Titel:
Intransparenz einer auf die Jahresersparnis abstellende Honorarvereinbarung in den AGB eines Versicherungsvermittlers
Normenketten:
BGB § 133, § 157, § 307 Abs. 1, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
ZPO § 286
Leitsätze:
1. Die AGB eines Versicherungsvermittlers sind wegen Intransparenz unwirksam, wenn sie zum Vergütungsanspruch bei einem vermittelten Tarifwechsel auf die Jahresersparnis bei den Prämien abzüglich der Differenz der Selbstbehalte abstellt, weil offen bleibt, ob der neue vom alten Jahresselbstbehalt abzuziehen ist oder umgekehrt (Anschluss an BGH GRUR-RS 2024, 15338). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Jahresersparnis sind die Prämien im Ausgangs- und Zieltarif zu berücksichtigen, nicht aber eine Reduzierung des Selbstbehalts, weil es sich hierbei nicht um eine gesicherte Reduzierung handelt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Angaben in der gegengezeichneten Beratungsdokumentation zu der Höhe der Prämie im Ausgangs- und Zieltarif stellen ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar, durch das der Versicherungsnehmer mit sämtlichen Einwendungen rechtlicher und tatsächlicher Natur ausgeschlossen ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
1. Die AGB eines Versicherungsvermittlers sind wegen Intransparenz unwirksam, wenn sie zum Vergütungsanspruch bei einem vermittelten Tarifwechsel auf die Jahresersparnis bei den Prämien abzüglich der Differenz der Selbstbehalte abstellt, weil mit dieser Formulierung offen bleibt, ob der neue vom alten Jahresselbstbehalt abzuziehen ist oder umgekehrt (Anschluss an BGH GRUR-RS 2024, 15338). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Jahresersparnis sind die Prämien im Ausgangs- und Zieltarif zu berücksichtigen, nicht aber eine Reduzierung des Selbstbehalts, weil es sich hierbei nicht um eine gesicherte Reduzierung handelt. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Angaben in der gegengezeichneten Beratungsdokumentation zu der Höhe der Prämie im Ausgangs- und Zieltarif stellen ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar, durch das der Versicherungsnehmer mit sämtlichen Einwendungen rechtlicher und tatsächlicher Natur ausgeschlossen ist. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherungstarife, Honorarvereinbarung, Jahresersparnis, intransparente AGB, Selbstbehalt, Tarifwechsel, deklaratorisches Schuldanerkenntnis
Vorinstanzen:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 04.04.2024 – I ZR 137/23
LG Traunstein, Berichtigungsbeschluss vom 05.02.2024 – 2 S 2447/22
LG Traunstein, Endurteil vom 05.09.2023 – 2 S 2447/22
AG Traunstein, Endurteil vom 13.10.2022 – 319 C 128/22
Fundstellen:
BeckRS 2025, 20967
FDVersR 2025, 020967
Tenor
1. Das Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 13.10.2022, Az. 319 C 128/22, wird abgeändert wie folgt:
Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 07.02.2022, Geschäftszeichen 21-7676970-0-6, wird insoweit aufrechterhalten, als der Beklagte zur Zahlung von 1.501,78 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.11.2021 verpflichtet wurde. Im Übrigen wird der Vollstreckungsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 1/4 und der Beklagte zu 3/4.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.947,82 Euro festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. In Zusammenfassung begehrt die Klägerin vom Beklagten die Rückzahlung eines Honorars für die Vermittlung eines günstigeren Krankenversicherungstarifs. Die entsprechende Vereinbarung wurde schriftlich … geschlossen (Anlage K1). Das vom Beklagten vermittelte neue Tarifpaket wird von der Klägerin nicht in Frage gestellt. Im Streit steht allein das von der Klägerin zunächst bezahlte Honorar in Höhe von 80 % der berechneten Jahresersparnis zzgl. Mehrwertsteuer.
2
Mit Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 07.02.2022, Geschäftszeichen 21-7676970-0-6, dem Beklagten zugestellt am 10.02.2022, wurde der Beklagte in der Hauptsache zur Zahlung von 1.947,00 Euro an die Klägerin verpflichtet. Am 18.02.2022 legte der Beklagte hiergegen Einspruch ein. Der Rechtsstreit wurde in der Folge an das Amtsgericht Traunstein abgegeben.
3
Das Amtsgericht Traunstein hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 13.10.2022 stattgegeben und den Beklagten in der Hauptsache zur Zahlung von 1.947,82 Euro an die Klägerin verurteilt. Die geschlossene Honorarvereinbarung sei nicht bereits nach § 134 BGB nichtig, sei jedoch gemäß § 312 g BGB wirksam widerrufen worden.
4
Gegen das Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 13.10.2022, dass dem Beklagten am 21.10.2022 zugegangen ist, hat dieser mit einem am 15.11.2022 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 23.01.2023 binnen verlängerter Frist eingegangenen Schriftsatz begründet.
5
Mit Urteil des Landgerichts Traunstein vom 05.09.2023 wurde die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 13.10.2022 zurückgewiesen. Der Klägerin stehe ein Widerrufsrecht zu, da die Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB nicht anwendbar sei.
6
Gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 05.09.2023, dass dem Beklagten am 07.09.2023 zugegangen ist, hat dieser mit Schriftsatz vom 25.09.2023 Revision eingelegt.
7
Mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.04.2024 wurde das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 05.09.2023 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Klägerin steht kein Widerrufsrecht zu, da die Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB greift. Die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beklagten zur Ermittlung der Jahresersparnis vorgesehenen Regelungen sind intransparent (§ 307 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB). Der verwendete Begriff „Jahresersparnis“ ist gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen. Nach dem allgemeinen Wortsinn liegt nahe, nur eine gesicherte Reduzierung der Zahlungsverpflichtung als Ersparnis anzusehen. Darunter fällt die Reduzierung der monatlichen Beträge, nicht hingegen eine Reduzierung des jährlichen Selbstbehalts. In der Beratungsdokumentation könne ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis liegen, wodurch die Klägerin an den Ausgangs- und Zieltarif gebunden und daher mit ihren Einwänden zur Anspruchsberechnung nicht mehr gehört werden könne.
8
Der Beklagte meint, dass in der Beratungsdokumentation kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis liege. Die Klägerin müsse sich an die Vereinbarung zwischen den Parteien zur Vergütung binden lassen. Hierbei sei der Klägerin insbesondere eine Reduzierung des Selbstbehalts besonders wichtig gewesen. Bei Außerbetrachtlassung des Selbstbehalts dürfe die Absicherung des Selbstbehalts durch … als Unterstützungskasse mit einem monatlichen Betrag von 96,00 Euro nicht berücksichtigt werden.
9
Der Beklagte beantragt:
1. Das am 13.10.2022 verkündete Urteil des AG Traunstein, Az.: 319 C 128/22 wird aufgehoben.
2. Der Vollstreckungsbescheid des AG Coburg, Geschäftszeichen 21-7676970-0-6 wird aufgehoben.
3. Die Klage wird abgewiesen.
10
Die Klägerin beantragt:
Zurückweisung der Berufung.
11
Auf Grund der widersprüchlichen Angaben zur Berechnung sei ein Honorar nicht geschuldet.
12
Die Kammer als Berufungsgericht hat nach Zurückweisung durch den Bundesgerichtshof am 28.11.2024 zunächst einen Hinweisbeschluss erlassen (Bl. 189/190 d.A.). Die Kammer hat sodann mit Verfügung vom 05.02.2025 (Bl. 197 d.A.) Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Die Kammer hat sodann am 29.04.2025 mündlich verhandelt und hierbei die Klägerin informatorisch angehört (vgl. Protokoll auf Bl. 226/228 d.A.). Auf eine informatorische Anhörung des Beklagten wurde mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 13.05.2025 verzichtet (Bl. 229 d.A.).
13
Die Berufung ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Das Amtsgericht hat der Klage nur teilweise zu Recht stattgegeben. Soweit eine Verurteilung zur Zahlung von 446,04 Euro erfolgte, kann dies keinen Bestand haben.
14
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung des Honorars für die Vermittlung eines günstigeren Krankenversicherungstarifs in Höhe von 1.501,78 Euro gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.
15
1. Die Klägerin zahlte unstreitig an den Beklagten ein Honorar für die Vermittlung eines günstigeren Krankenversicherungstarifs in Höhe von insgesamt 1.947,82 Euro.
16
2. Die Zahlung der Klägerin an den Beklagten in Höhe von 1.501,78 Euro erfolgte ohne Rechtsgrund. Die zwischen den Parteien am 20.02.2018 geschlossene Honorarvereinbarung (Anlage K1) stellt insoweit keinen Rechtsgrund für die vorgenannte Zahlung dar, da sich daraus kein entsprechender Anspruch des Beklagten ergibt.
17
Nach der Honorarvereinbarung vom 20.02.2018 ergibt sich ein Vergütungsanspruch des Beklagten von „80 % der berechneten Jahresersparnis zzgl. MwSt“. Die Definition des Begriffs „Jahresersparnis“ in den AGB des Beklagten kann nicht für die Vergütungsberechnung herangezogen werden kann, da die entsprechende Klausel wegen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist (BGH, Urteil vom 04.04.2024, I ZR 137/23). Der Begriff „Jahresersparnis“ ist damit gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem allgemeinen Wortsinn auszulegen. Demnach ist unter „Jahresersparnis“ nur eine gesicherte Reduzierung der Zahlungsverpflichtung als Ersparnis anzusehen. Hierunter fällt eine Reduzierung der monatlichen Beiträge, sofern eine solche vorliegt. Nicht erfasst ist hingegen die Reduzierung des jährlichen Selbstbehalts, da insoweit die Erzielung einer Ersparnis von dem nicht von vornherein zu beurteilenden Umstand abhängt, inwieweit dem Versicherten an sich versicherte, aber unter den Selbstbehalt fallende Krankheitskosten entstehen. Alleine soweit diese Krankheitskosten den neuen Selbstbehalt übersteigen, realisiert sich die Reduzierung des Selbstbehalts als Ersparnis. Ob dieser Fall später einmal eintritt, kann nicht entscheidend sein, da in der Honorarvereinbarung vom 20.02.2018 ausdrücklich auf die „berechnete“ Jahresersparnis abgestellt wird.
18
Durch die Tätigkeit des Beklagten wurde gerade keine Reduzierung der Beiträge herbeigeführt. Nach dem alten Tarif hätte der Gesamtbeitrag der Klägerin bei … ab 01.01.2019 428,87 Euro betragen. Durch den vom Beklagten veranlassten Tarifwechsel zum 01.01.2019 ergab sich für die Klägerin allein für die medizinische Behandlung (ohne zahnmedizinische Behandlung) ein Gesamtbeitrag von 433,77 Euro, welcher sich aus dem Beitrag der … in Höhe von 337,77 Euro und dem Beitrag der … in Höhe von 96,00 Euro zusammensetzt. Der monatliche zu zahlende Beitrag der … in Höhe von 96,00 Euro war entgegen der Auffassung des Beklagten auch berücksichtigungsfähig. Die Reduzierung des jährlichen Selbstbehalts ist nicht zu berücksichtigen, da es sich hierbei nicht um eine gesicherte Reduzierung handelt. Eine Ersparnis diesbzgl. ist wie oben bereits ausgeführt vielmehr von künftigen, nicht vorhersehbaren Umständen abhängig. Der Beitrag der … i.H.v. 96,00 Euro ist jedoch durch die Klägerin fix monatlich zu zahlen, weshalb dieser zu berücksichtigen ist. Zudem erscheint es unbillig (§ 242 BGB), einen zu zahlenden Beitrag, welcher zunächst nicht bestand und erst durch die Tätigkeit des Beklagten hervorgerufen wurde, auf Seiten der Klägerin außer Acht zu lassen.
19
3. Hinsichtlich der Zahlung der Klägerin an den Beklagten in Höhe von 446,04 Euro liegt ein deklaratorisches Schuldverhältnis vor, welches einen Rechtsgrund i.S.v. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB darstellt.
20
Die Beratungsdokumentation vom 04.12.2018 (Anlage MMP3) stellt hinsichtlich des dort festgeschriebenen Ausgangstarifs von 470,94 Euro und Zieltarifs von 433,77 Euro ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar. Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis hat den Zweck, ein zwischen den Parteien bestehendes Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit endgültig zu entziehen. Es soll das alte Schuldverhältnis für die Zukunft festlegen. Die Vertragschließenden wollen miteinander, ähnlich wie bei einem Vergleich gemäß § 779 BGB, für die Zukunft auf eine verlässliche Basis kommen. Die Parteien müssen insoweit mit Rechtsbindungswillen handeln. Der Wille der Parteien ist durch Auslegung zu ermitteln. Nach der informatorischen Anhörung der Klägerin ist das Gericht davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass die Klägerin im Hinblick auf den in der Beratungsdokumentation vom 04.12.2018 festgeschriebenen Ausgangs- und Zieltarif mit Rechtsbindungswillen handelte und hierdurch einer künftigen Streitigkeit bzw. Ungewissheit im Hinblick auf die Höhe von Ausgangs- und Zieltarif vorbeugen wollte. Die Klägerin gab an, dass der festgeschrieben Ausgangs- und Zieltarif zwischen den Parteien im Rahmen eines Termins besprochen wurde und letztendlich auf 470,94 Euro für den Ausgangstarif sowie 433,77 Euro für den Zieltarif fix vereinbart wurde. Auf Grund des deklaratorischen Schuldanerkenntnisses ist die Klägerin mit sämtlichen Einwendungen rechtlicher und tatsächlicher Natur ausgeschlossen.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Trotz der durch den Beklagten erfolgreich eingelegten Revision hat die Kostenentscheidung anteilsgemäß nach dem Obsiegen zu erfolgen. Dies ist nicht unbillig, da nach der Systematik des Kostenrechts gerichtliche Fehler nicht die eine Partei auf Kosten der anderen entlasten können (vgl. BeckOK ZPO, 56. Edition 2025, § 97 Rn. 23).
22
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.