Titel:
Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis
Normenketten:
StGB § 86a Abs. 1 Nr. 1
StPO § 407
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, § 45 Abs. 2
Leitsätze:
1. Es genügt eine einzige Verurteilung, um die Vermutung fehlender Zuverlässigkeit gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a WaffG auszulösen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unerheblich für das Eingreifen der Regelvermutung ist, dass die Straftat nicht durch Urteil, sondern durch Strafbefehl geahndet wurde. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Abweichen von der Vermutung fehlender Zuverlässigkeit – und damit das Absehen von einem Widerruf der erteilten Erlaubnis – kommt in Betracht, wenn die Umstände der Tatbegehung die Straftat in einem derart milde(re)n Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers durch eine solche Tat in der Regel begründeten Zweifel an der für die waffenrechtliche Erlaubnis vorausgesetzten Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen nicht gerechtfertigt sind. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnis, Kleiner Waffenschein, Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, Abweichen von der Regelvermutung der fehlenden Zuverlässigkeit bei strafrechtlicher Verurteilung (verneint), Strafbefehl, waffenrechtliche Erlaubnis, Widerruf, Unzuverlässigkeit, Verurteilung, Straftat, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Verwendung, Regelvermutung, Abweichen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 25.06.2025 – RO 4 S 25.1118
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20854
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt insbesondere die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnis (Kleiner Waffenschein).
2
Der Antragsteller ist Inhaber ist seit 2015 Inhaber eines Kleinen Waffenscheins. Er wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 27. November 2023, rechtskräftig seit 19. Dezember 2023, wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§§ 86a Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 1 Nr. 4, 53 StGB) in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Ihm wurde zur Last gelegt, am 20. Januar 2023 und am 22. Mai 2023 auf seinen für jedermann sichtbaren Profil in sozialen Medien unter seinem Benutzernamen den Ausdruck „Deutschland erwache“ verwendet zu haben. Er habe gewusst, dass es sich dabei um die verbotene Losung der SA, mithin um ein Identifikationszeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Partei, nämlich der NSDAP, gehandelt habe.
3
Das zuständige Landratsamt widerrief mit Bescheid vom 30. Januar 2025 die Erlaubnis des Antragstellers (Nr. 1), gab ihm auf, die das Erlaubnisdokument zurückzugeben (Nr. 2) und drohte ihm ein Zwangsgeld an (Nr. 3). Das Landratsamt begründete den Bescheid damit, dass der Tatbestand der Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG erfüllt sei. Gründe, von der Regelvermutung abzuweichen, bestünden nicht.
4
Der Antragsteller hat am 9. Mai 2025 Klage gegen den Bescheid erhoben (Az. RO 4 K 25.1118) und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Den Eilantrag hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 25. Juni 2025 abgelehnt. Der Antragsteller sei voraussichtlich unzuverlässig und der Bescheid rechtmäßig.
5
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er stellte keinen ausdrücklichen Antrag, begehrt in der der Sache aber die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid anzuordnen.
6
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass er sich fahrlässig in sozialen Medien geäußert; er verfüge als Bürger in Deutschland mit Migrationshintergrund kein nationalsozialistisches Gedankengut. Er sei bisher nicht negativ aufgefallen und führe sich tadellos. Es hätte sowohl von der Behörde als auch vom Erstgericht eine genauere und intensivere Bewertung seines Falles stattfinden müssen.
7
Der Antragsgegner beantragt,
9
und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
11
A. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht derzeit von der Unzuverlässigkeit des Antragstellers ausgeht (I.). Ferner überwiegt wegen des gesetzlich vorgesehenen Sofortvollzugs das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage (II.).
12
I. Der Antragsteller dringt mit seiner erhobenen Rüge, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil das Gericht zu Unrecht von seiner Unzuverlässigkeit ausgehe, nicht durch.
13
1. Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (WaffG, BGBl I S. 3970), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Oktober 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 332), ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Erlaubnisinhaber in diesem Zeitpunkt nicht (mehr) die nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG fehlt die Zuverlässigkeit in der Regel, wenn dieser wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden ist. Es genügt eine einzige Verurteilung, um die Vermutung auszulösen. Die Vermutung fehlender Zuverlässigkeit setzt ferner nicht voraus, dass außer der Verurteilung weitere nachteilige Umstände über den Erlaubnisinhaber bekanntgeworden sind (vgl. BVerwG, B.v. 19.9.1991 – 1 CB 24.91 – juris Rn. 7).
14
2. a) Der Tatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG ist vorliegend erfüllt. Der Antragsteller ist (nach Erteilung seiner Erlaubnis) rechtskräftig wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu einer Gesamtgeldstrafe Geldstrafe i.H.v. 60 Tagessätzen verurteilt worden. Unerheblich für das Eingreifen der Regelvermutung ist, dass die Straftat nicht durch Urteil, sondern durch Strafbefehl geahndet wurde. Das Gesetz verlangt nicht ausdrücklich das Vorliegen eines Urteils. Außerdem steht ein Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich, soweit gegen ihn nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist (§ 410 Abs. 3 StPO). Die Verurteilung ist seit 19. Dezember 2023 rechtskräftig. Seither sind bis zu dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids am 30. Januar 2025 noch keine fünf Jahre verstrichen.
15
b) Ein Grund von der im Gesetz angelegten Regelvermutung der fehlenden Zuverlässigkeit abzuweichen, besteht vorliegend nicht.
16
aa) Anlässlich des gesetzgeberischen Konzepts kommt ein Abweichen nicht schon deshalb in Betracht, sollte, wie der Antragsteller vorträgt, von ihm keine Gefahr ausgehen (vgl. Schriftsatz vom 25.7.2025, S. 2). Auf eine individuelle Gefahrprognose hinsichtlich des Betroffenen kommt es von vornherein nicht an. Die regelhafte Annahme fehlender Zuverlässigkeit stützt sich auf die gesetzgeberische Entscheidung, waffenrechtliche Erlaubnisse bestimmten Straftätern grundsätzlich vorenthalten zu wollen. Daher kann die Rüge, es sei unzutreffend anzunehmen, vom Antragsteller „ginge die gleiche Gefahr aus, wie von sogenannten Reichsbürgern, Querdenker(n) oder ähnlich in letzter Zeit sich in den Vordergrund drängenden Personen und/oder Personengruppen“ (Schriftsatz vom 25.7.2025, S. 2), von vornherein nicht verfangen. Eine solche Annahme wurde nicht getroffen und wird vom Gesetz auch nicht vorausgesetzt. Da die Vermutung auch bei einer – von der Verurteilung abgesehen – ordnungsmäßigen Lebensführung eingreift (vgl. Rn. 13), kann der Vortrag, beim Antragsteller handele es sich um einen tadellosen und bisher nicht negativ aufgefallenen Menschen, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und der Waffenbehörde ebenfalls nicht erfolgreich in Frage stellen.
17
bb) Mit Blick auf die beschriebene gesetzgeberische Konzeption kommt ein Abweichen von der Vermutung fehlender Zuverlässigkeit – und damit das Absehen von einem Widerruf der erteilten Erlaubnis – namentlich in Betracht, wenn, die Umstände der Tatbegehung die Straftat in einem derart milde(re) n Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers durch eine solche Tat in der Regel begründeten Zweifel an der für die waffenrechtliche Erlaubnis vorausgesetzten Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen nicht gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG, U.v. 19.9.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 35; BayVGH, U.v. 2.11.2022 – 24 BV 21.3213 – juris Rn. 43 m.w.N.). Das ist der Fall, wenn die Tat von einem typischen Fall einer Straftat nach §§ 86, 86a StGB wesentlich abweicht (vgl. BVerwG, B.v. 19.9.1991 – 1 CB 24.91 – juris Rn. 6; VGH BW, U.v. 1.7.2025 – 6 S 929/24 – juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 6.6.2018 – 21 CS 18.658 – Rn. 19 und 22).
18
(1) Für die Würdigung der Tat ist insoweit grundsätzlich auf die Ermittlungsergebnisse aus dem Strafverfahren zurückgreifen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die strafgerichtlichen tatsächlichen Feststellungen zutreffen und die Tat auch im Sinne von § 46 StGB schuldangemessen abgeurteilt wurde (vgl. BVerwG, B.v. 22.4.1992 – 1 B 61.92 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 6.6.2018 – 21 CS 18.658 – Rn. 19 und 22; BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 21 CS 17.856 – juris Rn. 10).
19
(2) Das gilt auch, wenn die Verurteilung durch Strafbefehl erfolgt. Eine mindere Richtigkeitsgewähr kommt dem rechtskräftigen Strafbefehl nicht zu (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.1994 – 1 C 31.92 – juris Rn. 30; OVG LSA, B.v. 6.6.2024 – 3 M 69/24 – juris Rn. 15). Der Amtsrichter erlässt den nach § 407 Abs. 1 StPO von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl nach § 408 Abs. 3 StPO nur, wenn ihm keine Bedenken entgegenstehen. Der Erlass setzt damit die vollständige Übereinstimmung in der rechtlichen Bewertung der Tat und hinsichtlich der anzuordnenden Rechtsfolgen zwischen Richter und Staatsanwaltschaft voraus; maßgeblich ist insoweit der Grundsatz der richterlichen Überzeugung (vgl. BVerfG, U. v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 – juris Rn. 104; Maur in Karlsruher Kommentar, StPO, § 408 Rn. 15). Dass somit keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, in der das Gericht einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen gewinnen konnte, ist daher unschädlich, zumal der Antragsteller durch das Einlegen eines zulässigen Einspruchs nach § 410 StPO die Durchführung einer Hauptverhandlung hätte herbeiführen können (§ 411 Abs. 1 Satz 2 StPO).
20
(3) Gründe, im vorliegenden Fall die Tat auf Basis der strafgerichtlichen Feststellungen dennoch in einem milderen Licht zu sehen, und deshalb von der Regelvermutung abzuweichen, bestehen nicht. Anlass hierzu gibt insbesondere nicht der Umstand, dass die Höhe der Geldstrafe, zu der der Antragsteller verurteilt wurde, die unterste Grenze des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG darstellt. Gleiches würde gelten, sollte sich der Antragsteller der waffenrechtlichen Auswirkungen seiner Verurteilung (und des Verzichts auf einen Einspruch) nicht bewusst gewesen sein (vgl. BayVGH B.v. 19.1.2022 – 24 CS 21.3067 – juris Rn. 9).
21
II. Die Beschwerde hat auch deshalb keinen Erfolg, weil bei der gebotenen Interessenabwägung die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO – hier in Verbindung mit § 45 Abs. 5 und § 46 Abs. 6 WaffG bzw. Art. 21a VwZVG – einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Vom Antragsteller sind keine besonderen Gründe vorgetragen, die über die im Normalfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hinausreichen. Es überwiegt deshalb das Vollzugsinteresse der Behörde das Suspensivinteresse des Antragstellers (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2023 – 24 CS 23.1196 – Rn. 17; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 18).
22
B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
23
C. Der Streitwert beträgt 2.500,00 €. Seine Festsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 1.5, 50.1.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 21. Februar 2025.
24
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).