Titel:
Kein Anspruch auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse der volljährigen Tochter
Normenketten:
BGB § 1618a
FamFG § 81 Nr. 2, § 266
GG Art. 6
Leitsätze:
1. Die volljährige Tochter hat ein Recht auf Selbstbestimmung, welches die Entscheidung über die Weitergabe persönlicher Informationen an die Eltern einschließt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Auskunftsanspruch der Mutter ergibt sich nicht aus Art. 6 GG, da dieser lediglich ein Abwehrrecht der Eltern gegenüber staatlichen Eingriffen und eine Institutsgarantie zum Schutz des Elternrechts beinhaltet, jedoch keinen Anspruch gegen volljährige Kinder. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch § 1618a BGB begründet keinen Auskunftsanspruch, da die Beistandspflicht und Rücksichtnahme innerhalb der Familie keine rechtliche Verpflichtung zur Informationsweitergabe an die Mutter darstellen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aufgrund einer Rücksichtnahmepflicht ergibt sich kein Informationsanspruch. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eltern, Informationsanspruch, Selbstbestimmung, Tochter, Auskunftsanspruch der Eltern, Eintritt der Volljährigkeit, Rücksichtnahmepflicht, Selbstbestimmungsrecht
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 14.07.2025 – 2 UF 653/25 e
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20948
Tenor
1. Der Antrag wird abgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Verfahrenswert wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Antragstellerin macht gegen die Antragsgegnerin einen Auskunftsanspruch geltend.
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Die Antragstellerin ist die Mutter der Antragsgegnerin.
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Die Antragstellerin trägt vor, dass sie sich um die schulischen Angelegenheiten der Kinder in der Vergangenheit gekümmert habe. Sie habe sich auch diesbezüglich eingebracht und die Kinder gefördert und zudem bezüglich deren Entwicklung Interesse gehabt. Es habe seitens der Schule diesbezüglich keine Beschwerden gegeben. Es sei auch nicht die Verantwortung der Antragstellerin, wenn der Vater ab 2017 jeglichen Kontakt und Information, ferner jegliche Teilhabe an der Entwicklung der Kinder gegenüber der Antragstellerin wissentlich unterlassen habe. Sie habe dem Kind das Leben geschenkt, sie fordere keine aktive Teilhabe am Leben ihres Kindes, sondern alleine eine Informationshingabe. Dies sei nicht vorwerfbar, sondern vielmehr natürlicher Ausdruck ihres Mutterdaseins. Die Antragstellerin sei weder desorientiert, noch habe sie sich nicht gekümmert.
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Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass sie gegen die Antragsgegnerin einen Auskunftsanspruch aus Artikel 6 Abs. 2, Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz habe. Dieser schütze die Beziehung der Antragstellerin zu ihrem Kind und ihr Interesse an der familiären Bindungskomponente. Der Schutz des Artikels 6 entstehe bereits schon aufgrund der unstreitig bestehenden vergangenen sozial-familiären Beziehung der Antragstellerin zu ihrem Kind. Außerdem habe die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin aufgrund der Beistands- und Rücksichtsnahmepflicht aus § 1618 a BGB einen Anspruch.
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Die Antragstellerin hat daher beantragt:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin Auskunft über ihre persönlichen Verhältnisse, insbesondere ihre Entwicklung, ihre Schulleistungen und ihre Gesundheit für den Zeitraum 2020 bis 24.04.2022 zu erteilen.
6
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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Die Antragsgegnerin führt aus, dass sie nicht möchte, dass die Antragstellerin Informationen über sie erhalte. Grund hierfür liege überwiegend in der persönlichen Beziehung der Beteiligten, die sich für die Antragsgegnerin negativ darstelle. Die Antragstellerin sei aufgrund ihres Alkoholkonsums ihrer mütterlichen Verantwortung nicht nachgekommen und habe sich nicht um die Belange der Kinder interessiert und gekümmert. Insbesondere sei auch nicht zu verstehen, dass die Antragstellerin nicht dafür gesorgt habe, dass die Kinder in die Schule gehen und sie diesbezüglich gefördert werden.
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Es sei daher auch nicht nachzuvollziehen, aus welchen Gründen sie ihr nun Informationen geben solle. In Betracht komme hier nur ein egoistischer Wunsch, um die eigenen Belange der Antragstellerin zu befriedigen. Für die Antragsgegnerin stehe der Wunsch der Antragstellerin gleichbedeutend, als ob ein fremder Dritter Informationen von ihr möchte. Diese Tatsache belaste die Antragsgegnerin sehr und beeinträchtige sie in ihrer Berufsfindung. Sofern die Antragstellerin sich tatsächlich um das Wohl der Antragsgegnerin sorge und ihr Interesse an deren Fortkommen zeige, möge sie den Antrag zurücknehmen.
9
Die Antragsgegnerin sei durch ihre Kindheit massiv beeinträchtigt, was vor allem dem Alkoholkonsum der Antragstellerin geschuldet sei. Durch die Erfahrungen, die die Antragsgegnerin als Kind habe machen müssen, sei sie weiterhin belastet. Dies wirke sich auch noch auf das aktuelle Leben der Antragsgegnerin und deren Entscheidungen aus. So werde sie für die weitere berufliche Zukunft bewusst M. verlassen, um an einem Ort die Ausbildung zu absolvieren, der sie nicht an ihre Kindheit, explizit an die Antragstellerin erinnere und sie mit ihr und anderen Personen, die die Situation kennen, konfrontiert werde. Es sei falsch, dass der Vater der Antragsgegnerin den Kontakt zur Antragstellerin verhindert hätte. Diese Entscheidung habe die Antragsgegnerin selbst getroffen. Sie sei vom Vater toleriert worden. Die Antragsgegnerin habe die Antragstellerin in Situationen, die von Alkohol, Gewalt und Streitereien geprägt waren in Erinnerung. An eine liebevolle, fördernde Mutter könne sie sich nur sehr wenig erinnern. All diese Tatsachen hätten zu der Entscheidung geführt, dass diese die Antragstellerin nicht mehr sehen möchte und ihr auch keine Informationen über sie geben möchte. Exemplarisch werde das Schreiben des ehemaligen Klassenlehrers vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass das Verhalten der Antragstellerin für die Antragsgegnerin enorm belastend gewesen sei.
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Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der Verhandlung vom 2.03.2025 Bezug genommen.
Gründe
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Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Auskunft über ihre persönlichen Verhältnisse sowie über ihre Entwicklung, Schulleistungen und Gesundheit für den Zeitraum 2020 bis 24.04.2022.
12
1. Die Antragsgegnerin ist seit ... 2022 volljährig. Sobald ein Kind volljährig ist, hat es ein Recht auf Selbstbestimmung, einschließlich der Entscheidung, welche Informationen es seinen Eltern geben möchte.
13
2. Ein Auskunftsanspruch ergibt sich nicht aus Artikel 6 Grundgesetz. Zwar umfasst Artikel 6 das sogenannte Elternrecht. Dies beinhaltet jedoch nicht einen Auskunftsanspruch der Eltern gegen die volljährigen Kinder. Als klassisches Grundrecht verbirgt die Vorschrift zunächst ein Abwehrrecht der Eltern gegenüber staatlichen Eingriffen in Fragen von Kinderpflege und Erziehung. Darüber hinaus enthält Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz eine Institutsgarantie, die das Elternrecht vor einer Veränderung seiner wesentlichen Elemente ebenso wie gegen seine Abschaffung schützt. Hieraus ergibt sich ein staatliches Mandat zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Eltern bei einer Trennung bzw. Scheidung. Dies gilt namentlich dort, wo eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß elterlicher Übereinstimmung fehlt. Hiermit sind die Fälle gemeint, in denen der Staat am Maßstab des Kindeswohls eingreifen muss. Hiervon ist der vorliegende Fall nicht umfasst, da es vorliegend nicht mehr um die Berücksichtigung und Beachtung und Einhaltung des Kindeswohls geht und auch nicht um die Abwägung und Berücksichtigung der beiderseitigen Grundrechtspositionen, da die Antragsgegnerin mittlerweile volljährig ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragstellerin Auskunft für einen Zeitraum beantragt, zu dem das Kind noch minderjährig war. Ein Ausgleich des Elternrechtes ist mit Eintritt der Volljährigkeit nicht mehr zu führen, da eine Regelung der Sorgerechtsverteilung nicht mehr im Raum steht. Zusätzlich enthält Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz eine wertentscheidende Grundsatznorm für den gesamten Bereich, des das Eltern-/Kind-Verhältnis betreffenden privaten und öffentlichen Rechts, die alle staatlichen Gewalten bindet. Sie schützt Elternautonomie und Kindeswohl (vgl. auch Art. 6, BeckOK Grundgesetz, Randnummer 50). Auch hieraus ergibt sich kein Anspruch gegen die Tochter selbst, allenfalls stellt Art. 6 ein Recht gegenüber staatlichen Einrichtungen dar.
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3. Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin auch keinen Auskunftsanspruch auf Grundlage des § 1618 a BGB. § 1618 a BGB regelt, dass Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Beistand ist jede aktive Unterstützung innerhalb der Familie. Die Beistandspflicht zielt insbesondere auf solche Akte innerfamiliärer Hilfe, die nicht spezial gesetzlich geregelt sind. Es sind beispielsweise in Anlehnung an die eheliche Solidarität, psychische Unterstützungen bei Alltagsproblemen und in Krankheits- und Notsituationen. Diese zunächst rein sittlichen Postulate verdichten sich erst durch das Hinzutreten besonderer Einzelfallumstände zu Rechtspflichten. Die Befriedigung des Interesses der Mutter an der Entwicklung der Tochter kann sich hierauf nicht begründen lassen. Aufgrund des Selbstbestimmungsrechts ergibt sich hier keine Beistandspflicht. Insbesondere ist die Mutter hier auch nicht auf irgendeine aktive Unterstützung angewiesen. Etwas anderes ergäbe sich beispielsweise im Hinblick auf Auskunftspflichten betreffend einer Unterhaltspflicht. Dies ist hier jedoch auch nicht gegeben. Die Pflicht zur Rücksicht hat ihr Vorbild ebenfalls in der ehelichen Solidarität. Rücksichtnahme ist das Zurückstellen eigener Wünsche und Rechtspositionen hinter die Bedürfnisse der Familie oder einzelner Familienmitglieder, was wechselseitige Achtung als Grundlage der Rücksicht einschließt. Auch hieraus ergibt sich kein Informationsanspruch. Die Antragsgegnerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass ihr ein weiterer Kontakt, auch wenn er aus Sicht ihrer Mutter wünschenswert wäre, von ihr nicht gewünscht ist und für sie eine extreme Belastung darstellt. Aufgrund der familiären Verhältnisse ist dies nachvollziehbar. Es kann sich hier aufgrund einer Rücksichtnahmepflicht kein Informationsanspruch ergeben.
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Die Mutter kann ihre Bereitschaft durch Übernahme von Verantwortung und Mitteilung, dass sie in Zukunft für die Kinder da ist, diesen mitteilen, einen Anspruch dahingehend, wie sich die Antragsgegnerin entwickelt hat, hat die Antragstellerin nicht.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 81 Nr. 2 FamFG Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Verfahren wegen der sonstigen Familiensache beruht auf §§ 35, 38, 42 Abs. 2 FamGKG. In Anbetracht des Informationsinteresses der Antragstellerin sowie des Interesses der Antragsgegnerin erscheint hier ein Verfahrenswert in Höhe von 2.000,- € dem billigen Ermessen entsprechend.