Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.07.2025 – 22 ZB 25.893
Titel:

Mehrfache strafrechtliche Verurteilung rechtfertigt Gewerbeuntersagung

Normenketten:
AO § 149, § 369, § 370 Abs. 1 Nr. 2
GewO § 35 Abs. 1
UStG § 18 Abs. 3
InsO § 15a Abs. 1, Abs. 4
StGB § 266a Abs. 1
Leitsätze:
1. Einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung in einem Gewerbeuntersagungsverfahren kommt eine indizielle Wirkung dafür zu, dass der vom Strafgericht zugrunde gelegte Sachverhalt den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht und die Verwaltungsbehörden sowie die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit diese Feststellungen ihren Entscheidungen deshalb regelmäßig ohne eigene Ermittlungen zugrunde legen dürfen, soweit eine Ausnahme hiervon nicht greift. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung; die Behörde hat danach nicht mehr zu prüfen, ob die Untersagungsgründe die ergangene Gewerbeuntersagung weiterhin tragen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, Antrag auf Zulassung der Berufung, ernstlichen Zweifel, indizielle Wirkung, strafrechtliche Verurteilungen, Unzuverlässigkeit
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 27.03.2025 – Au 5 K 23.1966
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20850

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. März 2025 – Au 5 K 23.1966 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 30. Oktober 2023 weiter, mit dem ihr die weitere selbständige Ausübung des angemeldeten und ausgeübten Gewerbes „Abbrucharbeiten u.a.“ sowie die Ausübung aller anderen selbständigen Tätigkeiten im stehenden Gewerbe untersagt wurden. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Klägerin gewerberechtlich unzuverlässig sei. Sie habe durch das den strafrechtlichen Verurteilungen zugrunde liegende Verhalten gegen die Pflichten eines ordnungsgemäßen und zuverlässigen Gewerbetreibenden verstoßen.
2
Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2023 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg, die mit Urteil vom 27. März 2025, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 15. April 2025, abgewiesen wurde.
3
Mit am 6. Mai 2025 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom gleichen Tag hat die Klägerin die Zulassung der Berufung beantragt. Sie hat diesen Antrag mit Schriftsatz 16. Juni 2025, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag (Montag), begründet. Sie macht besondere rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
4
Die Beklagte ist dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten.
5
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
6
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil kein Zulassungsgrund im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO hinreichend dargelegt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Die Darlegung der geltend gemachten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erfordert, dass der Rechtsmittelführer sich mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil auseinandersetzt und deutlich macht, an welchem rechtlichen oder tatsächlichen Punkt das Urteil zweifelhaft ist (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 68). Für die Darlegung besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten muss er verdeutlichen, weshalb der Sachverhalt besonders unübersichtlich ist (Happ, a.a.O., Rn. 71). Daran fehlt es hier.
8
Die Klägerin setzt sich mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht auseinander. Ihre Ausführungen beschränken sich darauf, die tatsächlichen Feststellungen der der Gewerbeuntersagung zugrunde liegenden strafrechtlichen Verurteilungen anders zu bewerten bzw. deren Auswirkungen auf die Prognose ihrer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit anders zu beurteilen. Soweit die Klägerin auf ihre angeblich bestehende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verweist, legt sie ebenfalls keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache dar, zumal das Verwaltungsgericht für die Bejahung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit ausschließlich auf das den strafrechtlichen Verurteilungen zugrunde liegende Verhalten der Klägerin abgestellt hat und nicht auf deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
9
2. Eine Würdigung des klägerischen Vorbringens unter dem Gesichtspunkt der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – die Klägerin macht diesen Zulassungsgrund nicht ausdrücklich geltend – rechtfertigt die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht.
10
Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
11
Das Verwaltungsgericht hat die Prognose der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin nach § 35 Abs. 1 GewO auf das den strafrechtlichen Verurteilungen vom 16. Februar 2022 und 19. Mai 2022 zugrunde liegende Verhalten der Klägerin gestützt. Sie ist gemäß § 369, § 370 Abs. 1 Nr. 2, § 149 AO i.V.m. § 18 Abs. 3 UStG wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen und wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung bei Zahlungsunfähigkeit in Tatmehrheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 21 tatmehrheitlichen Fällen gemäß § 15a Abs. 1, Abs. 4 InsO, § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 53 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 170 Tagessätzen verurteilt worden. Bei seiner Prognose hat sich das Verwaltungsgericht ausführlich mit den den Strafurteilen zugrunde liegenden Sachverhalten auseinandergesetzt und einen Bezug zur gewerberechtlichen Tätigkeit der Klägerin hergestellt. Da die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht die tatsächlichen Feststellungen der Strafurteile teilweise in Frage gestellt bzw. anders bewertet hatte, hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die obergerichtliche Rechtsprechung weiter ausgeführt, dass einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung in einem Gewerbeuntersagungsverfahren eine indizielle Wirkung dafür zukomme, dass der vom Strafgericht zugrunde gelegte Sachverhalt den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche und die Verwaltungsbehörden sowie die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit diese Feststellungen ihren Entscheidungen deshalb regelmäßig ohne eigene Ermittlungen zugrunde legen dürften und dass eine Ausnahme hiervon im vorliegenden Fall nicht greife. Auf die Motive der Straftaten komme es wegen der rein final- und zweckorientierten Betrachtungsweise nicht an.
12
Mit diesen entscheidungstragenden Feststellungen setzt sich die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht auseinander. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen zu den Feststellungen in den Strafurteilen, ohne auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts in den Entscheidungsgründen einzugehen. Auch unter dem Aspekt der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind ihr Vorbringen zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in den Jahren 2019 bis 2023 und die hierzu vorgelegten Bestätigungen unerheblich, weil sich das Verwaltungsgericht bei der Zuverlässigkeitsprognose maßgeblich auf die beiden strafrechtlichen Verurteilungen und nicht auf ihre finanziellen Verhältnisse stützt.
13
Soweit die Klägerin in der Begründung des Zulassungsantrags – wie auch schon vor dem Verwaltungsgericht – auf die Einstellung einer neuen Mitarbeiterin, die sich um Buchhaltung und Verwaltung kümmern soll, sowie eine neu angeschaffte Buchhaltungs- und Steuersoftware verweist, kommt es hierauf nicht an, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist und die Behörde danach nicht mehr zu prüfen hat, ob die Untersagungsgründe die ergangene Gewerbeuntersagung weiterhin tragen. Bereits das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil auf die obergerichtliche Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung hingewiesen. Die Klägerin setzt sich auch damit nicht auseinander.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2025.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).