Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.07.2025 – 14 CS 25.760
Titel:

Ausnahmen vom strengen Artenschutz bei Fischottern nach § 3 AAV, Allgemeinverfügung der höheren Naturschutzbehörde mit Gebiets- und Höchstzahlfestlegungen in der Oberpfalz, die selbst noch keine Ausnahme erlaubt (§ 3 Abs. 3 Satz 1 AAV), Eilrechtsschutz, insbesondere Antragsbefugnis einer Umweltvereinigung, Tatbestandswirkung derartiger Allgemeinverfügungen und daraus folgende Bindung bei Folgeverwaltungsakten nicht nur für die Verwaltung, sondern auch für Gerichte, die Folgeverwaltungsakte überprüfen, erfolglose Beschwerde gegen stattgebenden verwaltungsgerichtlichen Beschluss

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146
UmwRG §§ 1, 2, 3
AAV § 3
BNatSchG § 45 Abs. 7
FFH-Richtlinie Art. 12, 16
Schlagworte:
Ausnahmen vom strengen Artenschutz bei Fischottern nach § 3 AAV, Allgemeinverfügung der höheren Naturschutzbehörde mit Gebiets- und Höchstzahlfestlegungen in der Oberpfalz, die selbst noch keine Ausnahme erlaubt (§ 3 Abs. 3 Satz 1 AAV), Eilrechtsschutz, insbesondere Antragsbefugnis einer Umweltvereinigung, Tatbestandswirkung derartiger Allgemeinverfügungen und daraus folgende Bindung bei Folgeverwaltungsakten nicht nur für die Verwaltung, sondern auch für Gerichte, die Folgeverwaltungsakte überprüfen, erfolglose Beschwerde gegen stattgebenden verwaltungsgerichtlichen Beschluss
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 31.03.2025 – RO 4 S 25.546
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20808

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Gründe

I.
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die von der Regierung der Oberpfalz am 31. Januar 2025 erlassene Allgemeinverfügung (Amtsblatt der Regierung der Oberpfalz Nr. 2 vom 13.2.2025).
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Die Allgemeinverfügung setzt aufgrund § 3 Abs. 3 Satz 1 der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung (AAV) für (Teil-)Gebiete von fünf oberpfälzischen Landkreisen und zwei Städten Gebiete und Höchstzahlen für (jährliche) Maßnahmen gegen Fischotter bis hin zu deren Tötung fest (Landkreis Tirschenreuth: 5, Stadt Weiden und Landkreis Neustadt a.d. Waldnaab: 5, Stadt Amberg und Landkreis Amberg-Sulzbach: 4, Landkreis Schwandorf: 5, Landkreis Cham: 4) und ordnet dafür den Sofortvollzug an. Sie bestimmt:
3
„1. Maßnahmengebiete
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1.1. Die Regierung der Oberpfalz setzt die nachfolgende bezeichneten Maßnahmengebiete im Regierungsbezirk der Oberpfalz fest:
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1.1.1. Maßnahmengebiet 1
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1.1.2. Maßnahmengebiet 2
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1.1.3. Maßnahmengebiet 3
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1.1.4. Maßnahmengebiet 4
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1.1.5. Maßnahmengebiet 5
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1.2. Die Karten (Anlage: Übersichtskarte Maßnahmengebiete sowie Detailkarten Maßnahmengebiete 1 – 5) sind Bestandteil dieser Allgemeinverfügung.
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1.3. In den Maßnahmengebieten ist es zur Abwendung ernster fischereiwirtschaftlicher Schäden und zum Schutz der Teich- und Fischereiwirtschaft erforderlich, Fischottern nachzustellen, sie zu fangen, zu vergrämen, zu verletzen, zu stören und zu töten.
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2. Höchstentnahmezahlen
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2.1. Unter Berücksichtigung des Erhaltungszustands darf in den Maßnahmengebieten nach Ziff. 1.1. während der Geltungsdauer der Allgemeinverfügung jährlich nachfolgende Anzahl an Fischottern entnommen werden (Höchstentnahmezahlen):
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2.1.1. Maßnahmengebiet 1: 5
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2.1.2. Maßnahmengebiet 2: 5
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2.1.3. Maßnahmengebiet 3: 4
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2.1.4. Maßnahmengebiet 4: 5
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2.1.5. Maßnahmengebiet 5: 4
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3. Die sofortige Vollziehung der Allgemeinverfügung wird angeordnet.
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4. Die Allgemeinverfügung tritt am Tag nach der ortsüblichen Bekanntmachung in Kraft.
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5. Die Allgemeinverfügung ergeht unter dem Vorbehalt des Widerrufs und tritt spätestens mit Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe außer Kraft.
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6. Für die Allgemeinverfügung werden keine Kosten erhoben.“
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Zur Begründung wird neben der Darstellung des Hintergrunds u. a. ausgeführt, gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV solle die höhere Naturschutzbehörde auf Grundlage von Daten zu den Fischotterpopulationen sowie zu den durch den Fischotter verursachten Schäden Gebiete festlegen, in denen zur Abwehr ernster fischereiwirtschaftlicher Schäden und zum Schutz der Teich- und Fischereiwirtschaft eine Maßnahme erforderlich sei, wobei für das jeweilige Gebiet unter Berücksichtigung des Erhaltungszustands festzulegen sei, wie viele Exemplare innerhalb welchen Zeitraums maximal aus der Natur entnommen werden dürften. Die Studie zur Bestandsschätzung und zum Erhaltungszustand von Professor Weiss (Weiss et al. 2023) stelle die derzeitige Betrachtungsgrundlage dar. Die dynamische Verbreitung des Fischotters schreite voran. In Bayern breite sich der Fischotter von Osten her aus. Die Schätzung der Populationsgrößen des Fischotters in Bayern gründe auf Zählungen einzelner genotypisierter Fischotter in 10x10 km Rasterzellen aus früheren Studien sowie auf sechs neu untersuchten Flussabschnitten. Die Bestandsschätzung von 1.495 (95% Konfidenzintervall 1.281-1.734) Fischottern für ganz Bayern bzw. 1.420 (95% Konfidenzintervall 1.218-1.646) für die kontinentale biogeographische Region gründe sich auf eine Extrapolation des gefundenen Mittelwerts auf das gesamte nachgewiesene Verbreitungsgebiet des Fischotters. Für den Regierungsbezirk der Oberpfalz sei, bis auf den Landkreis Neumarkt, eine vollständige Abdeckung der Fischotterverbreitung in der Studie von Professor Weiss dokumentiert und durch diese werde in 89% der Rasterzellen ein positives Vorkommen des Fischotters belegt.
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Im Schadensjahr 2023 liege die durch die staatliche Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (FüAk) anerkannte Auszahlungssumme für Fischotterschäden in der Oberpfalz bei 1.289.309,76 Euro; im Schadensjahr 2016 habe diese bei 160.992,63 Euro gelegen. Die Ausweisung der Maßnahmengebiete in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung sei erforderlich, da die Zunahme im Bestand und die fortschreitende Ausbreitung des Fischotters die durch jahrhundertlange Bewirtschaftung entstandene Kulturlandschaft (regionale Aufzucht von heimischen Speisefischen) beeinträchtige.
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Laut Einschätzung der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) betrage der jährliche rechnerische Zuwachs der Fischotterpopulation in Bayern ausgehend von dem Bestandsanstieg zwischen 1995 und 2023 12,7%. Eine Population von annähernd 1.500 Fischottern in Bayern, welche an die Fischotterpopulation nördlich der Alpen in Österreich und wahrscheinlich auch an jene in der Tschechischen Republik angebunden sei, könne laut der Studie von Professor Weiss als nachhaltig angesehen werden. Auf der Grundlage von extrapolierten Annahmen für die lokale Dichte ergäben sich für die Oberpfalz dabei regionale Bestandszahlen von 393 Individuen, woraus eine Höchstentnahmezahl von 23 gefolgert werde. Bei Einhaltung dieser Höchstentnahmezahl im Regierungsbezirk könne davon ausgegangen werden, dass die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindert werde. Dabei sei davon auszugehen, dass den Vorgaben der FFH-Richtlinie hinsichtlich des Artenschutzes entsprochen werde, wenn die jährlichen Entnahmezahlen für ein bestimmtes Gebiet maximal 50% des geschätzten jährlichen Populationswachstums betrügen. Ausgehend von dieser Höchstentnahmezahl seien für die einzelnen Maßnahmengebiete die jeweiligen Entnahmezahlen festgelegt worden. Die Verteilung der 23 Individuen erfolge durch die höhere Naturschutzbehörde auf Basis des Verhältnisses der Flächenanteile der Maßnahmengebiete an der relevanten Gesamtfläche und soweit ein Ausgleich für Schäden in den betroffenen Landkreisen insgesamt erfolgt sei. Sodann folgen Ausführungen zur FFH-Verträglichkeitsabschätzung, zur Ermessensausübung, zur Begründung des Sofortvollzugs sowie zur zeitlichen Befristung.
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Am 10. März 2025 erhob der Antragsteller, eine anerkannte Umweltvereinigung, gegen die Allgemeinverfügung Anfechtungsklage, die beim Verwaltungsgericht Regensburg unter dem Aktenzeichen RO 4 K 25.547 anhängig ist. Gleichzeitig beantragte er im Wege des Eilrechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
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Das Verwaltungsgericht hat dem Eilantrag mit Beschluss vom 31. März 2025 stattgegeben. Er sei zulässig und begründet, weil die Anfechtungsklage in der Hauptsache bei der gebotenen summarischen Prüfung Aussicht auf Erfolg habe. Die Allgemeinverfügung sei rechtswidrig, weil sie nicht diejenigen Anforderungen erfülle, die an eine Allgemeinverfügung zu stellen seien; vielmehr regele sie einen Inhalt, der nicht per Allgemeinverfügung geregelt werden dürfe. Zudem ergebe auch eine Interessenabwägung, dass die Interessen des Antragsgegners am Sofortvollzug hinter die Interessen des Schutzes von Fischottern zurücktreten müssten.
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Der Antragsgegner legte gegen den ihm am 31. März 2025 zugestellten Beschluss am 11. April 2025 Beschwerde ein mit dem Antrag,
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unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.
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Zur Begründung macht er geltend, die gewählte Form der angegriffenen Regelung als Allgemeinverfügung sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Der räumliche Wirkungskreis der Allgemeinverfügung spreche nicht gegen eine konkret-generelle Regelung, da zum einen nicht der vollständige Regierungsbezirk der Oberpfalz abgedeckt sei und zum anderen selbst dies keine Rückschlüsse auf eine abstrakt-generelle Regelung erlauben würde. Die Festsetzung der Maßnahmengebiete knüpfe an ein tatsächliches Vorkommnis, nämlich die Besiedelung dieser Gebiete des Regierungsbezirks durch den Fischotter an, wie sie in der Studie von Professor Weiss nachgewiesen worden sei. Dabei seien nur konkret die Landkreise, in denen auch Schäden aufgetreten seien, als solche Gebiete festgelegt worden. Eine trennscharfe Festlegung der Gebiete anhand von Teichanlagen sei nicht notwendig, um das erforderliche Maß der Konkretisierung für eine Allgemeinverfügung zu erreichen. Allein die Tatsache, dass die jeweiligen Maßnahmengebiete, für die auch einzelne Allgemeinverfügungen hätten erlassen werden können, in einer übergreifenden Allgemeinverfügung zusammengefasst seien, habe keinen Einfluss und keine Aussagekraft über den Grad der Konkretisierung. Die Entscheidung stelle eine rechtlich unbedenkliche Bündelung mehrerer Allgemeinverfügungen dar. Die Festlegung der Maßnahmengebiete in Nummer 1.3 der Allgemeinverfügung stelle abschließend und für die unteren Naturschutzbehörden verbindlich fest, dass in diesen Gebieten schwere wirtschaftliche Schäden drohten, und es werde neben der räumlichen Begrenzung anhand der Populations- und Schadensdaten des Fischotters auch die zeitliche Befristung für Maßnahmen in den festgelegten Gebieten geregelt, wobei eine abschließende präzise Aufzählung aller denkbaren Fallgestaltungen nicht möglich und praktikabel sei und den nachgeordneten unteren Naturschutzbehörden im Rahmen der nachgelagerten Maßnahmenentscheidung die notwendige Handlungsfähigkeit nehmen würde. Das Aufspalten der artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung in zwei Einzelverwaltungsakte verschiedener Naturschutzbehörden sei unschädlich. Der Regelungsgehalt der Allgemeinverfügung ziele dabei vor allem auf die Regelung des „Ob“ und „Wo“ der Maßnahmen, wobei sich hinsichtlich der Entnahme ein konkreter Sachverhalt schon deshalb ergebe, weil die Zahl der Entnahmen auf die festgesetzte niedrige einstellige Zahl an Fischottern begrenzt sei. Im Übrigen übersehe das Verwaltungsgericht, dass eine weitere Konkretisierung des Umfangs der Maßnahmen nicht hätte vorgenommen werden müssen, da die Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 3 Satz 4 AAV die Vorschriften des Jagdrechts und auch des weiteren Naturschutzrechts wie etwa § 34 BNatSchG unberührt lasse.
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Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts müsse auch eine Interessenabwägung zugunsten des Aufrechterhalts des Sofortvollzugs ausfallen, da bis zur Hauptsacheentscheidung schon eingetretene Schäden existenzbedrohend für die kleinteilig strukturierten Familienbetriebe der Teichwirtschaft seien. Die traditionelle bayerische Karpfenteichwirtschaft, die schwerpunktmäßig in den Landkreisen Tirschenreuth und Schwandorf betrieben werde, sei am 19. März 2021 in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen worden und müsse ebenso wie die damit verbundenen Tier- und Pflanzenarten geschützt werden. Warte man bis zur endgültigen Klärung in der Hauptsache ab, bestehe die Gefahr, dass ein irreversibler Schaden an diesen hochrangigen Rechtsgütern eintrete.
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Ergänzend werde auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 3. Juni 2025 – B 2 S 25.399 – Bezug genommen, in dem richtigerweise ausgeführt sei, dass einer nach § 3 UmwRG anerkannten inländischen Vereinigung im Hinblick auf eine Allgemeinverfügung nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV bereits die Antragsbefugnis fehle, da diese aufgrund ihres Regelungsgehalts schon nicht geeignet sei, Rechtsvorschriften im Bereich des nationalen und unionsrechtlichen Umweltrechts zu verletzen. Im Übrigen habe eine solche Vereinigung auch kein Rechtsschutzbedürfnis, da die Allgemeinverfügung durch die Festlegung von Maßnahmengebieten die Möglichkeiten der unteren Naturschutzbehörden, Einzelverwaltungsakte zu erlassen, begrenze. Diese Ausführungen seien auf den vorliegenden Fall übertragbar.
33
Der Antragsteller beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
35
Er erwidert u. a., der Antragsgegner habe vorliegend nur eine Allgemeinverfügung erlassen und nicht mehrere einzelne, welche theoretisch einmal gebündelt sein könnten. Es bleibe daher bei den zwei Kernfragen, ob der Antragsgegner zu einer derart großräumigen Allgemeinverfügung überhaupt legitimiert sei und er die Prüfungsvoraussetzung „zumutbare Alternativen“ bedacht habe. Die „traditionelle bayerische Karpfenteichwirtschaft“ sei artenschutzrechtlich ohne Belang, da nur der Erlass von Ausnahmegenehmigungen zugunsten einzelner Betriebe möglich sei. Das Rechtsschutzbedürfnis sei gegeben, da die angefochtene Allgemeinverfügung zur Begründung der Zuständigkeit einer anderen Behörde sowie zur Beschränkung der Einzelfallentscheidung durch Beschränkung des Ermessens führe. Es sei ineffektiv, den Antragsteller darauf zu vertrösten, erst und nur gegen eine künftige Einzelfallentscheidung der unteren Naturschutzbehörde vorgehen zu können, deren Zuständigkeit durch die Allgemeinverfügung erst begründet werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Eilverfahrens in beiden Rechtszügen, auf die Akte des erstinstanzlichen Klageverfahrens sowie auf den vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
II.
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Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht dem Eilantrag des Antragstellers stattgegeben. Die vom Antragsgegner hiergegen dargelegten Beschwerdegründe rechtfertigen eine Abänderung des Beschlusses nicht.
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Im Ausgangspunkt ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Begründetheit der Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die Prüfung der innerhalb der Frist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgetragenen, den inhaltlichen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Darlegungen des Beschwerdeführenden beschränkt. Ob der Beschwerde aus anderen, nicht dargelegten Gründen stattzugeben wäre, hat das Beschwerdegericht dagegen in aller Regel – abgesehen von möglichen Ausnahmen bei „offensichtlicher anderweitiger“ Rechtswidrigkeit der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung – nicht von Amts wegen zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2025 – 14 CS 25.1065 – BeckRS 2025, 14543 Rn. 27 f. m.w.N.).
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Allerdings hat die Beschwerde nicht schon dann Erfolg, wenn die Beschwerdegründe berechtigt sind, sondern (entsprechend § 144 Abs. 4 VwGO) erst dann, wenn sich die angefochtene Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, wobei die Prüfung insoweit nicht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf vom Beschwerdeführer thematisierte Aspekte beschränkt ist und die Beteiligten hinsichtlich aller explizit erstinstanzlich oder im Beschwerdeverfahren erörterter Aspekte mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass die Beschwerdeentscheidung auf andere als die vom Verwaltungsgericht tragend zugrunde gelegten Gründe gestützt wird, ohne dass es insoweit eines gesonderten Hinweises bedürfte (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2025 – 14 CS 25.1065 – BeckRS 2025, 14543 Rn. 39 m.w.N.).
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1. Vorliegend lässt der Senat offen, ob die vom Antragsgegner gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO dargelegten Beschwerdegründe im Ergebnis berechtigt wären und ob das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung zu Recht deswegen verneint hat, weil die gewählte Form der angegriffenen Regelung als Allgemeinverfügung nicht zulässig ist. Denn jedenfalls wird dies vom Antragsgegner hinreichend infrage gestellt (siehe 2.) und erweist sich die verwaltungsgerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung aus anderen Gründen als richtig (siehe 3.), weil der Eilantrag zulässig (siehe 3.a)) und wegen voraussichtlicher Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung und entsprechender Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage auch begründet ist (siehe 3.b)), sodass es auf eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung nicht ankommt (siehe 4.).
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2. Zwar legt der Antragsgegner die Gründe für die Änderungsbedürftigkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses hinsichtlich der ihn tragenden Gründe der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regelung wegen der gewählten Form als Allgemeinverfügung bzw. der durchgeführten Folgenabwägung dar und setzt sich dabei mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Denn er zeigt auf, wo und weshalb die Entscheidung des Verwaltungsgerichts überprüfungsbedürftig ist, indem er die Begründung des Verwaltungsgerichts aufgreift und konkret darlegt, weshalb er diese für unrichtig hält, wobei nicht bloß das erstinstanzliche Vorbringen wiederholt, sondern auf die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts argumentativ eingegangen wird, und zwar mit nicht bloß pauschalen oder formelhaften Rügen (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2024 – 14 CS 24.898 – NuR 2024, 710 Rn. 9 m.w.N.; B.v. 30.6.2025 – 14 CS 25.1065 – BeckRS 2025, 14543 Rn. 23).
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Indes lässt der Senat diese Problematik offen (so auch B.v. 30.6.2025 – 14 CS 25.1065 – BeckRS 2025, 14543 Rn. 80), weil die diesbezüglichen Ausführungen zeigen, dass speziell die Frage, ob der Antragsgegner die Rechtsform der Allgemeinverfügung zu Recht gewählt hat, schwierig zu beantworten ist und die Allgemeinverfügung jedenfalls aus anderen Gründen rechtswidrig ist, sodass sich der angefochtene verwaltungsgerichtliche Beschluss jedenfalls im Ergebnis als richtig erweist und die Beschwerde schon deshalb erfolglos bleiben muss.
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3. Der mit der Beschwerde angegriffene verwaltungsgerichtliche Beschluss erweist sich jedenfalls aus anderen als den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen im Ergebnis als richtig.
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a) Der Eilantrag ist, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, zulässig (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 30.6.2025 – 14 CS 25.1065 – BeckRS 2025, 14543 Rn. 40 ff., 30 ff.).
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aa) Der Antragsteller ist als i.S.v. § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG zur Rechtsbehelfseinlegung nach § 80 Abs. 5, § 42 Abs. 1 VwGO berechtigt, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen.
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Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV ist ein Verwaltungsakt i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG. Sie beruht auf der Anwendung von umweltbezogenen landesrechtlichen (§ 3 Abs. 3 Satz 1 AAV) und bundesrechtlichen (§ 7 Abs. 2 Nr. 14 Buchst. b, § 44 Abs. 1 BNatSchG) Rechtsvorschriften.
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Auch wird mit ihr ein Vorhaben zugelassen i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG, der nach den Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 18/9526, S. 36 – „sonstige in Natur und Landschaft eingreifende Maßnahmen“) weit auszulegen ist (vgl. BayVGH, U.v 1.10.2019 – 14 BV 17.1278 u. a. – VGH n.F. 72, 167 Rn. 28). Zwar wird mit ihr eine Maßnahme gegen Fischotter nicht unmittelbar erlaubt, insbesondere keine Tötung. Jedoch ist sie eine unabdingbare Voraussetzung für die Zulassung solcher Ausnahmen vom strengen Artenschutz der Fischotter nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV.
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Erst die Allgemeinverfügung für die dort festgesetzten Gebiete begründet nämlich eine Zuständigkeit der unteren Naturschutzbehörde. Dies gilt schon deshalb, weil nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV die untere Naturschutzbehörde erst tätig werden darf, wenn die Gebiete nach Satz 1 dieses Absatzes bestimmt sind. Erst dann wird gemäß § 3 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 AAV die untere Naturschutzbehörde abweichend von § 8 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Naturschutzgesetzes (AVBayNatSchG) zuständig, der bestimmt, dass für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG – also bei Ausnahmen vom strengen Artenschutz, den auch Fischotter genießen – im Ausgangspunkt die Regierung als höhere Naturschutzbehörde zuständig ist. Im Rahmen des § 3 AAV erzeugt die Regelungswirkung einer Allgemeinverfügung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV wie der vorliegenden somit eine Verlagerung dieser Zuständigkeit bezüglich auf dieser Grundlage ergehender Ausnahmen von der höheren auf die untere Naturschutzbehörde.
49
Außerdem bewirkt eine Allgemeinverfügung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV, dass sich innerhalb der von ihr festgesetzten Gebiete und Höchstzahlen das in § 45 Abs. 7 BNatSchG vorgesehene offene Verwaltungsermessen zulasten des Artenschutzes der Fischotter, gegen die sich Maßnahmen nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV richten, zu einem intendierten Ermessen („sollen“) verdichtet.
50
Beide Regelungswirkungen der Allgemeinverfügung wären nicht gerechtfertigt, wenn die von der höheren Naturschutzbehörde gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV vorgenommene Gebietsbestimmung fehlerhaft erfolgt sein sollte, sei es dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV nicht gegeben sein sollten, dass die Rechtsform der Allgemeinverfügung zu Unrecht für Gebiets- und Höchstzahlfestlegungen gewählt sein sollte oder dass die höhere Naturschutzbehörde von ihrem eigenen intendierten Ermessen nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV („soll“) fehlerhaft Gebrauch gemacht haben sollte. Für diese Varianten verlangen Art. 47 GRCh i.V.m. Art. 16 FFH-Richtlinie i.V.m. Art. 9 Abs. 3 AK die Einräumung effektiven Rechtsschutzes, und zwar unmittelbar gegen die Allgemeinverfügung selbst. Denn beiden Regelungswirkungen kann durch etwaigen Rechtsschutz gegen Folgeverwaltungsakte gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV, die Ausnahmen vom strengen Artenschutz bis hin zur Tötung schließlich gestatten, nicht gleich effektiv begegnet werden, weil in diesbezüglichen Prozessen auch die entscheidenden Verwaltungsgerichte an die besagten Regelungswirkungen der Allgemeinverfügung gebunden wären im Hinblick auf die sog. Tatbestandswirkung der Allgemeinverfügung als Verwaltungsakt (siehe Art. 35 Satz 2 BayVwVfG). Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte folgt aus dem Grundsatz der Tatbestandswirkung von wirksamen (nicht nichtigen) Verwaltungsakten, dass auch Gerichte, die nicht selbst mit der Kontrolle der betreffenden Genehmigung im Rahmen von Klagen und Anträgen befasst sind, als Teil des staatlichen Kompetenzgefüges an den Inhalt eines bestandskräftigen, formell wirksamen Verwaltungsakts gebunden sind (vgl. BFH, U.v. 30.6.2011 – V R 44/10 – BFHE 234, 504 Rn. 22 m.w.N.; BVerwG, U.v. 28.11.1986 – 8 C 122/84 u. a. – NVwZ 1987, 496 m.w.N.; siehe auch BVerwG, U.v. 20.5.1987 – 7 C 83.84 – BVerwGE 77, 268/273; U.v. 12.6.1992 – 7 C 5.92 – BVerwGE 90, 220/227).
51
Eine „Nichtigkeit“ der Allgemeinverfügung (Art. 44 BayVwVfG) ist dabei weder vorgetragen noch ersichtlich; insbesondere fehlt es an der dafür erforderlichen „offensichtlichen“ Fehlerhaftigkeit, sodass die besagte „Tatbestandswirkung“ der Allgemeinverfügung im Raum steht.
52
Die Verwaltungsgerichte verfügen über keine Kompetenz, bestandskräftige oder sofort vollziehbare Verwaltungsakte auch „inzident zu verwerfen“ – hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zur inzidenten verwaltungsgerichtlichen Verwerfungskompetenz für untergesetzliche „Normen“ (siehe dazu BayVGH, U.v. 17.7.2024 – 14 N 23.1133 – BayVBl 2025, 267 Rn. 56 m.w.N.). Denn bei Verwaltungsakten hat sich der Gesetzgeber gerade im Interesse der Rechtssicherheit für „befristete“ Rechtsbehelfsmöglichkeiten (§ 74 Abs. 1 VwGO) mit der Möglichkeit einer „Bestandskraft“ (beim Verstreichen von Rechtsbehelfsfristen) entschieden. Bei fristgerechter Einlegung von Anfechtungsrechtsbehelfen sieht § 80 VwGO ein austariertes System einstweiligen Rechtsschutzes vor, bei dem Anfechtungsrechtsbehelfen zwar im Ausgangspunkt „aufschiebende Wirkung“ zukommt (§ 80 Abs. 1 VwGO), was aber mehrfach durchbrochen werden kann (§ 80 Abs. 2 VwGO), u. a. mittels Sofortvollzugsanordnungen wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), wogegen dann jeweils die Verwaltung (§ 80 Abs. 4 VwGO) und die Gerichte (§ 80 Abs. 5 bis 7 VwGO) angerufen werden können. Dieses System findet auch bei Allgemeinverfügungen gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV wie der vorliegend streitgegenständlichen Anwendung. In Verfahren gegen weitere Folgeverwaltungsakte – wie etwa solche gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV – ist dann an die jeweiligen Ergebnisse solcher Rechtsschutzverfahren anzuknüpfen und besteht für die dort angerufenen Verwaltungsgerichte keine Möglichkeit, die Tatbestandswirkung vorangegangener bestandskräftiger oder sofort vollziehbarer Verwaltungsakte – auch solcher in Gestalt von Allgemeinverfügungen – zu relativieren.
53
Angesichts dieser wesentlichen Weichenstellungen der Allgemeinverfügung gebietet Art. 47 Abs. 1 GRCh verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz bereits gegen die Allgemeinverfügung selbst. Die Auffangvorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2023 – 10 C 4.23 – juris Rn. 14) verfolgt das Ziel, Art. 9 Abs. 3 AK, der seinerseits integraler Bestandteil der Unionsrechtsordnung ist (EuGH, U.v. 8.11.2022 – C-873/19 – ECLI:ECLI:EU:C:2022:857 Rn. 48), vollständig umzusetzen (BVerwG, U.v. 19.12.2019 – 7 C 28.18 – BVerwGE 167, 250 Rn. 25). Dabei ist insbesondere dem unionsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 47 Abs. 1 GRCh) Wirksamkeit zu verschaffen (EuGH, U.v. 8.11.2022 a.a.O. Rn. 79 sowie Rn. 75, 77), wobei es vorliegend um den unionsrechtlich determinierten Vollzug von Artenschutzrecht geht und §§ 44 ff. BNatSchG u. a. Art. 12, 16 der FFH-Richtlinie in nationales Recht umsetzen (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh; vgl. BayVGH, U.v. 30.4.2024 – 14 N 23.1502 u. a. – NuR 2024, 499 Rn. 45 m.w.N.). Im Rahmen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes gegen nachfolgende Einzelmaßnahmen gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV könnte kein gleichwertiger Rechtsschutz erzielt werden.
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bb) Dem Antragsteller fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
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Dies gilt schon deshalb, weil – wie soeben dargestellt – eine inzidente Überprüfung der dann rechtsverbindlichen Festlegung durch ein Gericht im Rahmen der Anfechtung des nachfolgenden Verwaltungsakts der unteren Naturschutzbehörde nicht mehr möglich wäre. Dabei ist zu sehen, dass – einerseits – Einzelausnahmen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG, die von einer Allgemeinverfügung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV unabhängig sind, und – andererseits – Maßnahmen nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV, die auf einer Allgemeinverfügung nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV wie der hier streitgegenständlichen beruhen, zwei verschiedenartige Regelungen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten (höhere versus untere Naturschutzbehörde), unterschiedlichen Voraussetzungen (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 und 2 AAV) und unterschiedlichen Rechtsfolgen („kann“ versus „soll“) sind, bei denen jeweils eigenständige Fehler auftreten können. All dies spricht dagegen, das Rechtsschutzbedürfnis für gegen Allgemeinverfügungen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 AAV gerichtete Rechtsbehelfe mit Blick auf § 45 Abs. 7 BNatSchG in Frage zu stellen, wie es der Antragsgegner tut.
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cc) Sonstige Zulässigkeitshindernisse des Eilantrags sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Anfechtungsklage ihrerseits fristgerecht eingelegt worden, sodass die Allgemeinverfügung bislang keine Bestandskraft erlangt hat und dem Eilantrag auch insoweit nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Auch fehlt der Klage – nicht anders dem Eilantrag – das Rechtsschutzbedürfnis nicht etwa im Hinblick auf Klagemöglichkeiten gegen etwaige Einzelverwaltungsakte gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV oder solcher, die nur auf § 45 Abs. 7 BNatSchG gestützt sind.
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b) Der Eilantrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO auch begründet; das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners, weil die – insbesondere im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, §§ 2, 3 UmwRG, die Klagebefugnis und das Rechtsschutzbedürfnis – zulässig erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich begründet (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwRG) und damit erfolgreich sein wird (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 30.6.2025 – 14 CS 25.1065 – BeckRS 2025, 14543 Rn. 50 ff.).
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aa) Rechtsgrundlage der Allgemeinverfügung ist § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV, wonach die höhere Naturschutzbehörde auf Grundlage von Daten zu den Fischotterpopulationen sowie zu den durch den Fischotter verursachten Schäden Gebiete festlegen soll, in denen zur Abwendung ernster fischereiwirtschaftlicher Schäden und zum Schutz der Teich- und Fischereiwirtschaft eine entsprechende Maßnahme erforderlich ist. Die Regierung der Oberpfalz ist nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AAV und Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG sachlich und örtlich für den Erlass dieser Allgemeinverfügung zuständig.
59
bb) Die voraussichtliche Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung – die weichenstellend für Ausnahmen nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AAV ist – ergibt sich aus Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie i.V.m. § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG, weil hinsichtlich der oberpfälzischen Gebiete jedenfalls eine Nichtverschlechterung des Populationszustands (§ 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG) nicht nachgewiesen ist, was jedoch Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung wäre.
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(1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stellt Art. 16 Abs. 1 der FFH-Richtlinie, der die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten von den Art. 12 bis 14 sowie Art. 15 Buchst. a und b dieser Richtlinie abweichen dürfen, genau und abschließend festlegt, eine Ausnahme von dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutzsystem dar, die restriktiv auszulegen ist und bei der die Beweislast für das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen für jede Abweichung die Stelle treffen muss, die über sie entscheidet (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 30 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 14 B 22.1698 – NuR 2023, 638 Rn. 32). Die Behörde hat daher den notwendigen Nachweis zu führen, dass trotz der Ausnahmeregelung der „günstige Erhaltungszustand“ der Population nicht beeinträchtigt wird (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. ab Rn. 54), und zwar auf der Grundlage wissenschaftlicher Daten (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 67), wobei sie von einer Ausnahme „absehen muss“, wenn nach der Prüfung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten eine „Ungewissheit“ hinsichtlich des Erhaltungszustands bestehen bleibt (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 66), was auch dann gilt, wenn es nur um eine sog. neutrale Ausnahme für eine vornherein begrenzte Zahl von Individuen geht (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 69, 68), die die Behörde als verkraftbare Höchstzahl ansieht.
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(2) Vorliegend ist schon unklar, von welchem Erhaltungszustand des Fischotters die Regierung der Oberpfalz bei der Festlegung der Entnahmezahlen für Deutschland (hierzu wird in der Allgemeinverfügung nichts ausgeführt), Bayern und insbesondere für den Regierungsbezirk der Oberpfalz ausgegangen ist. Die Begründung der Allgemeinverfügung selbst erwähnt zwar, dass sich der Fischotter in Bayern von Osten her ausbreite und nennt Zahlen für Bayern und auch spezielle regionale Bestandszahlen von 393 Individuen für die Oberpfalz, die auf der Studie von Weiss et al. (2023) beruhen. Für den Regierungsbezirk der Oberpfalz (bis auf den Landkreis Neumarkt) sei in der Studie von Weiss et al. (2023) eine vollständige Abdeckung der Fischotterverbreitung dokumentiert und es werde durch diese in 89% der Rasterzellen ein positives Vorkommen des Fischotters belegt. Allerdings geht die Regierung dabei auch für den Regierungsbezirk der Oberpfalz jedenfalls nicht explizit von einem „günstigen“ Erhaltungszustand aus, sondern knüpft mit dem Kriterium der Nichtbehinderung der Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands an die Ausnahmemöglichkeiten bei ungünstigem Erhaltungszustand an.
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Schon diese argumentative Vorgehensweise der Allgemeinverfügung spricht gegen die Annahme einer Nicht-Verschlechterung außerhalb des behördlichen Begründungsansatzes, weil es den zuständigen nationalen Behörden obliegt, im Zusammenhang mit der Genehmigung von Ausnahmen nachzuweisen, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung im Hinblick auf die Verbote und Ziele der FFH-Richtlinie gibt (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 51), wofür die Unterscheidung zwischen günstigem und nicht-günstigem Erhaltungszustand eine Vorentscheidung ist.
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Dabei ist zu sehen, dass es zwar auch bei einer Anknüpfung an einen „ungünstigen“ Erhaltungszustand – trotz des Wortlauts des Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie („günstiger Erhaltungszustand“) – ausnahmsweise zulässig sein kann, Ausnahmen vom strengen Artenschutz zu machen, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass solche Ausnahmen (insbesondere Entnahmen streng geschützter Tiere) nicht geeignet sind, den ungünstigen Erhaltungszustand einer Population zu verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands zu behindern (sog. neutrale Maßnahmen; vgl. EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 68 m.w.N.). Jedoch gilt dies nur dann, wenn eine solche auch bei ungünstigem Erhaltungszustand ausnahmsweise gewährte Ausnahme das den Mitgliedstaaten obliegende Vorsorgeprinzip (Art. 191 Abs. 2 AEUV) beachtet, was dazu führt, dass von solchen Ausnahmeregelungen „abgesehen werden muss“, wenn dabei nach der Prüfung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten eine „Ungewissheit“ bestehen bleibt hinsichtlich der Wiederherstellbarkeit eines günstigen Erhaltungszustands der Population (EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 69, 66; siehe auch BayVGH, B.v. 30.6.2025 -14 CS 25.1065 – BeckRS 2025, 14543 Rn. 55 f.).
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(3) Jedenfalls aber lässt sich – selbst wenn ein günstiger Erhaltungszustand in den in der Allgemeinverfügung festgelegten oberpfälzischen Gebieten unterstellt und das Abstellen auf dieses nur lokale Vorkommen als rechtmäßig angesehen wird – aufgrund der aktenkundigen Unterlagen nicht bewerten, ob trotz der Gebiets- und Höchstzahlfestlegungen der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung mit keiner Verschlechterung des Erhaltungszustands dieser Population i.S.v. § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG zu rechnen ist.
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Dies gilt schon für die nicht nachgewiesene Methode bei der Herleitung der jährlichen Wachstumsrate von 12,7%, zumal die für die Allgemeinverfügung maßgebliche Einschätzung der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) selbst nicht aktenkundig ist. Dabei ist zu sehen, dass sich die Studie von Weiss et al. (2023) selbst nicht ansatzweise mit der Frage der „Auswirkungen“ etwaiger Entnahmen oder sonstiger Ausnahmen vom strengen Artenschutz befasst (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 30.6.2025 – 14 CS 25.1065 – BeckRS 2025, 14543 Rn. 78, 67). Vielmehr untersucht sie ausschließlich den bestehenden Erhaltungszustand selbst, den sie für Bayern nicht insgesamt als „günstig“, sondern vielmehr nach verschiedenen geografischen Untereinheiten differenziert bewertet.
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Nach der Allgemeinverfügungsbegründung hindern die Gebiets- und Höchstzahlfestlegungen eine Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht, wenn die jährlichen Entnahmezahlen für ein bestimmtes Gebiet maximal 50% des geschätzten jährlichen Populationswachstums betragen, wobei von einem jährlichen rechnerischen Zuwachs von 12,7% ausgegangen wird, der auf der Einschätzung der LfL zum jährlichen rechnerischen Zuwachs der Fischotterpopulation in Bayern aufgrund des Bestandsanstiegs von 1995 bis 2023 beruht. Sodann wird in der Begründung die von der Studie von Weiss et al. (2023) für die Oberpfalz ermittelte Bestandszahl von 393 Fischotterexemplaren übernommen und im Ergebnis angenommen, bei einer Begrenzung der Entnahmen auf höchstens 23 Fischotter werde die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindert.
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Dies zugrunde gelegt folgen unionsrechtswidrige „Ungewissheiten“ (siehe bb) (2)) hinsichtlich der Nichtverschlechterung des Populationszustands bereits daraus, dass die Herleitung des für die Allgemeinverfügung zentralen jährlichen rechnerischen Zuwachses von 12,7% schon rechnerisch nicht nachvollziehbar hergeleitet ist, und zwar weder in der Begründung der Allgemeinverfügung noch in dem aktenkundigen umweltministeriellen Schreiben vom 16. August 2024, das ebenfalls auf diese Einschätzung des LfL Bezug nimmt. Denn keines dieser aktenkundigen Dokumente legt dar, wie genau aus den vorhandenen Daten auf einen rechnerischen jährlichen Zuwachs von gerade 12,7% geschlossen worden ist. Die sowohl in der Begründung der Allgemeinverfügung als auch im umweltministeriellen Schreiben vom 16. August 2024 genannte Einschätzung der LfL ist ihrerseits nicht aktenkundig und deren rechnerische Erwägungen werden in den besagten aktenkundigen Dokumenten nicht näher erläutert. Es ist nicht Sache des Senats, sich mögliche Rechenwege des Antragsgegners aus den Rohdaten zu erschließen – vielmehr ist es Sache des Antragsgegners, den von ihm gewählten Rechenweg schlüssig darzutun und zu begründen (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 30 m.w.N.).
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Schon aus diesem Grund verbleiben hinsichtlich der von der Allgemeinverfügung angenommenen Zuwachsraten – und damit hinsichtlich ihrer Prognose der Nichtverschlechterung des Populationszustands – Ungewissheiten und ist schon deshalb von den streitgegenständlichen Gebiets- und Höchstzahlfestsetzungen abzusehen.
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Außerdem spricht gegen einen Nachweis der Nichtverschlechterung des Erhaltungszustands auch, dass die Studie von Weiss et al. (2023) die Zuverlässigkeit der Daten zur Populationsgröße, zur Habitatqualität und zu den Zukunftsperspektiven des Fischotters in Bayern als lediglich „mäßig“ bewertet (a.a.O. S. 48 unten, S. 51 zweiter Absatz und S. 51 unten).
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4. Der Senat kann offenlassen, wie eine Folgenabwägung unabhängig von der Prüfung der Erfolgsaussichten ausfallen würde, weil bereits der voraussichtliche Erfolg der Anfechtungsklage ein hinreichendes Indiz für die Begründetheit (auch) des Eilantrags ist; dabei lässt der Senat offen, wie die Begründung der Allgemeinverfügung (dort 3.4.) zur Verteilung der 23 Individuen zu bewerten ist. Auch kann dahinstehen, ob die Begründung der Sofortvollzugsanordnung § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 VwGO i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).