Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.07.2025 – 12 C 25.996
Titel:

Wohngeldrecht, Erhöhung des Gesamteinkommens, Mieterhöhung, Mitwirkungspflichten, Prozesskostenhilfe, Parallele Einlegung von Widerspruch und Klage

Normenketten:
WoGG § 27
SGB X § 45
BayAGVwGO Art. 12
Schlagworte:
Wohngeldrecht, Erhöhung des Gesamteinkommens, Mieterhöhung, Mitwirkungspflichten, Prozesskostenhilfe, Parallele Einlegung von Widerspruch und Klage
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 22.05.2025 – AN 15 K 25.909
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20800

Tenor

Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe im Verfahren erster Instanz wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage und einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Bescheid der Beklagten vom 25. März 2025, mit dem ihm das zuletzt in Höhe von 229,- € bewilligte Wohngeld für den Zeitraum 1. April 2025 bis 30. November 2025 auf 156,- € gekürzt worden ist.
I.
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1. Der unter Betreuung stehende Kläger ist Mieter einer Wohnung in der K.-Straße in A.. Auf seinen Antrag hin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 2025 für den Zeitraum 1. Dezember 2024 bis 30. November 2025 Wohngeld in Höhe von monatlich 211,- €. Der Bewilligung lag eine Nettomiete von 420,- € sowie ein nach Wohngeldrecht ermitteltes monatliches Gesamteinkommen von 990,44 € zugrunde. Aufgrund einer Gesetzesänderung wurde der Wohngeldbetrag unter Beibehaltung der Berechnungsgrößen mit Bescheid vom 9. Januar 2025 ab Januar 2025 auf 229,- € angehoben.
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2. Nachdem die Beklagte über den automatisierten Wohngeldabgleich für das vierte Quartal 2024 davon Kenntnis erlangt hatte, dass der Kläger bereits ab 1. Dezember 2024 einer geringfügigen Beschäftigung mit einem monatlichen Verdienst von 182,66 € nachgegangen war, setzte sie mit Bescheid vom 25. März 2025 für den Zeitraum April 2025 bis November 2025 das Wohngeld für den Kläger auf 156,- € fest. Aufgrund der Veränderung seiner Einkommenssituation sei nunmehr von einem monatlichen (wohngeldrechtlichen) Gesamteinkommen in Höhe von 1.154,84 € auszugehen, was einer Erhöhung von mehr als 15% entspreche, sodass über den Wohngeldanspruch nach § 27 Abs. 2 WoGG neu zu entscheiden gewesen sei. Dass die Anpassung nicht bereits ab dem 1. Dezember 2024 – dem Zeitpunkt der Änderung der Einkommensverhältnisse –, sondern erst ab dem 1. April 2025 vorgenommen worden sei, liege daran, dass im Bescheid vom 9. Januar 2025 nicht ausreichend klar auf die Mitwirkungspflichten des Wohngeldempfängers sowie auf die Änderung des Wohngeldanspruchs bei einer Erhöhung des Gesamteinkommens von mehr als 15% hingewiesen worden sei. Obwohl der Kläger zugleich gegenüber der Beklagten eine Erhöhung der maßgeblichen Nettomiete auf 440,- € ab dem 1. April 2025 nachgewiesen habe, hätte diese bei der Wohngeldberechnung nicht berücksichtigt werden können, da sich die Monatsmiete nicht im Sinne von § 27 Abs. 1 WoGG um mehr als 10% erhöht habe.
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3. Gegen den Bescheid vom 25. März 2025 legte der Kläger am 27. März 2025 zunächst Widerspruch ein. Ferner erhob er gegen den Bescheid am 2. April 2025 zugleich Klage und beantragte zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Über den Widerspruch ist gegenwärtig noch nicht entschieden. Dass der Kläger den Widerspruch in Ansehung der nachfolgend erhobenen Klage zurückgenommen hätte, lässt sich aus den dem Senat vorliegenden Akten nicht entnehmen.
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4. Mit Beschluss vom 22. Mai 2025 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die Beibehaltung der Wohngeldzahlung in Höhe von 229,- € pro Monat, sowie die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klagewie das Antragsverfahren ab.
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Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung fehle es bereits am Vorliegen eines Anordnungsgrunds. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass ihm ohne die begehrte einstweilige Anordnung im Hinblick auf den Wohngeldbezug wesentliche Nachteile drohen würden, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigten. Insbesondere habe er nicht glaubhaft gemacht, dass ohne die Zahlung des um 73,- € höheren Wohngelds konkret und unmittelbar die Gefahr des Wohnraumverlustes drohen würde.
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Darüber hinaus fehle es auch an einem Anordnungsanspruch. Anders als der Kläger meine, halte ihm die Beklagte keine Verletzung von Mitwirkungspflichten vor. Vielmehr sei nach § 27 Abs. 2 WoGG bei einer Erhöhung des Gesamteinkommens um mehr als 15% das Wohngeld von Amts wegen neu zu berechnen. Anders als § 27 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WoGG stelle für die Mitwirkungspflicht § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 WoGG auf eine Erhöhung der monatlichen positiven Einkünfte und der monatlichen Einnahmen im Sinne von § 14 Abs. 1, 2 WoGG um mehr als 15% ab. Dass sich das Gesamteinkommen des Klägers im Sinne von § 13 WoGG um mehr als 15% durch die Aufnahme eines Minijobs erhöht habe, sei indes unstreitig. Nicht zu beanstanden sei ferner, dass die Beklagte trotz der nachgewiesenen Mieterhöhung von 20,- € keine Neubewilligung des Wohngelds nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WoGG vorgenommen habe, da die zu berücksichtigende Miete abzüglich des Gesamtbetrags zur Entlastung bei den Heizkosten nicht um mehr als 10% angestiegen sei.
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Aus den im vorläufigen Rechtsschutzverfahren dargelegten Gründen fehle es auch der erhobenen Verpflichtungsklage an den für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Erfolgsaussichten. Insoweit lasse das Gericht offen, ob die Klage nicht bereits unzulässig sei, da der Kläger zeitlich vorausgehend gegen den maßgeblichen Bescheid Widerspruch eingelegt habe, über den gegenwärtig noch nicht entschieden sei.
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5. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit Telefax vom 22. Mai 2025, mit dem er sinngemäß Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren erhebt. Zur Begründung verweist er erneut darauf, dass er keine Mitwirkungspflichten verletzt habe, da er sich auf den von der Antragsgegnerin angegebenen Schwellenbetrag von 190,07 € zusätzlicher Einkünfte verlassen habe. Mit Schreiben vom 10. Juni 2025 teilt die Lebenshilfe A. als Betreuerin des Klägers weiter mit, dass er die verwaltungsgerichtlichen Verfahren selbst führen möchte; es werde auch keine Ausschließlichkeitserklärung abgegeben.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden elektronischen Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Ansbach ist zulässig, jedoch unbegründet.
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1. Zwar ist u.a. auch für Wohngeldangelegenheiten gegenüber dem Kläger die Betreuung durch die Lebenshilfe A. angeordnet. Die Betreuerbestellung umfasst indes keinen Einwilligungsvorbehalt nach § 1825 BGB für die Prozessführung durch den Kläger. Ferner hat die Lebenshilfe A. auch keine Ausschließlichkeitserklärung nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 53 Abs. 2 ZPO abgegeben, vielmehr ausdrücklich betont, dass der Kläger das Klageverfahren selbst führen möchte. Angesichts dessen kommt dem Kläger für das vorliegenden Verfahren die erforderliche Prozessführungsbefugnis zu. Vom Vertretungszwang vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist die Prozesskostenhilfebeschwerde nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO ausdrücklich ausgenommen.
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2. Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger im Ergebnis zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt
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2.1 Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage nach prozesskostenhilferechtlichen Maßstäben ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags oder im Ausnahmefall der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 15.7.2024 – 19 C 23.1377 – BeckRS 2024, 18926), der auch der Prüfung im Beschwerdeverfahren zugrunde zu legen ist. Zu beiden Zeitpunkten erweist sich die parallel zum Widerspruchsverfahren eingereichte Klage als unzulässig. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (BayAGVwGO) kommt dem Kläger ein Wahlrecht dahingehend zu, gegen den Änderungsbescheid entweder Widerspruch einzulegen oder unmittelbar Klage zu erheben. Dadurch, dass der Kläger im vorliegenden Fall am 27. März 2025 gegen den streitgegenständlichen Bescheid zunächst Widerspruch eingelegt hat, sperrt die Ausübung seines Wahlrechts die unmittelbare Klageerhebung (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 12.3.2010 – 11 ZB 08.1495 – BeckRS 2010, 31169). Es bedarf insoweit zunächst der Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da der Kläger nach Aktenlage weder seinen Widerspruch zurückgenommen hat noch über den Widerspruch entschieden worden ist, erweist sich die Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs jedenfalls als unzulässig. Zugleich liegen auch die Voraussetzungen für die Erhebung einer Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 1 VwGO nicht vor. Infolge der Unzulässigkeit der Klage kommen dem Prozesskostenhilfegesuch daher aus formalen Gründen zum maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichenden Erfolgsaussichten zu.
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2.2 Materiell erweist sich der streitgegenständliche Bescheid vom 25. März 2025 indes nur zum Teil als rechtmäßig.
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2.2.1 § 27 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WoGG sieht vor, dass bei einer nicht nur vorübergehenden Erhöhung des Gesamteinkommens um 15% im „laufenden Bewilligungszeitraum“ und einer dadurch bewirkten Verringerung des Wohngelds von Amts wegen neu über die Bewilligung ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zu entscheiden ist. Die vorliegende Fallgestaltung ist insoweit von der Besonderheit geprägt, dass die Beklagte hier bereits vor Beginn des Bewilligungszeitraums über den Wohngeldanspruch des Klägers entschieden hat, nach Erlass des Bewilligungsbescheides jedoch – durch den Abschluss des Arbeitsvertrages über einen Minijob durch den Kläger – der Bescheid jedenfalls bei Beginn des Bewilligungszeitraums teilweise rechtswidrig war, weil er das ab dem 1. Dezember 2024 bezogene Einkommen nicht berücksichtigt hat. Die Rechtsprechung wendet gleichwohl nach der ratio legis, die eine einfache Änderungsmöglichkeit des Wohngeldbescheids bei einem Einkommenssprung von mehr als 15% ohne Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten für notwendig erachtet, auch bei dieser Fallkonstellation nicht § 45 Abs. 1 und 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), sondern stattdessen § 27 Abs. 2 WoGG an (vgl. hierzu ausführlich Schaefer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, Stand 22.4.2025, § 27 WoGG Rn. 53 ff.; OVG Lüneburg, B.v. 24.2.2014 – 4 LB 231/12 – BeckRS 2014, 48089). Aus § 27 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WoGG folgt nämlich nicht, dass sich die Einkommensverhältnisse erst nach Beginn des Bewilligungszeitraums geändert haben müssen; die Änderung kann vielmehr auch bereits vor Beginn des Bewilligungszeitraums eingetreten sein, sofern sie in den Bewilligungszeitraum fortwirkt (vgl. OVG Lüneburg a.a.O Ls. 2). Dies war im Fall des Klägers gegeben, sodass die Beklagte insoweit zu Recht auf § 27 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WoGG als Rechtsgrundlage für den Änderungsbescheid zurückgegriffen hat.
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2.2.2 Unzutreffend hat die Beklagte indes im Zuge der Neuberechnung des Wohngelds die Mieterhöhung des Klägers in Höhe von 20,- € monatlich außer Betracht gelassen. Zwar sieht § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WoGG eine Wohngelderhöhung auf Antrag nur für den Fall vor, dass sich die zu berücksichtigende Miete oder Belastung abzüglich des Gesamtbetrags der Entlastung bei den Heizkosten um mehr als 10% erhöht, was beim Kläger nicht der Fall war. Entscheidet die Wohngeldstelle jedoch nicht auf Antrag des Wohngeldempfängers im Rahmen von § 27 Abs. 1 WoGG, sondern im Rahmen von § 27 Abs. 2 WoGG von Amts wegen über das Wohngeld, hat sie insgesamt auch unter Einbeziehung wohngelderhöhender Umstände neu über die Wohngeldhöhe zu befinden. Ein Verbot, bei der amtswegigen Neuentscheidung nur Mieterhöhungen von mehr als 10% zu berücksichtigen, lässt sich § 27 Abs. 1 WoGG nicht entnehmen (vgl. hierzu Schaefer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, Stand 22.4.2025, § 27 WoGG Rn. 92). Demzufolge hätte die Beklagte im Bescheid vom 25. März 2025 neben den zusätzlichen Einkünften des Klägers auch die gestiegene Miete berücksichtigen müssen. Insoweit hätte daher eine – zulässig gewordene – Klage im prozesskostenhilferechtlichen Sinne hinreichende Erfolgsaussichten.
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Angesichts dessen wird angeregt, den streitgegenständlichen Bescheid zugunsten des Klägers abzuändern und das Widerspruchs- und das Klageverfahren in der Folge zur Erledigung zu bringen.
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3. Eine Kostenentscheidung war vorliegend entbehrlich, da in Angelegenheiten des Wohngeldrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO Gerichtskosten nicht erhoben und nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren Kosten nicht erstattet werden.
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.