Titel:
Begründete Anhörungsrüge
Normenketten:
VwGO § 108 Abs. 1 S. 2, § 138 Nr. 6, § 152a Abs. 5 S. 1, S. 3, S. 4
AsylG § 77 Abs. 3, § 78 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 S. 1, S. 2, S. 4
Leitsätze:
1. Das Aufzeigen einer lediglich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechts- oder Tatsachensätzen eines Divergenzgerichts genügt den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit das Gericht gem. § 77 Abs. 3 AsylG der Begründung des angefochtenen Bescheids folgt, sind die dortigen Erwägungen für die richterliche Überzeugung leitend iSv § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO und decken sich mit der eigenen rechtlichen Prüfung des Gerichts. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge (begründet), begründete Anhörungsrüge, asylrechtliche Streitigkeit, Berufungszulassungsverfahren, ernstliche Zweifel, Divergenz, Verfahrensmangel, Begründungsmangel, Bezugnahme auf angefochtenen Bescheid, rechtliches Gehör
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 18.07.2025 – 1 ZB 25.30600
VG München, Urteil vom 06.02.2025 – M 21a K 22.32292
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20835
Tenor
I. Das Verfahren wird fortgeführt.
II. Der Beschluss des Senats vom 18. Juli 2025 – 1 ZB 25.30600 – wird aufrechterhalten.
Gründe
1
Der zulässige Antrag nach § 152a VwGO ist begründet, so dass das Verfahren fortzuführen ist (1.). In der Sache gibt die Begründung des Zulassungsantrags indes keinen Anlass, den die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss des Senats vom 18. Juli 2025 aufzuheben und die Berufung zuzulassen (2.).
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1. Die Anhörungsrüge (§ 152a VwGO) ist zulässig und begründet, so dass das Verfahren auf Zulassung der Berufung gem. § 152a Abs. 5 Satz 1 VwGO fortzuführen ist.
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Die Anhörungsrüge wurde fristgerecht erhoben (§ 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO). Der Beschluss vom 18. Juli 2025, mit dem der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt wurde, verletzt zudem seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, weil der Senat bei seiner Entscheidung fehlerhaft davon ausgegangen ist, dass der Zulassungsantrag nicht innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG begründet worden ist. Tatsächlich ist die Begründung des Zulassungsantrags – wie dem Senat erst aufgrund der Anhörungsrüge bekannt geworden ist – bereits am 7. Juli 2025 und damit innerhalb der bis 14. Juli 2025 laufenden Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG – wie von § 78 Abs. 4 Satz 2 AsylG vorgesehen – beim Verwaltungsgericht eingereicht worden (zum Streit, ob auch eine Vorlage der Begründung beim OVG/VGH fristwahrend ist vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2019 – 5 ZB 19.33539 – juris Rn. 4 m.w.N., a.A. BayVGH, B.v. 2.1.2018 – 11 ZB 17.31646 – juris Rn. 2; vermittelnd OVG Hamburg, B.v. 1.7.2009 – 5 Bf 47/09.AZ – juris Rn. 10). Unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung hätte der Antrag auf Zulassung der Berufung nicht wegen fehlender fristgerechter Begründung abgelehnt werden dürfen. Daher liegen die Voraussetzungen einer Fortführung des Verfahrens vor.
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2. Die gemäß § 152a Abs. 5 Satz 3 VwGO erneut zu treffende Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Berufung führt zur Bestätigung seiner Ablehnung (§ 152a Abs. 5 Satz 4 VwGO i.V.m. § 343 Satz 1 ZPO). Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat auch unter Berücksichtigung seiner Begründung keinen Erfolg; die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) sowie eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) rechtfertigen die Zulassung der Berufung von vornherein nicht, liegen nicht vor bzw. sind nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.
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a) Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend macht, wird zum einen verkannt, dass § 78 Abs. 3 AsylG die Zulassungsgründe für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz abschließend spezialgesetzlich regelt, und zum anderen, dass es dort einen § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Zulassungsgrund nicht gibt. Die Frage der Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ist im asylrechtlichen Zulassungsverfahren kein Zulassungskriterium.
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b) Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG, der mit dem in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Zulassungsgrund übereinstimmt, zuzulassen. Der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass das angefochtene Urteil in einem Rechts- oder Tatsachensatz von einem eine Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG tragenden ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz abweicht und auf dieser Abweichung beruht (vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2022 – 4 ZB 21.31095 – juris Rn. 25; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 42). Zur Begründung einer Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG neben der genauen Benennung des Divergenzgerichts und der zweifelsfreien Angabe der Divergenzentscheidung ein abstrakter Rechts- oder Tatsachensatz des angefochtenen Urteils herauszuarbeiten und einem Rechts- oder Tatsachensatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüberzustellen. Das Aufzeigen einer (lediglich) fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechts- oder Tatsachensätzen eines Divergenzgerichts genügt den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO BVerwG, B.v. 9.2.2022 – 8 B 56.21 – juris Rn. 3; B.v. 26.11.2014 – 10 B 50.14 – juris Rn. 23; B.v. 17.7.2008 – 9 B 15.08 – NVwZ 2008, 1115; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 73). Vorliegend benennt das Zulassungsvorbringen schon keine konkrete(n) Entscheidung(en) des Bundesverwaltungsgerichts, von der bzw. denen das angefochtene Urteil angeblich abweicht, sondern verweist insoweit lediglich allgemein auf „das Bundesverwaltungsgericht“ und dessen (angebliche) Anforderungen an die Prüfung einer Verfolgungsgefahr im Sinn von § 3 AsylG. Zudem fehlt es an der Herausarbeitung und Gegenüberstellung von abstrakten Rechts- oder Tatsachensätzen sowohl im Hinblick auf das angegriffene Urteil als auch in Bezug auf die nicht näher konkretisierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Die Zulassungsbegründung beanstandet vielmehr, dass das Verwaltungsgericht die (von vom Kläger nicht konkret benannte) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Prüfung einer Verfolgungsgefahr im Sinn von § 3 AsylG unzureichend berücksichtigt habe. Damit greift sie die Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall an, mit der eine Divergenzrüge nicht begründet werden kann.
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c) Schließlich zeigt auch der Einwand, das angegriffene Urteil habe die Ablehnung eines Anspruchs des Klägers auf subsidiären Schutz nicht eigenständig begründet, keinen die Zulassung der Berufung rechtfertigenden Verfahrensmangel im Sinn von § 78 Abs. 2 Nr. 3 AsylG auf. Anders als im Rahmen des vom Kläger in Bezug genommenen § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist nach der spezielleren Regelung des § 78 Abs. 2 Nr. 3 AsylG in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz die Berufung wegen eines Verfahrensfehlers nur bei gleichzeitigem Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes im Sinn von § 138 VwGO zuzulassen. Ein solcher ist nach dem klägerischen Vortrag nicht ersichtlich. Zwar liegt nach § 138 Nr. 6 VwGO ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn eine Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist (vgl. BVerwG, B.v. 5.6.1998 – 9 B 412.98 – NJW 1998, 3290 zu § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Ein Begründungsmangel im Sinn von § 138 Nr. 6 VwGO liegt außer in den Fällen des Fehlens jeglicher Begründung allerdings nur dann vor, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen völlig unzureichend sind (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 11.10 – NVwZ 2012, 52 m.w.N.; U.v. 28.11.2002 – 2 C 25.01 – BVerwGE 117, 228). Ein derartiger Mangel ist nicht allein deshalb anzunehmen, weil das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil (UA Rn. 14) (auch) im Hinblick auf den fehlenden Anspruch des Klägers auf subsidiären Schutz nach § 4 AsylG (vgl. UA Rn. 13) der Begründung des angefochtenen Bescheids (offensichtlich fehlerhaft im Plural bezeichnet) des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gefolgt ist und insoweit von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen hat. Dies ist in § 77 Abs. 3 AsylG ähnlich wie in § 117 Abs. 5 VwGO – auch ohne darüberhinausgehende eigene rechtliche Ausführungen des Gerichts – zur Entlastung des Gerichts und ohne Beeinträchtigung der Funktion der Entscheidungsgründe (vgl. BVerwG, B.v. 13.10.2011 – 3 B 38.11 – juris Rn. 4; U.v. 28.11.2002 a.a.O.) ausdrücklich vorgesehen. Soweit das Gericht gemäß § 77 Abs. 3 AsylG der Begründung des angefochtenen Bescheids folgt, sind die dortigen Erwägungen für die richterliche Überzeugung leitend im Sinn von § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO und decken sich mit der eigenen rechtlichen Prüfung des Gerichts, was mit der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Bescheidsbegründung erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Darüber hinaus ist das Verwaltungsgericht entgegen der Behauptung des Klägers im Hinblick auf den fehlenden Anspruch des Klägers auf subsidiären Schutz nicht lediglich „blank“ der Begründung des angefochtenen Bescheids gefolgt, sondern hat hierzu – ebenso wie zum fehlenden Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – unter eigener weiterer, den in Bezug genommenen Bescheid ergänzender Würdigung und Prüfung des klägerischen Vorbringens „ergänzende Hinweise“ gegeben. Diese beziehen sich ausdrücklich auf den fehlenden Anspruch des Klägers auf internationalen Schutz (UA Rn. 15), der gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG den Anspruch auf Flüchtlingsschutz und den Anspruch auf subsidiären Schutz umfasst. Dies kommt auch in den im Folgenden verwendeten Formulierungen des Verwaltungsgerichts („ein ernsthafter Schaden“ UA Rn. 15; „ebenso wie bei der des subsidiären Schutzes“ UA Rn. 16; „oder einem ernsthaften Schaden“ UA Rn. 17) zweifelsfrei zum Ausdruck. Insofern trifft es entgegen dem Zulassungsbringen nicht zu, dass das Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruchs des Klägers auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im angegriffenen Urteil – mangels Darstellung der inhaltlichen Prüfung – nicht begründet wird. In der Sache rügt der Kläger mit dem Einwand der unzureichenden Begründung des angegriffenen Urteils im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch auf subsidiären Schutz die inhaltliche Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung, die jedoch keinen Verfahrensmangel im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO darstellt.
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Hinsichtlich der im Beschluss vom 18. Juli 2025 getroffenen Kostenentscheidung ergibt sich ebenfalls keine Änderung. Eine Kostenentscheidung für das Rügeverfahren erübrigt sich, da weder eine Gerichtsgebühr (Nr. 5400 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz betrifft nur den Fall einer vollumfänglich erfolglosen Anhörungsrüge) noch eine Rechtsanwaltsgebühr (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Buchst. b RVG) anfallen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).