Titel:
			Antragsgegner, Anhörungsschreiben, Aufschiebende Wirkung, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Formelle Rechtswidrigkeit, Anfechtungsklage, Streitwert, Klärungsbedürftigkeit, Rechtswidriger Verwaltungsakt, Interessenabwägung, Erste Anhörung, Fehlende Anhörung, Widerlegung, Kostenentscheidung, Antragstellers, Hauptsacheverfahren, Sendungsverfolgung, Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs, Öffentliches Interesse, SGB V
			Schlagworte:
			Eilrechtsschutz, Mindestmengenprognose, Lungenkarzinom, Anhörung, Interessenabwägung
			Rechtsmittelinstanz:
			LSG München, Beschluss vom 25.07.2025 – L 20 KR 78/25 B ER
			Fundstelle:
			BeckRS 2025, 20655
		 
		 
		Tenor
		
			
			I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 25.10.2024, Az. S 14 KR 410/24, gegen den Bescheid der Antragsgegner vom 26.09.2024 hinsichtlich der Widerlegung der Mindestmengenprognose für die thoraxchirurgischen Behandlungen des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen im Jahr 2025 wird angeordnet.
		 
		
			
			II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Antragsgegner.
		 
		
			
			III. Der Streitwert wird auf 129.084,21 Euro festgesetzt.
		 
		Gründe
		
		
			1
			Die Beteiligten streiten im Rahmen des Eilrechtsschutzes um die Widerlegung der Mindestmengenprognose für die thoraxchirurgischen Behandlungen des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen im Jahr 2025.
		 
		
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			Die Antragstellerin ist Trägerin des A. Klinikums und erbrachte bis ins Jahr 2024 thoraxchirurgische Behandlungen zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Antragsgegner sind landesunmittelbare gesetzliche Krankenkassen in Bayern bzw. die weiteren in Bayern agierenden gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände, die durch die Antragsgegnerin zu 1.) im Gerichtsverfahren vertreten werden.
		 
		
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			Die Antragstellerin teilte mittels Benachrichtigung vom 30.07.2024 (Anl. AS2, Bl. 26) den Antragsgegnern ihre Prognose bzgl. es Erreichens oder sogar Übertreffens der Mindestmenge für thoraxchirurgische Behandlungen des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen von 75 mit.
		 
		
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			Die Antragsgegner bringen vor, die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.08.2024 angehört zu haben und legten zum Nachweis für dessen Zugang eine DHL-Sendungsverfolgung zur Sendungsnummer … (Anlage AG1, Bl. 69) vor.
		 
		
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			Mit gemeinsamen Bescheid vom 26.09.2024 (Anlage AS1, Bl. 21) widerlegten die Antragsgegner u.a. die Mindestmengenprognose für die thoraxchirurgischen Behandlungen des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen im Jahr 2025. Die Prognose, dass im Behandlungsjahr 2025 die vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 136b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V auf 75 festgelegte Mindestmenge erreicht werde, sei nicht berechtigt. Weder aus den angeführten 41 Behandlungsfällen in den letzten 12 Monaten, noch aus der angeführten lediglich leicht ansteigenden Tendenz der Behandlungsfälle seit 2023, noch aus der Etablierung des Lungenzentrums zusammen mit der R-klinik noch aus dem behaupteten Wegfall anderer Klinika aus dem Leistungsspektrum sei die Prognose mit der behaupteten starken Steigerung auf mindestens 75 Fallzahlen nachvollziehbar.
		 
		
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			Die Antragstellerin erhob mit Schriftsatz vom 25.10.2024 (Eingang ebenfalls am 25.10.2024) Anfechtungsklage (Az.: S 14 KR 410/24) gegen die Widerlegung der Mindestmengenprognose für thoraxchirurgischen Behandlungen des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen im Jahr 2025 mit Bescheid vom 26.09.2024, die sie mit Schriftsatz vom 09.01.2025 begründete.
		 
		
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			Mit Schriftsatz vom 13.12.2024 hat die Antragstellerin zudem einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der obigen Klage beim Sozialgericht Nürnberg eingereicht. Sie begründet ihren Antrag damit, dass der Bescheid vom 26.09.2024 bereits mangels Anhörung formell rechtswidrig sei, zudem sei er auch materiell rechtswidrig, da ihre Prognose berechtigt sei und sie sich dabei zutreffenderweise auch auf personelle und strukturelle Veränderungen gestützt habe. Die Antragstellerin bestreitet einen Zugang des von den Antragsgegnern angeführten Anhörungsschreibens, auch belege die Sendungsverfolgung keinen Zugang desselben.
		 
		
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			Die Antragstellerin beantragt,
		 
		
			
			Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 25.10.2024, Az. S 14 KR 410/24, gegen die mit Bescheid vom 26.09.2024 ergangene Widerlegung der Mindestmengenprognose thoraxchirurgische Behandlung des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen im Jahr 2025 wird angeordnet.
		 
		
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			Die Antragsgegner beantragen,
		 
		
			
			den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 25.10.2024 gegen die mit Schreiben vom 26.09.2024 ergangene Widerlegung der Mindestmengenprognose für thoraxchirurgische Behandlungen des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen für das Jahr 2025 anzuordnen, zurückzuweisen.
		 
		
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			Die Antragsgegner begründen ihren Ablehnungsantrag damit, dass die Hauptsacheklage keine überwiegenden Erfolgsaussichten habe, die Widerlegung sei formell und materiell rechtmäßig erfolgt. Das Bestreiten des Zugangs des Anhörungsschreibens sei unglaubwürdig, es sei typisch, dass Krankenhäuser auf Anhörungsschreiben nicht reagierten, auch sei es nicht erforderlich gewesen, „ins Blaue hinein“ erneut nachzufragen.
		 
		
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			Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Akten in diesem Verfahren und im zugehörigen Hauptsacheverfahren S 14 AS 410/24 Bezug genommen.
		 
		
		
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			Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 25.10.2024, Az. S 14 KR 410/24, gegen den Bescheid der Antragsgegner vom 26.09.2024 hinsichtlich der Widerlegung der Mindestmengenprognose für die thoraxchirurgischen Behandlungen des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen im Jahr 2025 hat im vollem Umfang Erfolg.
		 
		
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			1. Nach § 136b Abs. 5 S. 10 SGB V ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.
		 
		
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			Der Antrag der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist zulässig erhoben und insbesondere nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG statthaft, da die Anfechtungsklage nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 136b Abs. 5 S. 11 SGB V keine aufschiebende Wirkung hat.
		 
		
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			2. Der Antrag der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist auch begründet.
		 
		
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			Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse der Antragstellerin, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse am Vollzug der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu.
		 
		
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			Dabei ist zwar grundsätzlich die gesetzgeberische Wertung in § 136b Abs. 5 Satz 11 SGB V, wonach der Gesetzgeber grundsätzlich dem öffentlichen Interesse Vorrang eingeräumt hat, zu berücksichtigen. Wenn aber der durch die Anfechtungsklage angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, dann ist der Antrag begründet, denn ein Interesse am Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann nicht bestehen.
		 
		
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			Der Bescheid der Antragsgegner vom 26.09.2024 ist bereits formell rechtswidrig. Die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung ist nicht erfolgt.
		 
		
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			Durch die Widerlegung der Mindestprognose der Antragsgegner und dem damit eingehenden Bewirkungsverbot von Leistungen für die thoraxchirurgische Behandlung des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen im Jahr 2025 zulasten der GKV greift der Bescheid der Antragsgegner vom 26.09.2024 in die Rechte der Antragstellerin massiv ein, so dass nach § 24 Abs. 1 SGB X eine Anhörung erforderlich ist. Eine Ausnahme hiervon ist auch nicht im § 136b SGB V normiert. Zudem ist berücksichtigen, dass ein Vorverfahren gegen die Entscheidungen der Krankenkassen und ihrer Verbände nach § 136b Abs. 5 S. 6 SGB V nach § 136b Abs. 5 S. 11 SGB V nicht stattfindet und diese Möglichkeit, Einwände gegen die Widerlegungsentscheidung vorzubringen, nicht besteht.
		 
		
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			Zwar hörten die Antragsgegner nach ihrem Vortrag die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.08.2024 zur Widerlegung ihrer Mindestmengenprognose an. Die Antragstellerin hat aber den Zugang dieses Anhörungsschreibens bestritten und auch sonst ist keine Äußerung der Antragstellerin vorhanden, die auf den Erhalt oder Kenntnis dieses Anhörungsschreiben schließen lässt. Die von den Antragsgegnern vorgelegt DHL-Sendungsverfolgung ist nicht geeignet, um einen Nachweis für den Versand und Zugang des Anhörungsschreibens zu bieten. Die Sendungsverfolgung führt nur die Sendungsnummer … auf, das angeführte versandte Objekt (Anhörungsschreiben) und auch der Empfänger lassen sich dadurch aber nicht erkennen. Auch aus dem in der im Hauptsacheverfahren übersandten Verwaltungsakte enthaltenen Anhörungsschreiben vom 22.08.2024 ergeben sich keine Anhaltspunkte, die einem Zusammenhang mit der Sendungsverfolgung herstellen lassen.
		 
		
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			Auch aus der von den Antragsgegnern angeführte Entscheidung des LSG NRW (Beschluss vom 18.09.2024 – L 11 KR 107/24 KH B ER) ergibt sich vorliegend nichts anderes. Dort stand nicht der Zugang eines Anhörungsschreibens bzw. die Durchführung einer (ersten) Anhörung im Streit, sondern, ob für die Krankenkassenseite nach erfolgter Anhörung erneut Veranlassung bestand, dem Krankenhaus Gelegenheit zu geben, seine Angaben zu konkretisieren oder zu ergänzen.
		 
		
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			Die Anhörung war auch nicht nach § 24 Abs. 2 SGB X entbehrlich.
		 
		
			23
			Nach dem Urteil des BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 16/20 R zu einer in Streit stehenden Widerlegung einer Mindestmengenprognose ist eine Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X hierbei grundsätzlich erforderlich und dabei das Absehen von einer Anhörung nach § 24 Abs. 2 SGB X eine Ermessensentscheidung der Behörde. Der Entscheidung des BSG lag der damalige § 136b Abs. 4 SGB V (Geltung 11.05.2019 bis 31.08.2020) zugrunde, dessen zu dieser Frage relevanten Regelungen sich mit dem gegenwärtigen § 136b Abs. 5 SGB V decken. Bei Widerlegung der Prognose wegen der Unvollständigkeit und Unplausibilität der Angaben sei es jedenfalls ermessenfehlerhaft, von einer Anhörung abzusehen. Für die Antragsgegner war unplausibel, wie einerseits eine signifikanten Steigerung aus den aktuellen Fallzahlen abgeleitet werden könne und andererseits durch den Ausstieg welcher Klinik aus dem Leistungsspektrums ein Patientenzuwachs für das Klinikum der Antragstellerin erwachsen sollte.
		 
		
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			Die Antragsgegner haben im vorliegenden Verfahren gerade keine (Ermessens-)Entscheidung dahingehend getroffen, von einer Anhörung abzusehen, sie haben ja nach ihrem Vortrag die Antragstellerin angehört und sahen auch selbst klärungsbedürftige Fragen.
		 
		
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			3. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.
		 
		
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			4. Der Streitwert wird gemäß § 197a Abs. 1 S. 1 SGG, § 63 Abs. 2 GKG durch Beschluss festgesetzt. Nach § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Entscheidend hierfür ist hierbei der Gewinn, der der Antragstellerin entginge, wenn sie die von ihr prognostizierte Mindestmenge von 75 Fällen nicht zulasten der GKV abrechnen dürfte. Nach den Angaben der Antragstellerin eines durchschnittlichen Erlöses pro Fall von 4.392,02 Euro, der Mindestmenge nach GBA, Beschluss vom 16.12.21 von 75 und einem CMI (Case Mix Index) von 3,135 bestünde ein Gesamtjahreserlös von 1.032.673,70 €. Nach BSG ist eine 25%-ige Gewinnquote zu unterstellen (BSG vom 8.8.2013 – B 3 KR 17/12 R), so dass sich ein Gewinnwert von 258.168,43 Euro ergibt. Vor dem Hintergrund des Eilrechtsschutzes wurde ein 50%-iger Abschlag zum Hauptsachestreitwert vorgenommen, so dass sich ein Streitwert von 129.084,21 Euro ergibt.