtshof beurteilen kann, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnormen berührt ist. Die zur Überprüfung gestellten Tatsachen und Vorgänge müssen dies zumindest als möglich erscheinen lassen (VerfGH vom 4.5.2012 VerfGHE 65, 73/81; vom 29.10.2020 VerfGHE 73, 284 Rn. 19; 74, 265 Rn. 46 f.; vom 28.6.2022 BayVBl 2022, 625 Rn. 39 m. w. N.). Summarische, nicht präzisierte Grundrechtsrügen sind unzulässig (VerfGH vom 19.4.1985 VerfGHE 38, 43/45; vom 29.10.2018 – Vf. 20-VII-17 – juris Rn. 14; vom 20.4.2023 BayVBl 2023, 521 Rn. 22).
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Diejenigen Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen, die wie hier erst nach dem 19. November 2020 in Kraft traten, waren nicht mehr allein auf die bundesrechtliche Generalermächtigung des § 32 Satz 1 IfSG, sondern auch auf die seit diesem Tag geltende bundesgesetzliche Zielbestimmung des § 28 a IfSG gestützt. Zur Substanziierung der möglichen Verletzung eines Grundrechts der Bayerischen Verfassung muss daher in einem solchen Fall auch nachvollziehbar dargelegt werden, inwieweit während der Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (§ 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG) neben den bereits nach § 28 a Abs. 1 IfSG bundesrechtlich geforderten notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID19), deren Inhalt durch die seit dem 23. April 2021 geltenden Regelungen des § 28 b IfSG weiter präzisiert wurde, überhaupt noch ein Spielraum des landesrechtlichen Verordnungsgebers bestand (vgl. auch VerfGH vom 31.1.2024 – Vf. 14-VII-22 – juris Rn. 20 ff.). Dieser Darlegungspflicht sind die Antragsteller allenfalls hinsichtlich der Regelungen über den Distanzunterricht in Schulen (§ 18 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b 12. BayIfSMV) ansatzweise nachgekommen, wobei sie nicht darauf eingegangen sind, dass die betreffenden landesrechtlichen Regelungen mit Wirkung ab dem 6. Mai 2021 an die bundesrechtlichen Vorschriften des § 28 b Abs. 3 IfSG angepasst wurden (Änderungsverordnung vom 5.5.2021, BayMBl Nr. 307, BayRS 2126-1-16-G; 2126-1-6-G).
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Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).