Titel:
Kein Auskunftsanspruch über die persönliche Entwicklung gegenüber volljährigen Kind
Normenkette:
BGB § 1686
Leitsätze:
1. Wird Auskunft über die persönliche Entwicklung des Kindes beansprucht, ist der dies nicht als sonstige Familiensache iSd § 266 FamFG, sondern als Bestandteil der elterlichen Sorge und damit als Kindschaftssache einzuordnen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Auskunftsanspruch gegenüber dem volljährigen Kind kann weder aus § 1686 BGB, noch aus dessen analoger Anwendung abgeleitet werden. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
analoge Anwendung, Auskunft, Auskunftsanspruch, elterlichen Sorge, Familiensache, Selbstbestimmungsrecht, persönliche Entwicklung
Vorinstanz:
AG Dachau, Beschluss vom 08.04.2025 – 4 F 867/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20931
Tenor
1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dachau vom 08.04.2025, Az. 1 F 867/24, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin verlangt von ihrer zwischenzeitlich 21jährigen Tochter Auskunft über ihr Entwicklung, ihre Schulleistungen und ihre Gesundheit im Zeitraum 2020 bis 24.04.2022.
2
Die Antragstellerin ist die leibliche Mutter der Antragsgegnerin. Seit 2017 besteht jedoch kein Kontakt mehr zwischen ihr und der Antragsgegnerin, die seither beim Vater aufgewachsen ist. Sie hat lediglich Briefe an die Antragsgegnerin geschickt, welche nicht beantwortet wurden. Die Antragsgegnerin begründet dies mit einer gravierenden Alkoholerkrankung der Mutter, unter der sie sehr gelitten habe und wegen der die Mutter sich kaum um sie gekümmert habe. Die Antragstellerin räumt ein, gesundheitliche Probleme gehabt zu haben, trägt aber vor, sich um ihre Kinder gekümmert zu haben und inzwischen soweit genesen zu sein, dass sie ihrer elterlichen Verantwortung wieder nachkommen könne.
3
Die Antragstellerin meint, ein Auskunftsanspruch ergäbe sich aus Art. 6 Abs. 2, Abs. 1 GG, der deren Interesse an einer familiären Bindungskomponente schütze. Auch § 1618 a BGB gewähre einen solchen Anspruch.
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Die Antragsgegnerin führt aus, dass sich einer Auskunft ihrer Mutter widersetze. Sie habe traumatische Erfahrungen mit ihrer Mutter machen müssen, welche sie seit Jahren therapeutisch aufarbeite, und wolle jeglichen Kontakt zu ihr vermeiden.
5
Das Verfahren wurde vor dem Amtsgericht Dachau als Familienstreitverfahren gem. § 266 FamFG geführt. Das Ausgangsgericht hat am 27.03.2025 mündlich verhandelt und die Antragstellerin zur Sache angehört. Die Antragsgegnerin war von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden.
6
Am 08.04.2025 verkündete das Amtsgericht Dachau einen Beschluss, mit dem es den Antrag der Antragstellerin zurückwies und zur Begründung ausführt, der geltend gemachte Anspruch ergebe sich weder aus Art. 6 GG noch aus § 1618 a BGB. Die volljährige Antragsgegnerin habe ein Recht über die sie betreffenden Informationen selbst zu entscheiden.
7
Die Antragstellerin legte gegen den ihr am 08.04.2025 zugestellten Beschluss am 02.05.2025 Beschwerde ein. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Beeinträchtigung des Kindeswohls auf Seiten der Antragsgegnerin nicht festzustellen sei, da eine Kontaktaufnahme nicht verlangt werden, hingegen bestehe für die Antragstellerin ein aus der familienrechtlichen Rücksichtnahmepflicht abzuleitendes Interesse am weiteren Werdegang ihres Kindes.
8
Die Antragsgegnerin erwidert darauf, dass die Rechte des Elternteils mit dem 18. Geburtstag erloschen seien. Die Antragsgegnerin würde im Übrigen durch das persistierende Verlangen auf Auskunft erneut zur Traumatisierung ihrer Tochter beitragen.
9
Das Jugendamt D. wurde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens telefonisch angehört und teilte mit, dass eine Stellungnahme zu dem Verfahren nicht abgegeben werde.
10
Die Beschwerde ist zulässig, aber im Ergebnis unbegründet.
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1. Die Beschwerde wahrt die Frist- und Formanforderungen der §§ 63 Abs. 1, 64 FamFG und ist damit zulässig.
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2. Zwar weist das Verfahren im vorliegenden Fall Fehler auf, jedoch wirken sich diese nicht auf die Erfolgsaussichten der Beschwerde aus.
13
a. Verfahrensrechtlich ist der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht als sonstige Familiensache i.S.d. § 266 FamFG, sondern als Bestandteil der elterlichen Sorge und damit als Kindschaftssache einzuordnen. Wie auch in § 1686 BGB macht die Antragstellerin hier ihren Auskunftsanspruch als Ausfluss ihrer elterlichen Sorge über die Antragsgegnerin geltend. Dass ein solcher Anspruch im Gesetz nicht vorgesehen ist, führt nicht zu einer Einordnung als Streitsache i.S.d. § 266 FamFG.
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Es ist verfahrensrechtlich unbedenklich, dass wegen der unzutreffenden Einordnung des Verfahrens ein Verfahrensbeistand nicht bestellt wurde, da § 158 FamFG eine Bestellung nur für minderjährige Kinder vorsieht. Dies traf auf die Antragsgegnerin auch zu Beginn des Verfahrens nicht mehr zu.
15
Zwar wäre gem. § 165 FamFG das Jugendamt zu beteiligen gewesen, jedoch ergibt sich auch daraus kein Grund für die Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung. Der Senat hat am 11.07.2025 telefonisch die Auskunft beim Jugendamt D. eingeholt, dass weitergehende Erkenntnisse zu der Familie dort nicht vorliegen und eine Stellungnahme nicht abgeben werde. Eine weitere Beteiligung ist daher nicht erforderlich (vgl. MüKoFamFG/Schumann, 4. Aufl. 2025, FamFG § 162 Rn. 8).
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b. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ergibt sich kein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung der begehrten Auskünfte gegenüber ihrer volljährigen Tochter.
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aa. Ein solches Recht lässt sich nicht direkt aus Art. 6 Abs. 2 GG ableiten. Dazu ist zunächst festzustellen, dass es sich bei Art. 6 Abs. 2 GG um ein Grundrecht handelt. Grundrechte regeln in ersten Linie die Rechte der Bürger gegenüber dem Staat und nicht Ansprüche untereinander. Im besonderen Fall des Art. 6 Abs. 2 GG liegt eine Besonderheit dahingehend vor, dass zwar die Pflege und Erziehung des Kindes als eigenes Grundrecht und korrespondierende Pflicht der Eltern statuiert, sie aber gleichzeitig in den Dienst des Kindeswohls stellt (vgl. BVerfG NJW 2022, 2904). Das Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern gewährt »keine Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung der Eltern, sondern eine solche zum Schutze des Kindes und in dessen Interesse«. Die Norm ist damit ein fremdnütziges Recht, welche auf die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes gerichtet ist (Dreier GG / Brosius-Gersdorf, 4. Aufl. 2023, GG Art. 6 Rn. 310). Damit kommt bereits auf grundgesetzlicher Ebene zum Ausdruck, dass die Rechte der Eltern ihre Begrenzung finden, wo das Wohl ihrer Kinder beeinträchtigt ist.
18
Eine Anspruchsgrundlage lässt sich damit unmittelbar aus dem Grundgesetz nicht ableiten, sondern muss auf einfachgesetzlicher Ebene unter Würdigung der Wertungen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK hergeleitet werden.
19
bb. Eine gesetzlich normierte Anspruchsgrundlage für das von der Antragstellerin beanspruchte Recht findet sich nicht.
20
Insbesondere kommt eine Anwendung des § 1686 BGB nicht in Betracht. Wie sich dem Gesetzestext unschwer entnehmen lässt, kann das Kind selbst nicht Verpflichteter eines Auskunftsanspruchs nach § 1686 BGB sein (MüKoBGB/Hennemann, 9. Aufl. 2024, BGB § 1686 Rn. 12).
21
Eine analoge Anwendung der Norm auf den hier vorliegenden Fall des zwischenzeitlich volljährigen Kindes ist ebenfalls nicht geboten. Voraussetzung dafür wäre zunächst das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke. Eine solche ist nicht gegeben.
22
Zwar ist zutreffend, dass die Norm über ihren Wortlaut hinaus analog auch auf dritte Personen angewendet wird, soweit diese in ihrer rechtlichen oder tatsächlichen Stellung einem Elternteil vergleichbar sind (vgl. BGH NJW 2017, 1239). Eine Erstreckung dieser Rechtsprechung auf das zwischenzeitlich volljährige Kind selbst kommt allerdings nicht in Betracht. Bei einem volljährigen Kind greift schon die gesetzgeberische Zielsetzung des Auskunftsanspruchs nicht mehr ein (vgl. MüKoBGB/Hennemann, 9. Aufl. 2024, BGB § 1686 Rn. 2).
23
Bereits bei älteren noch minderjährigen Kindern ist anerkannt, dass ein Auskunftsanspruch gegen den Willen des Kindes nicht angeordnet werden kann (vgl. Götz in Grüneberg, BGB, § 1686 Rn. 5, KG FamRZ 2011, 827), weil in diesem Fall den Interessen des Kindes Vorrang vor denen des auskunftsverlangenden Elternteils zukommt.
24
Erst recht überwiegt damit das Selbstbestimmungsrecht der volljährigen Antragsgegnerin dem hier behaupteten Interesse der Antragstellerin an den begehrten Informationen, auch wenn diese die Phase ihrer Minderjährigkeit betreffen.
25
Ergänzende ist dazu anzumerken, dass ohnehin kein schützenswertes Interesse der Kindsmutter an der Erlangung der begehrten Informationen gegeben ist. Die Inhalte sind zwischenzeitlich über drei Jahre alt und es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, welchen Nutzen die Antragstellerin aus diesen Informationen ziehen wollte. Bei der Geltendmachung dieses nicht bestehenden Anspruchs nimmt sie jedoch billigend in Kauf, dass die Antragsgegnerin, die sich der Preisgabe von Anfang an widersetzt hat, noch nachhaltiger von ihr entfremdet.
26
Auch aus § 1618 BGB (n.F.) ergibt sich nichts anderes. Zwar kann die Norm trotz ihres generalklauselartigen Charakters grundsätzlich für die Begründung konkreter Rechtspflichten herangezogen werden, jedoch ist insoweit prüfen, ob im Rahmen der familienrechtlichen normierten Regeln bereits eine Entscheidung des Gesetzgebers besteht (vgl. BeckOGK/Kienemund, 1.2.2025, BGB § 1618 a Rn. 15). Dies ist, wie oben bereits festgestellt, für den hier strittigen Fall eines Auskunftsanspruchs gegenüber dem volljährigen Kind der Fall. Denn ein solcher Anspruch ist im Gesetz nicht vorgesehen, was jedoch keine Regelungslücke darstellt.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Verfahrenswertes ergibt sich aus §§ 40 Abs. 1, Abs. 2, 42 Abs. 2 FamGKG und entspricht der des Ausgangsgerichts.
28
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.