Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 29.01.2025 – 204 StObWs 605/24
Titel:

Voraussetzungen und Umfang der Aufklärungspflicht des Gerichtes bei einer Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt

Normenketten:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
StVollzG § 85, § 109 ff., § 120 Abs. 1 S. 2
BayStVollzG Art. 10 Abs. 1 Nr. 2, Art. 92, Art. 96
StPO § 244 Abs. 2
Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen der Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt gemäß Art. 10 Abs. 1 Nr. 2, Art. 92 BayStVollzG. (Rn. 18 – 55)
Schlagworte:
Verlegung, Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt, Aufklärungspflicht, Sachaufklärungspflicht, Aufklärungsmangel
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2094

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 26. September 2024 aufgehoben, soweit hiermit der gegen die Verlegung des Antragstellers gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen worden ist. Mit aufgehoben wird die erstinstanzliche Kostenentscheidung.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg zurückverwiesen.
3. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 250 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller verbüßt nach erledigt erklärter Unterbringung im Bezirksklinikum B. derzeit den Strafrest von (Stand 05.08.2024) 1818 Tagen aus einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts B. vom 24.02.2022 (Az. 1 KLs … Js …/xx).
2
Am 01.07.2024 verhängte die Justizvollzugsanstalt A. (Antragsgegnerin) gegen den Antragsteller eine Disziplinarmaßnahme in Form eines Arrestes für die Dauer von 18 Tagen sowie einer Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle für die Dauer von 18 Tagen. Am 05.07.2024 wurde der Antragsteller abweichend vom bayerischen Vollstreckungsplan von der Justizvollzugsanstalt A. in die Justizvollzugsanstalt S. verlegt.
3
Mit Schreiben seines bevollmächtigten Vaters vom 07.07.2024 stellte der Antragsteller beim Landgericht Amberg – Strafvollstreckungskammer – Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit der Bitte um Prüfung, ob die genannte Verlegung rechtmäßig gewesen ist.
4
In ihrer Stellungnahme vom 05.08.2024 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen, wobei sie davon ausging, dass der Antragsteller sowohl die Anordnung der Disziplinarmaßnahme als auch die Verlegung angegriffen hat.
5
Mit Schreiben vom 03.08.2024 und vom 22.09.2024 trug der Bevollmächtigte des Antragstellers ergänzend vor.
6
Mit Schreiben seiner verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwältin vom 09.08.2024 beantragte der Antragsteller, ihn in eine heimatnahe Justizvollzugsanstalt B. zu verlegen. Diesen Antrag nahm die Verfahrensbevollmächtigte nach Hinweis der Strafvollstreckungskammer auf ihre diesbezügliche Unzuständigkeit mit Schreiben vom 15.10.2024 wieder zurück.
7
Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 19.09.2024 nahm der Antragsteller zum Schreiben der Antragsgegnerin vom 05.08.2024 Stellung und bat darum, den Antragsteller einer medizinischen Behandlung zuzuführen, um das immer wieder auftretende Problem der Impulskontrollstörung zu therapieren.
8
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg hat mit Beschluss vom 26.09.2024 den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung vom 07.07.2024 als unbegründet zurückgewiesen. Hierbei ging sie – wie die Antragsgegnerin – davon aus, dass sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sowohl gegen die Anordnung der Disziplinarmaßnahme als auch gegen die Verlegung richtete.
9
Zur Begründung führte sie hinsichtlich der Verlegung aus, der Antragsteller habe durch sein Verhalten rechtswidrig und schuldhaft die Sicherheit der Anstalt gestört. Er habe sich gegenüber Bediensteten, insbesondere weiblichen Bediensteten ungebührlich und aggressiv verhalten. Er habe schon mehrfach deswegen disziplinarisch geahndet werden müssen. Das nötige Distanzverhältnis zu Bediensteten sei in der Justizvollzugsanstalt A. nicht gegeben, so dass insgesamt eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt bestanden habe. Die Entscheidung sei ermessensfehlerfrei erfolgt und sei verhältnismäßig gewesen. Es sei auch miteinbezogen worden, dass der Aufwand für Besucher sich vergrößere, weil diese eine längere Fahrtzeit vor sich haben. Die Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit der Anstalt überwiege dies jedoch.
10
Gegen diesen dem Antragsteller persönlich mit Postzustellungsurkunde am 08.10.2024 zugestellten Beschluss hat der Bevollmächtigte des Antragstellers am 06.11.2024 zur Niederschrift des Landgerichts Amberg im Hinblick auf die Verlegung Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, soweit der Antrag im Hinblick auf die Verlegung in die Justizvollzugsanstalt S. als unbegründet zurückgewiesen wurde, und bei Spruchreife gemäß dem ursprünglichen Antrag zu entscheiden, hilfsweise die Sache zu neuer Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Er rügte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Antragsgegnerin habe das von ihr als Grund für die Verlegung herangezogene aggressive Verhalten nicht genau genannt und begründet und nicht ausgeführt, auf welche Weise die Sicherheit der Anstalt gefährdet worden sei. Ein ungebührliches Verhalten stelle keine solche Gefahr dar. Die Antragsgegnerin habe nicht alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft, ehe sie die Verlegung angeordnet habe. Die verhängten Disziplinarmaßnahmen für geringe Vergehen reichten nicht aus, um eine Verlegung zu rechtfertigen. Dass ein Gefangener schwierig sei, stelle keinen Verlegungsgrund dar. Vor der Verlegung hätte geprüft werden müssen, ob diese durch Behandlungsmaßnahmen hätte verhindert werden können.
11
Weiterhin rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung des Aufklärungsgrundsatzes, da die Angaben der Antragsgegnerin ungeprüft vom Richter übernommen worden seien, ohne aufzuklären, ob und inwieweit der Antragsteller in Amberg gewalttätig aufgefallen sei. Die Strafvollstreckungskammer habe in Bezug auf die von der Anstalt genannten, in Erwägung gezogenen kurzfristigen Maßnahmen, die nicht als ausreichend erachtet worden seien, nicht aufgeklärt, um welche Maßnahmen es sich gehandelt habe, was dabei nicht als ausreichend erachtet worden sei und welche Vergehen den Maßnahmen zugrunde lagen. Dies lasse sich auch aus dem „G-Bogen“ (Bl. 19 bis 21 d.A.) nicht erkennen. Die Strafvollstreckungskammer hätte den Brief des Antragstellers an den Bediensteten P., in dem Sicherheitsmängel der Justizvollzugsanstalt geschildert wurden, und aufgrund dessen unverhältnismäßige Maßnahmen gegen den Gefangenen verhängt worden seien, beiziehen müssen. Durch dessen Fehlen hätten der Strafvollstreckungskammer mögliche entscheidungserhebliche Punkte nicht vorgelegen. Darüber hinaus sei eine Verlegungsverfügung nicht erstellt worden. Die unterbliebene Sachaufklärung sei entscheidungserheblich gewesen.
12
Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt mit Schreiben vom 19.11.2024, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
13
Hierzu nahm der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 11.12.2024 und 09.01.2025 Stellung. Eine Stellungnahme der verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwältin, die von der Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der eingelegten Rechtsbeschwerde und vom Senatsvorsitzenden hinsichtlich des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt worden war, erfolgte nicht.
II.
14
Die gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 1 bis 3 StVollz form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen ist auch im Übrigen zulässig, da der Beschwerdeführer schlüssig eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Strafvollstreckungskammer in einem grundrechtsrelevanten Bereich rügt.
15
In Bezug auf Haftverlegungen ist ein schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Überprüfung wegen der fortwirkenden Beeinträchtigung der Resozialisierung schon dann anzunehmen, wenn ein Beschwerdeführer gegen seinen Willen in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt worden ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.08.2021 – 2 BvR 1368/20 –, juris Rn. 21 m.w.N.). Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Dimension des Verfahrens ist demgemäß die Rechtsbeschwerde als zulässig zu erachten, wenn die Entscheidungsgründe der Strafvollstreckungskammer deutlich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweichen und den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG und aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 30.03.2021 – 2 BvR 1344/20 –, juris Rn. 26 f.). So liegt es hier (s.u. unter III.2.).
16
Es liegt auch ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor. Die Anordnung der Verlegung eines bereits in den Strafvollzug eingewiesenen Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt ist eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs und kann daher mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 Abs. 1 StVollzG angefochten werden. Über den Antrag entscheidet nach § 110 StVollzG die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde, die die angefochtene Maßnahme erlassen hat (§ 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG), ihren Sitz hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 04.09.2018 – 2 ARs 151/18 –, NStZ-RR 2018, 392, juris Rn. 6 m.w.N.; vom 18.01.2022 – 2 ARs 223/21 –, NStZ 2023, 182, juris Rn. 9 m.w.N.; Lindner in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, Kap. 2. Abschn. D Rn. 13; Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 153 Rn. 6). Die abgebende Anstalt ist auch dann alleiniger Antragsgegner, wenn – wie hier – ein Zustimmungserfordernis der Aufsichtsbehörde besteht, da es sich bei diesem nur um ein Verwaltungsinternum handelt (Verrel, in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, StVollzG, 13. Aufl. 2024, Kap. D Rdn. 33; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 153 Rn. 6).
III.
17
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zur neuen Entscheidung.
18
1. Art. 10 Abs. 1 Nr. 2 BayStVollzG ermöglicht es, dass ein Gefangener abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt wird, wenn dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist. Nach der diese Norm ergänzenden Spezialvorschrift des Art. 92 BayStVollzG (im Wesentlichen gleichlautend mit § 85 StVollzG) können Gefangene in eine Anstalt, die zu ihrer sicheren Unterbringung besser geeignet ist, unter anderem dann verlegt werden, wenn ihr Verhalten eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23 –, juris Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 21. Ed. 01.10.2024, BayStVollzG Art. 92 Rn. 1; Harrendorf/​Ullenbruch in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​ Laubenthal, 7. Aufl. 2020, Kap. 11 Abschn. E Rn. 1).
19
a) Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 1 BayStVollzG ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar (vgl. BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23 –, juris Rn. 7; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 8 Rn. 10 m.w.N.; OLG Bremen, Beschluss vom 30.06.1983 – Ws 95/83 –, NStZ 1983, 572; Lindner in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​ Laubenthal, a.a.O., Kap. 2 Abschn. D Rn. 5; Verrel, in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. D Rn. 26; and. Ans. OLG Hamm, Beschluss vom 20.10.1988 – 1 Vollz (Ws) 280/88 –, juris Rn. 10). Demgegenüber handelt es sich bei den (prognostischen) Verlegungsgründen nach Art. 92 BayStVollzG, die den Regelungen in Art. 96 Abs. 1 und Abs. 3 BayStVollzG entsprechen (BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 21. Ed. 01.10.2024, BayStVollzG Art. 92 Rn. 2), um unbestimmte Rechtsbegriffe, die einem Beurteilungsspielraum der Vollzugsverwaltung unterliegen (BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23 –, juris Rn. 7; OLG Celle, Beschluss vom 22.06.2012 – 1 Ws 205/12 (StrVollz) –, StraFo 2012, 425, juris Rn. 11 unter Aufgabe der entgegenstehenden Ansicht im Beschluss vom 25.03.1981 – 3 Ws 63/81 (StrVollz) –, NStZ 1981, 407; BeckOK Strafvollzug Bund/Brockhaus, 26. Ed. 01.8.2024, StVollzG § 85 Rn. 5; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, a.a.O., BayStVollzG Art. 92 Rn. 2; and. Ans. Goerdeler, in Feest/Lesting/Lindemann, StVollzG, 8. Aufl. 2022, Teil II § 75 LandesR Rn. 17; Harrendorf/Ullenbruch, in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., Kap. 11 Abschn. E Rn. 8). Ein solcher wird der Verwaltungsbehörde – hier der Vollzugsbehörde – immer dann eingeräumt, wenn es sich um die Beurteilung in der Zukunft liegender Vorgänge (Prognoseentscheidung) handelt, also deren Entscheidung die Beurteilung zukünftigen Verhaltens zum Gegenstand hat und Vorhersagen darüber von „Unwägbarkeiten“ bestimmt sind (vgl. – zu § 13 StVollzG – BGH, Beschluss vom 22.12.1981 – 5 AR (Vs) 32/81 –, BGHSt 30, 320, juris Rn. 8 f.; – zu § 10 NJVollzG – OLG Celle, Beschluss vom 22.06.2012 – 1 Ws 205/12 (StrVollz) –, StraFo 2012, 425, juris Rn. 11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.11.2003 – 1 Ws 315/03 –, Leitsatz in juris; so im Ergebnis auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13.12.1997 – 2 BvR 1404/96 –, NJW 1998, 1133, juris Rn. 18; OLG Schleswig, Beschluss vom 25.03.2004 – 2 Vollz Ws 72/04 (47/04) –, juris Rn. 6; – zu § 88 Abs. 5 StVollzG – OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.02.2002 – 3 Ws 132/02 (StVollz) –, NStZ-RR 2002, 155, juris Rn. 2; and. Ans. Harrendorf/​Ullenbruch in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​Laubenthal, a.a.O., Kap. 11 Abschn. E Rn. 8; weitere Nachweise – auch zur Gegenmeinung – bei BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, a.a.O., BayStVollzG Art. 92 Rn. 2). So verhält es sich, wenn es wie bei Art. 92 BayStVollzG bzw. § 85 StVollzG um die Einschätzung des Vorliegens einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt, also um prognostische Bewertungen geht (vgl. Verrel, in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. M Rn. 55). Daraus folgt, dass zwar die Begriffe der Sicherheit und Ordnung als unbestimmte Rechtsbegriffe voll überprüfbar sind, aber die Frage, ob eine gemäß Art. 92 BayStVollzG erforderliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung vorliegt, einen Beurteilungsspielraum der Vollzugsbehörde eröffnet. Ein gefahrbegründender Zustand kann auch ein seelischer Zustand wie die Gefahr eines Suizids oder einer Selbstverletzung sein oder die ernst zu nehmende Bedrohung eines Bediensteten (Verrel, in Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. M Rn. 52; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, a.a.O., BayStVollzG Art. 92 Rn. 2; Harrendorf/​Ullenbruch in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​Laubenthal, a.a.O., Kap. 11 Abschn. E Rn. 4).
20
b) Während Art. 10 BayStVollzG einen wichtigen Grund für die Verlegung ausreichen lässt, wozu auch Gründe gehören, die auf das persönliche Verhalten des Gefangenen zurückzuführen sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23 –, juris Rn. 9; Lindner in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​Laubenthal, a.a.O., Kap. 2 Abschn. D Rn. 8; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O. § 8 Rn. 6 m.w.N.; grundsätzlich auch Verrel, in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. D Rn. 26; and. Ans. Weßels/Böning, in Feest/Lesting/Lindemann, a.a.O., Teil II § 16 LandesR Rn. 9), ermöglicht Art. 92 BayStVollzG eine Verlegung in eine andere Anstalt, in der Regel eine Anstalt höheren Sicherheitsgrades (vgl. BT-Drucks. 7/918, S. 77 zu § 85 StVollzG, auf den BayLT-Drucks. 15/8101, S. 68 verweist), eindeutig nur für den Fall, dass das Verhalten oder der Zustand des Gefangenen eine Gefahr für die Anstaltssicherheit oder -ordnung begründet, der in dieser Justizvollzugsanstalt nicht angemessen begegnet werden kann (so – zu § 85 StVollzG – BVerfG, Kammerbeschluss vom 26.09.2005 – 2 BvR 1651/03 –, BVerfGK 6, 260, juris Rn. 15).
21
c) Wird ein Strafgefangener gegen seinen Willen in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt, greift dies in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26.09.2005 – 2 BvR 1651/03 –, BVerfGK 6, 260, juris Rn. 13; vom 27.06.2006 – 2 BvR 1295/05 –, BVerfGK 8, 307, juris Rn. 11; vom 26.08.2008 – 2 BvR 679/07 –, juris Rn. 20; vom 23.10.2013 – 2 BvQ 42/13 –, juris Rn. 6).
22
aa) Die Verlegung kann für den Gefangenen mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen verbunden sein. Insoweit ist insbesondere in den Blick zu nehmen, dass sämtliche in der Justizvollzugsanstalt entwickelten sozialen Beziehungen praktisch abgebrochen werden und der schwierige Aufbau eines persönlichen Lebensumfelds in einer anderen Anstalt von neuem begonnen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.06.2006 – 2 BvR 1295/05 –, BVerfGK 8, 307, juris Rn. 11). Darüber hinaus kann eine Verlegung – nicht nur aus den genannten Gründen – auch die Resozialisierung des Strafgefangenen beeinträchtigen und somit dessen durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelten Anspruch auf einen Strafvollzug, der auf das Ziel der Resozialisierung ausgerichtet ist (vgl. BVerfG, Urteile vom 01.07.1998 – 2 BvR 441/90 –, BVerfGE 98, 169, juris Rn. 145; vom 31.05.2006 – 2 BvR 1673/04 –, BVerfGE 116, 69, juris Rn. 51; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26.10.2011 – 2 BvR 1539/09 –, BVerfGK 19, 157, juris Rn. 23; vom 29.02.2012 – 2 BvR 368/10 –, BVerfGK 19, 306, juris Rn. 38; vom 23.05.2013 – 2 BvR 2129/11 –, BVerfGK 20, 307, juris Rn. 15), berühren (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26.09.2005 – 2 BvR 1651/03 –, BVerfGK 6, 260, juris Rn. 14; vom 27.06.2006 – 2 BvR 1295/05 –, BVerfGK 8, 307, juris Rn. 11). Verlegungen, die nicht ihrerseits durch Resozialisierungsgründe bestimmt sind, bedürfen daher einer Rechtfertigung (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 17.08.2021 – 2 BvR 1368/20 –, juris Rn. 20; vom 04.01.2021 – 2 BvR 673/20 –, juris Rn. 33). Eine zusätzliche erhebliche Beeinträchtigung ergibt sich, wenn der Wechsel der Anstalt mit dem Verlust einer Arbeitsmöglichkeit verbunden ist (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26.09.2005 – 2 BvR 1651/03 –, BVerfGK 6, 260, juris Rn. 13; vom 30.03.2021 – 2 BvR 1344/20 –, juris Rn. 19). Bei jeder Entscheidung über eine Verlegung bedarf es daher seitens der Vollzugsbehörde einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls (BVerfG, Kammerbeschluss vom 30.06.2015 – 2 BvR 1857/14 –, NStZ-RR 2015, 389, juris Rn. 28).
23
bb) Hierbei hat das Gericht immer zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 13.12.1997 – 2 BvR 1404/96 –, NJW 1998, 1133, juris Rn. 18; vom 26.08.2008 – 2 BvR 679/07 –, juris Rn. 19 f.; vom 30.06.2015 – 2 BvR 1857/14 –, NStZ-RR 2015, 389, juris Rn. 33; Harrendorf/​Ullenbruch in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​Laubenthal, a.a.O., Kap. 11 Abschn. E Rn. 8).
24
cc) Wenn die Verlegungsvoraussetzungen vorliegen, steht die Entscheidung im Ermessen der Vollzugsbehörde, das seinerseits nur beschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegt (BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23 –, juris Rn. 8; OLG Celle, Beschluss vom 25.03.1981 – 3 Ws 63/81 (StrVollz) –, NStZ 1981, 407); dies gilt auch für die Abwägung gegen kurzfristige Maßnahmen nach Art. 96 BayStVollzG (BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, a.a.O., BayStVollzG Art. 92 Rn. 2; zu § 85 StVollzG: Harrendorf/Ullenbruch, in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​ Laubenthal, a.a.O. Kap. 11 Abschn. E Rn. 9; and. Ans. Goerdeler, in Feest/Lesting/Lindemann, a.a.O., Teil II § 75 LandesR Rn. 15: Vorrang kurzfristiger Sicherungsmaßnahmen).
25
Dabei ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Verlegungen gegen den Willen des Gefangenen als Eingriff in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG dürfen nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgenommen werden. Sie müssen zum Schutz eines kollidierenden Rechtsguts geeignet und erforderlich sein und zur Art und Intensität der Beeinträchtigung oder Gefährdung, der begegnet werden soll, in einem angemessenen Verhältnis stehen. Vorausgesetzt wird damit, dass keine milderen, gleich geeigneten Mittel zur Verfügung stehen dürfen. Auch bei Vorliegen einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt ist eine Verlegung nur zulässig, wenn dieser Gefahr in der Einrichtung nicht mit milderen Mitteln angemessen begegnet werden kann (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 27.06.2006 – 2 BvR 1295/05 –, BVerfGK 8, 307, juris Rn. 19; vom 26.9.2005 – 2 BvR 1651/03 –, BVerfGK 6, 260, juris Rn. 17; vom 30.03.2021 – 2 BvR 1344/20 –, juris Rn. 22; Harrendorf/​Ullenbruch in: Schwind/​Böhm/​Jehle/​Laubenthal, a.a.O., Kap. 11 Abschn. E Rn. 9).
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dd) Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung erstreckt sich die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen der Vollzugsbehörde allein darauf, ob die Behörde den zugrunde gelegten Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt, das ihr eingeräumte Ermessen auch ausgeübt, dabei alle für die Abwägung wesentlichen Aspekte einbezogen und die Grenzen ihres Ermessens eingehalten hat (vgl. im Einzelnen Arloth/Krä/Arloth, a.a.O. § 115 Rn. 15 m.w.N.), wobei grundsätzlich die zum Zeitpunkt der Entscheidung angestellten Erwägungen der Behörde maßgeblich sind (BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23 –, juris Rn. 8).
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2. Der Senat kann nicht überprüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Verlegung des Antragstellers von der Justizvollzugsanstalt A. in die Justizvollzugsanstalt S.vorgelegen haben, da nicht feststeht, dass die Antragsgegnerin ihre Verlegungsanordnung auf einen zutreffend ermittelten Sachverhalt gestützt hat, und ob sie bei der Anordnung der Verlegung die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingehalten hat. Denn die Antragsgegnerin hat ihre Verlegungsanordnung teilweise auf Umstände gestützt, die mangels hinreichender Substantiierung gerichtlich nicht überprüfbar sind und von ihr auch nicht belegt wurden (s. unten unter a). Die Strafvollstreckungskammer wiederum hat ihrer Entscheidung das einseitige Vorbringen der Antragsgegnerin in Gänze zugrunde gelegt, ohne dieses – soweit erforderlich – aufzuklären. Damit hat sie ihre Pflicht zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts von Amts wegen verletzt (s. unten unter b).
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a) Die Antragsgegnerin hat die Verlegung darauf gestützt, dass das Verhalten des Antragstellers eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt dargestellt habe.
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Dieser habe sich Bediensteten gegenüber wiederholt ungebührlich und aggressiv verhalten. Er habe am 24.07.2023, 27.02.2024, 19.03.2024 und zuletzt am 01.07.2024 diszipliniert werden müssen. Derzeit ermittle die Staatsanwaltschaft A. (Az. … Js …/xx) wegen übler Nachrede und Verleumdung gegen den Antragsteller. Weiter habe auch der Verdacht der Beleidigung wegen des Sachverhalts am 25.06.2024 vorgelegen.
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aa) Im Einzelnen von der Antragsgegnerin geschildert wurden nur die dem Disziplinarverfahren vom 01.07.2024 zugrundeliegenden Sachverhalte vom 24.06.2024 und vom 25.06.2024 unter Vorlage der an denselben Tagen verfassten schriftlichen Meldungen zweier namentlich bezeichneter Justizvollzugsbediensteter.
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(1) Danach habe sich (zusammengefasst) der Antragsteller am 24.06.2024 geweigert, sich in eine andere Abteilung der Justizvollzugsanstalt A. verlegen zu lassen. Er habe in seiner Haftzelle gedroht, sich mit einer Glasscherbe am Hals zu verletzen, und habe sich hinter dem Schrank und anderen Gegenständen verschanzt. Er habe schließlich, nachdem er sich auch nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Anstaltspsychologen nicht von seinen Selbstverletzungsabsichten distanziert habe, widerstandslos fixiert werden können, wobei er oberflächliche Schnittwunden am rechten Oberarm aufgewiesen habe.
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(2) Am 25.06.2024 habe der Antragsteller den Notruf betätigt. Auf Nachfrage des erschienenen Bediensteten, was los sei, habe der Antragsteller gefragt, ob die Frau B. im Haus sei. Auf Nachfrage, warum er das wissen möchte, habe er geantwortet, „Die Hure kann mal vorbeikommen, damit ich sie in den Arsch ficken kann. Weil Hure bleibt Hure.“
33
bb) Die Antragsgegnerin hat hieraus geschlossen, dass der Antragsteller durch sein Verhalten rechtswidrig und schuldhaft die Sicherheit der Anstalt gestört habe, mithin seine Verlegung rechtmäßig gewesen sei. Auch in der Vergangenheit habe er wegen ungebührlichen und aggressiven Verhaltens insbesondere weiblichen Bediensteten gegenüber disziplinarisch belangt werden müssen. Zudem sei das notwendige Distanzverhältnis zu Bediensteten in der Justizvollzugsanstalt A. nicht mehr gegeben, so dass insgesamt eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt bestanden habe. Die Verlegungsentscheidung sei ermessensfehlerfrei erfolgt und verhältnismäßig gewesen. Insbesondere sei in die Abwägung einbezogen worden, dass sich durch eine Verlegung der Aufwand für die Besucher des Antragstellers vergrößere (verlängerte Fahrtzeit). Die Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit der Anstalt überwiege jedoch. Auch seien kurzfristige Maßnahmen nach Art. 96 BayStVollzG in Erwägung gezogen und angeordnet, jedoch nicht als ausreichend erachtet worden.
34
Der Antragsteller habe sich insbesondere weiblichen Bediensteten gegenüber wiederholt ungebührlich, distanzlos und aggressiv verhalten (unter Hinweis auf die Ausführungen zur Disziplinarverfügung vom 01.07.2024). Den Ermittlungen gegen den Antragsteller wegen übler Nachrede liege zu Grunde, dass der Antragsteller einer Bediensteten vorgeworfen habe, sich Gefangenen gegenüber respektlos und beleidigend verhalten zu haben. Weiter habe er angegeben, dass diese sexuelle Beziehungen mit Gefangenen eingehe. Der Antragsteller habe auf Nachfrage bestätigt, dass er diese Aussage getätigt habe, um der Bediensteten beruflich und privat zu schaden. Am 26.06.2024 seien Sicherungsmaßnahmen gemäß Art. 96 BayStVollzG angeordnet worden. Insbesondere sei verfügt worden, dass der Antragsteller mit weiblichen Bediensteten nicht allein sein dürfe. Im regulären Stationsdienst könne jedoch – auch unter Anordnung von weiter einschränkenden Sicherungsmaßnahmen wie beispielsweise Einzelhaft nach Art. 97 BayStVollzG – nicht verhindert werden, dass der Antragsteller Kontakt zu den betroffenen weiblichen Bediensteten habe und weiter versuche, diese zu schädigen.
35
b) Die Strafvollstreckungskammer hat dieses Vorbringen der Antragsgegnerin zu den Verlegungsgründen rechtsfehlerhaft in Gänze ungeprüft ihrer Entscheidung zugrunde gelegt.
36
aa) Im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG gilt gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO der Grundsatz der Amtsermittlung. Im Rahmen dieser Amtsermittlungspflicht hat das Gericht von sich aus die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendigen Maßnahmen zu treffen (vgl. – auch zum Umfang der erforderlichen Beweiserhebung – BVerfG, Kammerbeschluss vom 02.02.2024 – 2 BvR 1255/23 –, juris Rn. 7) und die Erforschung des Sachverhalts auf alle entscheidungserheblichen Tatsachen zu erstrecken (KG, Beschluss vom 27.05.2019 – 5 Ws 186/18 Vollz –, juris Rn. 18), was auch wegen Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geboten ist (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 18.03.2015 – 2 BvR 1111/13 –, NJW 2015, 2100, juris Rn. 39; vom 30.11.2006 – 2 BvR 1418/05 –, BVerfGK 9, 460, juris Rn. 15; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 115 Rn. 2).
37
Hat die Antragsgegnerin – wie hier – vorgetragen, der Antragsteller habe durch sein Verhalten die Sicherheit der Anstalt gefährdet, eröffnet dies der Strafvollstreckungskammer die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Sachaufklärungspflicht nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, § 244 Abs. 2 StPO im Freibeweisverfahren zu ermitteln, ob diese Behauptung zutrifft (BayObLG, Beschluss vom 21.05.2024 – 203 StObWs 138/24 –, juris Rn. 8; Arloth/ Krä/Arloth, a.a.O., § 115 Rn. 2; Spaniol in: Feest/Lesting/Lindemann, a.a.O., Teil IV, § 115 Rn. 3 und 4). Es ist obergerichtlich anerkannt, dass einseitiges Vorbringen, auch wenn es nicht bestritten wird, nicht ohne weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden „muss“ (KG, Beschluss vom 21.09.2020 – 5 Ws 115/19 Vollz –, juris Rn. 31) bzw. darf (BayObLG, Beschluss vom 21.05.2024 – 203 StObWs 138/24 –, juris Rn. 8 m.w.N.; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., § 115 Rn. 2), was insbesondere für einseitiges Vorbringen der Anstalt gilt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.02.2009 – 2 BvR 1533/08 –, NStZ-RR 2009, 218, juris Rn. 10; BayObLG, Beschluss vom 07.09.2020 – 203 StObWs 311/20 –, juris Rn. 32; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 115 Rn. 2). Das Gericht kann vielmehr eigene Ermittlungen anstellen und ist dazu nach dem Prinzip der materiellen Wahrheit im Zweifelsfall auch verpflichtet (BayObLG, Senatsbeschlüsse vom 31.01.2024 – 204 StObWs 579/23 –; vom 22.05.2024 – 204 StObWs 210/24 –, jeweils nicht veröffentlicht; OLG Hamm, Beschluss vom 18.09. 2001 – 1 Vollz (Ws) 183/2001 –, NStZ 2002, 224, juris Rn. 6; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 115 Rn. 2 m.w.N.; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 26. Ed. 01.08.2024, StVollzG § 115 Rn. 2). Der erforderliche Umfang der Aufklärung hängt von der Sachlage im konkreten Einzelfall ab (BayObLG, Beschlüsse vom 21.05.2024 – 203 StObWs 138/24 –, juris Rn. 8; vom 02.12.2024 – 203 StObWs 556/24 –, juris Rn. 6; KG, Beschluss vom 21.09.2020 – 5 Ws 115/19 Vollz –, juris Rn. 31; s.∙ zum Ganzen Senatsbeschluss vom 16.01.2025 – 204 StObWs 480/24 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
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bb) Dieser Aufklärungspflicht ist die Strafvollstreckungskammer nicht hinreichend nachgekommen.
39
(1) Soweit sich die Antragsgegnerin auf die konkreten Vorfälle am 24.06.2024 und am 25.06.2024 bezieht, hat die Anstalt allerdings schriftliche Meldungen zweier Bediensteter sowie verschriftete Einlassungen des Antragstellers bei seiner Anhörung am 01.07.2024 vorgelegt, wonach dieser geäußert habe, er sei in beiden Fällen mit der Gesamtsituation überfordert gewesen, bzw. diese sei zu viel gewesen. Er wisse, dass Frau B. nichts dafür könne und dass es massive Beleidigungen seien. Er würde sich auch dafür brieflich entschuldigen. Zum 24.06.2024 gab er an, Herr P. habe gemeint, dass er aus dem Betrieb müsse. Seine Schwägerin sei in der 22. SSW, sein Vater habe Krebs; er habe nur noch zwei Jahre. Alles sei hoch gekommen. Er wisse nicht, wieso er nicht freiwillig mitgegangen sei. Sein Gedanke sei gewesen, er habe nichts mehr zu verlieren. Aber er habe schon mit dem Gedanken gespielt, sich wieder eine Bedarfsmedikation verordnen zu lassen. Er werde immer zu schnell und leicht aggressiv, er habe sein Problem erkannt.
40
Die Strafvollstreckungskammer konnte somit aufgrund der von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen (vor allem des Anhörungsprotokolls) grundsätzlich davon ausgehen, dass der Antragsteller die ihm zur Last gelegten Verhaltensweisen am 24.06.2024 und die beleidigende Äußerung am 25.06.2024 tatsächlich getätigt hat, wobei allerdings mangels Unterschriften des Antragstellers unter den vorgelegten Protokollen aufklärungsbedürftig ist, ob diese Einlassungen tatsächlich vom Antragsteller stammen.
41
(2) Gleiches gilt aber nicht für die zur Begründung der Verlegung herangezogenen weiteren Vorfälle und behaupteten Distanzverletzungen, die die Antragsgegnerin weder substantiiert dargelegt noch ausreichend belegt hat.
42
In dem der Stellungnahme der Antragsgegnerin beigefügten „G-Bogen“ sind bei den datumsmäßig aufgezählten Disziplinarverfügungen die einzelnen disziplinarischen Verstöße nur stichpunktartig beschrieben (10.07.2023: ärztliche Medikation nicht ordnungsgemäß eingenommen; 24.07.2023: ungebührliches Verhalten, A-Ausweis nicht dabei gehabt; 27.02.2024: ungebührliches Verhalten gegenüber Bediensteten; 19.03.2024: wiederholt ungebührliches und aggressives Verhalten gegenüber Bediensteten; 02.07.2024: Anordnung nicht befolgt sowie Bedienstete beleidigt).
43
Hinsichtlich dieser dem Antragsteller zu Last gelegten Verhaltensweisen fehlt es aber nicht nur an einer substantiierten Darlegung seiner einzelnen Handlungen, sondern auch an der wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes der Strafvollstreckungskammer erforderlichen richterlichen Aufklärung. Diese wurde nicht dadurch entbehrlich, dass der Antragsteller hierzu erstinstanzlich keine Stellung genommen hat. Dass die Vorwürfe von der Verfahrensbevollmächtigten überhaupt nicht thematisiert worden sind, bedeutet nicht, dass diese eingeräumt worden wären, zumal nicht ersichtlich ist, dass die Verfahrensbevollmächtigte diese Thematik mit dem Antragsteller persönlich erörtert hätte. Auch der Vater des Antragstellers (als dessen Bevollmächtigter) hat hierzu erstinstanzlich nichts ausgeführt. Das Schreiben des Antragstellers selbst vom 31.07.2024 enthält ebenfalls keine Stellungnahme zu den Vorwürfen, sondern verhält sich nur zur Beeinträchtigung des Antragstellers durch die Dauer des Arrestes.
44
Das Vorbringen der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe auch in der Vergangenheit wegen ungebührlichen und aggressiven Verhaltens insbesondere weiblichen Bediensteten gegenüber disziplinarisch belangt werden müssen, ist somit weder im Einzelnen dargelegt noch belegt worden. Mangels eines nachvollziehbaren und überprüfbaren Sachverhalts gerade hinsichtlich des von der Anstalt gerügten Verhaltens des Antragstellers gegenüber weiblichen Bediensteten können diese Verhaltensweisen ohne weitere Aufklärung nicht zur Grundlage der gerichtlichen Überprüfung der Verlegungsanordnung herangezogen werden.
45
cc) Dieser Aufklärungsmangel ist auch entscheidungserheblich.
46
(1) Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einer Entscheidung ausgeführt, dass eine „Distanzverletzung“ zu einer (im dortigen Verfahren: ehemaligen) Beschäftigten nicht ohne weiteres eine Verlegung gegen den Willen des Gefangenen rechtfertigt. Eine solche Verlegung aus wichtigem Grund nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 2 BayStVollzG kann aber dann gerechtfertigt sein, wenn das Verhalten des Strafgefangenen sich auf das Sicherheitsgefühl der Beschäftigten auswirkt und die für die Zusammenarbeit in einer Justizvollzugsanstalt unerlässliche Vertrauensbasis untergraben kann (Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23 –, juris Rn. 13).
47
Der Senat hält es für zweifelhaft, ob hierfür schon allein die vom Antragsteller (vorbehaltlich der fehlenden Unterschrift) eingeräumte massive Beleidigung der Bediensteten B. am 25.06.2024 ausreicht.
48
Das ihm zur Last gelegte wiederholte ungebührliche, distanzlose und aggressive Verhalten insbesondere weiblichen Bediensteten gegenüber, mag zwar – vorbehaltlich einer detaillierten Darlegung des jeweiligen Geschehensablaufs – geeignet sein, eine Verlegung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Dies gilt auch für die dem Antragsteller zur Last gelegte Äußerung, dass eine Bedienstete sexuelle Beziehungen mit Gefangenen eingehe. Denn hierdurch wird die Amtsautorität der betreffenden Justizvollzugsbediensteten untergraben. Die Antragsgegnerin hat jedoch in ihrer Stellungnahme diesen Vorwurf weder nachprüfbar dargelegt (etwa durch Benennung dieser Bediensteten und durch eine zeitliche Eingrenzung dieses Vorgangs) noch hat die Strafvollstreckungskammer dies näher aufgeklärt (etwa durch Befragung des Antragstellers, durch Einholung einer Stellungnahme der betroffenen Bediensteten oder durch Beiziehung der strafrechtlichen Ermittlungsakten). Letzteres war auch nicht dadurch entbehrlich, dass die Antragsgegnerin angab, der Antragsteller habe auf Nachfrage bestätigt, dass er diese Aussage getätigt habe, um der Bediensteten beruflich und privat zu schaden.
49
(2) Die (abgesehen von der Frage der fehlenden Unterschrift) hinreichend belegte Weigerung des Antragstellers, sich innerhalb der Justizvollzugsanstalt A. in einen anderen Haftraum verlegen zu lassen, und seine Androhung, sich selbst zu verletzen, stellen zwar ein Verhalten dar, durch welches die Anstaltsordnung gefährdet wurde. Insoweit hat die Anstalt aber nicht dargelegt, welche weniger eingreifenden Maßnahmen als die Verlegung sie ergriffen bzw. aus welchen Gründen sie solche nicht für ausreichend erachtet hat.
50
Der bloße Hinweis darauf, es seien auch kurzfristige Maßnahmen nach Art. 96 BayStVollzG in Erwägung gezogen und angeordnet worden – nämlich die Verfügung, dass er mit weiblichen Bediensteten nicht allein sein dürfe, und die Einzelhaft –, jedoch nicht als ausreichend erachtet worden, genügt insoweit ersichtlich nicht, da sich diese Maßnahmen auf den Vorwurf des distanzlosen Verhaltens beziehen.
51
Selbst wenn durch das Verhalten des Antragstellers im Zusammenhang mit der internen Verlegung der Anstaltsbetrieb erheblich gestört worden ist, wie es die Antragsgegnerin vorträgt (Verschiebung des Aufenthalts der Gefangenen im Freien und Absagung der geplanten Abendveranstaltungen wegen des benötigten erheblichen Personaleinsatzes), handelt es sich um ein singuläres Ereignis. Die Antragsgegnerin trägt nicht vor, dass weitere interne Verlegungen geplant gewesen seien, bei denen sich der Antragsteller aus einem vergleichbaren Anlass wieder entsprechend verhalten würde. Es hätte sich diesbezüglich angeboten, die Einschätzung eines Anstaltspsychologen einzuholen, ob es sich um eine einmalige Ausnahmesituation oder um eine generelle Verweigerungshaltung des Antragstellers gehandelt hat, die in diesem selbstgefährdenden Verhalten zum Ausdruck gekommen ist.
52
(3) Desweiteren fehlt eine Auseinandersetzung mit der im Schreiben des Bevollmächtigten vom 24.07.2024 aufgeworfenen Problematik der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses in der Justizvollzugsanstalt A. und der Frage, ob eine Fortsetzung der Ausbildung des Antragstellers in der Justizvollzugsanstalt S. gewährleistet ist.
53
(4) Schließlich wurde hinsichtlich der Angemessenheit der Verlegungsentscheidung nicht erkennbar berücksichtigt, dass hinsichtlich der Vorfälle vom 24.06.2024 und vom 25.06.2024 als Disziplinarmaßnahme bereits ein 18-tägiger Arrest sowie eine Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle für die Dauer von 18 Tagen ausgesprochen worden ist (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 30.03.2021 – 2 BvR 1344/20 –, juris Rn. 22).
54
3. Da die Sache nicht spruchreif ist, war der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufzuheben und das Verfahren zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 119 Abs. 4 Satz 2 und 3 StVollzG).
55
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass dann, wenn (bereits) ein wichtiger Grund für die Verlegung des Gefangenen im Sinne von Art. 10 BayStVollzG vorgelegen haben sollte, dahinstehen kann, inwieweit die Justizvollzugsanstalt S. zu einer sicheren Unterbringung des Antragstellers besser geeignet war und auch die Voraussetzungen von Art. 92 BayStVollzG gegeben waren. Auch Gründe, die auf das persönliche Verhalten des Gefangenen zurückzuführen sind, sind von dem Begriff des wichtigen Grundes erfasst. Das Recht des Gefangenen auf den Verbleib in einer Anstalt endet, wenn er dort – allerdings in schwerwiegender Weise – stört (BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23 –, juris Rn. 9 m.w.N.).
IV.
56
1. Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen in der Rechtsbeschwerdeinstanz bleibt bei einer Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer dieser vorbehalten (BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, a.a.O., StVollzG § 121 Rn. 1).
57
2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 GKG.