Titel:
			Aufzehrung des Differenzschadens in Dieselfall durch Anrechnung der Nutzungsvorteile und des Restwertes
			Normenketten:
			BGB § 31, § 823 Abs. 2
			EGFGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
			FahrzeugemissionenVO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
			Leitsatz:
			 Der Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kann durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen und des Restwertes vollständig aufgezehrt werden (hier bejaht). (Rn. 6) (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
			Schlagworte:
			Schadensersatz, Schutzgesetz, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EG-Typgenehmigung, Übereinstimmungsbescheinigung, Differenzschaden, Vorteilsausgleichung, Schadensaufzehrung
			Vorinstanz:
			LG Ingolstadt, Endurteil vom 08.04.2022 – 72 O 2023/20 Die
			Fundstelle:
			BeckRS 2025, 20905
		 
		 
		Tenor
		
			
			1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 11.04.2022, Az. 72 O 2023/20 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
		 
		
			
			2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
		 
		Entscheidungsgründe
		
		
			1
			Die Berufung des Klägers erscheint unbegründet. Die Prüfung der Berufung durch den Senat hat weder ergeben, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht, noch dass die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen würden, § 513 Abs. 1 ZPO. Das klageabweisende Ersturteil hält den Angriffen der Berufung jedenfalls im Ergebnis und auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger zuletzt unter teilweiser Berufungsrücknahme mit Schriftsatz vom 11.12.2024 nur noch den sog. Differenzschaden geltend machte, stand. Denn der Antrag auf Erstattung eines Differenzschadens in Höhe von 15% des Kaufpreises steht dem Kläger nach Auffassung des Senats wegen Aufzehrung nicht (mehr) zu.
		 
		
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			1. Dem Kläger steht kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB zu. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB setzt haftungsbegründend voraus, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) erfüllt sind. Es kann dahinstehen, ob und ggf. durch welches Verhalten im Zusammenhang mit der behaupteten Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in strafrechtlich relevanter Weise getäuscht worden ist und ob die Täuschung fortgewirkt und beim Kläger einen strafrechtlich relevanten Irrtum erregt hat. Denn jedenfalls fehlt es an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 18).
		 
		
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			2. Die Beklagte haftet dem Kläger auch nicht aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB, da ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers durch die im Wege des Vorteilsausgleichs vorzunehmende Anrechnung gezogener Nutzungen vollständig aufgezehrt wird (siehe dazu sogleich). Ohnehin ist davon auszugehen, dass der Kläger nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 11.12.2024 diese Ansprüche bezogen auf weitere behauptete Abschalteinrichtungen nicht mehr weiterverfolgt.
		 
		
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			3. Der Anspruch lässt sich schließlich auch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stützen.
		 
		
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			a) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt sich zwar ein Anspruch auf Gewähr sog. großen Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht begründen. Dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs kann jedoch ein Schadensersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller zustehen, weil ihm aufgrund des Vertragsschlusses ein Vermögensschaden nach Maßgabe der Differenzhypothese (Differenzschaden) entstanden ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21). Der Bundesgerichtshof hat die Haftung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21) auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung jedem Fahrzeug beilegt und die nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Da die hiesige Beklagte in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug nicht nur Motorherstellerin, sondern auch Fahrzeugherstellerin ist, kommt ihre Haftung auf den Differenzschaden nach den vorgenannten Grundsätzen grundsätzlich in Betracht.
		 
		
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			b) Es kann dahinstehen, inwieweit die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV mit Blick auf das verbaute Thermofenster im Verhältnis zum Kläger erfüllt sind. Ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens wird jedenfalls durch die als Vorteil gegenzurechnende Nutzungsentschädigung nebst Restwert vollständig aufgezehrt.
		 
		
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			aa) Der Geschädigte hat sich bei der Bemessung des kleinen Schadensersatzes die von ihm gezogenen Nutzungen und den Restwert des Fahrzeugs schadensmindernd anrechnen zu lassen, allerdings erst dann und nur insoweit, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen (BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rn. 22). Nichts anderes gilt für die Bemessung des Differenzschadens (BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO Rn. 80).
		 
		
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			bb) Den Minderwert des Fahrzeugs schätzt der Senat im Rahmen der gemäß § 287 Abs. 1 ZPO festzustellenden Schadenshöhe unter Berücksichtigung aller Umstände auf 10% des gezahlten Kaufpreises (3.199,00 €). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als zuständige Überwachungsbehörde trotz umfangreicher Prüfung seit Aufkommen des sog. Diesel-Skandals keinen Anlass für einen verpflichtenden Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gesehen hat, sodass auch Betriebsbeschränkungen durch die Straßenverkehrsbehörden nicht zu erwarten sind. Demnach ist von einem tatsächlichen Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von 28.791,00 € (31.990,00 € ./. 3.199,00 €) auszugehen.
		 
		
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			cc) Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 28.10.2022 (Anlage zum Schriftsatz vom 11.12.2024) zu einem Kaufpreis von 22.000,00 € weiterveräußert. Verlangt der geschädigte Fahrzeugkäufer in einem sog. Dieselfall vom Fahrzeughersteller Schadensersatz in Höhe des gezahlten Kaufpreises und hat er im Wege der Vorteilsausgleichung das erworbene Fahrzeug Zug um Zug an den Fahrzeughersteller herauszugeben und zu übereignen, tritt im Fall des Weiterverkaufs im Rahmen der Vorteilsausgleichung der erzielte marktgerechte Verkaufserlös an die Stelle des herauszugebenden und zu übereignenden Fahrzeugs (BGH, Urteile vom 20.07.2021 – VI ZR 533/20 und VI ZR 575/20). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen vollständig aufgezehrt werden kann (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19; vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rn. 24). Diese Rechtsprechung wurde jüngst durch die Entscheidung des EuGH vom 01.08.2025 (C-666/23) im Wesentlichen bestätigt.
		 
		
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			Die gezogenen Nutzungsvorteile sind gemäß § 287 ZPO zu schätzen, indem der Bruttokaufpreis (31.990,00,00 €) durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (171.000 km) geteilt und dieser Wert mit der gefahrenen Strecke seit Erwerb (57.000 km) multipliziert wird (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, Rn. 12). Die Annahme einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km entspricht für den hier vorliegenden Dieselmotor (3.0 l TDI) der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats. Beim Kauf belief sich der Kilometerstand auf 79.000 km (Anlage K1), bei der Weiterveräußerung auf 136.000 km (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 11.12.2024). Die vom Kläger gezogenen Nutzungsvorteile sind auf dieser Grundlage mit 10.663,33 € zu bewerten. Damit liegt eine Fallkonstellation vor, in der ein nach Abzug des Verkaufserlöses (22.000,00 €) vom Bruttokaufpreis (31.990,00 €) verbleibender Schadensersatzanspruch (3.199,00 €) durch die als Vorteil gegenzurechnende Nutzungsentschädigung vollständig aufgezehrt wird; die Summe aus Verkaufserlös und gezogenen Nutzungen erreicht den vom Kläger gezahlten Kaufpreis.
		 
		
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			dd) Im Übrigen hat der EuGH durch Urteil vom 01.08.2025 über die Vorlage des Landgerichts Ravensburg entschieden (Az. C-666/23). Demnach stehen der vom BGH entwickelten Rechtsfigur des Differenzschadens mit seiner pauschalen Begrenzung des Schadensersatzes auf 15% des Kaufpreises sowie der Anrechnung von Nutzungsvorteilen keine unionsrechtlichen Bedenken entgegen, sofern die Entschädigung eine angemessene Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden darstellt. Nachdem die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen sind, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen, wird auch eine angemessene Wiedergutmachung des tatsächlich erlittenen Schadens gewährleistet. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Kläger durch den Weiterverkauf einen erheblichen Vermögenswert realisieren konnte.
		 
		
		
			12
			Da die Berufung hiernach keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).